12.04.2019: Sudans Verteidigungsminister Awad Ibn Ouf stürzt bisherigen Präsidenten Omer al-Bashir ++ Oppositionsbündnis verurteilt den Militärputsch: "Militärflügel der sudanesischen islamistischen Bewegung" ergreift Macht zur Reproduktion des alten Regimes ++ Revolution geht weiter "bis zur Übergabe der Macht an eine Übergangsregierung, die die revolutionären Kräfte widerspiegelt"
Am Donnerstagnachmittag gab der sudanesische Verteidigungsminister Awad Ibn Ouf bekannt, dass die Armee den bisherigen Präsidenten Omer al-Bashir gestürzt und die Macht übernommen hat. Die Erklärung erfolgte im Namen des Obersten Sicherheitskomitees, das die Streitkräfte, den Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsdienst (NISS), die Schnelle Unterstützungskräfte (RSF) und die Polizei umfasst.
Awad Ibn Ouf erklärte, dass Omar al-Baschir festgenommen und an einem sicheren Ort in Gewahrsam sei. Der von der Armee geführte Militärrat übernehme die Macht für eine zweijährige Übergangsphase, so der Verteidigungsminister. Danach sollen "freie und faire Wahlen" stattfinden. Er verkündete zudem die Verhängung des Ausnahmezustands für drei Monate. Täglich gilt von 22 Uhr bis 4 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre. Die Verfassung aus dem Jahr 2005 sei außer Kraft gesetzt worden, die Regierung, das Parlament und das Präsidialkabinett sowie die Landesregierungen sind aufgelöst.
Awad Ibn Ouf kündigte die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen an. Es blieb zunächst offen, wie viele Häftlinge davon betroffen sein werden und wie schnell sie freigelassen werden sollen. Rund 3.000 Menschen, darunter über 200 Frauen, sind seit Beginn der Proteste in den Gefängnissen und Haftanstalten des Regimes verschwunden. Zu ihnen gehören 16 Mitglieder des Zentralkomitees der Sudanesischen Kommunistischen Partei (SCP) - darunter Masoud Al Hassan, Sidig Yousif, Ali Saeed, Hanadi Fadl, Faiza Nugud, Salih Mahmoud, Amal Gabralla, Mohamed Aburas, Hashim Mirghani, Osama Hassan, Seid Ahmed Al Khatib und der Politische Sekretär der Partei, Mokhtar Mahmoud - sowie zahlreiche Kader und Mitglieder. Ihnen wird vorgeworfen, eine führende Rolle bei den Protesten übernommen zu haben. Allein am zurückliegenden Wochenende waren während der Proteste gegen die Regierung al-Baschirs noch einmal rund 2.500 Menschen festgenommen worden. In zwei Städten im Osten des Landes stürmten Demonstrant*innen Gebäude des mächtigen Geheimdienstes und befreiten Gefangene.
Opposition verurteilt Militärputsch
Das Oppositionsbündnis hat den Militärputsch im Sudan verurteilt und dem "Militärflügel der sudanesischen islamischen Bewegung" vorgeworfen, die Macht zur Reproduktion des alten Regimes zu ergreifen. Die unter der Plattform "Erklärung der Freiheit und des Wandels" zusammengeschlossenen Oppositionskräfte fordern die Bildung einer zivilen Übergangsregierung und rufen die "widerstandsfähigen und einfallsreichen Menschen Sudans auf, die Revolution fortzusetzen, indem sie ihre Positionen in den Hauptquartieren der Streitkräfte in Khartoum und anderen wichtigen Posten der Streitkräfte in den Provinzen des Sudan beibehalten und in allen Städten des Sudans auf den Straßen bleiben".
Protestzyklus begann im Januar 2018
Seit Monaten demonstrieren Zehntausende gegen den diktatorisch regierenden Staatschef Omer al-Bashir. Der aktuelle Protestzyklus begann im Januar 2018, als die Sudanesische Kommunistische Partei (SCP) zum Protest gegen die Wirtschaftspolitik und die Diktatur aufrief und sich alle Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen an den Protesten beteiligten. Die Regierung verhaftete Hunderte von Demonstrant*innen und schlug die Proteste nieder.
Mitte Dezember begann dann die neue Welle der Proteste, als die Regierung den Empfehlungen der Internationalen Währungsfonds (IMF) folgte, Weizen- und Kraftstoffsubventionen abzubauen und das sudanesische Pfund abzuwerten. Diese Austeritätsmaßnahmen trafen massiv die extrem Armen, die schätzungsweise rund 36 Prozent der Bevölkerung ausmachen. So verdreifachte sich der bis dahin staatlich gestützte Brotpreises. Die Proteste begannen am 13. Dezember in Al-Damazin, der Hauptstadt des Bundesstaates Blue Nile, etwa 330 Meilen von Khartoum entfernt, als spontane Reaktion auf die steigenden Kosten für Brot und Treibstoff. Die Proteste breiteten sich schnell über das ganze Land aus und schnell rückten Forderungen nach Freiheit, dem Ende der Korruption und vor allem dem Ende des diktatorischen Regimes von Omar Hassan al-Bashir in das Zentrum der Proteste.
Seit dem 19. Dezember fanden fast täglich Proteste gegen Bashir und seine Nationale Kongresspartei in Städten und Dörfern im ganzen Sudan statt. Die oppositionellen Kräfte haben sich unter der Plattform "Erklärung der Freiheit und des Wandels" zusammengeschlossen, die organisatorische Hauptkraft der Proteste bildet die Sudanese Professionals Association (https://www.sudaneseprofessionals.org/en/), ein Dachverband von Gewerkschaften, zu der Ärzt*innen, Universitätsprofessor*innen, Pharmazeut*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen und Ingenieur*innen gehören.
Die um die Sudanese Professional Association (SPA) zusammengeschlossene Allianz aus 20 politischen Gruppierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen untermauert mit der Anfang Januar unterzeichneten "Erklärung der Freiheit und des Wandels" die Einheit der sudanesischen Bevölkerung bei ihrem Streben nach Freiheit. Die Erklärung hat einen breiten Konsens gefunden und gilt als Plattform einer vierjährigen Übergangsperiode und als allgemeiner Orientierungsrahmen für den Wiederaufbau des Sudans.
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Sudan im Ausnahmezustand |
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Sudan am Wendepunkt |
6. April
Am 6. April begannen die bis dahin größten Demonstrationen seit Beginn des Aufstandes. Hunderttausende zogen in der Hauptstadt Khartoum zum Sitz des Oberkommandos der Streitkräfte, der gleichzeitig die Residenz von Al-Baschir ist. Der 6. April ist ein symbolischer Tag in der modernen Geschichte des Sudan. Am 6. April 1985 begann der Aufstand, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Jaafar al-Nimeiri führte. Der hatte sich 1969 an die Macht geputscht - mit Hilfe eben jenes Militärs, das ihn 16 Jahre später zum Rücktritt zwang und die Macht an die gewählte Regierung unter Sadiq al-Mahdi übergab. Dessen Amtszeit währte bis 1989, als er durch einen von Omar al-Baschir geführten Militärputsch gestürzt wurde. Jetzt riefen die Protestierenden die Armee auf, das Gleiche wie beim Sturz von al-Nimeiri zu tun und eine zivile Übergangsregierung einzusetzen.
Seit Samstag (6.4.) belagern Tausende Demonstrant*innen das Gelände des Oberkommandos- Tag und Nacht. . Viele bleiben auch über Nacht. Massen von Menschen hätten sich nachts auf dem weitläufigen Komplex verteilt, revolutionäre Lieder gesungen und getanzt, heißt es auf Twitter-Meldungen aus Karthoum. "Der Sudan erhebt sich, die Armee erhebt sich", sangen die vor dem Armee-Komplex versammelten Demonstrant*innen.
Sicherheitskräfte gingen teilweise mit scharfer Munition vor und töteten einem Ärzteverband zufolge mindestens 21 Menschen, mindestens 153 seien verletzt worden. Dabei stellten sich Angaben aus Khartoum zufolge auch Teile der Streitkräfte auf die Seite der Demonstranten und lieferten sich Schusswechsel mit Sicherheitskräften. So hatten sich Soldaten und jüngere Offiziere in den vergangenen Tagen vor die Regierungsgegner*innen gestellt, als Geheimdienst (NISS) und Schnelle Unterstützungskräfte (RSF) die Menschen mit Schüssen und Tränengas auseinandertreiben wollten.
"Alter Wein in neuen Schläuchen"
Angesichts dieser Entwicklung setzt das Regime in Khartoum auf eine Lösung, das ohne den im Volk verhassten al-Bashir den Machterhalt des Militärregimes sichert. Allein die Tatsache, dass es Awad Ibn Ouf war, der am Donnerstag in Armeeuniform zum sudanesischen Volk sprach, macht deutlich, dass das Regime kein Interesse an einem grundlegenden Wandel haben dürfte. Als Erster Vizepräsident und Verteidigungsminister ist Ibn Ouf ein wesentlicher Teil des Systems und selbst tief in Baschirs Verbrechen verstrickt. Als früherer Chef des Militärgeheimdienstes und Generalstabschef des Militärs hat er Anfang der 2000er-Jahre die Terrorkampagnen der Dschanschawid-Milizen in Darfur koordiniert.
Vertreter der Oppositionsbewegung verurteilten den Militärputsch und machten deutlich, dass ihnen die Absetzung des Diktators nicht ausreicht. Der "Militärflügel der sudanesischen islamistischen Bewegung" habe die Macht übernommen, um das alte Regime zu erhalten, erklärte die Oppositionsbewegung Sudan Call.
"Es ist alter Wein in alten Flaschen. Um der Islamisten willen ist es alte Milch in alten Flaschen", sagte Yasir Arman von Sudan Call. Der Putsch "ignoriert völlig die Kräfte der »Erklärung der Freiheit und des Wandels«, die die Revolution geführt haben, und vor allem die Forderungen des sudanesischen Volkes nach Frieden, Demokratie und gleicher Staatsbürgerschaft", betonte er. "Die Übernahme der Regierung durch den Militärrat hat die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des alten Systems bewahrt, und die neue Junta hat keine politische Lösung, um den Krieg zu beenden, eine demokratische Transformation herbeizuführen oder wie die Wirtschaftskrise gelöst werden kann."
Den "Diebstahl der Revolution" nicht zulassen.
Die Sudanese Professionals Association (SPA), die die Volksproteste koordiniert, lehnt den Putsch ebenfalls ab. "Diejenigen, die unser Land verwüstet und seine Bürger*innen massakriert haben, beabsichtigen, jeden Tropfen Blut und Schweiß zu stehlen, den das sudanesische Volk in seiner glorreichen Volksrevolution vergossen hat", heißt es in einer Erklärung der SPA. Sie fordert die Demonstrant*innen auf, die Ausgangssperre zu ignorieren und den Sitzstreik vor dem Hauptquartier der Armee und den Protest auf den Straßen fortzusetzen, "bis zur Übergabe der Macht an eine Übergangsregierung, die die revolutionären Kräfte widerspiegelt".
Opposition will zivile Übergangsregierung
Die SPA fordert die Schaffung einer zivilen Regierung. "Wir versichern, dass Sudans Volk nichts Geringeres akzeptieren wird als eine zivile Übergangsregierung, bestehend aus patriotischen Experten, die nichts mit dem tyrannischen Regime zu tun hatten", teilte die Vereinigung am Donnerstag mit. Der Freiheitskampf sei von "Blut, Schweiß und Tränen" begleitet gewesen und dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Die Sudanesische Kommunistische Partei (SCP) hat bereits Anfang Januar vor den "andauernden Verschwörungen interner und ausländischer Kräfte, den Kampf des Volkes zu stehlen und seine Revolution abzubrechen" gewarnt. Die US-Regierung wolle mit Unterstützung interner Kräfte ein "Soft-Landing-Programm" umsetzen, "um die Revolution einzudämmen und abzubrechen", heißt es in einer Erklärung der SCP vom 5. Januar.
Dieser Verdacht wird bestärkt durch die Erklärung der US-Regierung, die am Donnerstag unmittelbar nach der Ansprache von Awad Ibn Ouf äußerte, mit der neuen sudanesischen Regierung Gespräche aufzunehmen. "Die US-Regierung wird in den kommenden Tagen die Situation mit Regierungsvertretern und einer Reihe von sudanesischen Interessengruppen besprechen, um einen demokratischen Übergang zu fördern", so das Außenministerium am Donnerstag.