Gespräch mit Merel Stoop, Vorsitzende von ROOD, der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei
08.03.2015: In einer Woche, am 15. März, finden in den Niederlanden die Wahlen zur Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments statt. Während die rassistische Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid PVV) von Geert Wilders, sowie die möglicherweise mit ihr in Zusammenarbeit tretende 50+ Partei (50+) in den vergangenen Tagen stetig Stimmen verloren haben, steigt die Sozialistische Partei (Socialistische Partij SP) derzeit wieder auf knapp 10%, Grün/Links (Groen/Links GL) sogar auf 11% und die sozialdemokratische Partei der Arbeit (Partei van de Arbeid PdvA) auf 8% der Stimmen.
Gemeinsam mit den (links)liberalen Demokraten66 (Democrate66 D66), die aktuell bei 12% stehen, könnten sie in einer möglichen Koalition derzeit auf knapp über 40% kommen.
Das folgende Interview von kommunisten.de mit Merel Stoop, der Vorsitzenden von ROOD (Jugendorganisation der SP) zeigt, wie die Chancen für ein niederländischen Rot-Rot-Grün stehen und wie der Kampf gegen die rechte PVV aussehen muss. Doch wird deutlich, dass auch die SP versucht, mit populistischen Strategien den Wahlkampf zu führen.
Frage: Zahlreiche Artikel berichten darüber, dass die rassistische, rechtspopulistische PVV besonders bei der jungen Wähler*innenschaft großen Rückhalt erfährt. Das Marktforschungsunternehmen Kantar TNS veröffentliche Zahlen, wonach 21% der befragten Personen zwischen 18 und 25 Jahren die PVV wählen würden. Gefolgt von GL mit 7%. Wie kannst du dir erklären, dass gerade die PVV so viel Rückhalt bei den jungen Wähler*innen erhält?
Merel Stoop: Die Jugendlichen in der heutigen Zeit sind in einer Welt des Neoliberalismus aufgewachsen, die ihnen tagtäglich zu verstehen gibt, dass sie ihre Probleme selbst lösen müssen. Sie stellen fest, dass viele Menschen in ihrem Umfeld die Leidtragenden der Sparpolitik der vergangenen Jahre sind: Stipendien wurden abgeschafft, die Renten ihrer Großeltern wurden gekürzt und viele Menschen wurden arbeitslos. Das Vertrauen in die politischen Parteien ist so niedrig wie noch nie zuvor. Das ist kein Wunder, wenn man sich die letzten Jahre beziehungsweise die Politik seit 1990 genauer ansieht.
Die PVV wird in dieser ausweglosen Situation von vielen Leuten als Partei gesehen, die vermeintlich anders ist und aufzeigt, was die Probleme sind, was schief läuft. Viele junge Wähler*innen denken sich, dass es doch sowieso nichts ausmacht, wen sie wählen, also probieren sie etwas Neues aus. Dieses Neue ist derzeit leider die PVV.
Darum liegt es an der Sozialistischen Partei aufzuzeigen, dass es Alternativen gibt. Dass es eine Gegenstimme gibt, welche die Menschen nicht gegenseitig ausspielt.
Frage: Wie kann es der Sozialistischen Partei und ihrer Jugendorganisation ROOD (Rot) gelingen, zu dieser Stimme gegen Sparpolitik, Arbeitslosigkeit und Rassismus zu werden? Welche Strategie verfolgt ihr?
Merel Stoop: Unsere Strategie besteht darin, dass wir unsere Geschichte erzählen müssen – und es gibt viele Geschichten, die zeigen, dass eine bessere Welt anders aussehen kann. Dass sich die Menschen eben nicht gegeneinander ausspielen lassen müssen. Dass wir die wirtschaftlichen Probleme für alle lösen müssen und dass wir den Kampf gegen Rechts nur gemeinsam führen können, ob jung oder alt, ob schwarz oder weiß, ob Frau oder Mann.
Frage: Der Vorsitzende und Spitzenkandidat der SP, Emil Roemer, erklärte in einem Interview, dass die SP mit allen Parteien koalieren werde, außer mit der PVV und der rechts-liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie ( Volkspartij voor Vrijheid en Democratie: VVD). Andererseits macht er die PvdA dafür verantwortlich, dass sie die linke Politik durch die Koalition mit der VVD verraten hat. Warum will Roemer also jetzt wieder mit der PvdA zusammenarbeiten? Wie steht ihr als Jugendorganisation zu dieser Aussage?
Merel Stoop: Zu allererst sei gesagt, dass ROOD es natürlich sehr gut findet, dass die SP nicht mit der VVD und selbstredend auch nicht mit der PVV koalieren wird. Die Zusammenarbeit mit rassistischen und neoliberalen Parteien bringt ein gutes Zusammenleben nur in weitere Bedrängnis. In den letzten Jahren wurde dies mehr als deutlich: Die sozialdemokratische PvdA koalierte mit der rechtsliberalen VVD und es hat sich herausgestellt, dass die PvdA die rechte Politik der VVD übernommen hat. Also ja, die PvdA hat die linke Politik verraten!
Mittlerweile gibt die PvdA Signale, mit denen sie zeigt, dass sie wieder an linker Politik und Zusammenarbeit interessiert ist. In diesem Fall wird die SP sich nicht davon abschrecken lassen und eine Zusammenarbeit ausschließen. In Zeiten wie diesen müssen wir versuchen, die linken Kräfte zu vereinen, damit können wir mehr erreichen.
Frage: Im September dieses Jahres wird auch in Deutschland gewählt. In Hinblick darauf gibt es viele Diskussionen, ob eine mögliche Koalition aus Rot-Rot-Grün sinnvoll ist. Insbesondere bei Themen wie der "Flüchtlingskrise" – in Wirklichkeit eine Krise der Flüchtlingspolitik der EU und eine Krise der Humanität – und den weltweiten Kriegseinsätzen der Bundeswehr gibt es gegensätzliche Ansichten. Sollte es nach den Wahlen am 15. März zu einer Zusammenarbeit zwischen der SP, der PvdA, GL und D66 kommen, siehst du für diese Koalition eine Chance? Oder sind auch in den Niederlanden die Meinungen zu bestimmten Themen zu verschieden?
Merel Stoop: Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen zwischen diesen Parteien. Die Niederlande ist ein Land mit vielen verschiedenen Parteien, die zusammenarbeiten müssen, wenn eine neue Regierung geformt wird. Am einfachsten wäre es sicherlich, wenn es sich dabei um linke Parteien, wie GL und die PvdA handelt. Sie sind sich mit der Sozialistischen Partei auf jeden Fall einig, dass das Eigenrisiko bezüglich der Gesundheitsversorgung abgeschafft werden muss. Dies ist auch eines der zentralen Themen im Wahlkampf der SP. Mit den Demokraten 66 gestaltet sich dieses Vorhaben schon schwieriger, da sie eine liberale Partei ist. Sie befürwortet beispielswiese die von Marktmechanismen gesteuerte Kranken-, Unfall- und Pflegeversicherung, wohingegen die SP diese Herangehensweise strikt ablehnt. Wie dem auch sei, die Zeit nach der Wahl wird sich als sehr spannend und wegweisend herausstellen.
Frage: Die niederländische Rundfunkstiftung (NOS) veröffentlichte am 20. Februar einen Artikel mit dem Titel "Die SP geht auf PVV-Stimmenfang". In dem Video zum Artikel sagt der SP-Abgeordnete Paul Ulenbelt, als es um die Frage "Arbeit zuerst für Niederländer*innen, dann für osteuropäische Arbeiter*innen" geht, dass das "nicht Trump, nicht Wilders, sondern die Sozialistische Partei" sei. Wenn linke Parteien sich rechter Strategien und Argumentationen bedienen, besteht die Gefahr, dass linke Politik an Glaubwürdigkeit verliert, wie es eben bei der PvdA der Fall war. Wie steht die SP und ROOD zu diesen Vorwürfen? Gibt es diesbezüglich unterschiedliche Meinungen zwischen der SP und ROOD, oder verteidigt ROOD diese Aussage?
Merel Stoop: Niemand möchte, dass Menschen fliehen müssen. Du flüchtest nicht einfach so. Man kann es sich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn man alles hinter sich lassen muss. Wir müssen dem zuvorkommen, dass Menschen fliehen müssen. Dabei ist es egal aus welchem Grund sie fliehen, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen.
Dem könnte ein Ende gesetzt werden, wenn der Westen endlich aufhört, sich beispielsweise in die Geschehnisse des Mittleren-Ostens einzumischen. Krieg wird nicht mit Bomben und noch mehr Gewalt gelöst.
Was die osteuropäischen Arbeiter*innen betrifft, setzen die SP und ROOD darauf, dass keine Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt stattfinden darf. Gegenwärtig ist es so, dass osteuropäische Arbeitnehmer*innen für Niedriglöhne arbeiten. Das bedeutet, dass viele Niederländer*innen arbeitslos sind und die Arbeiter*innen aus Osteuropa extrem ausgebeutet werden.
Ja, wir sagen daher auch, dass man stärker gegen Unternehmen vorgehen und den Zustrom von Arbeitsmigrant*innen regulieren muss. Wir fordern eine Arbeitserlaubnis für diejenigen, die hier arbeiten wollen. Dadurch könnten die Niederlande wieder regulieren, wer hier her kommt, um zu arbeiten. Auch kann damit gesteuert werden, in welchem Sektor Arbeitskräfte gebraucht werden. Diese Verpflichtung zur Erlaubnis muss auch für Arbeitsagenturen gelten. Dadurch soll Unternehmen, die die Not osteuropäischer Arbeiter*innen auf das Schändlichste ausbeuten, das Handwerk gelegt werden. Auf diese Art sollen sowohl die Bedingungen für die osteuropäischen als auch für die niederländischen Arbeiter*innen verbessert werden.
Interview und Übersetzung: Max van Beveren
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