Der Kommentar

Volker Metzroth 08 14 sw27.10.2014: Wenn ich dieser Tage Radio höre, vor dem Fernseher sitze oder Artikel lese, ob in Zeitungen oder im Internet, fühle ich mich um gut 15 Jahre zurückversetzt. Nicht des Themas wegen, aber weil man hier mit einer ähnlich strukturierten Kampagne wie die zur damaligen Vorbereitung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf Jugoslawien konfrontiert ist. Die Bösen sind nur jetzt nicht die Serben, sondern streikende Eisenbahner und Piloten, die Inkarnation des Bösen heißt aktuell nicht Milosevic, sondern Weselsky.  Bürgerliche Politiker, Unternehmerverbändler und Journalisten  sogenannter Leitmedien bezeichnen Streiks als „Erpressung“ und „Geiselnahme“, das Ausüben eines Grund- und Menschenrechts wird verbal schwersten Verbrechen gleichgesetzt. Da wird angeblich ganz Deutschland lahm gelegt, deshalb de facto nach der weiteren Einschränkung des Streikrechts gerufen. Unter diesem Einfluss verbreiten Tausende in Internetforen Parolen, die es an Menschenverachtung nicht fehlen lassen, nicht weit von einer Pogromhetze weg sind. Fast schon harmlos jene, die mit Anspielung auf Weselskys ostdeutsche Herkunft bei der Wiedererrichtung der Mauer helfen wollen.

Vorweg: ich verteidige die Einheitsgewerkschaft auch als wichtige Lehre aus der Niederlage von 1933, betrachte Berufsgewerkschaften als Schwächung der Gewerkschaftsbewegung, halte aber Tarifeinheit für eine gewerkschaftliche Kampfaufgabe zuvorderst gegen die Unternehmer, nicht für die gesetzgeberische Spielwiese all jener, denen aktive, für die Interessen ihrer Mitglieder und aller Arbeitenden kämpfende Gewerkschaften ein Dorn im Auge sind. Meine Positionen hierzu sind auch auf kommunisten.de nachzulesen. Ich verweigere aber keinen gegen ihre jeweiligen Kapitalisten streikenden Kolleginnen und Kollegen die Solidarität, auch wenn mir eigentlich wenig sympathische Organisationen dazu aufgerufen haben.

Nicht wenige in den Talk-Runden plappern nach dem Motto: wenn ich keine Ahnung habe, kann ich freier reden. Da kratze ich mich schon am Kopf, wenn ein Klaus von Dohnany, früher oft als Schlichter eingesetzt, sinngemäß sagt, dass kein Betrieb und auch nicht die Bahn es zulassen werde, daß zwei Beschäftigte für die gleiche Tätigkeit nach unterschiedlichen Tarifverträgen bezahlt werden. Aber hallo! Weiß der Mann denn nicht, dass die Bahn auch Leiharbeiter als Lokführer einsetzt? Weiß er nicht, dass in zahlreichen Betrieben Stammbelegschaften, Leiharbeiter, Werkvertragsnehmer, Praktikanten usw. mit der gleichen Arbeit zu unterschiedlichsten Bedingungen beschäftigt und bezahlt werden? Weiß er nicht, dass Unternehmer integrale Arbeitsabläufe, wie z.B. den Transport von Rohmaterial aus internen Lagern, von halbfertigen Teilen zur Weiterbearbeitung in die Nachbarhalle und von dort ins Auslieferungslager ausgliedern, um die betroffenen Kolleginnen und Kollegen schlechter bezahlen zu können? Bei VW arbeiten Beschäftigte unter mindesten 5 verschiedenen Tarifverträgen. Die Tarifeinheit, nach der z.B. in einem Großbetrieb früher der Arbeiter am Band, die Angestellte im Lohnbüro, der Pförtner am Tor und die Köchin in der Kantine zwar nach unterschiedlichen Lohngruppen, aber dem selben Tarifvertrag bezahlt wurden, haben die Unternehmer aus Profitgier längst zerstört. Die Hartzgesetzgebung unter Schröder / Fischer schuf für vieles dabei die rechtlichen Voraussetzungen. Und wo das noch nicht reicht, treten sie eben aus Unternehmerverbänden aus oder nutzen deren Angebot, Mitglied ohne Tarifbindung zu sein.

Am Kopf kratzen reichte nicht mehr, als jüngst bei „Hart aber fair“ der Alt-Sozialliberale Gerhard Baum das Streikrecht gegen eine Frau Fahimi, Generalsekretärin der SPD, verteidigen mußte.  Wie das in der Praxis gehen solle, dass nach dem geplanten Gesetz zur sogenannten Tarifeinheit zwar der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gelte, der kleineren aber das Streikrecht nicht beschnitten werde, wusste sie nicht zu erklären. Gilt nämlich der Tarifvertrag für alle, dann gilt auch die Friedenspflicht für alle. Die Gewerkschaften müssten eben Tarifgemeinschaften bilden, meinte sie weiter. Soll z.B. ver.di eine Tarifgemeinschaft mit dem Deutschen Handlungsgehilfenverband, einer klassischen gelben Gewerkschaft gründen? Oder mit Vereinen wie der „Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste“? Oder der DGB mit jenen „Christlichen“, die über Jahre Dumpingverträge in der Zeit- und Leih-Branche abschlossen? Sollen so gelbe Gewerkschaften Einfluss auf Flächentarifverträge bekommen oder sollen die endgültig zugunsten von Haustarifverträgen ersetzt werden? Vorgaben der EU-Kommission gehen in diese Richtung.

Als frühere Gewerkschafterin hätte Frau Fahimi auch wissen können, dass die Frage, was zu verteilen ist, in der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital entschieden wird und kein Rechenexempel ist. Ihre Darstellung ernst genommen, dass nur eine bestimmte Menge zu verteilen sei und deshalb bei der Bahn z.B. ein Verteilungskampf zwischen Berufsgruppen stattfinde, würde Tarifkämpfe zu Rechenexempeln degradieren. Und wenn dann die Bosse sagen, es sei nix da, und das sagen sie fast immer in Hinblick auf die unter ihnen tobenden kapitalistischen Konkurrenzkämpfe, dann gehen wir gleich wieder unverrichteter Dinge heim? Oder? Solange noch jährlich hunderte Milliarden auf den Konten der oberen 10% landen, ist noch viel zum Verteilen da! Die Krönung des Ganzen war ihre Aussage, das Streikrecht sei bisher akzeptiert worden, weil von ihm nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht  worden sei. Die Nutzung eines Grundrechts mache dieses inakzeptabel, anders kann ich das nicht verstehen.

Dass da Funktionäre der Unternehmerverbände beifällig nicken, sollte eigentlich auch der Generalsekretärin einer sich sozialdemokratisch nennenden Partei zu denken geben. Die wollen das Gesetz, nicht um eine von ihnen zerstörte Tarifeinheit wieder herzustellen, sondern um das Arbeitskampfrecht noch weiter zu beschneiden. Das Gesetz böte neue Möglichkeiten. Man hole sich z.B. eine gelbe Gewerkschaft in den Betrieb, die behauptet, die Mehrheitsgewerkschaft zu sein, schon müsste die DGB-Gewerkschaft darlegen, wie stark sie ist. Das kann sehr hilfreich sein, z.B. wird das Widerstandspotential gegen Arbeitsplatzvernichtung kalkulierbarer. Und wenn z.B. die IG BCE weniger als die Hälfte der Belegschaft organisiert, ist sie dann noch Mehrheitsgewerkschaft? Ganz flott wird dann zwischen der nichtorganisierten Mehrheit und der Gewerkschaft ein Konflikt konstruiert, da sie ja nur eine Minderheit vertrete. In den USA läuft das so, manche deutschen Konzerne wissen das dort in ihren Niederlassungen zu schätzen. Warum sollten sie auch nicht hier versuchen, so die Gewerkschaften zu schwächen, Deutschland etwas TTIP-kompatibler zu machen?

Selbst ein demokratisches Streikrecht, wie es in unseren westeuropäischen  Nachbarländern erkämpft wurde, schafft keine „Waffengleichheit“ zwischen Kapital und Arbeit. Im Kapitalismus entscheidet der Kapitalist, was er wo und wann mit wie vielen Arbeitskräften produzieren lässt oder auch nicht. Selbst ein zu 100% „greifender“ Streik ändert daran nichts, er übt nur dadurch Druck aus, da kein neuer Mehrwert produziert wird, den der Bourgeois (Besitzbürger, Kapitalist) sich privat aneignen kann. Er kann seinen Betrieb verlagern, Abteilungen schließen, große Bereiche ausgliedern, um sie in den Geltungsbereich schlechterer Tarifverträge zu bringen etc. Jenen, die jetzt von „Erpressung“ und „Geiselnahme“ fabulieren, ist das alles bekannt. Ihnen geht es aber nicht nur um die GDL oder die VC, nein, sie schlagen den „Sack“ Berufsgewerkschaften, gemeint ist aber der „Esel“ DGB, gemeint sind alle auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesenen Menschen im Land. Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit entspricht nur den Interessen der oberen 10%. Lasst uns tun was in unserer Kraft steht, damit die unteren 90% es erfolgreich abwehren können!

Text: Volker Metzroth

siehe auch

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands (am 8. und 9. April findet beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Anhörung über die Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord statt), die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

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Meeting-ID: 820 6472 0080


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Ratschlag marxistische Politik:

Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf

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in Frankfurt am Main

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie, Uni Göttingen
Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

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Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

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Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
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Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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