Europa

Wolfgang-Schaeuble-und-der-Goldfisch05.06.2017: Er habe Mitleid mit den griechischen Menschen, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beim Europaforum 2017. Dann griff er den griechischen Premier Alexis Tsipras an, der die Lasten einseitig auf die Schwächeren abladen würde. Er, Schäuble, würde das anders machen. Aber er dürfe ja nicht, klagte er. Vorher hatte er IWF, EZB und den neuen französischen Staatspräsidenten in einem Rundumschlag abgefertigt. Griechische Kommentatoren attestierten dem deutschen Finanzminister daraufhin das Gedächtnis eines Goldfisches.



Ende Mai konnte sich die Euro-Gruppe wieder einmal nicht auf die Auszahlung der längst fälligen Kredittranche an Griechenland einigen. In einem vertraulichen Protokoll der Sitzung, das durchgesickert ist, wird als letzte aufgezeichnete Wortmeldung des deutschen Finanzministers vermerkt, dass er "wirklich enttäuscht" sei, weil einige Partner über frühere Vereinbarungen hinausgehen wollten. "I'm sorry", so Schäuble. Damit stellte er klar: Schuld sind andere. Dabei war es kurz zuvor Schäuble, der eine Einigung verhinderte. Er intervenierte gegen den Vorschlag Frankreichs, der Kommission, des IWF und anderer, die endlich mit den im 3. Memorandum vom Sommer 2015 vereinbarten Verhandlungen über eine Schuldenerleichterung beginnen wollen. Regierung und Parlament in Athen hatten wenige Tage davor, wenn auch zähneknirschend, den Auflagen aus Brüssel zugestimmt und neue Kürzungsmaßnahmen beschlossen.
(siehe: Schäuble bleibt für Europa ein Problem)

Am 1. Juni legte Schäuble beim Europa-Forum 2017 des WDR nach. In einem Rundumschlag kanzelte er die griechische Regierung, den Internationalen Währungsfond, die Europäische Zentralbank und den neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ab. Nebenbei bekamen die griechischen RenterInnen und die ein "bisschen schwerfälligen" Jugendlichen Südeuropas ihr Fett ab.

Der IWF habe "wenig Kenntnis von europäischen Regeln und will es auch nicht begreifen", attackierte Schäuble. Das europäische Primärrecht und der Lissabon-Vertrag würden Schuldenerleichterungen verbieten, wiederholt er immer wieder wie eine tibetanische Gebetsmühle. "Das will der IWF nicht kapieren." Dabei gehe es doch darum, "mehr Verlässlichkeit" zu schaffen", "die die die Probleme haben, müssen besser werden", "jeder muss seine Aufgaben machen" – so Schäubles Credo.

Als besondere Infamie betrachtet er, dass sich die andern hinter ihm verstecken. "Die meisten verstecken sich hinter mir. Bei Entscheidungen der Kommission, die unangenehm sind, heißt es Schäuble ist dagegen."

So in Fahrt gekommen, ging er dann auf die Europäische Zentralbank und Mario Draghi los. Wenn die EZB nicht diese Politik des lockeren Geldes machen würde, dann wäre auch der deutsche Zahlungsbilanzüberschuss nicht so groß, macht Schäuble den Schuldigen aus. Die Vorschläge von Emmanuel Macron für eine Stabilisierung der Euro-Zone seien "nicht realistisch", kanzelte Schäuble den neuen französischen Staatspräsidenten ab. Hatte es sich doch Frankreich bei der zurückliegenden Euro-Gruppensitzung erlaubt, für Griechenland Partei zu ergreifen.

Schäuble: Tsipras belastet nur die Schwächeren

Als Schäuble dann Griechenland ins Visier nahm und den griechischen Premierminister Alexis Tsipras attackierte, klang er wie ein enttäuschter SYRIZA-Wähler. Geben sie nicht mir die Schuld für die strukturelle Schwäche des griechischen Programms, wies er alle Vorwürfe zurück. Nicht erwähnte er, dass die anhaltende griechische Tragödie damit begann, dass deutsche und französische Banken und ihre reichen KundInnen gerettet wurden - auf Kosten der griechischen Bevölkerung. Und dass es vor allem Schäuble und die deutsche Regierung waren, die soziale Brutalitäten und den Abfluss von Ressourcen aus Griechenland erzwungen hat und erzwingt.

Er, Schäuble, "habe Mitleid mit den griechischen Menschen", denn Tsipras würde "die Lasten der Reformen einseitig auf die Schwächeren abladen". "Wenn sie uns die Zuständigkeit übertragen würden, würden wir das besser machen", bot sich der deutsche Finanzminister an. "Aber die wollen das ja nicht".

Tsipras sei angetreten, die Steuerfreiheit der Reeder abzuschaffen. "Nichts ist geschehen", griff Schäuble die Regierung in Athen an.

Mit den "reichen griechischen Reedern“ und der Untätigkeit der griechischen Regierung gewinnt Schäuble im angelaufenen Bundestagswahlkampf Lufthoheit über deutschen Stammtischen. "Warum soll eine Rentnerin aus München mit ihren Steuer-Euros indirekt dafür haften, dass reiche griechische Reeder zu wenig Steuer zahlen?" hatte der CSU-Politiker und Bundestags-Vizepräsident Johannes Singhammer schon im Juli 2015 getwittert. Reich sind viele griechische Reeder zweifellos. Ihre Handelsflotte ist mit mehr als 3300 Schiffen und einer Tragfähigkeit von 250 Millionen Tonnen laut Reederverband VDR die größte der Welt. Das Problem: Ihr Wohnsitz und ihr Vermögen liegen im Ausland.

Es fehlt nicht am politischen Willen der SYRIZA-Regierung, dass die Millionen und Milliarden nicht schon längst eingesammelt und die Schuldenprobleme der Griechen gelöst sind. Das Problem liegt bei Finanzministern wie Schäuble, die Steuerflucht ermöglichen und sich hinhaltend gegen die Schließung von Steuerinseln wie Luxemburg, Irland, Malta oder New Jersey wehren.

Vergessen hat Schäuble zudem, dass auch deutsche Reeder massive Bevorzugungen genießen und diese Vorteile während seiner Amtszeit sogar noch weiter ausgebaut wurden. So gab das Bundesfinanzministerium am 24. Februar 2016 bekannt, dass deutsche Reeder künftig die gesamte Lohnsteuer einbehalten dürfen. Bereits vorher hatten deutschen Reeder einzigartige Privilegien. So wird bei der Gewinnermittlung ein besonderes Verfahren angewendet, die Tonnage-Besteuerung. Dabei wird der zu versteuernde Gewinn pauschal nach der Schiffsgröße ermittelt und nicht anhand des tatsächlichen Ertrags oder Verlusts. Der nach der "Tonnagesteuer" ermittelte Gewinn ist in der Regel deutlich geringer als der tatsächliche - mit Absicht, denn die 1999 eingeführte Hilfe soll den Schifffahrtsstandort Deutschland fördern. Darüber hinaus profitieren die Reeder von einer zweiten einzigartigen Konstruktion, dem "Lohnsteuereinbehalt": Wie jedes Unternehmen sammelt der Reeder zwar bei seinen Seeleuten die Lohnsteuer ein. Davon musste er bis 2016 zwar noch 60 Prozent ans Finanzamt abführen, 40 Prozent konnte er sich in die eigene Tasche stecken. Seit 2016 geht die gesamte Steuer in die Tasche der Reeder – Dank Schäuble. "In den vergangenen Jahren hat der Bund so ziemlich jede Forderung der Reeder erfüllt", so ZEIT ONLINE (23. März 2017)


euronews:
Vor kurzem hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer Rede vor dem EU-Parlament etwas erzählt, was sich während der Verhandlungen ereignet hat. Er habe Ihnen vorgeschlagen, die griechischen Reedereien zu besteuern und Sie seien dagegen gewesen.

Alexis Tsipras:
Ich lache, weil mein Freund Jean-Claude in einer sehr schwierigen Situation war. Der IWF und er selbst haben unseren Vorschlag, die Gewinne der großen Unternehmen zu besteuern, ausgeschlagen. Ich weiß, was hinter den Kulissen passiert ist. Als wir ihnen diesen Vorschlag unterbreiteten, riefen griechische Firmenbesitzer die Kommission und den IWF an, um Druck auszuüben, denn sie wollten nicht mehr Steuern zahlen. Ich erinnere mich, damals hat der IWF, also Christine Lagarde, uns gesagt, dass diese Maßnahme dem Wachstum schaden würde und nicht hilfreich sei. Und alle wissen natürlich, dass das Kürzen von Löhnen und Renten das Wachstum fördert. Die Gewinne der großen Firmen zu besteuern, schadet dem Wachstum. Und ich glaube, Jean-Claude wollte keine Kritik diesbezüglich einstecken. Also hat er als erfahrener Politiker ein Thema auf den Tisch gebracht, von dem er im Voraus wusste, dass es schwierig sein würde, es zu lösen. Wir waren nicht gegen eine Besteuerung der Reedereien. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, wir erklärten ihm, dass es angesichts der Verfassung – und die Verfassung können wir nicht so einfach von heute auf morgen ändern – es sehr, sehr schwierig ist, Reedereien zu besteuern, denn sie haben ihren Sitz nicht in Griechenland. Sie haben Offshore Unternehmen, die man nicht finden kann. Wenn wir also wirklich die Reichen, die das Land verlassen, besteuern wollen, dann müssen wir die europäischen Regeln für Offshore Firmen ändern. Und wenn wir das machen wollen, dann müssen wir nicht über Griechenland, sondern über Junckers Land, Luxemburg, reden.

Interview von euronews mit Alexis Tsipras, 15.09.2015
http://de.euronews.com/2015/09/15/tsipras-ich-habe-mich-oft-gefragt-ob-griechenland-am-naechsten-morgen-noch-steht/



"Mitleid mit den griechischen Menschen", aber nicht mit RentnerInnen und arbeitslosen Jugendlichen

Das "Mitleid mit den griechischen Menschen" geht bei Schäuble allerdings nicht so weit, dass die griechischen RenterInnen nicht in Elend gestoßen werden dürfte. "Die Renten in Litauen sind halb so hoch wie in Griechenland", sagte Schäuble. Da ist noch Raum nach unten, da doch "die griechischen Renten über dem Durchschnitt der Eurozone liegen".

Kein Wort von Schäuble dazu, dass die Renten in vielen griechischen Familien die einzige verlässliche Einnahmequelle sind und an die Stelle von Sozialleistungen treten, mit der in anderen Mitgliedstaaten der Währungsunion ein Existenzminimum bedürftiger Bevölkerungsgruppen garantiert wird. Kein Wort, dass in Griechenland seit Beginn der Krise bei den Renten besonders häufig der Rotstift angesetzt wurde. Insgesamt wurden die griechischen Renten im Zeitraum 2009 bis 2015 zwölf Mal gekürzt, und zwar insgesamt um 20 bis 50 Prozent, je nach Rentenklasse. Heute leben 43 Prozent der RentnerInnen in Griechenland unter der Armutsgrenze von 660 Euro monatlich – auf Druck der Gläubiger und insbesondere des deutschen Finanzministers Schäuble.

Wenig Mitleid auch mit den arbeitslosen Jugendlichen in Südeuropa, wo doch "hier die Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können". "warum kommen diese jungen Menschen aus Südeuropa nicht nach Deutschland?", fragt sich Schäuble, noch dazu wo Mobilität von der EU gefördert würde. Er weiß aber auch die Antwort: "Sie sind ein bisschen schwerfällig."

Die griechische Regierung kommentierte die Ausfälle des deutschen Finanzministers lapidar: "Herrn Schäubles Verantwortung für den Umgang mit der griechischen Krise ist historisch aufgezeichnet. Es macht keinen Sinn, zu versuchen, die Schuld auf andere zu schieben."

Das Gedächtnis des Goldfisches

Für griechische Kommentatoren lieferte Schäuble mit diesem Auftritt einen Beweis für das Funktionieren des Gedächtnisses eines Goldfisches. "Es ist bekannt, dass sich der Goldfisch nur an Dinge erinnern kann, die neun Sekunden vorher passiert sind. Und so ist der deutsche Finanzminister. .. Bedauerlicherweise vergaß er zu erwähnen, dass er alle drei Kreditprogramme unterschrieben hat, er entwarf das Austeritätsprogramm vom August 2015 und er erhielt alle Überprüfungsberichte vom Sommer 2015 bis heute. Der 74-jährige Politiker vergaß ebenso, dass er Verantwortung trägt für den fehlenden Erfolg der Austeritätsprogramme. Was er aber sicher nicht verliert, ist sein Fähigkeit sich hinter Paragraphen und Artikeln zu verstecken, und allen anderen die Schuld zu geben, nur sich selbst nicht. Vergessen hat er deutsche Firmen, die für ein Butterbrot z.B. 14 Regionalflughäfen kaufen. …
Es muss eine gewaltige psychologische Last sein, wenn du denkst, Du hast recht und alle anderen liegen falsch. Das macht dich zornig und depressiv. Insbesondere, wenn du denkst, dass du ersetzt wirst, ganz ungeachtet dem Fakt, dass du perfekt bist." (keeptalkinggreece)

Axel Troost, Bundestagsabgeordneter von DIE LINKE, meint: "Schäuble ist nicht der Ministerpräsident von Griechenland und damit muss er sich abfinden. Die griechische Bevölkerung muss über ihr Parlament und ihre Regierung das eigene Schicksal wieder selbst in die Hände nehmen können. Anstatt die Bevölkerung des überschuldeten Landes in Geiselhaft zu nehmen, muss es einen verbindlichen Beschluss über Schuldenerleichterungen geben – unter realistischen Annahmen über die weitere Wirtschaftsentwicklung und nicht erst nach der Bundestagswahl.“


siehe auch:

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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