Aktualisierung 17.05.2022: Finnisches Parlament stimmt NATO-Beitrittsantrag zu. Linksbündnis: 9:6 Stimmen
16.05.2022: Finnlands Regierung wird Antrag zur Aufnahme in die NATO stellen ++ Linksbündnis gespalten, aber Parteiführung sieht keinen Grund für Austritt aus der Regierung ++ Kommunisten lehnen NATO-Beitritt ab
Aktualisierung 17.05.2022:
Das Parlament stimmte heute (17.5.) mit 188:8 Stimmen bei drei Enthaltungen für den Beitritt Finnlands zur NATO. Finnland und Schweden werden ihren Antrag auf Mitgliedschaft in der Militärallianz voraussichtlich am Mittwoch gleichzeitig in Brüssel einreichen.
Das Linksbündnis stimmte mit 9:6 Stimmen für die NATO-Mitgliedschaft. Ein Abgeordneter war abwesend.
Der Fraktionsvorsitzende Jussi Saramo begründete die Zustimmung eines Teils der Linksfraktion mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Das stärkste Argument für die NATO-Mitgliedschaft sei die Abschreckungsklausel, so Saramo. Zentral sei auch die Gefahr, selbst im friedlichen Alltag in die russische Einflusssphäre zu geraten, wenn Russland die Fähigkeit Finnlands als souveränes Land in Frage stellt, über die eigenen Sicherheitslösungen zu entscheiden.
Diejenigen, die gegen den Beitritt gestimmt haben, argumentieren, dass die NATO-Mitgliedschaft die Sicherheit Finnlands nicht erhöht. Der Beitritt zum Militärbündnis würde einen grundlegenden Richtungswechsel in der langjährigen Außen- und Sicherheitspolitik bedeuten, die Finnland seit Jahrzehnten Frieden und Stabilität garantiert hat. "Die NATO-Mitgliedschaft hingegen wird die Bedrohungen und Spannungen in den nordischen Ländern verstärken", begründete der Abgeordnete Johannes Yrttiaho die Ablehnung des NATO-Beitritts. Außerdem werde die "Erhöhung der Militärausgaben zu Lasten der sozialen Sicherheit, der Dienstleistungen und der alltäglichen Lebensgrundlagen, die für die Menschen wichtig sind" gehen.
"Finnland wird ein Spielball der Politik der Großmächte in der NATO sein. Einen Vorgeschmack darauf haben wir bereits in Form der harten Frontpolitik der Türkei erlebt. Als Folge der massiven Militäroperation der Türkei in den kurdischen Gebieten Syriens im Jahr 2019 haben Finnland und Schweden Waffenexporte in die Türkei verboten. Die Türkei fordert nun die Aufhebung des finnischen und schwedischen Waffenembargos. Sind Finnland und Schweden bereit, sich dem Willen der Türkei zu beugen? Es scheint klar zu sein, dass die Regierung Marin der Mitgliedschaft Finnlands in der NATO mehr Bedeutung beimisst als der Aufrechterhaltung des Waffenembargos."
Johannes Yrttiaho, Abgeordneter des Linksbündnisses in der Parlamentsdebatte zum NATO-Beitritt
Yrjö Hakanen von der Kommunistischen Partei (SKP) kommentiert: "Die militärische Blockfreiheit Finnlands wurde heute, 17. Mai, zu Grabe getragen. Das Parlament hat mit 188 zu 8 Stimmen die einstimmigen Vorschläge der Regierung und des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten zum Beitritt zum Militärbündnis NATO angenommen.
Im Gegensatz zu den anderen nordischen Ländern, die beschlossen haben, keine Atomwaffen und keine ständigen NATO-Truppen auf ihrem Territorium zu akzeptieren, wurde die Entscheidung, der NATO beizutreten, ohne jegliche Vorbedingungen getroffen. Für die finnischen Entscheidungsträger scheint die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten wichtiger zu sein als die nordische Zusammenarbeit."
16.05.2022:
Wenn Russlands Präsident Putin beabsichtigte, mit dem Überfall auf die Ukraine, die NATO von den Grenzen Russlands fernzuhalten, dann ist dieser Schuss nach hinten losgegangen. Am Sonntag (15.5.) teilten Finnlands Präsident Sauli Niinistö von der konservativen Nationalen Sammlungspartei und die sozialdemokratische Regierungschefin Sanna Marin offiziell mit, dass Finnland einen Antrag zur Aufnahme in die NATO stellen wird. Das finnische Parlament muss dem Schritt noch zustimmen, eine Mehrheit gilt aber als sicher, nachdem sich Marins sozialdemokratische Regierungspartei SDP am Samstag für den Schritt ausgesprochen hat.
Mit einem NATO-Mitglied Finnland wird eines der Albtraumszenarien von Russland wahr: Es wird eine weitere Grenze von 1.340 Kilometer mit der NATO haben. Finnland wird ein modern ausgerüsteter Teil der NATO werden, mit der Fähigkeit schnelle 280.000 bis 300.000 Militärangehörige zu mobilisieren und mit 64 F-35-Kampfflugzeugen, die in der Lage sind im Zuge einer nuklearen Teilhabe die neuen US-amerikanischen Atombomben ins Ziel zu bringen.
Die Entscheidung der Regierung für den NATO-Beitritt lag seit Tagen in der Luft, nachdem der Außen- und der Verteidigungsausschuss des finnischen Einkammerparlaments (Eduskunta) am Dienstag vergangener Woche die Debatte über die beiden gegensätzlichen Sicherheitsberichte abgeschlossen hatten: den von der Regierung vorgelegten (pro-NATO) und den von den Abgeordneten des Linksbündnis Vasemmistoliitto (VAS).
Eine immer einseitiger werdende öffentliche Meinungsmache, die von vielen neutralistischen und pazifistischen kritischen Stimmen angeprangert wird, hat das gesellschaftliche und politische Klima immer mehr vergiftet und es schwierig gemacht, einen Weg in Frage zu stellen, der offensichtlich schon seit mehr als zwei Monaten vorgezeichnet war. Der Angriff Russlands und diese Meinungsmache haben die öffentliche Meinung zu Gunsten der Abschaffung der Neutralität verändert. In regelmäßigen Umfragen des staatlichen Fernsehsenders Yle sind die Befürworter eines NATO-Beitritts Finnlands von 54% Ende Februar auf überwältigende 74% in den letzten Tagen gestiegen.
Selbst im Linksbündnis Vasemmistoliitto – die VAS ist Mitglied der Partei der Europäischen Linken und Finnlands stärkster Partei links der Sozialdemokratie – hat der Stimmungsumschwung infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine dazu geführt, dass die Parteivorsitzende Li Andersson bereits vor einigen Tagen verkündete, dass die NATO-Mitgliedschaft keine rote Linie für die Regierungsbeteiligung darstellen würde. [1]
Der Fraktionsvorsitzende von Vasemmistoliitto, Jussi Saramo, sagte im Parlament: "Das Regierungsprogramm sieht auch die Möglichkeit vor, einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft zu stellen, falls Veränderungen im Sicherheitsumfeld dies erforderlich machen. Es ist klar, dass Russlands brutaler und einseitiger Angriff auf die Ukraine unser Sicherheitsumfeld radikal verändert hat und wir nun alle Optionen abwägen müssen. … Das stärkste Argument für eine NATO-Mitgliedschaft ist, dass dadurch die Schwelle für einen Angriff auf Finnland erhöht würde. Als Mitglied würde unsere außergewöhnlich starke Armee auch zur Sicherheit der baltischen Staaten beitragen. Ebenso klar ist, dass selbst ein Beitrittsantrag die Spannungen an der finnisch-russischen Grenze verschärfen und die Gefahr mit sich bringen würde, dass Krieg und Konflikte von anderswo auf unseren eigenen Boden übergreifen. … Das Linksbündnis will die besten Lösungen für die Sicherheit Finnlands finden. [2]
Im Ministerrat stimmten die Vertreter*innen der VAS schließlich für die Resolution, in der die Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis gefordert wird.
Trotz der "pro-NATO"-Position der Regierungsdelegation ist das Linksbündnis aufgrund der kontinuierlichen Stellungnahmen maßgeblicher Vertreter*innen und Abgeordneter von Vasemmistoliitto gegen die Aufgabe der militärischen Neutralität die einzige parlamentarische politische Kraft, die sich gegen einen Beitritt ausspricht.
Linksbündnis gespalten. Aber NATO ist keine Bruchstelle mehr für das Linksbündnis und die Regierungsbeteiligung
In einem längeren Interview mit der Parteizeitung Kansan Uutiset [3] hatte Bildungsministerin und Vasemmistoliitto-Vorsitzende Li Andersson am 7.Mai erklärt, dass Parteiführung und Parlamentsfraktion gemeinsam beraten haben, um zu entscheiden, ob die Partei in der Regierung bleiben kann, wenn die Koalitionspartner den Antrag auf NATO-Aufnahme unterstützen. Dieser Schritt war notwendig, weil Vasemmistoliitto bei den Parlamentswahlen 2019 beschlossen hatte, dass es nicht mit Parteien regieren würde, die den Beitritt zum Atlantischen Bündnis befürworten.
Li Andersson sagte, dass sie ihre Partei nicht nur gefragt habe, ob sie nach dem Beitrittsantrag in der Regierung bleiben will, sondern auch, ob sie im Ministerrat zusammen mit der anderen linken Ministerin, Hanna Sarkkinen, für den Beitrittsantrag stimmen kann. Ein doppeltes Mandat, um die Regierung nicht zu gefährden, die, so die Vorsitzende, "zu 100 % von unserer Partei unterstützt wird, auch wenn wir unterschiedliche Positionen zur NATO haben".
In der gemeinsamen Sitzung von Parteiführung und Fraktion wurde Anderssons Linie mit 52 Ja-Stimmen, 10 Nein-Stimmen und einer Enthaltung gebilligt: "Finnlands möglicher Antrag auf NATO-Mitgliedschaft ist für das Linksbündnis kein Hindernis für die Fortsetzung der Regierungsarbeit", heißt es in der veröffentlichten Mitteilung der Partei.
Kein Fraktionszwang bei NATO-Abstimmung
Gleichzeitig wird den VAS-Abgeordneten aber auch die Freiheit eingeräumt, gegen den Beitrittsantrag zu stimmen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Mehrheit der 16 linken Abgeordneten in der Eduskunta (dem finnischen Parlament) im Gegensatz zu ihren beiden Ministern gegen den NATO-Beitritt stimmen wird, ebenso wie mehrere Abgeordnete anderer Fraktionen, angefangen bei den Sozialdemokraten der SDP, der Partei von Ministerpräsident Marin, die in der Vergangenheit neutralistische Positionen vertreten hat.
Der Abgeordnete des Linksbündnisses und Mitglied des Verteidigungsausschusses Markus Mustajärvi hat bereits bei der Vorstellung des Berichts des Verteidigungsausschusses eine abweichende Stellungnahme abgegeben. Er kritisiert, dass die Nachteile der Mitgliedschaft überhaupt nicht erörtert werden. "Dieser Bericht ist keine Bewertung der Auswirkungen der NATO-Mitgliedschaft, sondern ein Leitfaden für die NATO-Mitgliedschaft", sagt er in einem Interview. [4]
"Die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO würde eine immer stärkere Ausrichtung Finnlands auf die von den USA geführte Front gegen China bedeuten"
Markus Mustajärvi
Er wendet sich gegen einen NATO-Beitritt, weil "ein NATO-Beitritt würde Finnland an eine grundlegend andere Politik binden, die auf militärischer Macht, nuklearer Abschreckung und einer konfrontativen Aufteilung der Welt beruht, insbesondere in den Beziehungen zu Russland und China." Nur außerhalb von Militärbündnissen sei es für Finnland möglich, sich im Falle eines größeren Krieges aus den militärischen Aktionen herauszuhalten, so der Linkspolitiker. Sollte Finnland der NATO beitreten, so Mustajärvi, sei es von größter Bedeutung, dass Atomwaffen unter keinen Umständen auf finnischem Territorium zugelassen werden. "Finnland muss erklären, dass es unter keinen Umständen zulassen wird, dass Atomwaffen in Finnland stationiert werden, und dass es auch nicht zulassen wird, dass sein Land, sein Luftraum oder seine Seegebiete für den Transport oder die Durchfuhr von Atomwaffen genutzt werden, da dies bedeuten würde, dass Finnland im Falle eines größeren Krieges automatisch zur Frontlinie im Falle eines Atomangriffs würde." Wenn beschlossen werde, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, dann müssten die Bürgerinnen und Bürger auch die Möglichkeit haben, ihre Meinung in einem Referendum zu äußern, fordert Markus Mustajärvi.
Kommunisten gegen NATO-Beitritt
Im Unterschied zum Linksbündnis, das in der NATO-Frage gespalten ist, lehnt die Finnische Kommunistische Partei SKP, die ebenfalls Mitglied der Partei der Europäischen Linken ist, den NATO-Beitritt konsequent ab. "Wir Kommunisten billigen die russische Invasion nicht, aber gleichzeitig sind wir entschieden gegen die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO. Als Mitglied der NATO würde Finnland seine eigene Entscheidungsgewalt verlieren und in Konfliktsituationen zwischen den Großmächten verwickelt werden. Im schlimmsten Fall würde ein verheerender Vernichtungskrieg auf finnischem Territorium geführt, wobei die NATO-Truppen versuchen würden, über Finnland nach St. Petersburg und in die Region Murmansk einzudringen", heißt es in einer Erklärung des Zentralkomitees der SKP. [5]
Yrjö Hakanen, kommunistischer Abgeordneter im Stadtrat von Helsinki sagt: "Die gemeinsame Verteidigung der NATO stützt sich letztlich auf die militärische Stärke der USA und die nukleare Abschreckung. Finnland würde sich zur Atomwaffenpolitik und -strategie der NATO bekennen, die neben Atomwaffen auch die Bereitschaft zum völkerrechtlich gebotenen Einsatz militärischer Gewalt ohne UN-Mandat, die Stationierung von Truppen an den Grenzen gegen Russland und eine Konfrontation auch mit China beinhaltet.
Mit dem Beitritt zur NATO würde Finnland zu einem neuen Kalten Krieg beitragen. Gleichzeitig könnten wir in Konflikte zwischen den USA und der NATO und anderen Ländern verwickelt werden, die wir sonst nicht zu lösen hätten und bei denen wir als bündnisfreier Staat helfen könnten, zu vermitteln. …
Der wichtigste Grund, warum ich mich gegen einen NATO-Beitritt ausspreche, ist der, dass eine Sicherheitspolitik, die auf Wettrüsten und Konfrontation basiert, den großen Sicherheitsbedrohungen unserer Zeit, wie Klimawandel, Naturkatastrophen, Pandemien und Armut, nicht gerecht wird. Im Gegenteil, sie verschärft sie noch, indem sie enorme Ressourcen in die Rüstung steckt und die für die Lösung dieser globalen Probleme so wichtige Zusammenarbeit erschwert." [6]
"Letztlich ist es eine Frage der Wahl: entweder ein sich beschleunigendes Wettrüsten zu fördern oder den Weg des Friedens zu wählen."
Seppo Ruotsalainen, Mitglied des Zentralkomitees der Finnischen Kommunistischen Partei
Zur gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Republik und der Ministerpräsidenten zum Beitritt Finnlands zur NATO meint Yrjö Hakanen: "Wenn wir Mitglied werden, wäre es meiner Meinung nach zumindest gerechtfertigt, in die Entschließung des Parlaments aufzunehmen, dass keine NATO-Truppen oder Atomwaffen in Finnland stationiert werden, dass wir das Abkommen zwischen Finnland und Russland über die Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen und Zusammenarbeit einhalten und niemandem erlauben werden, finnisches Territorium für feindliche Zwecke gegen Russland zu nutzen, dass Finnland zu diesem Zweck auch auf militärische Übungen verzichten wird, die die Spannungen zwischen Finnland und Russland erhöhen würden, dass Finnland sich aktiv für die Abrüstung und einen Vertrag über das Verbot von Atomwaffen einsetzen wird und dass Finnland ohne die UNO keine Truppen ins Ausland schicken wird."
Anmerkungen
[1] Das Kabinett besteht aus einer Koalition von Sozialdemokratische Partei Finnlands SDP, Finnische Zentrumspartei KESK, Grüner Bund VIHR, Linksbündnis Vasemmistoliitto VAS und Schwedische Volkspartei RKP. Die VAS ist mit zwei Minister*innen im 20-köpfigen Kabinett vertreten. Ministerpräsidentin des Kabinetts ist Sanna Marin (SDP).
[2] Jussi Saramo, 20.4.2022: "Es gibt keine problem- oder risikofreie sicherheitspolitische Lösung"
https://vasemmisto.fi/jussi-saramo-ongelmatonta-tai-riskitonta-turvallisuuspoliittista-ratkaisua-ei-ole/
[3] Kansan Uutiset, 7.5.2022: "Li Andersson: Hallituksesta kannattaa lähteä vain periaatekysymysten takia, mitkä vahvasti yhdistävät kaikkia"
https://www.kansanuutiset.fi/artikkeli/4728442-li-andersson-hallituksesta-kannattaa-lahtea-vain-periaatekysymysten-takia-mitka-vahvasti-yhdistavat-kaikkia
[4] Kansan Uutiset, 10.5.2022:Mustajärvi jätti eriävän puolustusvaliokunnan lausuntoon: ”Ydinaseiden sijoittamista tai kauttakulkua Suomeen ei tule sallia missään olosuhteissa”
https://vasemmisto.fi/mustajarvi-jatti-eriavan-puolustusvaliokunnan-lausuntoon-ydinaseiden-sijoittamista-tai-kauttakulkua-suomeen-ei-tule-sallia-missaan-olosuhteissa/
[5] Zentralkomitee der SKP, 25.4.2022: Kommunisten lehnen NATO-Beitritt ab
https://www.skp.fi/artikkelit/kommunistit-vastustavat-nato-j-senyytt
[6] Yrjö Hakanen, 14.5.2022: "Warum bin ich gegen einen NATO-Beitritt?"
https://www.yrjohakanen.fi/miksi-vastustan-natoon-liittymista/
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