20.02.2020: "Denn im Grunde ist das Massaker von Hanau nichts, was wir nicht hätten erwarten können. Das Land ist voller schwer bewaffneter Männer, die den «Tag der Rache», den «Tag X» oder den Ausnahmezustand kommen sehen und zum Losschlagen bereit sind", schreibt Friedrich Burschel (Rosa Luxemburg Stiftung) zu dem Terroranschlag auf Shisha-Bars in Hanau.
Wieder eine Horrornacht in Deutschland, die Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020: Neun Menschen verlieren ihr Leben, weil ein deutscher Nazi sich selbst zu einem Schlag im ‹Rassenkrieg› ermächtigt. Er sucht in Hanau zwei Shisha-Bars aus, um dort schwer bewaffnet ein Massaker anzurichten unter den Gästen, in denen er Eindringlinge in den hiesigen ‹Kulturkreis› zu erkennen vermeint. Shisha-Bars sind Hassobjekte für alle Rassist*innen im Lande, stehen sie symbolisch doch für das ‹Vordringen fremder Kulturen› durch Einwanderer*innen und die Ausbreitung einer medial hochgejazzten ‹Clan-Kriminalität›.
Es dauert acht Stunden bis das Offensichtliche bestätigt wird: Ein Bekennerschreiben und ein Video weisen den Täter, der wenig später selbst tot neben einer weiteren Leiche in seiner Wohnung aufgefunden wurde, als einen mordbereiten Nazi aus. Zunächst hatten Boulevard-Reporter wieder mit rassistischem Kaureflex über «Schutzgeld-Erpressung» und «Drogenhintergründe» spekuliert. Während im Internet schon gefeiert wird: «NSU 2.0?» – «Jo, Musel NSU schlägt zu» – «Läuft» – «So muss es sein». Noch um 7:48 Uhr präsentiert sich eine stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Katrin Leikert, die ihren Wahlkreis in Hanau hat, mit den üblichen, kaum noch zu ertragenden Spekulationen, ob es sich um einen «verwirrten Einzeltäter», um einen rechtsradikalen oder eben auch – man weiß es ja nicht – linksradikalen Täter gehandelt haben könnte. Alles, und sei es noch das Dümmste, muss erst einmal geäußert werden, bis das, was auf der Hand liegt, benannt und anerkannt wird.
Denn im Grunde ist das Massaker von Hanau nichts, was wir nicht hätten erwarten können. Das Land ist voller schwer bewaffneter Männer, die den «Tag der Rache», den «Tag X» oder den Ausnahmezustand kommen sehen und zum Losschlagen bereit sind. Oder sich eben auch aus einer Position des «führerlosen Widerstands» heraus zu ihren grausamen Taten ermächtigt fühlen. Was liegt hinter uns? Allein in den zurückliegenden anderthalb Jahren haben solche Täter mehrfach zugeschlagen, sind zahlreiche nazistische Gruppen und Zellen ausgehoben worden, die kurz davor gestanden haben sollen, zur schrecklichen Tat zu schreiten. In einigen dieser Gruppen sind und waren auch Staatsbeamte in Uniform und Soldaten organisiert: Also Personen, die im Zweifel nicht nur Zugang zu großen Waffenarsenalen haben, sondern auch Profis im Umgang mit Waffen sind.
Eine Auswahl:
- Anfang Oktober 2018 wird die rechtsterroristische Gruppe «Revolution Chemnitz» ausgehoben.
- Am 2. Juni 2019 wird der CDU-Regierungspräsident Walter Lübcke in Kassel mit einem Kopfschuss auf seiner Terrasse ermordet.
- Ebenfalls im Juni 2019 werden bei einer Durchsuchung bei dem ehemaligen Polizeibeamten Marko G. in Mecklenburg-Vorpommern – der zweiten bei ihm – eine Maschinenpistole des Typs Uzi mit Schalldämpfer, über 25.000 Schuss Munition und Übungshandgranaten der Bundeswehr sichergestellt: G. ist einer der Köpfe und Chatadministrator der Preppergruppe «Nordkreuz».
- Im Juli 2019 verletzt ein Täter im hessischen Wächtersbach einen eritreischen Mann mit Schüssen lebensgefährlich. Mitte September verletzt ein Täter in Taunusstein Menschen «ausländischen Aussehens» mit Stahlkugeln aus einer Zwille.
- Am 9. Oktober 2019 versucht ein Attentäter mit selbst gebauten Waffen ein Massaker in der Synagoge in Halle anzurichten und tötet zwei zufällige Opfer.
- In der Silvesternacht schießt ein CDU-Kommunalpolitiker in Köln-Porz auf einen jungen Migranten und verletzt ihn schwer, tagelang wird der Täter von den Behörden geheim gehalten, ein Haftbefehl wird nicht erlassen.
- Mitte Januar werden Schüsse auf das Wahlkreisbüro des schwarzen SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby abgegeben.
- Die zahlreichen Schüsse auf Sammelunterkünfte von Geflüchteten oder auch auf den Kiez-Döner in Halle Mitte Februar, wo der Attentäter vom Oktober 2019 einen Menschen erschossen hatte, sind hier noch gar nicht dabei.
- Und erst diese Woche sind zwölf Nazis aus allen Landesteilen verhaftet worden, die als «Harter Kern» mit Anschlägen unter anderem auf Moscheen einen Bürgerkrieg im Lande entfachen wollten.
Die Stimmung im Land ist aufgeheizt durch die permanente rassistische Hetze in den sozialen Medien – der mutmaßliche Täter von Hanau, Tobias R., ist auf YouTube mit kruden Verschwörungswahnvorstellungen zu sehen, ein 24-seitiges Bekennerschreiben liegt vor. Sie ist aufgeheizt auch durch die Omnipräsenz dieser menschenverachtenden Diskurse in der Öffentlichkeit und den parlamentarischen Gremien von der kommunalen Ebene bis hinein in den Bundestag, in dem die völkisch-nationalistische «Alternative für Deutschland» (AfD) permanent für rassistische Stimmung sorgt. Diese aggressive Stimmung richtet sich auch gegen Menschen, die sich für Geflüchtete, in soziokulturellen und Frauen-Projekten engagieren, gegen Politiker*innen jeder Couleur bis hinab auf die kommunale Ebene und alles, was den völkischen «Krieger*innen» nicht in ihr Westentaschenweltbild passt.
eingefügt von kommunisten.de: Sigmar Gabriel (SPD) kann nicht einmal an dem Tag an dem neun Menschen von einem Rechtsextremisten aus rassistischen Motiven erschossen wurden, einen Tweet absetzen, ohne diese rechtsextremistische Gewalt durch den Verweis auf »linke Gewalt« zu relativieren. https://twitter.com/sigmargabriel/status/1230438894174375937 |
Waffen sind da, tausende schwer bewaffnete potentielle Nazi-Täter warten auf den Moment, wo sie losschlagen können. Einige tun es schon. Auch wenn man sich von diesem Staat nicht allzu viel erwartet im Kampf gegen mordbereite Nazis und ihre «zivilen» Helfer*innen und die Hetzer*innen im Anzug, kann die einzige Reaktion doch jetzt nur sein, diese lebensgefährliche Klientel konsequent in den Fokus der Repression zu nehmen und zu entwaffnen. Denn die nächsten nationalistischen und rassistischen Angriffe und Anschläge werden schon geplant und vorbereitet!
Entsetzt fühlen wir mit den Angehörigen der Ermordeten und denken an die Schwerverletzten dieses mörderischen Anschlags.
Unsere Solidarität mit ihnen muss sich in Handeln verwandeln: Wir müssen dafür sorgen, dass die verletzbaren Gruppen unserer Gesellschaft, die im tödlichen Fokus der Nazis stehen, Schutz bekommen, um sicher und angstfrei in diesem Land leben zu können. Wir müssen für den politischen Druck sorgen, der zu durchgreifenden Konsequenzen führt.
übernommen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung: https://www.rosalux.de/news/id/41655/
Friedrich Burschel ist Referent für Neonazismus und Strukturen / Ideologien der Ungleichwertigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung
foto: flickr, Rasande Tyskar, CC BY-NC 2.0