10.10.2025: "Es ist alles vorbei", kamen um 6.30 Uhr morgens die Meldungen aus Gaza. Die lang erwartete Ankündigung ist da: Es gibt eine Einigung, der Waffenstillstand beginnt. ++ Für eine dauerhafte Lösung ist der Plan jedoch zu einseitig, weil er völkerrechtliche Prinzipien missachtet und Israel durch vage Formulierungen Hintertüren öffnet.
Die Regierung Netanjahu trat gestern Abend zusammen, um das wenige Stunden zuvor in Sharm El Sheikh ausgearbeitete und unterzeichnete Abkommen zu billigen, das auf der Grundlage des Trump-Plans in einer ersten Phase einen Waffenstillstand in Gaza, die Freilassung von zwanzig lebenden israelischen Geiseln am Montag, möglicherweise sogar schon früher, und den teilweisen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen vorsieht.
Der ultranationalistische Finanzminister Bezalel Smotrich und der faschistische Polizeiminster Itamar Ben-Gvir kündigten an, dass sie dagegen stimmen, doch das bereits von der Hamas gebilligte Abkommen schien ohnehin auch ohne die Stimmen der Minister der extremen Rechten zu bestehen und den Waffenstillstand einzuleiten. Das Weiße Haus und verschiedene westliche und arabische Länder zeigten sich sehr zufrieden.
Das Konkreteste an diesem Abkommen ist das Scheitern von Netanjahus Plan, den Widerstand zu zerschlagen und den Gazastreifen zu entvölkern. Das Abkommen ist auch ein Schlag gegen die sogenannte religiöse Zionismusfraktion, die den Völkermord im Gazastreifen vorangetrieben hat. Letztlich bewahrheitet sich das, was der von Israel ermordetet Sprecher der Qassam-Brigaden, Abu Ubaydah, am ersten Tag des Krieges sagte: "Ihre Gefangenen werden nur durch ein Abkommen und Verhandlungen freigelassen." Nach zwei Jahren brutaler Aggression und Völkermord kann Israel seine Gefangenen nur durch Verhandlungen und einen Deal mit der Hamas freibekommen. Die Hamas hat stets ein Waffenstillstandsabkommen angestrebt. Es waren Netanjahu und seine extremistische Regierungskoalition, die alle bisherigen Versuche, ein Abkommen zu erzielen, sabotiert haben. Sie haben sogar bereits geschlossene Abkommen zwischen den beiden Seiten gebrochen.
In diesem Abkommen machen beide Seiten Zugeständnisse, aber Israel musste seine Hauptziele des Krieges aufgeben: die Vertreibung der Palästinenser zugunsten jüdischer Siedlungen und die Entwaffnung des Widerstands vor Beendigung des Krieges. Die vollständige Entwaffnung wurde durch die "Verhinderung einer Bedrohung durch die Hamas” und durch eine Frage ersetzt, die die Palästinenser untereinander klären müssen.
Dies ist der brutalste und massivste Krieg seit der Gründung Israels, in dem es dem palästinensischen Volk mit seinem Blut gelungen ist, eine weitere Nakba und eine Massenvertreibung zu verhindern. Aber vor allem: Israel hat seine weltweite Unterstützung verloren und ist in den Herzen der Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten, angefangen bei Europa und Amerika selbst, zu einem geächteten Terrorstaat geworden. (siehe kommunisten.de, 5.10.2025: Weltweit für Gaza) Als der vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesuchte Netanjahu im September in der Generalversammlung der UNO sprach, verließen die meisten Delegierten den Saal, um gegen den Völkermord in Gaza und Israels Angriffe in der gesamten Region zu protestieren. Dies ist eine massive Veränderung, die zukünftige Auswirkungen haben wird, und deshalb haben sowohl Trump als auch Israel erklärt, dass die nächste Phase des Krieges darin besteht, das angeschlagene Image Israels wieder aufzupolieren.
"Was wir wissen sollten, ist, dass dieses Abkommen schon vor langer Zeit hätte geschlossen werden können. Die Hamas stimmte im September 2024 all diesen Bedingungen zu. Aber zu diesem Zeitpunkt lautete die Antwort der israelischen Unterhändler, dass 'der Premierminister nicht bereit sei, den Krieg zu beenden'”.
Gershon Baskin, Co-Director von Alliance for Two States und ehemaliger israelischer Geiselunterhändler, https://x.com/gershonbaskin/status/1976188608982798740
Erleichterte Geisel-Familien, jubelnde Palästinenser
Die Bevölkerung von Gaza, die viel zu lange auf das Ende der israelischen Offensive gewartet hatte, bei der mindestens 67.000 Menschen, darunter vor allem Zivilisten, ums Leben kamen, ist überglücklich. Auch die Familien der lebenden Geiseln und Tausende Israelis, die sie in den letzten Monaten unterstützt hatten, feierten stundenlang auf den Straßen.
Die Palästinenser im Gazastreifen sind auf die Straße gegangen, vor allem die Jüngeren, mit Gesängen und Umarmungen. Die Mitglieder des Zivilschutzes haben einen kurzen Umzug organisiert, um das Ereignis und das Glück, noch am Leben zu sein, zu feiern. "Gott sei Dank geht es uns allen gut", sagte Suheila. Zusammen mit ihrer Familie, mit älteren Menschen und kleinen Kindern, hat sie Gaza-Stadt erst vor wenigen Tagen, Anfang Oktober, verlassen. "Wir sind erst gegangen, als sie vor unserem Haus standen." Zuvor waren sie mindestens vier Mal evakuiert worden. Sie haben ihr Zelt zwischen Erde und Steinen in Deir al-Balah aufgeschlagen, aber jetzt können sie es kaum erwarten, zurückzukehren. "Wir hoffen, dass unser Haus noch steht. Das ist möglich, wir waren vor einer Woche noch dort. Wir müssen zurück, um weiterleben zu können. Ich bin so müde. An manchen Tagen habe ich nicht einmal die Kraft, mit meinem Sohn zu sprechen."
Alle bereiten sich auf die Rückkehr vor. Nicht nur nach Gaza-Stadt, sondern auch weiter nördlich, wo die Zerstörung total ist. Aber die Armee hat gedroht, Gewalt gegen Palästinenser anzuwenden, die sich auf den Weg machen. Es gibt mehrere Berichte über Angriffe und Verletzte entlang der Via al-Rashid.
Das Nationale Komitee für Krankenwagen und Notfälle hat Richtlinien für alle veröffentlicht, die sich in diesen Stunden auf den Weg machen wollen: Warten Sie auf Anweisungen der offiziellen Behörden, vergewissern Sie sich, dass sich die israelischen Soldaten von den Straßen und Wegen zurückgezogen haben, vermeiden Sie Menschenansammlungen und Gedränge während der Rückkehr. Krankenwagen werden entlang der Strecke eingesetzt, um denjenigen Hilfe zu leisten, die sie benötigen, von der Stadt al-Qarara im Süden bis zum Kreisverkehr von Nabulsi in der Via al-Rashid, südwestlich der Stadt Gaza.
Nach der Ratifizierung des Abkommens soll die humanitäre Hilfe über fünf Grenzübergänge entlang des gesamten Gazastreifens erfolgen. Der Grenzübergang Rafah soll Krankenhäuser und die im Süden unterdrückten Flüchtlinge sofort mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen. Laut ägyptischen Quellen sollen in den ersten fünf Tagen täglich 400 Lastwagen passieren. Die Direktorin des Welternährungsprogramms, Cindy McCain, hat sich dem UN-Generalsekretär António Guterres angeschlossen und die sofortige Öffnung der Grenzübergänge gefordert: "Wir müssen jetzt handeln, um lebensrettende Lebensmittel und Hilfe zu liefern. Wir haben keine Zeit zu verlieren." In Gaza fehlt es an allem.
Trump, der am Sonntag in Israel sein und eine Rede vor der Knesset halten soll, bestätigte gestern, dass er an der offiziellen Unterzeichnung des Waffenstillstands- und Gefangenenaustauschabkommens in Ägypten teilnehmen will. "Wir haben den Krieg im Gazastreifen beendet... Mit dem Wendepunkt von gestern (Mittwoch) haben wir einen Frieden geschaffen, von dem ich hoffe, dass er von Dauer sein wird", sagte der Chef des Weißen Hauses und bekräftigte, dass die Freilassung der Geiseln in Gaza "am Montag oder Dienstag" erfolgen werde. Er prognostizierte außerdem, dass "mehrere große Länder" der Region zum Wiederaufbau des Gazastreifens beitragen werden.
"Gaza wird wieder aufgebaut werden", versicherte er und stellte die Vereinbarung eher als seinen persönlichen Sieg denn als Erfolg der amerikanischen Diplomatie dar. Auch Benjamin Netanjahu verkündet den Sieg. Die Regierungssprecherin Shosh Bedrosian sagte gegenüber Journalisten, dass "der Premierminister vom ersten Tag dieses Krieges an drei Ziele definiert hat: die Rückkehr aller unserer Geiseln, die Niederlage und Zerschlagung der Hamas und die Garantie, dass Gaza keine Bedrohung mehr für Israel darstellt... Alle Ziele des Premierministers wurden erreicht".
Die Hamas ihrerseits dankte dem US-Präsidenten "für sein Engagement für den Frieden" und bezeichnete die in Ägypten erzielte Einigung als "das Ende des Krieges". Sie forderte dann die Garantiemächte auf, "Israel zur vollständigen Einhaltung der vereinbarten Bedingungen zu verpflichten". Wenige Stunden später warf ein Sprecher der Bewegung Tel Aviv vor, "die vereinbarten Termine und Schritte zu manipulieren". Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, begrüßte das Abkommen und äußerte die Hoffnung, dass es "ein Vorspiel für eine nachhaltige politische Lösung" und die Gründung eines palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 sei.
Marwan Barghouti (Nelson Mandela Palästinas) heimlich von Israels Gefangenenliste gestrichen
Gestern Abend wurde in Sharm el-Sheikh laut lokalen Medienberichten auch die Frage der zweitausend palästinensischen politischen Gefangenen geklärt, die Israel im Austausch für die Geiseln freilassen soll – 250 zu lebenslanger Haft Verurteilte und 1.700 Männer, Frauen und Kinder, die nach dem 7. Oktober 2023 aus Gaza verschleppt und ohne Anklage festgehalten werden.
Heute Morgen meldete jedoch Al Jazeera, dass laut dem Medienbüro der palästinensischen Gefangenen (ASRA) noch keine Einigung über die Listen der palästinensischen Gefangenen erzielt wurde, die von Israel freigelassen werden sollen. "Wenn eine Einigung erzielt wird, werden die offiziellen Listen bekannt gegeben und auf den Plattformen des Medienbüros für Gefangene veröffentlicht”, fügte es hinzu.
Israel lehnt kategorisch ab, Marwan Barghouti, den "palästinensischen Mandela”, und andere Anführer oder Kommandeure von Organisationen und Parteien (u.a. Ahmed Saadat von der Volksfront für die Befreiung Palästinas, PLFP), die mit der Zweiten Intifada in Verbindung stehen, freizulassen. Barghouti ist zu mehrmals lebenslänglich verurteilt und sitzt seit 2004 im Gefängnis. Seit Beginn des Völkermords in Gaza durch Israel im Oktober 2023 ist er in Einzelhaft.
Nach einer Meldung von Middle East Eye hätten die Vermittler, darunter der US-Gesandte Steve Witkoff, am Mittwochabend eine Gefangenenliste unterzeichnet, auf der Barghouti stand. Am Donnerstag habe das Büro des israelischen Premierministers seinen Namen in letzter Minute einseitig von der Liste gestrichen. Barghouti, der laut Umfragen der beliebteste palästinensische Politiker ist, ist einer der wertvollsten Namen, die potenziell gegen die 48 israelischen Gefangenen in Gaza ausgetauscht werden könnten.
Aber auch hochrangige Beamte der Palästinensischen Autonomiebehörde haben laut Meldungen kein Interesse an der Freilassung von Barghouti, da sie befürchteten, dies könnte die Führung des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas gefährden. Barghouti ist laut Umfragen der beliebteste palästinensische Politiker und der unangefochtene Favorit, falls es zu Wahlen der Autonomiebehörde kommen würde.
Im August besuchte der israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, Barghouti im Gefängnis und wurde dabei gefilmt, wie er ihm drohte, Israel werde jeden "auslöschen", der sich ihm widersetzt. Es war das erste Mal seit Jahren, dass Barghouti, der gealtert und abgemagert wirkte, öffentlich zu sehen war.
https://x.com/MiddleEastEye/status/1956096150865342583
Traue keinem Schurkenstaat
Es mangelt nicht an Zweifeln über die Zukunft, ebenso wenig wie an der Befürchtung, dass Tel Aviv nach der Freilassung der Geiseln einen Vorwand finden könnte, um die Bombardierungen wieder aufzunehmen. "Wir vertrauen Israel nicht", heißt es aus Gaza, "und auch nicht den Vereinigten Staaten, die es immer geschützt haben. Aber haben wir eine andere Wahl, als zu hoffen?"
"»Waffenstillstand« heißt im israelischen Wörterbuch: Sie hören auf, ich schieße."
Francesca Albanese, https://x.com/FranceskAlbs/status/1976302565982683182
Ungewiss bleiben auch die Bestimmungen für den Rückzug der israelischen Armee bis zur "gelben Linie”, die im amerikanischen Plan vorgesehen ist. Das israelische Militär wird sich aus dem Zentrum von Gaza-Stadt und einigen Gebieten von Beit Lahiya, Jabaliya und Khan Yunis zurückziehen, aber andere Städte wie Rafah und Beit Hanoun sowie der Filadelfia-Korridor an der Grenze zu Ägypten bleiben unter der Kontrolle der Besatzungsmacht, und über ihr Schicksal wird später diskutiert werden.
Osama Hamdan, einer der wichtigsten Führer der Hamas, warnte, dass "die Freilassung der israelischen Geiseln vom tatsächlichen Rückzug der israelischen Armee abhängig ist”.
Der israelische Außenminister Gideon Saar bekräftigte seinerseits, dass der vollständige Rückzug aus dem Gazastreifen "von der Entwaffnung der Hamas abhängig ist... Die Hamas muss sich entwaffnen”.
Der religiös-faschistische Finanzminister Smotrich schreibt auf X, "dass der Staat Israel unmittelbar nach der Rückkehr der Entführten weiterhin mit aller Kraft danach streben wird, die Hamas wirklich auszulöschen und Gaza wirklich zu entmilitarisieren." (https://x.com/bezalelsm/status/1976180881678123461)
Zur Erinnerung:
Den vorherigen Waffenstillstand – unter dem spätestens Ende Mai die letzten Geiseln befreit worden wären – hat Israel am 18. März mit einem der größten Massaker des gesamten Völkermords in Stücke gerissen: 404 Tote, Hunderte Verletzte – die allermeisten Frauen und Kinder. (siehe auch kommunisten.de, 18.3.2025: "Nein, der Waffenstillstand ist nicht gescheitert. Israel hat ihn gezielt gebrochen.")
AJ Israel bricht Waffenstillstand
Im Gegensatz zu früheren Waffenstillstandsabkommen, die aufgrund von Verstößen Israels nicht lange hielten oder nie zustande kamen, ist dieses Abkommen das Ergebnis einer internationalen Initiative unter der Führung der Vereinigten Staaten, an der sich nicht weniger als acht arabische und muslimische Länder beteiligt haben. Eine solche internationale Koalition scheint eine solide Garantie dafür zu sein, dass das Abkommen nach seiner Unterzeichnung auch eingehalten wird. Die Anwesenheit von zwei Gesandten Trumps und zwei sehr hochrangigen Vertretern Katars und der Türkei scheint dies zu bestätigen.
Der Leiter der Hamas-Verhandlungsdelegation, Dr. Khalil Al-Hayya erklärte: "Wir haben von den brüderlichen Vermittlern und der US-Regierung Zusicherungen erhalten, die alle bestätigen, dass der Krieg vollständig beendet ist."
Bis zur letzten Minute: Angriffe der israelischen Armee
Die israelischen Angriffe haben zwar im Vergleich zu den vergangenen Tagen nachgelassen, aber sie haben noch nicht aufgehört. Khan Younis wurde gestern mehrmals mit Flugzeugen und Drohnen bombardiert, ebenso wie al-Zaytoun und die al-Yarmouk-Schule in Gaza-Stadt.
Video 9.10.2025: https://x.com/RamAbdu/status/1976359305545666866
Für eine dauerhafte Lösung zu einseitig
Derzeit wird gefeiert, aber das Waffenstillstandsabkommen zeigt seine Grenzen.
"Dies ist der Waffenstillstand der Kolonialisten."
Alberto Negri in il manifesto
Das Abkommen geht weder explizit noch implizit auf den Zeitpunkt des Beginns der Verhandlungen über die zweite Phase ein, die unmittelbar nach der Umsetzung der ersten Phase beginnen sollen. Das Risiko eines Scheiterns und einer Wiederaufnahme der israelischen Offensive bleibt hoch. Die Frage der Entwaffnung der Hamas lastet wie ein Felsbrocken auf der Verhandlungstafel und könnte zum Vorwand für die Regierung Netanjahu werden, den Krieg wieder aufzunehmen.
Die Regierung in Gaza nach dem Krieg ist eine weitere vernachlässigte und ungelöste Mine, die explodieren und alles zum Einsturz bringen könnte. Gestern fand in Frankreich ein Treffen mit Vertretern verschiedener Länder statt, allen voran Saudi-Arabien, das de facto eine Erweiterung der französisch-saudischen Initiative zur Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung darstellt, die vor vier Wochen zur Erklärung von New York zur Unterstützung des Staates Palästina geführt hat.
Auf dem Tisch lag der Vorschlag von Paris zur Bildung einer palästinensischen Sicherheitskraft von etwa 10.000 Mann, die unter internationaler Aufsicht ausgebildet und in Gaza eingesetzt werden soll. Alle wissen, dass es sich dabei um Männer der Palästinensischen Autonomiebehörde handeln würde, eine Entwicklung, die Israel kategorisch ablehnt. Tel Aviv kritisierte die Initiative, was Außenminister Rubio dazu veranlasst haben dürfte, sich von dem Treffen in Frankreich fernzuhalten. Die Regierung Netanjahu besteht vor allem darauf, dass die Hamas keine Rolle in der Regierung des Gazastreifens spielen darf. Im Gegensatz dazu lehnt die Hamas jede ausländische Rolle ab und bekräftigt seit langem ihre Bereitschaft, die Kontrolle über den Gazastreifen aufzugeben, jedoch nur zugunsten einer palästinensischen Technokratenregierung mit arabischer und islamischer Unterstützung.
"Wir werden keine Einmischung Israels in unsere inneren Angelegenheiten akzeptieren."
Hamas-Funktionär Osama Hamdan am 9.10. in einem Interview mit Al-Araby TV; https://x.com/SuppressedNws1/status/1976236790643114350
Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Kristin Helberg schreibt:
Der 20-Punkte-Plan von Trump bringt keinen Frieden, sondern bestenfalls kurzfristige Erleichterung: Eine Waffenruhe, ein erster Teil-Rückzug der israelischen Armee, die Freilassung der israelischen Geiseln und palästinensischer Gefangener, mehr humanitäre Hilfe für Gaza. All das ist wunderbar und Grund zur Freude. Doch für eine dauerhafte Lösung ist der Plan zu einseitig, weil er völkerrechtliche Prinzipien missachtet und Israel durch vage Formulierungen Hintertüren öffnet. 1. "Israel wird Gaza weder besetzen noch annektieren" steht unter Punkt 16, die IDF darf aber in einem "Sicherheitsring" bleiben und kann das Gebiet somit jederzeit abriegeln und angreifen. Diese Zugangskontrolle ist laut IGH Besatzung. 2. Gaza wird sowohl militärisch als auch politisch zunächst von ausländischen Akteuren kontrolliert. Die USA stellen "mit internationalen und arabischen Partnern" eine Streitkraft auf (Punkt 15). Die "technokratische unpolitische palästinensische Übergangsverwaltung" wird von einem internationalen Board of Peace (Trump und Blair) geleitet. Das ist keine palästinensische Selbst- sondern Fremdbestimmung. 3. "Regionale Partner garantieren, dass das "Neue Gaza" keine Bedrohung für Nachbarn darstellt" (Punkt 14). Wer garantiert die Sicherheit der Palästinenser:innen in Gaza? 4. Das Westjordanland wird nicht erwähnt, Israel kann dort weiter siedeln und das Gebiet womöglich annektieren. 5. Die Hamas und andere sollen ihre Waffen abgeben, ohne dass die illegale Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel endet oder Palästinenser:innen dort rechtlich gleichgestellt werden. Das bringt keine Sicherheit, sondern anhaltendes Unrecht, Repression und damit verbundenen gewaltsamen Widerstand, der womöglich erneut mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einhergeht. Der Plan trägt somit (scheinbaren) israelischen, nicht aber palästinensischen Sicherheitsinteressen Rechnung, er propagiert Besatzung und Fremdherrschaft statt palästinensischer Selbstbestimmung. Die beiden entscheidenden positiven Aspekte des Plans – humanitäre Hilfe durch die UN (Punkt 8 ) und keine Vertreibung, sondern Wiederaufbau von Gaza für seine palästinensischen Bewohner (Punkt 12) – sollten selbstverständlich sein und kein Grund für eine Friedensnobelpreis-Kandidatur. Wenn Trump es ernst meint mit seinem Plan für ein "besseres Gaza", muss er mindestens die GHF abwickeln, die UNRWA wieder handlungsfähig machen und Israel zum vollständigen Rückzug zwingen. Abwarten. |
Eskalierende Gewalt im Westjordanland
Sobald die Nachricht von der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas bekannt wurde, begannen die Siedler im Westjordanland mit ihrer "Rache". Es ist ein Drehbuch, das sich jedes Mal wiederholt, wenn das Ende der Bombardierungen in Gaza oder die Ankunft humanitärer Hilfe nahe zu sein scheint. Dutzende Siedler besetzten die palästinensische Stadt Sheikh Jarrah im Osten Jerusalems und schlugen ihre Zelte zwischen den Häusern der Bewohner auf. In Deir Jarir, einem Dorf in der Nähe von Ramallah, töteten sie am Mittwoch einen 26-Jährigen und verletzten drei weitere Personen. Andere Gruppen griffen Bauern und Hirten an, plünderten palästinensische Bäume und Grundstücke, und ein Siedler versuchte, in Masafer Yatta Kinder zu überfahren.
Die Armee führte Razzien und Verhaftungen im gesamten besetzten Westjordanland durch: Nablus, Hebron, Bethlehem, Tulkarem. In Hebron verletzten israelische Soldaten bei einem Überfall drei palästinensische Jungen im Alter von 14 und 16 Jahren. Auf Befehl des jüdischen Supremacisten Itamar Ben Gvir hat Israel den Präsidenten und den ehemaligen Präsidenten der Union palästinensischer Wohltätigkeitsorganisationen verhaftet. Soldaten drangen in den Sitz in Ostjerusalem ein und verhinderten die Durchführung einer Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde organisiert worden war.