02.09.2024: Nach der Messerattacke in Solingen überbieten sich die Parteien in ihrer Hetze gegen Geflüchtete und Vorschlägen zu Abschiebungen und zur Einschränkung des Asylrechts. Es wirkt wie eine Wiederholung der Debatten aus den 1990er-Jahren bis zum Attentat von Mannheim im Mai dieses Jahres. Bettina Jürgensen meint.
Jetzt wird der 1993 beschlossene "Asylkompromiss" von CDU/CSU/FDP mit SPD-Unterstützung ein weiteres Mal nachjustiert. Mit dem vereinbarten Sicherheits- und Asylpaket von SPD/Grüne/FDP und einer erhofften Unterstützung der CDU, werden die Schrauben noch fester angezogen.Und es gibt Parallelen.
Auch in den 90er Jahren gab es eine extrem nationalistische Stimmungsmache. Bereits in den 80er-Jahren hatte Franz-Josef Strauß (CSU) aufgrund des Bürgerkriegs in Sri Lanka gesagt: "Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben." Und der Westberliner Innensenator und Bürgermeister Heinrich Lummer (CDU) ermunterte die BRD "sich vor einer Überflutung zu schützen" (beides: Spiegel 17.2.85)
Nationalismus und Rassismus nahmen nach 1990 zu. Angriffe auf Unterkünfte für Asylbewerber*innen, Morde und "Das Boot ist voll"- Parolen gab es in vielen Orten. Rudolf Seiters, Innenminister (CDU) meinte 1992 angesichts des Brandanschlags auf das Sonnenblumenhaus in Rostock in einer Täter-Opfer-Umkehr vor einem "Missbrauch des Asylrechts" und "unkontrolliertem Zustrom" warnen zu müssen.
Eingereiht in diesen Chor hatte sich 1996 der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der seiner Aussage gegen Russlanddeutsche "Keine Frage dass deutsche Sozialdemokraten Aufnahme und Hilfe leisten" die Worte folgen ließ, aber "brennende Häuser haben gezeigt, dass die Aufnahmebereitschaft nicht grenzenlos ist." (Spiegel 3.3.96)
Die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln 1992, der Anschlag in Solingen drei Tage nach dem "Asylkompromiss" im Mai 1993 mit fünf Getöteten zeigen, dass diese Politik die rechte und rassistische Szene geradezu herausforderte und sie das Gesetz auf ihrer Seite wähnten.
Spätestens seit 2015 wieder gibt es wieder ausländerfeindliche Reden im Bundestag und nicht nur in nazistischen Gruppen als Stammtischparolen. Alexander Dobrindt, ehemals CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, sprach vom "Asyltourismus", der damalige Innenminister Horst Seehofer nannte Migration "Mutter aller Probleme".
Da wundert es nicht, dass es Hetzjagden gegen Geflüchtete und rassistische Morde, die "Pegida-Bewegung", die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" gibt. Die AfD, die sich als parlamentarischer Arm der Nazis entwickelt hat, lässt man gewähren, stellt Regeln des Umgangs im Parament auf. Erst wenn sich der Widerstand in der Bevölkerung regt, wie nach der Veröffentlichung der correctiv-Recherche zum Treffen ultrarechter Kreise in Potsdam, finden sich auch Regierungsmitglieder auf Demonstrationen gegen Rechts.
Ansonsten wurde bisher von den regierenden Parteien, oder institutionell keine adäquate Reaktion gezeigt, die diese Bewegungen in ihre Schranken verweist.
Die Morde des NSU, die in Hanau, die täglichen rassistischen An- und Übergriffe, die politisch motivierte Gewalt von Nazis auch aus der AfD werden nicht oder ungenügend aufgeklärt. Es wird intransparent und geheim(nisvoll) ermittelt, die Täter werden oft nicht als das benannt, was sie sind: Politische Gewalttäter!
Das ist nicht die Gewalt, gegen die das neue Sicherheitspaket geschnürt wurde.
Denn es gibt Gewalt und Morde, die auch von anderen extremen Gruppen ausgehen. Darunter sind auch islamistische Taten, der IS erklärte sich laut Berichten für das Messerattentat in Solingen verantwortlich.
Ob diese Taten zunehmen oder ob darüber nur zunehmend berichtet wird, das wird hier nicht untersucht.
Fakt ist: Das es aus rechten, völkischen und rassistischen Gruppen und Parteien solche Angriffe genutzt werden, um ihre Abschottungspolitik und Aktionen gegen Geflüchtete zu verstärken.
Mit dem aktuell vorgestellten "Sicherheits- und Asylpaket" wurde im Eiltempo ein Papier aus der Schublade gezogen, das angeblich die Sicherheit für die Bevölkerung Deutschlands erhöht.
Innenministerin Faeser (SPD) hat darin mit dem Justizminister Buschmann (FDP) die Forderungen der letzten Tage aus Parteien und Medien niedergeschrieben.
Es ging ebenso schnell, wie der Kanzler Scholz in dem Angriff mit einem Messer und den Morden in Solingen einen "Terrorismus gegen uns alle" erkannt haben will.
Und schnell geht der Ruf für noch schnellere und konsequentere Abschiebung von Geflüchteten durchs Land.
Medien befördern die Stimmung gegen Migrant*innen. Manchmal reichen kurze Sätze wie der von Kristina Dunz vom rnd-Netzwerk: "Nie wieder soll ein Flüchtling feiernde Menschen in Deutschland abstechen können. ( Kommentar am 27.8. in den Kieler Nachrichten).
Solche Aussagen sind Wasser auf die Mühlen der AfD und ihrer Anhänger*innen.
Sie sind Wasser auf die Mühlen von Politiker*innen des Schlages Friedrich Merz und anderer. Merz will nun "zeitlich unbegrenzte Abschiebegewahrsam" und laut tageschau.de vom 25.8. erklärte er: "Wir haben Leute hier in Deutschland, die wir nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen."
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel schrieb auf der Plattform X, das Problem müsse "an den Wurzeln gepackt werden". Nötig sei eine "Migrationswende sofort".
Von den Grünen schließen sich der Bundesfraktionsvize Konstantin von Notz und die Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic inhaltlich an: "Es ist an der Zeit, die 'Zeitenwende' auch im Inneren entschlossen umzusetzen." Eine Art Sondervermögen als "Basisinvestition" zur Finanzierung schlagen sie vor, denn es wurden Sicherheit und die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats "sträflich vernachlässigt" meinen sie. Und "Bund und Länder müssen sich gemeinsam anschauen, wie aus der möglichen eine tatsächliche Abschiebung wird."
Einem schärferen Waffenrecht und mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden - unter anderem verdeckte Ermittlungen in sozialen Netzwerken und einen besseren Austausch zwischen Polizei und Geheimdiensten – stehen die Grünen offen gegenüber.
Die SPD SPD-Vorsitzende Saskia Esken nahm den Messerangriff in Solingen zum Anlass, eine bereits vor einigen Wochen veröffentlichte Meinung zu wiederholen: "Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan", sagte sie der Rheinischen Post.
In einer Erklärung von Pro Asyl und Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein vom 26.8.24 heißt es stattdessen:
"Drei Tote und acht zum Teil sehr schwer verletzte Menschen – PRO ASYL und Flüchtlingsrat SH trauert um die Opfer von Solingen. Dass ein 'Festival der Vielfalt', dies war das Motto des Solinger Stadtfestes, zum Ziel eines islamistischen Attentats wurde, erschüttert uns alle, die wir für eine demokratische und offene Gesellschaft einstehen. Islamistische Gewalt greift unsere Werte und unsere Freiheit an. Ein friedliches und zukunftsfähiges Zusammenleben ist nur miteinander möglich. Der Attentäter von Solingen wollte genau dies verhindern.
Wir erinnern daran: Flüchtlinge suchen oft genau vor der islamistischen Gewalt Schutz, der wir in Solingen begegnet sind. Islamistische Kräfte richten in zahlreichen, von der Weltgemeinschaft weitgend allein gestellten Staaten des globalen Südens ihre Gewalt gegen Staat und Bevölkerung. Wir fordern: Hierzulande muss gegen islamistische Terroristen mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgegangen werden. … PRO ASYL und Flüchtlingsrat SH warnen: Die politischen Verantwortlichen in der demokratischen Mitte dürfen nicht in einen Überbietungswettbewerb mit den Rechtsextremen und Völkischen eintreten. Es ist unerträglich, Schutzsuchende aus Afghanistan und Syrien unter einen Generalverdacht zu stellen und ihr Fluchtgründe zu ignorieren." (https://www.frsh.de/artikel/kein-ueberbietungswettbewerb-mit-den-rechtsextremen-und-voelkischen)
Das die Regierung die Sicherheit nun an den Messerangriffen und den dadurch begangenen Morden festmacht, sie mit einem erneuten Abbau der Rechte von Asylsuchenden herstellen will, ist geradezu zynisch, angesichts der rassistischen Gewalt, die täglich die Menschen trifft, die hier Schutz und Bleibe suchen.
Und es ist nicht nur ein Ausweichmanöver, sondern geradezu Schändlich die Sicherheitsfrage in dieser Form zu verbinden mit der Frage des Asylrechts. Beides wird seit Monaten genauso verquickt von den rechten und rassistischen Kreisen aus der AfD.
Dies zeigt auch das nun beschlossene Asylpaket der Regierung.
In Tagesschau.de vom 29.8.24 heißt es: "Nach dem Messeranschlag von Solingen mit drei Toten hat sich die Bundesregierung auf ein Maßnahmenpaket zu Migration und Asyl sowie auf eine Verschärfung des Waffenrechts geeinigt."
Faeser (SPD), Buschmann (FDP) und Hajduk (Grüne) sprechen von "weitreichenden" und "harten Maßnahmen".
Es soll Messerverbote an "kriminalitätsbelasteten Orten" wie Bahnhöfen, aber auch auf Volksfesten, Sportveranstaltungen und ähnlichem geben.
Gleichzeitig sollen die seit einigen Jahren teilweise bereits erprobten "Gesichtserkennungen" eingeführt werden, um "Islamist*innen zu erkennen".
Menschen die in das Erstaufnahmeland abgeschoben werden können, sollen keine Leistungen für ihren Lebensunterhalt mehr bekommen, es werden "nur noch die Kosten für die Rückführung" getragen.
Dies kann auf einen Vorschlag Christian Lindners zurückgeführt werden, der "null Euro" des deutschen Steuerzahlers für ausreisepflichtige Geflüchtete "mit Ausnahme der Reisekosten" geben will.
Dazu hat Pro Asyl folgende Meinung laut Stern.de vom 29.8.24 der Nachrichtenagentur AFP mitgeteilt: "Vorschläge zur Streichung der Leistung für manche Asylsuchende" seien "absehbar verfassungswidrig" und "Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgestellt: Sozialleistungen dürfen nicht aus vermeintlichen Abschreckungseffekten gestrichen oder willkürlich gekürzt werden."
Die Regierung aber pflastert den Weg und will Fakten schaffen. Da hat Frau Faeser Übung.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) darf nun die biometrischen Daten der Geflüchteten im Internet abgleichen, um die Identitäten zu überprüfen.
Die Polizei und andere Sicherheitskräfte sollen in Zukunft ohne Angaben der Gründe Personen auf Waffen durchsuchen können. Der umstrittene Einsatz von Elektroschockern, sogenannten Tasern, soll der Polizei nun generell erlaubt werden.
Die Asylgesetzgebung wird permanent verschärft. In diesem Land und in Europa mit dem GEAS. Diese Politik macht es Menschen schwerer, überhaupt ins Land zu kommen, sie macht es schwerer Asyl und damit rechtlich anerkannten Schutz zu erhalten und auch die Leistungen für Geflüchtete werden immer rigider gekürzt.
Und die Hetze der AfD gegen Geflüchtete nimmt zu. In den Reden, auf der Straße, in den Parlamenten und Medien.
Unter diesem Eindruck stehen die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September und in Brandenburg am 22.9.
Hinzu kommen die Kriegspolitik und die Aufrüstung. Die geplante Stationierung der US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026 lassen den Zuspruch für die Ampelparteien deutlich sinken. In den Umfragen zur Wahl verlieren sie alle an Zustimmung, teilweise geht es unter die 5% - Marke und um den Einzug in das Landesparlament. Deshalb sollen nun Stimmen für die Wahlen "gerettet" werden, da kommt das "Sicherheits- und Asylpaket" gerade recht – es greift Teile der AfD-Politik auf und bringt, ganz vielleicht, noch einen Umschwung der Wählermeinung,
Nach der Bundestagswahl 2017 hat Alexander Gauland mit seiner Aussage "Wir werden sie jagen" die Richtung der AfD-Politik vorgegeben.
Der Hass, die Hetze und die Gewalt nehmen seitdem zu.
Tatsächlich agieren und reagieren die anderen Parteien und deren Vertretungen im Bund und den Ländern wie die Gejagten der AfD und der rechten Stimmung, die diese in Teilen der Bevölkerung verbreiten.
Statt dem Treiben und den Treibjagden der Rechten gegen Geflüchtete, Migrant*innen und Menschen anderer politischer und sozialen Lebensweise etwas entgegenzusetzen und im besten Falle zu beenden, wird der menschenfeindlichen Politik und Gewalt mit immer neuen Gesetzen entgegengekommen.
Das neue "Sicherheits- und Asylpaket" kann als Teil davon gesehen werden.
Die Regierung will beweisen, dass sie handelt und der Bevölkerung das geben, was die AfD und andere rechte Gruppen seit geraumer Zeit fordern: rigide und repressive Asyl- und Abschiebepolitik.
Der Messerangriff in Solingen ist da doch eher wie das "Mittel zum Zweck". Ob solche oder ähnliche Taten damit verhindert werden, darf bezweifelt werden.
Ebenso, ob es das Zusammenleben in der Gesellschaft fördert.
Vor wenigen Wochen wurde auch von den Parteien der Regierungen die "Brandmauer gegen die AfD" gefordert.
Einige Menschen haben daran geglaubt. Doch bevor die ersten Steine gesetzt und der Mörtel getrocknet ist, reißen die Regierung und deren politisch Verantwortliche sie wieder ein.
Letzten Endes werden die Maßnahmen dieser "Sicherheitspolitik" jeden treffen können. Nun wird geprobt, an denen die aus den Kriegs- und Krisengebieten fliehen, vor der Unbewohnbarkeit ihrer Länder, vor sozialem Elend, Verfolgung oder vor dem Tod durch deutsche Waffen.
Eingesetzt werden kann es auch gegen die, die sich wehren gegen den stetigen Abbau demokratischer Rechte.
Deshalb gibt es nur eins: Gemeinsamen Widerstand gegen dieses Sicherheits- und Asylpaket!
txt: Bettina Jürgensen
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Haltung von kommunisten.de wider.
siehe auch
- medico international, 28.8.2024: Rechter Kulturkampf
https://www.medico.de/blog/rechter-kulturkampf-19626