27.04.2023: Union will Deutsche Bahn zerschlagen ++ Vorbild Autobahngesellschaft: Öffnung für Finanzinvestoren ++ Union will mehr Konkurrenz auf der Schiene ++ Von Grünen und FDP kein Widerstand zu erwarten ++ Zustimmung bei der GDL ++ EVG lehnt Zerschlagung des Deutsche-Bahn-Konzerns ab ++ Fahrgastverband Pro Bahn: Bahn muss gemeinwohlorientiert arbeiten
Marode Schienen, gestörte Weichen, verspätete Züge, kaum finanzierbare Mammutprojekte mit jahrelanger Verzögerung, der Deutschlandtakt um Jahrzehnte verschoben. Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste im Fernverkehr 2022 so oft warten lassen wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr: Der Ärger über die Bahn wird immer größer.
Angesichts tiefgreifender Infrastrukturprobleme ist eine schnelle und deutliche Verbesserung nicht in Sicht. Das Schienennetz wurde lange vernachlässigt, dem hohen Verkehrsaufkommen ist es nicht mehr gewachsen.
"Die aktuellen Pünktlichkeitswerte sind letztlich das Ergebnis von 30 Jahren kaputtsparen", sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn.
Verspätung: Klimafreundliche Bahn kommt 40 Jahre später |
Union will Bahn zerschlagen
Doch die Unionsfraktionen im Bundestag haben Mitte April ein Papier aus dem Hut gezaubert, das die Lösung der Probleme bringt. In dem auf sechs Seiten zusammengefassten Konzept wird der Zustand der Deutschen Bahn (DB) scharf kritisiert: Unpünktlichkeit, kaputte Züge und Unzuverlässigkeit seien bei vielen Reisen mit dem Zug an der Tagesordnung. Die angestrebte Verkehrsverlagerung auf die Schiene sei in den vergangenen Jahren nicht erreicht worden. Deshalb sei eine große Bahnreform und die Trennung von Infrastruktur (Schienen und Bahnhöfe) und Transportbetrieb erforderlich.
Vater des Konzepts ist ein CSU-Mann, nämlich der Verkehrsexperte der Fraktion, Ulrich Lange. Er sagte der Augsburger Allgemeinen, mit der jetzigen Struktur könne die Bahn weder das laufende Geschäft noch die hochgesteckten Wachstumsziele im Fern- und Güterverkehr erfüllen. "Der Bahnfahrer sieht das, was er auf Reisen erlebt, zum Beispiel unpünktliche, ausgefallene oder überfüllte Züge, schlechter Empfang bei Internet und Handy. Davon kann fast jeder ein Lied singen."
Beim Singen dieses "Liedes" will der CSU-Abgeordnete vergessen machen, dass die Verantwortung für das Bundesverkehrsministerium – und damit für den desolaten Zustand der Bahn - von 2009 bis Anfang Dezember 2021 bei CSU-Ministern lag. Andi Scheuer mit seiner "Autobahn-vor-Bahn-Politik" ist noch in schlechtester Erinnerung. Der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) war im Bahn-Vorstand für die Infrastruktur zuständig, bis er überraschend zum Ende April 2022 den Staatskonzern verließ. Er ist mitverantwortlich für die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 und für die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn, die mehrere Milliarden Euro teurer und viele Jahre später fertig wird, als ursprünglich geplant.
Vorbild Autobahngesellschaft: Öffnung für Finanzinvestoren
Ginge es nach CDU und CSU, würde der Staatskonzern zerlegt. Die Bereiche Netz, Bahnhöfe sowie die Energiesparte sollen aus dem Konzern herausgelöst und in einer Infrastruktur GmbH des Bundes gebündelt werden. "Infrastruktur- und der Transportbereich werden voneinander getrennt", heißt es in dem Konzept. "Das Schienennetz und alles, was dazugehört, soll künftig in Staatshand liegen, und zwar in Form einer GmbH", so der Autor des Konzepts. Die Bundesregierung könne so unabhängig vom Bahn-Konzern entscheiden, welche Strecken saniert, ertüchtigt oder neu gebaut werden.
Vorbild wäre die Autobahngesellschaft des Bundes. Diese hatte die Große Koalition im Juni 2017 zum Abschluss ihrer Legislaturperiode im Schnelldurchlauf noch unter Dach und Fach gebracht: Eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft steuert den Erhalt, den Betrieb, den Bau und die Finanzierung des Fernstraßennetzes. Die Berliner Zeitung schrieb damals (23.3.2017): "Am Reißbrett von privaten Beratern konzipiert, um die Autobahnen in Deutschland zu privatisieren und komplexe Finanzprodukte für Banken und Versicherungskonzerne zu schaffen. Und um einen Schattenhaushalt zu entwickeln, der jenseits aller parlamentarischen Kontrolle mit privatem Geld gefüttert wird." (siehe auch kommunisten.de, 7.6.2017: "SPD macht den Weg frei")
Die Infrastrukturgesellschaft ist so konzipiert, dass sie Kredite aufnehmen oder die Autobahnen als ÖPP-Projekte führen kann. Private Unternehmen können sich so am Bau und Betrieb von Autobahnen beteiligen und dadurch über Jahrzehnte hinaus eine garantierte Rendite aus Maut oder Steuern erhalten. Es ist sogar möglich, die GmbH mit einfacher Mehrheit in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Zudem kann die private Gesellschaft mit Berufung auf Geschäftsgeheimnisse jede Transparenz verhindern, da der Bundestag künftig nicht mehr zustimmen muss.
Der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) warb im Februar 2015 für die Gründung der Autobahngesellschaft des Bundes: "Das kann ein Erfolgsmodell sein, das uns die Chance gibt, viele Infrastrukturaufgaben, die wir aus normalen Haushalten so nicht mehr finanzieren können, zu lösen."
Union will mehr Konkurrenz auf der Schiene
Mit der Trennung von Infrastruktur und Transport verblieben bei der Bahn nur noch die "rollenden Abteilungen" Nahverkehr, Fernverkehr und Gütertransport, die außerdem verschlankt werden sollen.
"Ein großer Vorteil der neuen, schlanken Struktur wird sein, dass der Bund künftig nicht nur vorgeben kann, welche Strecken neu zu bauen oder zu modernisieren sind, sondern seine Vorgaben auch umgesetzt werden müssen", betonte Ulrich Lange.
Diese Nachricht ist Musik in den Ohren der verärgerten Bahnkund:innen. Um was es der Union aber wirklich geht verrät Lange in einem Nebensatz: "Die Trennung von Netz und Betrieb wird sich positiv auf den Wettbewerb auswirken, da andere Anbieter als die Deutsche Bahn das Schienennetz stärker als bisher nutzen können."
Es geht darum, mit der Zerschlagung der Bahn, den private Konkurrenten bessere Chancen zu geben, der Deutschen Bahn Marktanteile abzujagen: Konkurrenz, Privatisierung, Zersplitterung mit den bekannten Folgen, dass sich die private Konkurrenten die lukrativen Strecken unter den Nagel reißen, während die Versorgung der Fläche beim Staatsbetrieb bleibt bzw. noch weiter eingeschränkt wird bis hin zur Zersplitterung der Tariflandschaft und zu Lohndumping der verschiedenen Wettbewerber.
Von Grünen und FDP kein Widerstand gegen Unionspläne zu erwarten
Von Grünen und FDP ist kein Widerstand gegen die Unionspläne zu erwarten. Denn bereits bei den Koalitionsverhandlungen drängten Grüne und FDP auf eine Aufspaltung des Bahnkonzerns, um mehr Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen, gerade im Fernverkehr. Anders als im Nahverkehr sind dort bislang nur wenige Konkurrenten unterwegs. Die SPD konnte sich gegen die Aufspaltungspläne durchsetzen. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir werden die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten.“ Die Infrastruktureinheiten DB Netz, DB Station und Service sollen zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden und Teil des Konzerns bleiben.
Zustimmung bei der GDL
Bei der Lokführergewerkschaft GDL stoßen die Pläne der Union auf Zustimmung. GDL-Chef Claus Weselsky sagte, Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit würden im derzeitigen System liegen. "Deshalb sei es richtig, mit einem Schnitt die Infrastruktur herauszutrennen und dafür Sorge zu tragen, dass die Infrastruktur stärker vom Bund geführt und kontrolliert werden kann", sagte das CDU-Mitglied Weselsky. Er wiegelt auch die Sorge vor Lohndumping ab. Durch die Zunahme des Wettbewerbs werde es kein Lohndumping geben, erklärte er. Die GDL habe mit 57 Wettbewerbern der Deutschen Bahn Tarifverträge geschlossen. "Wir haben den Wettbewerb über die Lohnkosten beendet", sagte Weselsky – möglicherweise in völliger Überschätzung der gewerkschaftlichen Kraft.
Fahrgastverband Pro Bahn: Bahn muss gemeinwohlorientiert arbeiten
Der Fahrgastverband Pro Bahn kann den Unionsplänen ebenfalls Positives abgewinnen. Der Bundesvorsitzende Detlef Neuß betonte, dass der Verband seit Jahren für eine Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn sei. Er schränkt aber ein: "Dabei kommt es uns weniger darauf an, den Konzern DB AG zu zerschlagen, sondern darauf, sowohl das Netz als auch Station und Service in eine Gesellschaftsform zu überführen, die nicht gewinn- sondern gemeinwohlorientiert arbeitet." Dazu tauge eine Aktiengesellschaft nicht. Denkbar sei eine gemeinnützige GmbH unter dem Dach der Deutschen Bahn.
EVG lehnt Zerschlagung des Deutsche-Bahn-Konzerns ab
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach von "altem Wein in neuen Schläuchen". Seit Jahren sei zu wenig in die Schiene investiert worden, dem lasse sich auch nicht mit der Zerschlagung der chronisch unterfinanzierten Bahn beikommen. Es müsse endlich massiv in die Schiene investiert werden, nur so gelinge der Umstieg auf die Schiene, um die Klimaziele zu erreichen. Dafür müsse die Politik jetzt sorgen.
Auf entschiedenen Protest stoßen die Pläne der Union bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert lehnt eine Zerschlagung des Deutsche-Bahn-Konzerns ganz klar ab. "Wir sind für den Erhalt des integrierten DB-Konzerns und gegen die Trennung von Netz und Betrieb. Denn entscheidend für einen besseren Schienenverkehr in Deutschland ist die auskömmliche Finanzierung der Infrastruktur", so der Gewerkschafter.
In einer Erklärung der EVG wird auf die Verantwortung der Unionsparteien für den desaströsen Zustand bei der Deutschen Bahn verwiesen. "CDU und CSU sind hauptsächlich verantwortlich für das marode Schienennetz und den Sanierungsstau. Jetzt versucht die Union, ihre verfehlte Verkehrspolitik von CSU-Ministern der Deutschen Bahn anzulasten.
Die Eisenbahnfamilie lässt sich nicht für Wettbewerbswahn und eine falsche Verkehrspolitik zerschlagen. Es fehlt an Wertschätzung von DB-Beschäftigten, die täglich für Mobilität in unserem Land sorgen. Durch eine Trennung von Netz und Betrieb würden viele gute und tarifgebundene Arbeitsplätze im DB-Konzern gefährdet. ...
Die Trennungsdebatte lenkt also von den großen, realen Problemen der Eisenbahn- und Verkehrspolitik ab und behindert ihre Lösung. Die EVG hält den integrierten Konzern Deutsche Bahn AG als Rückgrat der ökologischen Verkehrswende für das beste Modell, um die großen Herausforderungen in den kommenden Jahren zu meistern. Gleichzeitig ist es richtig, dass die Infrastruktur-Unternehmen der DB AG künftig stärker auf gemeinwirtschaftliche Aufgaben statt auf Renditemaximierung ausgerichtet werden sollen."[1]
In einer Argumentation gegen die Aufspaltungspläne warnt die EVG davor, dass bei einer Aufspaltung der Deutschlandtakt gefährdet wäre. "Für die Umsetzung des Deutschlandtaktes plant der Bahn-Konzern massive Investitionen in Netz, Züge, Werke und Personal. All das stünde bei einer Aufspaltung auf der Kippe. Denn für den Deutschlandtakt braucht es eine gute Abstimmung zwischen Fahrplankonzept, Ausbaustrategie für Infrastruktur und Bahnhöfe sowie für die Fahrzeuge – insbesondere im Personenfernverkehr. Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass sich ein landesweiter Taktfahrplan am besten im integrierten Modell umsetzen lässt: mit Planung, Durchführung und Betrieb in einer Hand."[2]
Anmerkungen
[1] EVG, 17.4.2023: EVG lehnt Zerschlagung des Deutsche-Bahn-Konzerns ab
https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/evg-lehnt-zerschlagung-des-deutsche-bahn-konzerns-ab-10604/
[2] 12 GRÜNDE FÜR EINEN INTEGRIERTEN DB-KONZERN, GEGEN DIE TRENNUNG VON NETZ UND BETRIEB
https://www.evg-online.org/fileadmin/user_upload/23-04-17-EVG_-_Besser_zusammen_-_Fuer_den_integrierten_DB-Konzern.pdf