09.07.2013: Am Montag begannen in Washington die Verhandlungen über ein gemeinsames Transatlantisches Freihandelsabkommen (TAFTA) zwischen der EU und den USA. Im Newsletter des isw schrieb dazu Conrad Schuhler folgenden Kommentar:
Bundeskanzlerin Merkel hat es oft beschworen in den letzten Jahren: Die 80 Millionen Deutschen hätten gegen die 2,3 Milliarden Chinesen und Inder doch keine Chance. Auch die 500 Millionen EU-Europäer müssten sich nach Partnern umsehen. Wer läge da näher als die USA, mit denen man dieselben Werte teile. Zwar würden die USA und die EU nur 14 % der Weltbevölkerung stellen, aber immerhin 40 % des Welthandels und über 50 % der Weltwirtschaftsleistung. In transatlantischer Gemeinsamkeit, so die propagierte Logik, bleibe man der bestimmende Faktor der Weltpolitik und Weltwirtschaft.
Im alten Europa gefiel die Idee umso mehr, als der Kontinent rasant an globalem Einfluss verliert, weit mehr noch als die USA. So erwartet die Weltbank für 2013 ein Wachstum der Weltwirtschaftsleistung um 2,2 %, für die Eurozone aber ein Schrumpfen von 0,6 %. (www.worldbank.org). Dieser relative Niedergang findet seit langem statt, und so beschließt die EU seit 1990 in regelmäßigen Abständen, mit den USA über die Schaffung einer Freihandelszone zu verhandeln.
Seit 2007 befasst sich ein Transatlantischer Wirtschaftsrat (TEC) von EU und USA mit den vielfältigen Problemen auf dem Weg zu einer Einigung. Im Februar 2013 sprach der frisch wiedergewählte Präsident Obama in seiner Adresse an die Nation erstmals davon, "dass wir mit der EU Gespräche führen werden über eine umfassende transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft". Im Juni 2013 machte die EU den Weg frei für die Verhandlungen, nachdem sie auf Drängen Frankreichs die "kulturelle Ausnahme" durchgesetzt hatte: Film- und Musikproduktionen sind aus den Verhandlungen ausgeklammert, ob auch Buchproduktionen, ist strittig.
Tatsächlich ist die Stellung der alten Metropolen USA und Europa in der Weltwirtschaft zwar noch dominant, aber in der Perspektive sehr wacklig. In ihrem letzten 'World Investment Report 2013' (www.unctad. org) notiert die UNCTAD (UN Konferenz über Handel und Entwicklung), dass 2012 die im Ausland getätigten Direktinvestitionen weltweit um 18% zurückgegangen sind, dass sie aber in den alten Industrieländern weit überdurchschnittlich um 32% sanken. Derzeit bilden die Transnationalen Konzerne lieber Rekordsummen in 'cash', als ihre Profite neu zu investieren. Von den dennoch getätigten Auslandsinvestitionen haben die Entwicklungs- und Schwellenländer erstmals mehr (52%) angezogen, als die Metropolen. Das globale Geld folgt den Profitraten. Und die sind in den 'Ländern des Südens' weit höher als im Norden. Diese Erosion der weltwirtschaftlichen Dominanz der USA und Europas soll mit dem TTIP aufgehalten werden.
Was soll neu geregelt werden?
Was gerne propagandistisch in den Vordergrund gerückt wird, spielt in Wahrheit nur eine kleine Rolle: die Senkung der Zölle. (Jens Berger: TAFTA – eine weitere Hintertür für neoliberale Reformen). Auch die Bertelsmann-Stiftung, die wie gewohnt heftig trommelt für ein neues neoliberales Projekt (The US and the entire EU would significantly benefit from a transatlantic free trede agreement - Die USA und die gesamte EU würden beträchtlich von einem transatlantischen Freihandelsabkommen profitieren) und räumt ein, dass es nicht um die Zölle geht, sondern um die "non-tariff trade barriers", also um die Handelsbarrieren jenseits der Zölle.
Es geht um einheitliche Richtlinien bei Industriestandards, bei Pharmaprodukten und Lebensmitteln und um Privatisierungen. Würden solche Waren-Standards zwischen den USA und der EU verbindlich festgelegt, würde der TAFTA-Wirtschaftsblock dem gesamten Weltmarkt in Zukunft diktieren, wie Waren auf diesem auszusehen haben. Es wäre ein gewaltiger Vorteil für den Export-Vizeweltmeister Deutschland und für alle aus dem TAFTA.
Text: Conrad Schuhler (isw) Foto: Jakob Huber/Campact – Aktion 18.06.13 in Berlin