Im Interview

11.01.2011: Interview mit Bettina Jürgensen, Vorsitzende der DKP, zur Podiumsdiskussion der Rosa Luxemburg Konferenz

Du hast an der Podiumsdiskussion der Rosa Luxemburg Konferenz teilgenommen. Die Fragestellung war: "Wo bitte geht's zum Kommunismus?" Ist die Frage jetzt beantwortet?

Der Weg zum Kommunismus wird nicht am grünen Tisch entwickelt und nicht im Rahmen von Podiumsdiskussionen abgesteckt. Der Kommunismus wird im Ergebnis eines langen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses aufgebaut werden. Ich halte es da mit Marx, der immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Emanzipation ein Akt der Selbstbefreiung sein muss, dass die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss. Wobei sich heute eine Vielfalt sozialer und politischer Akteure auf den Weg machen, um "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Karl Marx). Im Spektrum der fortschrittlichen und linken Kräfte ist die DKP diejenige Kraft, die in die Kämpfe von heute die Frage nach der kommunistischen Zukunft einbringt.

Apropos "Weg zum Kommunismus". Gesine Lötzsch hat mit ihrer Aufforderung "Wege zum Kommunismus" zu finden ja einen Sturm der Entrüstung im bürgerlichen Blätterwald ausgelöst.

Die Reaktion war völlig überzogen. Gesine hat nichts anderes getan, als die Politik der Partei DIE LINKE darzustellen und klarzumachen, dass ihr Ziel und das Ziel ihrer Partei der demokratische Sozialismus ist. Wenn man den Druck berücksichtigt, der auf Gesine Lötzsch ausgeübt wurde - von den anderen, aber auch aus ihrer eigenen Partei - dann finde ich es mutig von ihr, dass sie an der Konferenz trotzdem teilgenommen hat. Da habe ich sogar Verständnis dafür, dass sie sich der Diskussion entzogen hat. Auch wenn es schade war, weil wir hätten diskutieren können, in wie weit der demokratische Sozialismus einer der Wege sein könnte, der die Möglichkeit des Kommunismus eröffnet.

Der andere Aspekt ist, dass das Jahr 2011 nicht nur mit der Rosa Luxemburg Konferenz und der Ehrung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg eröffnet wurde, sondern "Kommunismus" - das ist das Wort des Jahresbeginns, rauscht durch die Medien und ruft hysterische Reaktionen hervor - von der CSU bis zur SPD.

Möglicherweise hat dies eine Ursache auch darin, dass der Kommunismus in der gesellschaftlichen Debatte präsenter ist, als manchem lieb ist. Die Frage, ob sich entscheidende Unternehmen in Privatbesitz oder in öffentlichem Eigentum befinden sollen, spielt doch in den Auseinandersetzungen um die Privatisierung der Bahn, von Krankenhäusern, des Wassers, oder beim Verkauf kommunaler Wohnungen oder kommunale Energieerzeuger an Finanzinvestoren oder privater Energiekonzerne eine entscheidende Rolle. Es liegt doch auf der Hand, wenn Gesundheit zu einem Mordsgeschäft wird, wenn die Nahrungsmittelversorgung nach dem Prinzip des Maximalprofits durchorganisiert wird, dann bleiben die Menschen mit ihrem Anspruch auf Gesundheit und gesunde Ernährung auf der Strecke. All diese Konflikte und Debatten haben etwas mit Marx und Kommunismus zu tun. Deshalb auch die Empfindlichkeit und Hysterie bei den Herrschenden und ihrem politischen und medialen Hilfspersonal.

Wenn wir uns auf den Weg machen, welche nächsten Schritte müssen wir gehen?

Wenn wir uns auf den "Weg zum Kommunismus" machen wollen, dann gilt es heute, die Resignation zu überwinden, die Hoffnung wieder herzustellen und die Erkenntnis erlangen, dass die Welt veränderbar ist.

Da sehe ich viele positive Ansätze: es werden Kampferfahrungen gesammelt, sei es in der Organisation von Protest und Widerstand, sei es in den Fragen der Reaktion der Herrschenden, die ja immer öfter auch mit staatlicher Willkür und Maßnahmen, die sich selbst gegen ihre bürgerliche Demokratie richten, erfolgt. Oft sind diese Kämpfe Abwehrkämpfe, gegen den Sozial- und Demokratieabbau. Doch es sind die Kämpfe, die jetzt geführt werden, in denen wir ein qualitativ neues Niveau erreichen können und müssen. Das zeigen die Demonstrationen gegen "Stuttgart 21", die gegen die Laufzeitverlängerung der Atomenergie und den Castortransporten, das zeigt auch die sich mehr entwickelnde Bereitschaft in gewerkschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen.

Das Gemeinsame dieser unterschiedlichen Bewegungen und Auseinandersetzungen liegt im gleichen Gegner. Es wird also darauf ankommen, dass sich die verschiedenen Bewegungen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Ansätzen untereinander verbinden, und gemeinsam mit ihnen eine Alternative zum Kapitalismus mit der Perspektive einer sozialistischen Umwälzung zu erarbeiten. Dies kann nur im Ergebnis einer breiten, in demokratischen Prozessen gewonnenen Übereinstimmung der Linken und aller emanzipatorischen Bewegungen und als Resultat gemeinsamer Praxis und Debatte und gemeinsamer Lernprozesse entstehen.

Inge Viett wirft in ihrem Beitrag der, wie sie sagt, "Mehrheit der DKP" vor, dass diese "den Staat, nicht das Proletariat als Subjekt der Veränderung" sehen würde. Sie bezweifelt, ob es möglich und sinnvoll sei, "Klassenbewusstsein ins Proletariat zu tragen". Ihre Schlussfolgerung: Die "marxistische Linke" müsse sich selbst "als revolutionäres Subjekt verhalten", die als "Gebot der Stunde" den "Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Organisation" betrachte und "eine neue Front" aufmache.

Die Vorstellung von Inge Viett, dass wir den Staat als Subjekt der Veränderung betrachten würden, hat mich doch ziemlich überrascht. Diese Meinung kann weder durch unsere Programmatik noch durch unsere Praxis untermauert werden. Für die kommunistische Bewegung war immer die Arbeiterklasse das zentrale Subjekt der Veränderung. Die Praxis war immer, dafür zu wirken, die Organisiertheit der Arbeiterklasse zu fördern. Und so ist es auch heute. Da unterscheidet sich die - wie es Inge Viett nennt - "Mehrheit" nicht von der "Minderheit" in der DKP. Nachdenken müssen wir darüber, wie Klassenbewusstsein entwickelt werden kann. Da haben wir einen Diskussionsprozess begonnen. Unser bisheriges Verständnis vom "Hineintragen" war tatsächlich nicht besonders erfolgreich. Da müssen wir lernen. Aber deshalb die Schlussfolgerung zu ziehen, sich selbst als das revolutionäre Subjekt zu verstehen und zu verhalten, finde ich absurd. Diese elitären Konzeptionen sind allerdings nicht neu und bereits in der Vergangenheit gescheitert.

Ich verstehe die Aufgabe einer kommunistischen Partei so, dass sie nicht stellvertretend für die Arbeiterklasse handelt - das ist die sozialdemokratische Konzeption, die in der kommunistischen Bewegung in gewisser Weise nachgewirkt hat; im Kern aber auch elitärer linksradikaler Vorstellungen -, sondern dass sie Lernprozesse organisiert, dass sie dafür wirkt, dass aus dem bereits vorhanden Bewusstsein und den Erfahrungen eine systematische, zusammenhängende Sicht auf die Gesellschaft und der eigenen gesellschaftlichen Rolle entsteht, und dass Widersprüche so interpretiert werden, dass sie nicht zu Resignation und Anpassung, sondern zum aktiven Handeln für die Überwindung des Kapitalismus führen.

Wir müssen uns also bemühen, Politik als Lernprozess zu organisieren, der auf die individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit und Organisiertheit zielt. Der Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten und um Reformen soll nicht nur zur Verbesserung der Lebenssituation großer Teile der Bevölkerung führen und zur Erweiterung demokratischer Freiheiten beitragen, sondern ebenso zur Veränderung der Lebenseinstellungen, der Erwartungen und des Handelns der Menschen, sowie auch die Kampfbedingungen. Denn mit dem Engagement im Kampf um Veränderungen werden sich auch die Handelnden verändern. Da können wir von den Überlegungen Rosa Luxemburgs viel lernen.

Hier schließt sich dann die Frage an, wie wir unsere Rolle in den Bewegungen und Gewerkschaften wahrnehmen. Ich bin der Überzeugung, dass wir nur überzeugen können, wenn wir gemeinsam mit anderen diese Prozesse organisieren, d.h. in der Konsequenz, dass wir selber dabei nicht nur Lehrende, sondern auch Lernende sind. Und es heißt, dass wir nur als gleichberechtigte PartnerInnen dann auch entsprechend der gesellschaftlichen Notwendigkeit überzeugen können. Gleichberechtigt bedeutet, wir nehmen unsere BündnispartnerInnen in aller Unterschiedlichkeit als Diskussions- und HandlungsparnterIn an und ernst, wollen aber als KommunistInnen selbst auch genauso gleichberechtigt anerkannt werden.

Bei dem Gesagten müssen wir auch die Erfahrung berücksichtigen, dass sich sozialer Protest und sozialer Widerstand nicht von selbst auf die Ebene einer politischen und gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus heben. Dies zu organisieren ist Aufgabe einer Partei - insbesondere einer kommunistischen Partei wie der DKP. Und dabei geht es nicht darum "neue Fronten" aufzumachen, sondern den Zusammenhang der verschiedenen Bewegungen, Konflikte, Kämpfe herzustellen.

Gregor Gysi hat mit Blick auf Gesine Lötzsch gesagt, man solle den eigentlich so edel gemeinten Begriff Kommunismus gar nicht mehr benutzen, weil er so belastet sei.

Niemand in der katholischen Kirche oder den "christlichen Parteien" käme auf die Idee, den Begriff "Christentum" nicht mehr zu benutzen, weil er mit Kreuzzügen, Hexenverbrennung und Bündnisse mit den reaktionärsten, menschenfeindlichsten Regimes belastet ist.

Der Kommunismus als Bewegung und historisches Ziel, entstanden aus materieller Not und angetreten für die revolutionäre Emanzipation der arbeitenden Menschen, ist eine der bedeutendsten Komponenten im langen Kampf der arbeitenden Menschen für eine Welt der Freiheit und Gleichheit, ohne Ausbeutung und Elend. Wir als DKP stehen in der Tradition dieser Bewegung.

Wahr ist aber auch, dass auf dem Weg zum Kommunismus nicht nur große soziale, zivilisatorischen und emanzipatorischen Errungenschaften erreicht wurden. Nach dem 20. Parteitag der KPdSU, nach 1990, in der Debatte zur Erarbeitung unseres aktuellen Parteiprogramms haben wir Schlussfolgerungen aus unserer Geschichte und den Fehlern, Deformationen und Verbrechen gezogen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, eine Absage an die Emanzipation der Arbeiterklasse waren und dem Sozialismus schwer geschadet haben.

Ja, die kommunistische Bewegung war vom Weg abgekommen. Aber gerade angesichts der kapitalistischen Krise und der Krise der Zivilisation, angesichts der Tatsache, dass in dieser Situation die Debatte um eine Alternative zum Kapitalismus eine breitere gesellschaftliche Resonanz erfährt, dass allein das Wort "Kommunismus" hysterische Reaktionen der Herrschenden auslöst, sind wir entschlossen aus den Fehlern zu lernen und den ursprünglichen Weg wieder aufzunehmen.

Kommunismus - das ist die Befreiung der arbeitenden Klasse und aller Menschen von Ausbeutung, Krieg und allen Arten von Unterdrückung. Kommunismus - das ist ein selbstbestimmtes Leben in Solidarität mit Anderen. Die Überwindung der politischen Macht des Kapitals, der Aufbau einer neuen Macht, die Vergesellschaftung der entscheidenden Produktionsmittel sind die notwendige Voraussetzung.

Ich bin dafür, dass wir offensiv dafür arbeiten, dass bei "K" an Kapitalismus und Krieg auf der einen Seite, und an Kommunismus als Alternative dazu, gedacht wird. Damit das so wird, sollten wir nicht nur offensiv zu unserer kommunistischen Identität stehen, sondern in die heutigen Kämpfe die Frage nach der kommunistischen Zukunft einbringen. Oder anders formuliert: in den heutigen Kämpfen dafür wirken, dass sie in längerer Perspektive "Wege zum Kommunismus" eröffnen.

Hinweis: In der UZ vom 14.1.2011 ist der Redebeitrag von Bettina Jürgensen auf der Rosa Luxemburg Konferenz abgedruckt

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