Analysen

07.02.2023: In den ersten Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine arbeitete der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett hinter den Kulissen intensiv an Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit. Doch vor allem Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt. Fabian Scheidler in der Berliner Zeitung:

 

Israelischer Ex-Premier sprach erstmals über seine Verhandlungen mit Putin und Selenskyj. Der Waffenstillstand war angeblich zum Greifen nahe.
Von Fabian Scheidler

In den ersten Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine arbeitete der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett hinter den Kulissen intensiv an Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Sein Ziel war ein Waffenstillstandsabkommen. Nun hat er in einem Videointerview erstmals ausführlich über den Ablauf und das Ende der Verhandlungen gesprochen.

zu den Verhandlungen mit Russland und Ukraine ab ca. 2:31:00


Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit. Doch vor allem Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.

Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe ihn, Bennett, nach Ausbruch des Krieges gebeten, Wladimir Putin zu kontaktieren. So stehe es auch in den Protokollen. In der damaligen Phase des Krieges, als die russische Armee vor Kiew stand, habe Selenskyj um sein Überleben gefürchtet. Bennett habe anschließend mit US- Präsident Joe Biden gesprochen und gesagt, er könne eine "Pipeline" für den Kontakt zum Kreml sein. Es folgte eine Reihe von Telefongesprächen sowohl mit dem russischen Präsidenten als auch mit Selenskyj. Bennett sei Vertrauen von beiden Seiten entgegengebracht worden. Entwürfe für zentrale Punkte eines Waffenstillstandes wurden ausgetauscht. Zugleich verhandelten im belarussischen Gomel ukrainische und russische Delegationen.

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Am 5. März 2022 flog Bennett dann auf Einladung Putins in einem privaten, vom israelischen Geheimdienst bereitgestellten Jet nach Moskau. In dem Gespräch im Kreml habe Putin, so Bennett, einige substantielle Zugeständnisse gemacht, insbesondere habe er auf sein ursprüngliches Kriegsziel einer Demilitarisierung der Ukraine verzichtet.

Bennett fragte Putin, ob er vorhabe, Selenskyj zu töten. Putin sicherte ihm ausdrücklich zu, das nicht zu tun. Auf seiner Rückfahrt rief Bennett Selenskyj an und teilte ihm das Ergebnis mit. Der ukrainische Präsident erklärte sich im Gegenzug bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten – eine Position, die er kurze Zeit später auch öffentlich wiederholte. Damit war eines der entscheidenden Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt.

Scholz und Macron waren eher pragmatisch eingestellt

Auch andere Themen wie die Zukunft des Donbass und der Krim sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine seien in diesen Tagen Gegenstand von intensiven Gesprächen gewesen. Bennett wörtlich: "Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten."

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Bennett flog daraufhin zunächst nach Deutschland, um mit Bundeskanzler Scholz zu sprechen, anschließend unterrichtete er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Boris Johnson sowie die amerikanische Regierung. Boris Johnson habe damals die "aggressive" Position vertreten, dass "man Putin weiter bekämpfen müsse", wogegen Scholz und Macron eher pragmatisch eingestellt waren. In der US-Regierung seien beide Positionen vertreten gewesen.

Welche Position hat die deutsche Regierung eingenommen?

In den folgenden Tagen habe es weitere intensive Diplomatie mit den Kriegsparteien gegeben. Bennett habe seine Bemühungen dabei "bis ins kleinste Detail mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt". Auf die Frage, ob die westlichen Verbündeten die Initiative letztlich blockiert hätten, antwortete Bennett: "Im Grunde genommen, ja. Sie haben es blockiert, und ich dachte, sie hätten Unrecht." Sein Fazit: "Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie ihn nicht verhindert hätten." Ob die Entscheidung des Westens, den Verhandlungsprozess zu beenden, langfristig richtig sei, könne er nicht beurteilen.

UA Verhandlungsdelegationen Istanbul   kommunisten.de, 4.4.2022
Ukrainisch-Russische Friedensverhandlungen: Warum ein Kompromiss derzeit kaum Chancen hat
eingefügt von kommunisten.de

 

Die Aussagen von Bennett werfen, sollten sie zutreffend sein, einige grundsätzliche Fragen auf. Warum haben die Nato-Staaten damals die Chance auf einen Waffenstillstand blockiert? Welche Position hat die deutsche Regierung eingenommen? Und kommt dem Westen womöglich eine Mitschuld an der folgenden Eskalation des Krieges zu? Damals, im März 2022, waren einige tausend Menschen im Krieg gestorben. Seither sind mehr als 200.000 Tote zu beklagen. Vielleicht hätten sie verhindert werden können.

Der Artikel ist von der Berliner Zeitung übernommen.
Er wurde dort am 6.2.2023 unter der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) veröffentlicht.
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871
Fotos von kommunisten.de eingefügt

Zur Person
Fabian Scheidler studierte Geschichte und Philosophie und arbeitet als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2015 erschien sein Buch "Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation", das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, gefolgt von "Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen" (2017). 2021 erschienen im Piper Verlag "Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen" und im Alexander Verlag "Das geistige Feld. Essentialien des Theaters". Fabian Scheidler ist Mitbegründer des unabhängigen Fernsehmagazins Kontext TV und erhielt 2009 den Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus. Als Dramaturg und Theaterautor arbeitete er viele Jahre für das Berliner Grips Theater. www.fabian-scheidler.de


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