28.11.2024: Am 14. November 2024 ist der Film "No other land" in die deutschen Kinos gekommen. Der Film und seine Macher werden von der pro-zionistischen Lobby wegen der schonungslosen Darstellung des Apartheidsystems und des israelischen Besatzungsterrors im Westjordanland massiv angegriffen. ++ Basel Adra: "Für uns ist der Film ein Akt des Widerstandes"
Der Dokumentarfilm "No other land", der von dem israelischen Journalisten Yuval Abraham und dem palästinensischen Journalisten Basel Adra gedreht wurde, gewann im Februar den Dokumentarfilmpreis bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin.
Bei der Dankesrede sprach Abraham die "Apartheid"-Gesetze an, die ihn und seinen Co-Regisseur trennten, und forderte ein Ende der Besatzung. Als Reaktion darauf verurteilten mehrere deutsche Politiker seine Äußerungen als "antisemitisch", woraufhin er Morddrohungen erhielt und sein Familienhaus in Israel von einem rechtsextremen Mob angegriffen wurde. (siehe kommunisten.de, 26.2.2024: "Berlinale: Stars fordern Waffenstillstand in Gaza | Pro-Israel-Lobby mit Schaum vor dem Mund")
Der Film dokumentiert die Auseinandersetzungen um Masafer Yatta, eine Siedlung aus 19 palästinensischen Dörfern im Süden des Westjordanlandes. Der Heimatort des palästinensischen Aktivisten Basel Adra soll einem militärischen Übungsplatz der israelischen Armee weichen. Als Basel dem israelischen Journalisten Yuval begegnet, entsteht eine Freundschaft, geprägt durch die enorme Ungleichheit zwischen ihnen: Basel lebt unter militärischer Besatzung, Yuval frei. Die Filmemacher dokumentieren die Schikanen und Übergriffe durch das Militär und zionistische Siedlerkolonisatoren und kämpfen gegen Hass und Verachtung.
Ein Großteil des von 2018 bis zum Oktober 2023 gedrehten Dokumentarfilms ist mit Videomaterial aus Adras Kindheit durchsetzt, das seinen Vater als Aktivisten zeigt, der sich auf genau die gleiche Weise wie sein Sohn gegen israelische Soldaten und Siedler zur Wehr setzt.
"Gewöhn dich daran, zu scheitern"
Basel Adra
Im Jahr 2024, 57 Jahre nach Beginn der israelischen Besetzung des Westjordanlands und mehr als ein dreiviertel Jahrhundert nach der Nakba, bei der mehr als 700.000 Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden, und eines live übertragenen Vernichtungskrieges, mit dem alles palästinensische Leben in Gaza ausgelöscht werden soll, kann es schwieriger denn je sein, zu glauben, dass ein weiterer Artikel, Bericht oder Dokumentarfilm die Welt endlich zum Handeln bewegen könnte.
An einer Stelle in ihrem preisgekrönten Dokumentarfilm "No Other Land" sagt der palästinensische Filmemacher Basel Adra zu seinem Co-Regisseur Yuval Abraham aus Israel, dass er zu ungeduldig sei, um ein Ende der israelischen Besetzung des Westjordanlandes kommen zu sehen – dass er glaube, er brauche nur 10 Tage zum Schreiben und Filmen, und dann sei es vorbei.
"Gewöhn dich daran, zu scheitern", sagt Adra sarkastisch zu Abraham, während sie durch Masafar Yatta fahren. "Du bist ein Verlierer."
Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass der Dokumentarfilm, der Tropfen sein wird, der das Fass der Besatzung endgültig zum Überlaufen bringt, so ruft er doch starke Reaktionen hervor, sowohl positive als auch negative. Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Netanjahu und den Ex-Verteidigungsminister Gallant – er erste in der 22-jährigen Geschichte des Gerichts, der sich gegen "westliche" Politiker richtet – zeigt, dass sich die Welt im Umbruch befindet.
Vom Berliner Stadtportal als "antisemitisch" gebrandmarkt
Zum Filmstart in Berlin behauptete das offizielle Online-Portal Berlins, der israelisch-palästinensische Film enthalte "antisemitische Tendenzen".
Daraufhin schrieb Abraham in einem Beitrag auf X, er fühle sich "in Berlin unsicher und unwillkommen". Mit dem Vorwurf des Antisemitismus sollten Kritiker der israelischen Besatzung im Westjordanland zum Schweigen gebracht werden.
"Das offizielle Stadtportal Berlins hat gerade geschrieben, dass unser Film 'No Other Land' 'antisemitische Tendenzen' hat. Ein Film, der die Berlinale gewonnen hat und kürzlich zu einer Sondervorführung in der deutschen Botschaft in Israel eingeladen wurde. Es schmerzt mich zu sehen, wie ihr, nachdem ihr den Großteil meiner Familie im Holocaust ermordet habt, das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung beraubt, um Kritiker der israelischen Besatzung im Westjordanland (das Thema unseres Films) zum Schweigen zu bringen und Gewalt gegen Palästinenser zu legitimieren. Ich fühle mich im Berlin des Jahres 2024 als linksgerichteter Israeli unsicher und unwillkommen und werde rechtliche Schritte einleiten."
Yuval Abraham, 12.11.2024 | Quelle: https://x.com/yuval_abraham/status/1856390669880672393
Der Kommentar des Berliner Portals wurde scharf kritisiert, unter anderem vom deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert. "Man kann über die Politik streiten. Aber 'antisemitische Tendenzen'? Der Vorwurf ist schlichtweg falsch", schrieb er in den sozialen Medien.
Auf Grund der Proteste wurde der Text auf der Website später geändert, zusammen mit dem Eingeständnis, dass die ursprüngliche Beschreibung "falsch und unzulässig" gewesen sei.
"Ich denke, Deutschland sagt, dass es Israel und die Israelis unterstützt, aber in Wirklichkeit unterstützt es Israelis, die an die Fortsetzung der Besatzung glauben."
Yuval Abraham
In einem Gespräch mit der Zeitung Middle East Eye sagten Abraham und Adra, dass es schwierig gewesen sei, mit den Reaktionen auf ihren Film umzugehen. "Ich war von der Reaktion in Deutschland überrascht", sagte Abraham. "Ich denke, Deutschland sagt, dass es Israel und die Israelis unterstützt, aber in Wirklichkeit unterstützt es Israelis, die an die Fortsetzung der Besatzung glauben und in gewisser Weise die Politik ihrer Regierungen widerspiegeln."
Abraham sagte, dass Deutschlands gewalttätiges Vorgehen gegen pro-palästinensische Juden und Israelis wie ihn, die ein Ende des andauernden Krieges in Gaza sehen wollen, das Leben zunehmend erschwere.
"Diese vereinfachte Sichtweise dessen, was es bedeutet, Israelis oder Juden zu unterstützen ... diplomatisch, finanziell, um das fortzusetzen, was wir in dem Film zeigen, nämlich weiter daran zu arbeiten, einen palästinensischen Staat zu verhindern", sagte er. "Ich glaube, dass sie nicht nur gegen Palästinenser, sondern auch gegen Israelis vorgehen. Denn ich sehe die beiden Völker als miteinander verbunden. Und ich glaube, dass Sicherheit immer ein gemeinsames Unterfangen sein wird."
"Eine Geschichte über Macht"
Die Kontroverse um den Film hat jedoch nur das Interesse an den Themen des Films – Apartheid, Besetzung, Gewalt von Armee und Siedlerkolonisatoren – erhöht.
Seit Jahrzehnten versuchen die israelischen Behörden, die rund 1.000 palästinensischen Einwohner von Masafer Yatta zu vertreiben, um eine militärische "Schießzone" oder ein Übungsgelände für israelische Streitkräfte zu schaffen.
Ihr Zuhause liegt im Gebiet C des Westjordanlands, das weiterhin unter der vollen Autorität Israels steht und mit jüdischen Siedlungen übersät ist, die nach internationalem Recht illegal sind und deren Bewohner die palästinensische Bevölkerung regelmäßig schikaniert, ihre Häuser und Fahrzeuge zerstört und auf sie schießt – mit dem Ziel, sie zu vertreiben.
Nach der Kontroverse in Deutschland organisierte Adra eine große Vorführung des Films in seinem Heimatdorf.
"Sie wollten ihn nach all den Nachrichten unbedingt sehen, wegen der Ereignisse auf der Berlinale und der Angriffe auf mich und Yuval durch die israelischen Medien und andere Medien in Deutschland", sagte er.
"Im März haben wir eine große Vorführung in der Gemeinde und auf dem Schulhof organisiert – Hunderte nahmen daran teil, darunter auch Journalisten, Solidaritätsaktivisten und viele Menschen aus der Gemeinde."
Abgesehen davon, dass sie ihren Kampf auf der Leinwand sahen, sagte Adra, dass die Erfahrung für viele der älteren Bewohner sehr nostalgisch war, da sie altes Filmmaterial aus den 90er Jahren sahen.
Ein besonders denkwürdiger Moment war der Besuch des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair im Jahr 2009 in seiner Eigenschaft als Nahost-Sondergesandter. Sein Besuch, der von Adras skeptisch dreinblickendem Vater beobachtet wurde, sicherte einem der Dörfer in Masafer Yatta einen Aufschub der Zerstörung.
Adra bemerkt in seinem Kommentar nach dem Besuch: "Dies ist eine Geschichte über Macht".
"Heute sind wir enttäuscht", sagte er jetzt.
Die Bilder des Gemetzels in Gaza sind weltweit zu sehen, wobei auch im besetzten Westjordanland die Angriffe von Siedlern ebenfalls zugenommen haben und die Angriffe des israelischen Militärs – einschließlich Luftangriffe – eskaliert sind und Hunderte Tote hinterlassen haben.
"Aber Regierungen wie die des Vereinigten Königreichs und der USA sowie Deutschlands verteidigen Israel immer noch, unterstützen es und stehen hinter ihm", sagte Adra. "Sie sind mitschuldig an der Besatzung, der Apartheid und dem Völkermord in Gaza."
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"Glaube" an das Filmemachen
Der Kampf um den Schutz ihrer Häuser ist für die Bewohner kräftezehrend und kostspielig, sowohl finanziell als auch physisch.
Eine zentrale Figur im Film ist Harun Abu Aran. Bei der Auseinandersetzung um einen Stromgenerator, den die Besatzungstruppen beschlagnahmen wollten, schoss ein israelischer Soldat aus nächster Nähe auf Harun Abu Aran. Durch den Schuss wurde dieser vom Hals an abwärts gelähmt.
Seine Mutter versucht, sich um ihn zu kümmern und Besuche interesierter ausländischer Journalisten aus einer Höhle heraus zu organisieren – sie wurden aus ihrem Haus vertrieben und fanden Unterschlupf in einer Höhle -, und beklagt die schlechten Bedingungen, unter denen sie ihn pflegen muss.
Am Ende des Films ist Abu Aran an seinen Verletzungen gestorben.
"Seit meiner Jugend trug ich die Kamera mit mir herum, um die Beweise zu filmen und sie zu zeigen und zu veröffentlichen", sagte Adra gegenüber MEE.
Er sagte, er habe an dem Glauben festgehalten, dass, solange er weiter Aufnahmen mache und Beweise für die Welt produziere, dass schließlich jemand etwas unternehmen würde, dass die USA dann Druck auf Israel ausüben würden.
Kurz nach Abschluss der Dreharbeiten ereignete sich am 7. Oktober der Angriff der Hamas im Süden Israels.
"Den Israelis ist internationaler Druck und internationales Recht egal, weil die USA sie leider unterstützen."
Basel Adra
Als Reaktion darauf startete Israel einen verheerenden Angriff auf den Gazastreifen, bei dem mehr als 44.000 Menschen getötet, nahezu die gesamte Bevölkerung vertrieben und die Enklave in Hunger, Zerstörung und Verzweiflung gestürzt wurde.
"Und seit einem Jahr beobachten wir über unsere Telefone einen Völkermord in Echtzeit, mit all den Videos, die aus Gaza und dem Westjordanland kommen ... die Fakten vor Ort werden immer schlimmer", sagte Adra.
"Aber den Israelis ist internationaler Druck und internationales Recht egal, weil die USA sie leider unterstützen."
Auch für Abraham wird das Leben nicht einfacher – als einer der immer weniger werdenden Israelis, die die Rechte der Palästinenser unterstützen, ist er bestürzt darüber, dass das Land von ultranationalistischer und expansionistischer Begeisterung überschwemmt wird, bei der keine noch so große Zahl palästinensischer Todesopfer Mitgefühl zu erregen scheint.
"Es gibt eine israelische Linke – aber die ist heute politisch nicht wirklich präsent und sie ist sehr klein und wird von der Regierung immer mehr verfolgt. Der Raum für Kritik ist seit dem 7. Oktober stark geschrumpft", erklärte Abraham.
Die kürzlich vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) erlassenen Haftbefehle gegen Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wurden in Israel nicht nur von politischen Verbündeten, sondern auch von Oppositionsführern scharf verurteilt. Selbst Yair Golan, Vorsitzender der Demokraten (ein Zusammenschluss der Arbeitspartei und der Mitte-Links-Partei Meretz), bezeichnete sie als "beschämend".
"Ich denke, dass die Menschen, vor allem in den westlichen Ländern, an der Hoffnung festhalten wollen, dass alles besser wird und es eine politische Lösung, eine Zweistaatenlösung oder was auch immer geben wird, wenn nur Netanjahu ersetzt wird", sagte Abraham.
"Die israelischen Parteien sind nicht bereit, auch nur die grundlegendste Kritik an der israelischen Armee zu äußern, obwohl das höchste Gericht der Welt ihre Militäroperationen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anprangert."
Ein Akt des Widerstands
Masafer Yatta wehrt sich weiterhin gegen die Versuche Israels, es auszulöschen. "Es ist unser Land ... deshalb leiden wir dafür", so einer der Bewohner im Film.
Abraham und Adras Film zeigt Palästina am Vorabend der wohl größten Krise für die Palästinenser seit 1967.
Im vergangenen Jahr kam es im Westjordanland zu einer Explosion der Gewalt durch zionistische Siedler, und Masafer Yatta ist keine Ausnahme.
Und da der Spielraum für palästinensischen Widerstand in Israel, den besetzten Gebieten und – scheinbar – in weiten Teilen der übrigen Welt immer kleiner wird, kämpft No Other Land einen harten Kampf.
"Für uns ist der Film ein Akt des Widerstands und wir wollten ihn so schnell wie möglich zeigen, nachdem er fertig war", sagte Adra.
NO OTHER LAND Trailer German Deutsch (2024)
https://youtu.be/5yJFc9nc1mU oder https://www.kino.de/film/no-other-land-2024/