21.07.2023: "Der große Schwindel mit dem ukrainischen Getreide", schreibt die globale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam und verweist darauf, dass sich die reichen Länder den Löwenanteil der ukrainischen Getreideexporte geschnappt haben, während die ärmsten Länder, die am Rande einer Hungersnot stehen, lediglich 3% erhielten.
Am vergangenen Sonntag (16.7.) verließ das letzte Schiff im Rahmen des Abkommens über den Export ukrainischen Getreides den Hafen von Odessa. Beladen mit rund 15.000 Tonnen Raps und mehr als 20.000 Tonnen Mais für die Niederlande fuhr es in Richtung Bosporus.
Russland hat das vor einem Jahr in Kraft getretene Abkommen über den Export von ukrainischen Getreide nicht mehr verlängert.
Seit die Export-Einigung im Juli 2022 unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zustande kam, wurden nach UN-Angaben knapp 33 Millionen Tonnen Getreide, Sonnenblumenöl und weitere landwirtschaftliche Produkte über drei ukrainische Schwarzmeerhäfen verschifft – wobei der größte Anteil auf Mais und Weizen entfiel. Die Ukraine konnte dabei Erlöse von umgerechnet über acht Milliarden Euro erzielen. Die Einnahmen sind wichtig für den Staatshaushalt des Landes.
Zu der "Schwarzmeer-Getreide-Initiative" gehörte außerdem eine separate Vereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und Russland. Darin versprechen die UN, alles für die Aufhebung der Hürden zu tun, die russische Getreide- und Düngemittelexporte erschweren. Russische Banken können wegen der Trennung vom SWIFT-Kommunikationsnetzwerk der Banken nur noch schwer Finanzgeschäfte abwickeln. Auch die Versicherung von Schiffen und Frachten ist nahezu unmöglich. Russland fordert die Aufhebung dieser Sanktionen, die den Export von russischem Getreide- und Düngemitteln blockieren. Bisher ohne Erfolg. Zudem hat die Ukraine die Pipeline gesprengt, über die Russland Ammoniak in den Hafen von Odessa pumpte. Ammoniak ist ein Grundstoff für die Düngemittelherstellung.
Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow erklärte, sein Land werde das Abkommen wieder in Kraft setzen, sobald die russischen Bedingungen erfüllt seien. Wie das geschehen könnte, ist vorerst aber nicht absehbar. So wäre für die von Russland geforderte Aufhebung der Sanktionen gegen die Landwirtschaftsbank die Zustimmung der EU-Staaten nötig, was als nicht durchsetzbar gilt.
"Der russische Präsident setzt traurigerweise erneut Hunger als Waffe in diesem Krieg ein", kommentierte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Entscheidung der russischen Regierung.
Doch die ärmsten Länder, die am Rande einer Hungersnot stehen, haben lediglich drei Prozent der ukrainischen Getreideexporte erhalten, kritisiert Oxfam.
Im Rahmen des Abkommens wurden laut UN rund 33 Millionen Tonnen Getreide und Lebensmittel aus der Ukraine in 45 Staaten exportiert. Hauptempfängerländer waren China (rund acht Millionen Tonnen), Spanien (rund sechs Millionen Tonnen), die Türkei (rund 3,2 Millionen Tonnen) und Italien (rund 2,1 Millionen Tonnen). 44 Prozent der Ausfuhren gingen in die reichsten Länder. [1]
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Oxfam Italien schreibt: "Das Abkommen, das vor einem Jahr zur Freigabe der Getreideexporte aus der Ukraine über das Schwarze Meer in die übrige Welt führte, hat sich als völlig unzureichend erwiesen, um den zunehmenden Hunger in der Welt zu bekämpfen, der durch den exponentiellen Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise noch verschärft wird. Die Zahlen sind schockierend: 80% des Getreides, das aus der Ukraine kommt, wurden durch reiche Länder abgenommen, während die ärmsten Staaten, die von der Nahrungsmittelkrise betroffen sind, nur 3% erhalten haben." [2]
"Hunderte Millionen Menschen litten vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine an Hunger, und Hunderte Millionen leiden auch heute noch an Hunger."
Francesco Petrelli, Oxfam Italia
Francesco Petrelli, politischer Berater für Ernährungssicherheit bei Oxfam Italia, sagt:
"Das Abkommen, das die Wiederaufnahme der Getreideexporte aus der Ukraine ermöglichte, trug sicherlich dazu bei, den Anstieg der Lebensmittelpreise einzudämmen – die 2022 weltweit immer noch um 14% stiegen -, aber es war nicht die Lösung für den weltweiten Hunger, von dem jetzt mindestens 122 Millionen Menschen mehr betroffen sind als 2019. Hunderte Millionen Menschen litten vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine an Hunger, und Hunderte Millionen leiden auch heute noch an Hunger: insgesamt 783 Millionen im vergangenen Jahr, so die neuesten Zahlen der FAO. Länder wie der Südsudan und Somalia, in die seit Inkrafttreten des Abkommens nur 0,2% der ukrainischen Getreidelieferungen geflossen sind, sind nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt. Das ist einfach beschämend und beschreibt eine Welt, in der die Ungleichheit beim Zugang zu Nahrungsmitteln immer weiter zunimmt, anstatt abzunehmen“.
Das derzeitige Welternährungssystem radikal ändern
"Um den Hunger wirklich zu bekämpfen, müssen wir das derzeitige Welternährungssystem sofort und radikal ändern, umso mehr, als dieses Abkommen jetzt vom Tisch ist“, fügt Petrelli hinzu. "Die derzeitige Krise lässt sich nicht dadurch lösen, dass weiterhin nur in einigen wenigen Ländern lebenswichtige Produkte in konzentrierter und extensiver Weise erzeugt werden, sondern durch Diversifizierung und Investitionen in Kleinbauern, vor allem in den ärmsten Ländern, sowie durch die Förderung eines nachhaltigen Landwirtschaftsmodells auch in den reichen Ländern und in Europa, was unter anderem ein wesentlicher Bestandteil des Green Deal sein müsste. Nur so können wir uns aus einer Abhängigkeit befreien, die in Zeiten zunehmender Schocks zu Hunger und Hungersnöten in den ärmsten Regionen unserer Welt führt“.
Anmerkungen
[1] https://www.un.org/en/black-sea-grain-initiative/vessel-movements
[2] https://www.oxfamitalia.org/il-grande-inganno-sul-grano-ucraino/
siehe auch