Kommentar von Walter Baier
14.04.2015: Während Brüssel, Berlin und viele Medien Tsipras’ Moskaubesuch zum Skandal erklären, steht der eigentliche Showdown noch bevor. Kann die griechische Regierung eine andere politische Linie durchsetzen und welche Rolle kommt uns als Linke in Österreich und Europa dabei zu?
Glaubt man den Medien, könnte man meinen, Tsipras hätte Putin ein Beitrittsgesuch zur Eurasischen Wirtschaftsunion hinterlegen wollen. Die Wahrheit ist weniger spektakulär, dafür aber politischer. Tatsächlich kehrt er mit einigen vielversprechenden Wirtschaftsprojekten zurück, die mittelfristig die Lage Griechenlands erleichtern können; unter anderem die Beteiligung an der Transbalkan-Pipeline, die anstelle des von der EU-Kommission gestoppten Southstream-Projekts russisches Erdgas nach Zentral- und Südeuropa leiten soll. Gut für Griechenland. Möchte man sagen, und schlecht für Österreich, das sich durch Southstream beträchtliche Einnahmen und eine Erhöhung der Versorgungssicherheit versprechen konnte.
Tsipras hat in Moskau als Premierminister eines souveränen Staats dessen Interesse mit einigem Geschick vertreten und sich gleichzeitig jegliche Bevormundung verbeten. Auch seine kritische Haltung zur Sanktionspolitik stellte keine Neuigkeit dar. Die Aufregung um einen der politischen Routine entsprechenden Staatsbesuch demonstriert einmal mehr, wie sehr die Syriza-Regierung die europäischen Debatte aufs Neue politisiert hat. Ihr Ringen um Wiederherstellung der Souveränität und einen fairen Deal mit den „Institutionen“ spielt sich als politischer Kampf und in aller Öffentlichkeit ab.
Politik des Symbolischen
Politik besteht vielfach im Symbolischen. Tsipras’ Regierung hat das Ende der Troika ausgerufen und sitzt seither nicht mehr wie ihre Vorgängerin gesichtslosen Bürokraten gegenüber, um Aufträge entgegenzunehmen. Sie verhandelt jetzt auf Grundlage eigener Vorschläge mit Institutionen, denen sie selbst als gleichberechtigtes Mitglied angehört. MinisterInnen sprechen mit MinisterInnen und der Premierminister mit PremierministerInnen.
Diese Veränderung des Szenarios ändert aber nichts am für Syriza ungünstigen Kräfteverhältnis. Die Sympathiebezeugungen sozialdemokratischer Regierungschefs blieben bislang folgenlos. Widerspruch gegen Schäuble und Merkel, und auch von der bisherigen Linie abweichende Stellungnahmen aus der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds verhinderten nicht, dass es bei den entscheidenden Sitzungen der Eurogruppe 18 zu 1 gegen Varoufakis stand.
Dementsprechend sind die Resultate, die die griechische Regierung erzielte. Diese sind aber besser als die Hardliner der Kürzungspolitik ursprünglich zugestehen wollten. Vor allem ist der Plan, Tsipras quasi in Wochenfrist zu Fall zu bringen, gescheitert. So schwer es scheinbar fällt, Brüssel und Berlin werden sich an Tsipras, Varoufakis und ihre KollegInnen gewöhnen müssen.
Kein Frieden aber ein Waffenstillstand
Syriza hat nicht kapituliert, doch wurde in der Kernfrage der Schulden, deren Aufrechterhaltung den wirtschaftlichen Aufschwung blockiert, auch keine Lösung erzielt. Der Showdown wurde aufgeschoben. Kein Frieden aber ein Waffenstillstand.
Die seit Wochen anhaltende Auseinandersetzung um Interpretation, Umsetzung und Perspektive der im Februar erzielten Übereinkunft ist daher nur natürlich. Nichts ist entschieden, und die Gegner und Gegnerinnen der Kürzungspolitik sollten sich auf die nächste Etappe vorbereiten, die mit dem Auslaufen des Brückenabkommens im Juni beginnen wird.
Auch an der erklärten Absicht Syrizas, sein Programm innerhalb der Eurozone und der Europäischen Union zu verwirklichen, hat sich nichts verändert. Doch immer klarer wird, dass das nur gelingen wird, wenn es in Europa zu einer Änderung der Politik kommt. Ob diese Strategie erfolgreich sein kann, ist keine Frage von Verträgen sondern der politischen Auseinandersetzung und der Kräfteverhältnisse.
“Was für ein Europa wollen wir?”
Man kann sich ein Leben nach dem Grexit vorstellen und über die Vor- und Nachteile fachlich geteilter Meinung sein. Nicht aber darüber, dass sich auch bei einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurogruppe am Grundproblem nichts ändert, nämlich, dass die Regierung es mit den Finanzmärkten und der Politik der europäischen Staaten zu tun hat. Auch hier würden die erzielbaren Resultate durch wirtschaftliche und politische Kräfteverhältnisse bestimmt, die so oder so nicht günstig sind. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Das Ringen zwischen Griechenland und seinen Partnern in den vergangenen beiden Wochen spielte sich in einem gemeinsamen politischen und juristischen Rahmen ab und, noch wichtiger, vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit.
„Was für ein Europa wollen wir?“ fragte eine französische Gewerkschaftlerin auf dem jüngst in Wien von transform! europe abgehaltenen Seminar zur Solidarität mit Griechenland und gab sich selbst die Antwort: „Wir wollen ein Europa, in dem das Thessaloniki-Programm (Anlage) verwirklicht werden kann“. Es geht also, um ein Europa, in dem die Bekämpfung der humanitären Krise oberste Priorität ist und nicht die Befriedigung der Finanzmärkte.
Das beschreibt den Kern des europäischen Problems, das der Wahlsieg von Syriza bewusst gemacht hat. Das Problem in der Eurogruppe liegt bei den 18 und nicht bei Athen, und wenn man so will, auf unserer Seite. Die Kommentare, die der griechischen Regierung Verrat an ihren Wahlversprechen vorwerfen, sind sachlich unzutreffend. Wenn sie von außen kommen, sind sie auch unerheblich, insoweit sie nicht das Problem der Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses innerhalb der 18 und im eigenen Land anvisieren. Wir alle sind Syriza.
Walter Baier ist Ökonom in Wien. Er ist Koordinator des Netzwerks transform! europe, das aus 27 Forschungs- und Bildungseinrichtungen in 19 europäischen Ländern besteht und als Think-tank der Partei der Europäischen Linken fungiert. Er war von 1994 bis 2006 Vorsitzender der KPÖ. Jüngste Buchveröffentlichung: „Linker Aufbruch in Europa“, erschienen in der Edition Steinbauer.
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