16.10.2022: 100 Jahre nach der Machtübernahme durch die Faschisten im Oktober 1922 ist mit Ignazio Benito La Russa zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Italiens wieder ein bekennender Faschist als Präsident des Senats in das zweithöchste Amt des Landes gewählt worden. Zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer wurde Lorenzo Fontana, Abtreibungsgegner, klerikaler Fanatiker, Bewunderer der griechischen Faschist:innen des Golden Dawn und auch von Putin, gewählt.
Der Senat, die kleinere Kammer des römischen Parlaments, hat am Donnerstag (13. Oktober) in seiner ersten Sitzung nach der Wahl vom 25. September und bereits im ersten Durchgang den 75-jährigen Faschisten Ignazio Benito La Russa zum Senatspräsidenten gewählt. Damit ist der Sizilianer aus Paternò hinter dem Präsidenten der Republik der zweithöchste Amtsträger im Land. Nie zuvor in der italienischen Nachkriegsgeschichte hatte ein Nachlassverwalter des Faschismus eine so prominente Position inne.
Mussolini-Fan Ignazio Benito La Russa
La Russa war der Wunschkandidat der angehenden Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Wie seine Parteifreundin Meloni war La Russa früher Mitglied des neofaschistischen MSI und seit Jahrzehnten eine Führungsfigur der italienischen Ultrarechten. Er hat alle Stationen der italienischen Neofaschist:innen mitgemacht: von der faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) über Alleanza Nazionale bis zu den Fratelli d'Italia, deren Mitbegründer er war. Er ist der Mentor von Giorgia Meloni und die Brücke zum traditionalistisch-faschistischen Flügel im Rechtslager.
La Russa hat seine Sympathien für Mussolini nie verheimlicht und gerne mit faschistischen Symbolen und Gesten provoziert. Vor fünf Jahren beispielsweise argumentierte La Russa im Parlament engagiert gegen ein geplantes Gesetz, mit dem der sogenannte römische Gruß, in Deutschland Hitlergruß genannt, auch in Italien als Straftat eingestuft werden sollte. Während der Pandemie empfahl La Russa "Hitlergruß statt Handschlag".
In seiner Antrittsrede als Senatspräsident zitierte er zweimal seinen Vater. Dieser war unter Mussolini Vorsitzender der faschistischen Partei in seinem Heimatort und später - wie danach auch sein Sohn - Senator für den neofaschistischen MSI.
Senatspräsident Ignazio La Russa mit Stimmen aus der Opposition gewählt
Gewählt wurde La Russa überraschend im ersten Durchgang mit 116 Stimmen (die nötige absolute Mehrheit der insgesamt 206 Senator:innen liegt bei 104), obwohl viele Senator:innen von Forza Italia, der Partnerpartei von Fratelli d'Italia, dem Appell ihres Vorsitzenden Silvio Berlusconi folgten, sich der Abstimmung zu enthalten. Berlusconi wollte Giorgia Meloni einen Denkzettel erteilen, weil sie sein Vorschläge für die Zusammensetzung der Regierung zurückweist. Außerdem hatte er gehofft, selbst zum Senatspräsidenten vorgeschlagen zu werden.
"Wir wollten ein Zeichen setzen, da wir wussten, dass mein Freund La Russa mit den Stimmen von Renzi (Anm.: ehemaliger Vorsitzender der Demokratischen Partei PD und Ministerpräsident, der sich von der PD trennte und eine eigen Partei gegründet hat) und den Senatoren auf Lebenszeit ohnehin durchgekommen wäre." So erklärt Berlusconi nach der Niederlage, die er natürlich bestreitet, die Attacke auf Meloni, mit der er die Wahl von La Russa blockieren wollte.
Wo sind die Verräter:innen?
Aus dem Umfeld der Regierungschefin verlautet, dass sie wussten, dass sie mit 25 Stimmen aus verschiedenen Fraktionen der Opposition rechnen können, um die Enthaltung der Berlusconi-Leute zu kompensieren.
Auf der Suche nach den Stimmen für La Russa aus der Opposition ist Matteo Renzi der übliche Verdächtige. Zwar bestreitet Renzi, dass seine Senator:innen für La Russa stimmten, aber niemand glaubt ihm, nicht zuletzt wegen einiger Signale, die bereits an die Rechte gegeben wurden. Der Verdacht fällt auch deshalb auf ihn, weil er am Mittwoch gesagt hatte: "Die PD (Anm.: Demokratische Partei unter Führung von Enrico Letta) und die M5S (Anm: Fünf-Sterne-Bewegung von Giuseppe Conte) haben eine Absprache getroffen, um uns aus den Positionen herauszuholen, die uns in der Opposition gehören". Dabei geht es um die vier Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats, die Leitung von Parlamentsausschüssen und die Besetzung öffentlicher Ämter.
Aber es waren mindestens 17 Stimmen aus dem Lager der Opposition, nicht nur die fünf bis sechs Senator:innen aus dem Renzi-Lager, die den Faschisten La Russa ins Amt brachten. Jetzt beschuldigen sich PD und M5S gegenseitig, mit der ultrarechten Regierungskoalition etwas ausgehandelt zu haben.
"Die Abstimmung im Senat bestätigt leider, dass ein Teil der Opposition nur darauf wartet, sich der Mehrheit anzuschließen", donnert PD-Chef Letta. "Ja, dein Teil, lieber Enrico", antwortet Carlo Calenda, der für die Wahl eine Listenverbindung mit Renzi eingegangen war. "Der erste Tag der Legislaturperiode und schon hat die Scheinopposition mit den üblichen Palastspielen begonnen", heißt es von den M5S. M5S-Vorsitzender Conte polemisiert: "Ein Abkommen zwischen PD und der rechten Regierungskoalition? Das würde mich nicht überraschen. Es gibt Bestrebungen, eine Koalition gegen uns zu bilden, aber wir haben keine Angst".
Der italienische Blogger Guiseppe Salamone schreibt: "Wenn ich früher sagte, dass die Fratelli d'Italia und die PD zwei Seiten derselben Medaille sind, wurde ich oft beschimpft. Heute jedoch ist La Russa dank dieser Medaille Präsident des Senats. Auf jeden Fall ist er seit fast fünf Jahren Vizepräsident des Senats und niemand scheint es bemerkt zu haben."
Es sind diese Postenschachereien, die die Italiener:innen politisch resignieren lassen und von den Wahlurnen vertreiben.
Test für Meloni
Die Stimmenenthaltung durch das Berlusconi-Lager war auch ein Test, bei dem der ehemalige Anführer der Rechten, Berlusconi, und die heutige Anführerin Giorgia Meloni ihre jeweiligen Stärken und damit den Grad der Führung, die Meloni ausüben wird, gemessen haben.
Berlusconi eröffnete die Auseinandersetzung bereits vor der Abstimmung im Senat, indem er Meloni eine Liste von Wunschvorstellungen für die Zusammensetzung des Kabinetts überreichte, die er mit Kugelschreiber auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Das La Russa trotz der Stimmentahltung des Berlusconilagers gewählt worden ist, hat die Verhandlungsposition von Forza Italia in dem jetzt anstehenden Kampf um die Ministerien weiter geschwächt und die Position der rassistischen Lega von Matteo Salvini gestärkt, die ihre Treue zu Meloni bewiesen hat.
Meloni droht, die Senatoren von Forza Italia, die nicht für La Russa gestimmt haben, aus der nächsten Regierung auszuschließen. Dies würde die Berlusconi-Leute, die bereits vor der Tür einiger Ministerien stehen, ausschalten. Meloni würde die Strafe wahrscheinlich mildern, wenn Berlusconi ein für alle Mal sein Beharren darauf aufgeben würde, die Namen seiner Minister selbst zu bestimmen, und auf das Justizministerium zu verzichten.
Antifaschistin muss Faschisten das Amt übergeben
Die Sitzung, in der La Russa gewählt wurde, war von Liliana Segre eröffnet und anfangs geleitet worden. Sie ist die älteste Senatorin, Auschwitz-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit. Dass gerade sie dem Sohn des Vorsitzenden der faschistischen Partei Mussolinis von Catania sein neues Amt übergeben musste, ist besonders bitter.
In ihrer Rede erinnerte sie daran, dass sich just Ende dieses Oktobers zum 100. Mal die Machtergreifung der Faschisten in Italien jährt.
Für Segre ist "die Verfassung der wichtigste Anker, um den sich die Einheit des italienischen Volkes manifestieren muss", und sie stellt "das Testament von 100.000 Toten im Kampf für die Freiheit" dar. Ein Widerstand, der, wie sie sagte, nicht erst im September 1943, sondern bereits mit der Machtübernahme des faschistischen Regimes begann.
Diese Verfassung ist nach der Regierungsübernahme durch Faschist:innen und Ultra-Rechte ernsthaft in Gefahr.
Gott, Putin und die Familie: Lorenzo Fontana ist Präsident der Abgeordentenkammer
Nach dem Tiefpunkt mit der Wahl des Faschisten Ignazio Benito La Russa zum Präsidenten des italienischen Senats wurde einen Tag später (14.10.) der rechtsextreme, homophobe Putinfreund Lorenzo Fontana von der rassistischen Lega zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer, das dritthöchste Amt des Staates, gewählt.
Der 1980 geborene Lorenzo Fontana ist seit seiner Jugend Politiker in der Partei, die als regionalistische Partei Norditaliens von Bossi gegründet wurde und mit Matteo Salvini eine noch stärkere Verbindung mit rassistischen und fundamentalistischen Strömungen erfahren hat.
Fontana ist der Theoretiker der souveränistischen Wende von Salvinis Lega
Wenn mit Ignazio La Russa im Senat ein Vertreter der Geschichte des Postfaschismus des 20. Jahrhunderts Präsident ist, ein ehemaliger Führer der italienischen faschistischen Bewegung MSI, sitzt in der Abgeordnetenkammer auf dem Posten des Präsidenten ein Lega-Mann, der die Sprache der extremen Rechten der heutigen Zeit spricht. Eine Strömung, die die Leitmotive dieses kulturpolitischen Raums im Klima dieses Jahrtausends recycelt und den heiligen Dreiklang Gott-Vaterland-Familie in einer postmodernen Tonart neu gestaltet.
Bei mehreren Gelegenheiten hat er deutlich gemacht, dass er die reaktionäre Lektion seiner Welt gelernt hat: Die traditionelle Ordnung würde durch Gender-Ideologie, Migration und Globalisierung bedroht. Darauf müsse mit der Wiederherstellung der Konzepte der traditionellen Familie, der patriarchalischen Ordnung und der Nation geantwortet werden.
Fontana ist der Theoretiker der souveränistischen Wende von Salvinis Lega, der Mann, der seit 2013 mit den Gruppen der extremen Rechten in Europa in Verbindung steht - von Le Pen über die griechische faschistische Goldene Morgenröte bis hin zu Putins Vereintem Russland. Er ist der Urheber der theokratischen Wende, die Salvini dazu veranlasst hat, im Fernsehen mit Madonnen und Kruzifixen aufzutreten und bei Kundgebungen Rosenkränze zu schwenken.
In Verona, wo er stellvertretender Bürgermeister war, organisierte er 2016 das fundamentalistische ProVita-Festival. In Zusammenhängen wie diesen kreuzen sich die Wege des extremsten Flügels der US-Republikaner und der amerikanischen Rechten mit den europäischen Ultrarechten und den Kräften, die sich für Putin begeistern.
"Wenn Russland vor dreißig Jahren unter dem kommunistischen, materialistischen und internationalistischen Joch am weitesten von den Ideen der Identität und der Verteidigung der Familie und der Tradition entfernt war, so ist es heute die Referenz für diejenigen, die an ein identitätsstiftendes Gesellschaftsmodell glauben", begründet Fontana seinen Enthusiasmus für Putin.
"Unser politisches Handeln in Bezug auf die Einwanderung orientiert sich am Katechismus", so der Fontana, "'Liebe deinen Nächsten', d.h. in deiner Nachbarschaft. Und deshalb müssen wir uns zuerst um unsere Armen kümmern".
Seine "politische Reinwaschung" erhielt er von der ersten Regierung von Giuseppe Conte (M5S), in der er zunächst das Familienministerium und dann das Europaministerium führte. Während seiner Zeit als Minister war er unter anderem für die Abschaffung des ohnehin schwachen Mancino-Gesetzes gegen faschistische Wiederbetätigung eingetreten.
Fontana erhielt 222 Stimmen, 15 weniger als die 237, die die Rechtskoalition aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia hat. Die Mitte-Kandidatin Cecilia Guerra erhielt 77 Stimmen, der ehemalige Anti-Mafia-Staatsanwalt Cafiero De Raho 52 Stimmen von der M5S und Matteo Richetti 22 Stimmen von Azione (Carlo Calenda) und Italia Viva (Matteo Renzi).
"Krodilstränen"
Der PD-Vorsitzende Enrico Letta twitterte: "Schlimmer als das kann man es sich nicht einmal vorstellen. Italien hat dies nicht verdient." Unter den Kommentaren befanden sich zahlreiche Tweets wie: "Es ist eure Schuld, dass wir an diesem Punkt angelangt sind".
"Krokodilstränen" sagt Mauricio Acerbo, Nationaler Sekretär von Rifondazione Comunista und Koordinator von Unione Popolare über die Klagen von Letta. "Diese beiden (Anm. La Russa und Fontana) hätten wir uns ersparen können. Alles, was wir brauchten, war ein Verhältniswahlrecht. Aber das hat Enrico Letta nicht gewollt."
Acerbo weist darauf hin, dass die Rechtskoalition nicht 51 % der Stimmen erhalten hat und dass es falsch ist, zu behaupten, sie habe das Mandat der Mehrheit der Italiener:innen. "Es ist das Wahlgesetz, das der Rechten eine Mehrheit im Parlament verschafft. Mit einem Verhältniswahlrecht würde La Russa heute auf den Bänken der Opposition sitzen", so Acerbo und fährt fort: "Ersparen Sie mir also, liebe zynische PD-Vertreter, das entrüstete Gejammer. Letta schloss öffentlich einen Pakt mit Meloni, um das Mehrheitsrecht zu erhalten."
Acerbo schlussfolgert: "Der erste antifaschistische Kampf ist der für ein proportionales Wahlrecht, das uns von den Müttern und Vätern der Verfassung vermacht wurde."
verwendete Quellen: u.a. Posts auf Facebook, Twitter und Artikel in il manifesto
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