06.01.2025: Im neu erschienenen isw-report 140 untersucht Fred Schmid den Militär-Industrie-Komplex (MIK) hinsichtlich seiner Wirkungen auf die Politik Deutschlands. Die drei MIK-Säulen – Waffenindustrie, militärische Komponente und politische und personelle Lobby – werden näher betrachtet und analysiert.
Die globalen Kriege und Krisen treiben die Umsätze der 100 weltgrößten Rüstungskonzerne in die Höhe. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI in seinem aktualisierten Bericht zu den Umsätzen der 100 größten globalen Rüstungsunternehmen schreibt, haben deren Einnahmen im Jahr 2023 um 4,2 Prozent (+ 35 Milliarden Dollar) auf 632 Milliarden Dollar (fast 600 Milliarden Euro) zugenommen.
An der Spitze stehen wieder US-amerikanische Waffenproduzenten. Platz 1 bis 5 im Ranking sind von US-Firmen belegt. Diese fünf generieren 31 Prozent (198 Milliarden Dollar) der Waffenverkäufe der Top 100. Weitere 36 der Top 100-Rüstungsfirmen haben ebenfalls ihren Sitz in den USA, insgesamt also 41, auf die 50,3% der weltweiten Top-100-Rüstungsumsätze entfallen: 317 Milliarden Dollar.
Die Waffenproduktion der G7-Staaten macht dabei 72% der weltweiten Produktion aus. Selbst die europäische NATO (einschließlich Türkei) toppt mit 21,8 Prozent noch den zusammengefassten Wert von Russland und China, deren Rüstungsunternehmen mit 20,0 Prozent an der weltweiten Rüstungsproduktion beteiligt sind.
Die vier deutschen Konzerne unter den Top-100 steigerten ihre Waffenverkäufe um 7,5 Prozent auf 10,7 Milliarden Dollar.
Rheinmetall, der größte deutsche Rüstungskonzern, "verbesserte" sich um drei Positionen nach vorne: von Platz 29 auf 26. Zehn Prozent Umsatzwachstum. Den größten Sprung in der Skala machte Diehl mit seinen Luftabwehrsystemen: von Platz 98 auf 83. ThyssenKrupp ging dagegen von 64 auf 66 zurück; auch Hensoldt verlor an Boden: Platz 73 gegenüber 71.
Bei der deutschen Rüstungsindustrie muss man auch die Transeuropäischen Konzerne mit deutscher Beteiligung berücksichtigen. Es sind dies Airbus Defence (Luftrüstung) (von Platz 14 auf 12), MBDA (Lenkwaffen/Raketen) (von 33 auf 30) und KNDS (Panzer) (46 auf 45).
Die deutschen Firmen unter den Top-100 werden auch 2024 im Ranking nach oben gehen; ihre Auftragsbücher sind prallvoll. Allen voran der Kanonen-, Granaten- und Panzer-Konzern Rheinmetall: Er wird in diesem Jahr seinen Umsatz wahrscheinlich auf zehn bis elf Milliarden Euro verdoppeln und sich dann unter die 20 umsatzstärksten Rüstungskonzerne der Welt einreihen.
Die Rheinmetall-Aktionäre – zuvorderst angelsächsische Vermögensverwalter und andere Finanzfonds – setzen auf verstärkte europäische Rüstung, die Präsident Trump den Europäern abverlangen wird. Die Rheinmetall-Aktie hat nach den US-Wahlen einen mächtigen Satz nach oben gemacht: sie stieg von 495 Punkten (6.11.2024) auf 658 am 5. Dezember. Ein Kursgewinn von fast einem Drittel (32,9%) binnen eines Monats.
"Hauptvorteil für Investments in Rüstungsaktien", so das Börsenblatt finanz-trends "sei die Stabilität der Branche" aufgrund des staatlichen Auftraggebers. "Hinzu kommt, dass es sich um eine vergleichsweise stark wachsende Branche handelt. Angesichts der zahlreichen Krisenherde in aller Welt haben Rüstungsindustrie-Aktien hervorragende Renditeperspektiven".[1]
"Der Umfang und das Tempo des Hochfahrens der Rüstungskapazitäten – insbesondere bei der Munitionsproduktion – haben den Charakter einer unmittelbaren Kriegsvorbereitung."
Fred Schmid im isw-report "Die Zeitenwende und der Milität-Industrie-Komplex"
Passend zu diesen aktuellen Zahlen ist jüngst eine Untersuchung des Münchener "Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung" (is) erschienen, in dem der Ökonom Fred Schmid den Militär-Industrie-Komplex (MIK) hinsichtlich seiner Wirkungen auf die Politik Deutschlands untersucht. Die drei MIK-Säulen – Waffenindustrie, militärische Komponente und politische und personelle Lobby – werden näher betrachtet und analysiert. Mit der NATO-2%-Marke, dem Ukrainekrieg und der damit postulierten "Zeitenwende" gewinnt der Militär-Industrie-Komplex nach Ansicht des Autors (neben den USA) zunehmend auch in großen europäischen NATO-Ländern an Einfluss.
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Schmid definiert den MIK als ein "politisch-ökonomisches Machtkonglomerat, das danach strebt, alle Lebensbereiche im Inneren zu durchdringen, die Rüstungsproduktion zu steigern und die Außenpolitik zu militarisieren." Besonders aufschlussreich ist dabei Kapitel vier der Broschüre, das sich der rüstungsökonomischen Basis des MIK widmet und die Konzentrationsprozesse des Rüstungskapitals auf nationaler und internationaler Ebene sowie den Einfluss weltweit agierender Finanzinvestoren beleuchtet.
In diesem Zusammenhang ordnet er - vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges - die forcierte "staatliche Rüstungs-Planwirtschaft" und die EU-Kriegswirtschaft ein.
Nüchtern stellt der Autor fest: "Der Umfang und das Tempo des Hochfahrens der Rüstungskapazitäten – insbesondere bei der Munitionsproduktion – haben den Charakter einer unmittelbaren Kriegsvorbereitung."
In diese wenig erfreuliche Feststellung passt auch folgende aktuelle Meldung: Auch nach dem Ampel-Aus ist die Zukunft milliardenschwerer Rüstungsprojekte gesichert – mit Hilfe von Union und FDP. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat am 18.11.2014 grünes Licht für insgesamt 38 sogenannte 25- Millionen-Vorlagen für Rüstungsprojekte in Höhe von insgesamt rund 21 Milliarden Euro gegeben. Bewilligt wurden Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Kampfjets, Fregatten und die Modernisierung der Taurus-Marschflugkörper. Der größte Posten sind die vier U-Booten der modernen Klasse "U212 CD" für die Bundesmarine. Sie sollen bei der Kieler Rüstungswerft Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) in Auftrag gegeben werden.
Alle Vorlagen wurden mit den Stimmen der SPD, der Grünen, der Union und der FDP bestätigt. Offensichtlich wollte sich bei den Weihnachtsgeschenken für die Rüstungskonzerne niemand vorwerfen lassen, kriegsuntüchtig in den Wahlkampf zu gehen.
Ist diese "Zeitenwende" unumkehrbar?
Abschließend zündet Fred Schmid doch eine kleine Hoffnungskerze an: "Dass es nicht zur militaristischen 'Wende‘ in den Köpfen kommt, ist Aufgabe und Chance der Friedensbewegung. Es sollte ihr darum gehen, dafür zu kämpfen, dass die Verpanzerung der Gehirne nicht erfolgt, dass die Akzeptanz der geplanten Militarisierung und Uniformierung aller Lebensbereiche verweigert wird"
Eine wichtige Rolle kommt dabei der Gewerkschaftsbewegung zu, die ihrem Selbstverständnis nach die "größte Friedensbewegung" des Landes ist. Doch insbesondere die IG Metall sendet mitunter irritierende Signale aus.
So meldete Ende Oktober das zumeist gut informierte "Handelsblatt", dass eine Großfusion in der Marineindustrie offensichtlich kurz vor dem Abschluss stehe. Demnach habe sowohl Rheinmetall als auch die Bremer Naval Vessels Lürssen (NVL) an einer Übernahme von Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) in Kiel "Interesse gezeigt". Die Bundesregierung wolle über die staatliche KfW-Förderbank nun eine 25prozentige Beteiligung an TKMS erwerben. Dafür wirbt seit langem auch die IG Metall. Damit würden sich "endlich gute Zukunftsperspektiven" für das derzeit "stockende" "Fregattenprojekt F 126" auftun, so Stephanie Schmoliner, IG-Metall-Geschäftsführerin für Kiel und Neumünster. Die F 126 ist laut Bundeswehr "für den weltweiten Einsatz zur dreidimensionalen Seekriegführung befähigt" und soll ihr größtes Kampfschiff werden. Ist einer Gewerkschafterin so sehr an dessen Fertigstellung gelegen, dann muss wohl auch sie in der "Zeitenwende" angekommen sein.
txt: Günther Stamer
isw-report 140, November 2024, 32 Seiten
3,50 Euro zzgl. Versand
Bestellung: https://isw-muenchen.de/broschueren/reports/220-report-140
Anmerkungen
[1] Fred Schmid, isw 12.12.2024 https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5337-kriege-befeuern
- Rheinmetall: "Krieg und Leichen – die Hoffnung der Reichen", 8. März 2023
- Der MIK und die "Zeitenwende" ++ Wer ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann, 15. Februar 2023