06.03.2012: Am 29. Februar verbot das Arbeitsgericht Frankfurt am Main einen Streik, der einen halben Monat die Schlagzeilen beherrschte, ohne dass die Medien wirklich darüber berichteten. Statt dessen lies man vor laufenden Kameras verhinderte Flugpassagiere über die angeblich unverschämten Forderung der in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten Beschäftigten der Verkehrszentrale, der Vorfeldkontrolle und der Vorfeldaufsicht bei der Fraport AG lamentieren. Kein Wort davon, dass diese schlechter bezahlt werden als an anderen deutschen Flughäfen, kein Wort auch davon, dass ein Schlichtungsergebnis des von Fraport vorgeschlagenen Schlichters Ole von Beust – der fiel bis dato nicht unbedingt als Vorkämpfer für Arbeiterinteressen auf – von den Fraportmanagern verworfen wurde.
Mit einem Schlag wurde wieder deutlich, dass es in Deutschland kein demokratisches Streikrecht gibt wie in den meisten westeuropäischen Staaten, sondern allenfalls ein durch Richterrecht eng umrissenes Arbeitskampfrecht. Weil zwei unter vielen Forderungen der GdF noch unter die Friedenspflicht fielen, drohen nun Fraport und Lufthansa an, die GdF mit Schadensersatzforderungen de facto zu ruinieren. Zeitgleich hatte das Gericht einen Solidaritätsstreik der Fluglotsen verboten, obwohl ein positives Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2007 nach Ansicht von Arbeitsrechtlern den zugelassen hätte.
Im Kapitalismus gibt es eine strukturelle Überlegenheit der Kapitalisten, hergeleitet aus ihren Rechten als Eigentümer. Ob sie wann und wo ihr Kapital anwenden und für was und mit wieviel Personal, dass ist ihre Entscheidung, die grundsätzlich keiner rechtlichen Prüfung unterliegt. Im Zuge ihres Direktionsrechts bestimmen sie weitgehend, was Beschäftigte während der von ihnen verkauften Arbeitszeit zu tun und zu lassen haben. Auch ein Streik schafft hier kein Gleichgewicht. Allenfalls die Unterbrechung der Mehrung des Profits bewegt das Kapital zu Zugeständnissen. Kein Arbeitsgericht verbietet den Einsatz von Streikbrechern, wie in dem Fall geschehen, aber den Solidaritätsstreik als Antwort darauf.
Die DKP verteidigt das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, das auch heißt: ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag. Deshalb sieht sie Branchengewerkschaften kleiner Beschäftigtengruppen letztlich als Schwächung der Arbeiterbewegung an. Sie wird aber keiner kämpfenden Belegschaft die Solidarität verweigern. Und sie kritisiert Urteile, die sich letztendlich gegen die gesamte Gewerkschaftsbewegung auswirken können.
Nachdem die Gewerkschaften aufgrund heftiger Diskussionen vor allen in der Mitgliedschaft von ver.di die gemeinsame Initiative von DGB und BDA zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit aufgekündigt haben, gräbt nun Frau von der Leyen als Bundesarbeitsministerium den politischen Leichnam wieder aus. Und Herr Steinmeier von der SPD setzt bei der Reanimation noch einen drauf indem er einen interfraktionellen Antrag androht, falls die Koalition die Tarifeinheit nicht auf den Weg brächte. Ausgerechnet Steinmeier, dessen Partei mit der Hartz- Gesetzgebung die Tür dazu aufstieß, mittels Zeit- und Leiharbeit die Tarifeinheit in den Betrieben durch unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Arbeit zu unterlaufen.
Die DKP sieht die Schaffung der Tarifeinheit als gewerkschaftliche Aufgabe, nicht aber als gesetzgeberische Spielwiese für Politiker, für die ein Streik immer „droht“, wie ein Erdbeben, ein Unwetter oder ein Großbrand, die nicht bereit sind, das unbeschränkte Streikrecht als Grundrecht arbeitender Menschen anzuerkennen. Ohne Streikrecht verkommen Tarifauseinandersetzungen zu kollektiver Bettelei; denn guten Argumenten haben sich die Kapitalisten noch nie gebeugt.
Im Februar verabschiedeten Gewerkschafter, Politiker und Wissenschaftler den „Wiesbadener Appell“ für ein umfassendes Streikrecht. Bezüglich der Beschränkungen in Deutschland heißt es dort unter anderem: „Diese Illegalisierungen, Einengungen, Einschränkungen und Verbote stehen im krassen Widerspruch zu dem Artikel 23 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, den Übereinkommen 87 und 98 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen (Menschenrechts- und) Sozialcharta. Insbesondere das Verbot aller Streiks, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, bildet eine schwere Verletzung dieser Bestimmungen. Diese Verbote bedrohen unsere Demokratie, da sie als schwere Menschenrechtsverletzung zu qualifizieren sind.“
Der Appell kann hilfreich sein wenn es darum geht, in den Gewerkschaften darüber zu diskutieren, wie die Voraussetzungen geschaffen werden können, sich das Streikrecht zu nehmen. Wie schon immer in der Geschichte werden Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte nicht verliehen, sondern müssen erkämpft werden.
Text: Volker Metzroth (Vorabdruck aus der UZ vom 09.03.2012)