09.01.2022: Interview mit Professor Alexander Knyazev von der Universität St. Petersburg, einem Spezialisten für Zentralasien. Die sozialen Forderungen der durch die Krise des Ölmodells und die Pandemie verarmten Massen haben das Tauziehen zwischen Tokajew und dem ehemaligen Präsidenten Nasarbajew ausgelöst.
Frage: Was waren die Hauptgründe für die Woche der Gewalt?
Alexander Knyazev: In den westlichen Regionen begann alles friedlich. In Aktau gingen die Menschen für wirtschaftliche Forderungen auf die Straße. Es ist jedoch anzumerken, dass es auch eine politische Forderung nach dem endgültigen Abgang von Ex-Präsident Nasarbajew gab, der als Symbol für die soziale Ungerechtigkeit angesehen wird.
Obwohl sie im Hintergrund sehr präsent sind, spielen wirtschaftliche Beweggründe bei der Erklärung des Chaos, in dem das Land versunken ist, nur eine untergeordnete Rolle.
Die Spannungen, die sich seit dem offiziellen Rücktritt von Nasarbajew im Jahr 2019 an der Spitze der Macht aufgebaut haben, führten zwangsläufig zur Explosion des Konflikts. Tokajew übernahm das höchste Amt im Bewusstsein der Notwendigkeit einer Reihe von Reformen. Aber er sah sich nicht in der Lage, eigenständig zu handeln, sondern war in ein Netz von Blockaden verstrickt, das ihm sein Vorgänger auf Betreiben der Familienmafia, die sich um ihn herum gebildet hatte, auferlegt hatte.
Tokajew versuchte, die Proteste im Nordwesten auszunutzen, um durch die Auflösung der Regierung den Stillstand zu überwinden. Dies alarmierte Vertreter des Nasarbajew-Clans, die daraufhin die jüngsten Unruhen in den südlichen Regionen auslösten. Es wurde erwartet, dass Tokajew, dem der nötige Biss fehlt, um mit Gewaltsituationen umzugehen, zurücktreten oder die Bedingungen der Fraktion akzeptieren würde. Das Gegenteil trat ein: Tokajew ließ sich nicht beirren. Zu diesem Zeitpunkt beschlossen Persönlichkeiten wie Nasarbajews Neffen Kairat Satybaldy und Sanat Abisch, die führende Positionen im Nationalen Sicherheitskomitee (Knb) innehatten und für die Kontakte zu subversiven Gruppen zuständig waren, auf allgemeine Gewalt zu setzen, um die Auseinandersetzung zu gewinnen.
Frage: Regierungssprecher haben die Rolle des transnationalen Dschihadismus hervorgehoben und von einer Verbindung zu Afghanistan gesprochen.
Alexander Knyazev: Ein direkter Zusammenhang zwischen der afghanischen Dynamik und den aktuellen Ereignissen steht nicht zur Debatte. Selbst unter dem ersten Taliban-Regime und während der westlichen Besatzung gab es nie operative Netzwerke zwischen Afghanistan und dem übrigen Zentralasien. Allerdings gibt es dschihadistische Gruppen, die sich auf die Türkei und Länder in der Golfregion beziehen.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass Kasachstan seit Jahren an Maßnahmen zur Rückführung seiner in den IS-Aufstand im Irak und in Syrien verwickelten Bürger beteiligt ist. Die meisten Rückkehrer haben eine diskrete Propagandaarbeit fortgesetzt. Diese Personen wurden von den beschriebenen kriminellen Sektoren des Sicherheitsapparates KNB engagiert.
In Almaty überranten diese Personen diejenigen, die gegen Nasarbajew und seinen Clan protestieren wollten, um soziale Forderungen zu stellen. In den großen städtischen Zentren gibt es Massen von verarmten und an den Rand gedrängten Proletariern, die lange Zeit mit einer Verteilungspolitik eines Landes, das lange Zeit das Manna des Öls genossen hat, unter Kontrolle gehalten wurden. Im Zuge der Krise musste das Regime die Subventionen schrittweise senken, wodurch diese Massen in eine Verarmung getrieben wurden, die unter den Bedingungen der Pandemie unerträglich geworden ist.
Frage: Welche Rolle spielen die Clans?
Alexander Knyazev: Sie haben eine Rolle gespielt, da der Süden die Heimat der Clans der "Großen Horde" ist, aus der die Familie Nasarbajew stammt. In einem positiven Sinne hat die Stammeslogik die gewalttätigen Proteste auf diese Gebiete beschränkt, da sich die Westkasachen nicht betroffen fühlten.
Frage: Die Proteste boten dem Oligarchen Mukhtan Ablyazov die Gelegenheit, sich als alternativer Führer zu präsentieren.
Alexander Knyazev: Ablyazov ist seit einem Jahrzehnt kein ernstzunehmender politischer Akteur mehr. Er hat einige Unterstützergruppen, die seine Propaganda ankurbeln, aber seine Chancen auf eine Ausweitung sind minimal. Stattdessen hat die Dynamik der Ereignisse ein dramatisches Fehlen klarer Führungspersönlichkeiten offenbart; bestenfalls haben sich auf lokaler Ebene Führungspersönlichkeiten herausgebildet.
Frage: Und auf der Ebene des geopolitischen Wettbewerbs zwischen Mächten?
Alexander Knyazev: Mit der Öffnung des Schirms des Sicherheitsbündnisses "Rat der kollektiven Sicherheit (OVKS)" hat Russland einen riskanten Schritt unternommen. Alles, was nicht funktioniert, wird Moskau angelastet, und das könnte Auswirkungen auf die gesamte russische Präsenz in der GUS haben. Russische Soldaten könnten zum Ziel möglicher Provokationen werden. Gleichzeitig war die Intervention für Russland das kleinere Übel angesichts der möglichen Folgen eines Chaos auf seinem eigenen Territorium.
Das Interview führte Fabrizio Vielmini für die italienische kommunistische Zeitung il manifesto, 9.1.2022: «La protesta è nata pacifica, la violenza è tra oligarchi e clan»
Eigene Übersetzung aus dem italienischen.
"Die erst demokratischen und völlig legitimen Proteste wurden von Radikalen unterwandert."Auszüge aus den Meldungen von Nikita Gerassimow auf Telegram In weiten Teilen des Landes hat sich die Lage stabilisiert. Nun beginnt die Auszählung der Schäden und der Wiederaufbau. Die Zerstörungen sind gewaltig. Die Protestler gingen wie eine Plünderungswelle durch kaz. Städte. Insbesondere im Süd-Osten bleibt die Lage derweil weiterhin extrem angespannt. In einigen Städten haben sich schwer bewaffnete Widerstandsnester gebildet. Mit "friedlichen Demos" hat es natürlich nichts zu tun. Es sind schwere Gefechte gegen paramilitärische Gruppierungen. Später haben Unbekannte auch angefangen, Waffen und Steine mitten in den Straßen zu verteilen. Im Video: Teil 1: Waffen werden verteilt, Teil 2: ein LKW lädt Ziegelsteine für die Protestler aus. Laut dem Augenzeugen waren die Nummernschilder des Lkws verdeckt. Jedes neue ausgehobene Widerstandsnest bestätigt umso mehr, wie gut vorbereitet, koordiniert und vor allem schwer bewaffnet einige "Protestler" waren. Es bestätigen sich die Vermutungen, dass es seit Langem vorbereitete Schläferzellen waren, um am "Tag X" zuzuschlagen. Der "Tag X" waren dann offensichtlich die anfangs friedlichen Proteste gegen zu hohe Gaspreise, die von den paramilitärischen Gruppen (ja, die Bezeichnung ist voll angemessen) rasant unterwandert und in gewaltsame Krawalle gestürzt wurden. In #Kasachstan fragt man sich nun zunehmend, wie es sein konnte, dass sich so gut vorbereitete und schwer bewaffnete Schläferzellen bilden konnten. Und da werden nun harte Vorwürfe gegen den Sicherheitsapparat laut...bis hin zum "Staatsverrat". |