Literatur und Kunst

Günther Stamer bespricht zwei Bücher, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

 

 

Die Friedensbewegung hatte am 3. Oktober zum Protest gegen Aufrüstung und Militarisierung nach Berlin und Stuttgart aufgerufen. Unter dem Motto "Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden!" wurde für ein Ende des Hochrüstungskurses der EU, für eine neue Entspannungspolitik in Europa, gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland und gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht demonstriert. Auch wurde die Mitschuld der deutschen Regierungspolitik am israelischen Völkermord in Gaza verurteilt.

Insgesamt beteiligten sich nach Veranstalterangaben etwa 35.000 Menschen an beiden Protesten.
Die Redner:innen äußerten zudem ihre Befürchtung, dass die immensen Kosten für die Aufrüstung dieses Landes zwangsläufig noch unsozialer machen werden wird.

Aufgabe einer hoffentlich wieder einflussreicher werdenden Friedensbewegung wird sein, Alternativen zu Krieg und Hochrüstung aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund möchte ich auf zwei Neuerscheinungen hinweisen, die vor allem den vor sich gehenden "sicherheitspolitischen Kulturwandel" in Deutschland zum Gegenstand haben. Dabei könnten die Analysen und Schlussfolgerungen der beiden Bücher unterschiedlicher nicht sein.

Krieg und Frieden in einer multipolaren Welt

Buch Weltordnung im UmbruchDer Band "Weltordnung im Umbruch" analysiert die aktuelle geopolitische Dynamik und die Rolle der wichtigsten Akteure (USA, China, BRICS+-Staaten, EU, der Globale Süden) um schließlich die Grundzüge einer Friedenspolitik "auf der Höhe unserer Zeit" zu umreißen. Dabei werden auch jene Kontroversen thematisiert, die in der Friedens­bewegung angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aufgebrochen sind.

Verfasser des Buches sind Peter Wahl, Publizist und Mitbegründer von Attac Deutschland; Erhard Crome, Geschäftsführender Direktor des WeltTrends-Instituts für Internationale Politik; Frank Deppe, em. Professor für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg und Michael Brie, Sozialphilosoph, bis 2023 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der ­Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage, was unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen eine wirkmächtige Friedensbewegung leisten müsste. Die Verfasser konstatieren, dass der Bedarf an Verständigung über das Neue wie über das Bewahrenswerte in der gegenwärtigen Zeit besonders groß ist. Viel Wissen, das in früheren Phasen der Friedensbewegung Allgemeingut war, ist verlorengegangen. Für die jüngere Generationen ist der Krieg historisch und geographisch weit weg. Für heute Zwanzigjährige liegt der Zweite Weltkrieg so weit zurück, wie für Achtundsechziger der deutsch-französische Krieg 1870/71.

Im folgenden setzen sich die Autoren mit den herrschenden Narrativen der Zeitenwende - Politikern und Militärs auseinander: Abschreckung durch Aufrüstung und "Kriegstüchtigkeit, das "Kohlhaas-Syndrom, die Produktion von Feindbildern.

"Abschreckung" durch Aufrüstung und das "Kohlhaas-Syndrom"

Die Beschwörungsformel, die Sicherung des Friedens in Europa sei nur durch deutsche und EU-europäische Aufrüstung zu gewährleisten, wird seit Ausrufung von Olaf Scholzens "Zeitenwende" wie eine Dauer-Werbe-Schleife im Politikbetrieb und in den Medien gesendet.

Übersehen wird dabei allerdings, dass "die Gegenseite" ebenso dem Abschreckungs-Narrativ anhängt. Daraus entwickelt sich dann eine Spirale aus Aufrüstung, Konfrontation und Eskalation. "Beide Seiten häufen explosives Material an, so dass der sprichwörtliche Funke genügt, um es explodieren zu lassen. Funke kann ein Softwarefehler sein oder ein Attentat – 1914 wurde in Sarajevo ein Thronfolger erschossen und damit die Eskalation zum Ersten Weltkrieg ausgelöst."

Aktuell: Die jetzigen Zwischenfälle in den Lufträumen von Nato-Staaten und die angeblichen russischen Spionage-Drohnen über "kritischer Infrastruktur" bergen die Gefahr einer unmittelbaren militärischen Konfrontation von Truppen aus Nato-Staaten und Russland in sich.

Im Zusammenhang mit internationalen Konflikten, an denen Nuklearmächte beteiligt sind, kommt als eine weitere, menschheitsgeschichtlich völlig neue Dimension hinzu: Wenn eine Eskalationsdynamik außer Kontrolle gerät, kann es zu einem Atomkrieg mit unabsehbaren Folgen führen.

All jene, die meinen, einen Krieg um jeden Preis bis zum Sieg weiterführen zu müssen, weil Angriff nicht belohnt werden dürfe, denken wie Michael Kohlhaas, schreiben die Autoren. Sie vergleichen diese Politiker:innen mit dem Pferdehändler aus Kleists Novelle, der nach dem Motto handelt: "Es werde Gerechtigkeit, auch wenn die ganze Welt untergeht!"

Schließlich verlangen auch UN-Charta und Völkerrecht nicht nur, Kriege zu vermeiden, sondern, wenn es doch zum Krieg gekommen ist, alles zu tun, ihn zu beenden. Bereits die erste Ukraine-Resolution der UN-Vollversammlung vom März 2022, in der 143 Staaten den russischen Einmarsch verurteilen, verlangt die "friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel".

Buch Weltordnung im UmbruchPeter Wahl / Erhard Crome / Frank Deppe / Michael Brie
Weltordnung im Umbruch. Krieg und Frieden in einer multipolaren Welt
PapyRossa Verlag, Köln 2025, 171 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-89438-842-3
bestellen: https://shop.papyrossa.de/Brie/Crome/Deppe/Wahl-Weltordnung-im-Umbruch

 

 

Feindbilder für Kriegstüchtigkeit

Eine besondere Rolle bei der ideologischen Vorbereitung und Führung von Kriegen nehmen Feindbilder ein. Feindbilder können sehr lange und nachhaltig das kollektive Bewusstsein einer Bevölkerung prägen. Ein lang gepflegtes Beispiel ist die "deutsch-französische Erbfeindschaft", die während anderthalb Jahrhunderten ein Treiber in drei Kriegen war, darunter die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts.

Heute ist das Feindbild Putin/Russland. Dabei hat das Feindbild Russland eine lange Tradition. Schon im Ersten Weltkrieg spielte die Russland-Karte eine entscheidende Rolle, um die damals noch linke SPD zur Bewilligung der Kriegskredite zu bewegen. Es folgte der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und der Herrenmenschenideologie vom "slawischen Untermenschen". Im Kalten Krieg setzte sich diese Tradition in der Bundesrepublik in Teilen ungebrochen fort. Nach einer kurzzeitigen Abschwächung während der Gorbatschow-Begeisterung in den 1980/90er Jahren setzten parallel zur NATO-Osterweiterung die alten Reflexe wieder ein. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine bekannte zum Beispiel Johann Wadephul zwei Monate vor seiner Ernennung zum Außenminister: Russland werde "immer ein Feind und eine Gefahr für unsere europäische Sicherheit sein". (Spiegel, 5.2.2025)

Die Autoren heben abschließend hervor: "Natürlich bedeutet eine Kritik an Feindbildern nicht, dass daraus eine Identifikation mit Russland folgen würde, wie sie zu Zeiten der Sowjetunion bei vielen Linken anzutreffen war, als das Land als ‚Vaterland der Werktätigen‘ und als mehr oder minder progressive Alternative zum Kapitalismus angesehen wurde. Das Russland von heute ist ein kapitalistisches Land, und sein politisches System trägt autokratische Züge."

Die Friedensdividende ist aufgebraucht und der Pazifismus gescheitert

Buch Die ZeitenwendeZu diesem Urteil kommen die Autoren des von Dr. Michael Bartscher (Brigadegeneral a.D.), Dr. Michael Rohschürmann (Fregattenkapitän d.R.) und dem Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK), Dr. Stefan Hansen (Fregattenkapitän d.R.), herausgegebenen Buches " Die Zeitenwende – sicherheitspolitischer Kulturwandel in der Bundesrepublik Deutschland?".

Der Band vereint – so die Verlagsankündigung - "Entscheidungsträger sowie Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen, um die dramatisch veränderte sicherheitspolitische Lage aufzuzeigen und sodann die Beziehung der deutschen Gesellschaft zu ihren Streitkräften sowie die Auswirkungen der Zeitenwende auf die Bundeswehr als Ganzes, aber auch auf den einzelnen Soldaten zu untersuchen."

Klingt diese Ankündigung noch verhältnismäßig ergebnisoffen, so wird dem Lesenden – selbst bei flüchtigem Reinlesen in die verschiedenen Artikel – schnell klar, dass das ISPK in diesem mit "Lehrbuch" betitelten Werk ausnahmslos bellizistische Hardliner aufgeboten hat.

bellizistische Hardliner

Alle Beiträge dieses Bandes (beispielhaft hier einige Titel: Neue Wehrhaftigkeit in einer postheroischen Gesellschaft / Zeitenwende, Zivilgesellschaft und die Rolle der Kirchen / Verteidigung in einer wehrhaften Demokratie als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe / Digitale Schlachtfelder: Informationskrieg bei Social Media / Militärpsychiatrie in der Zeitenwende) kommen zu ein und demselben Ergebnis:

Russlands Krieg gegen die Ukraine habe Deutschland seit 2022 zu einer grundlegenden Neuausrichtung seiner Verteidigungspolitik gezwungen. Im Kern gehe es jetzt darum, dass die Bundeswehr endlich wieder kriegstüchtig und -fähig werden müsse.

Begleitet werden müsse dieser militärpolitische Kurswechsel mit einem gesellschaftlichen Mentalitätswandel hin zu mehr Wehrhaftigkeit, "um Freiheit und Demokratie gegen eine Allianz der Autokratien zu verteidigen. Die Autokratien und Terrorstaaten wie China, Russland, Iran und Nordkorea würden versuchen mit konventionell-militärischen Mitteln und mit hybrider Kriegsführung eine 'multipolare Ordnung' zu etablieren. Damit solle die internationale regelbasierte Ordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, abgeschafft und ersetzt werden."

Der Autor schließt mit der Feststellung: "Eine Koexistenz in diesem 'Systemkrieg‘ von multipolarer Ordnung und internationaler regelbasierter Ordnung ist auf Dauer nicht möglich."

Liest sich diese Aussage nicht wie eine Bestätigung des in den Abgrund führenden Narrativs: "Es werde (westliche) Gerechtigkeit, auch wenn die Welt untergeht"?

Kriegerhabitus und Kriegstüchtigkeit

Dieser Beitrag des Bandes beschäftigt sich vor dem Hintergrund der Zeitenwende und dem von Bundesminister Pistorius verkündeten Ziel der "Kriegstauglichkeit" und der "Herausforderung, die Kampfbereitschaft der Soldaten dauerhaft zu erhalten." Der Beitrag stellt dazu die These auf, dass sich in den Kampftruppen "ein Kriegerhabitus" als Speicher von persönlichen Einstellungen herausbilden müsse, welche der Kampfbereitschaft als solcher einen hohen Wert beimisst. Dadurch erhalten die militärischen Werte wie Tapferkeit und Opferbereitschaft ihren Sinn.

Ausgehend von der doppelten Realität, in der Soldaten zwischen zivilem Alltag und der Extremsituation des Krieges agieren, betonen die Autor:innen die Bedeutung von Traditionen, Gruppenkohäsion und Ritualen. Dabei werden psychologische und biochemische Grundlagen des menschlichen Verhaltens im Krieg beleuchtet, ebenso wie die Herausforderungen einer wertegeleiteten militärischen Kultur.

Für Lesende, die von einer wertegeleiteten friedenspolitischen Kultur geprägt sind, ist das alles schwere Kost und ich fühlte mich beim Lesen an das Grimmsche "Märchen von einem, der auszog das Fürchten (Gruseln) zu lernen" erinnert.

Abschließend widmet sich der Band dem Bündnis 90/Die Grünen und dessen Veränderungen in der Haltung zur deutschen Militärpolitik. Die Jugoslawienkriege, der Afghanistan-Einsatz, der Irakkrieg und eine daran anschließende "sehr ernsthafte Befassung mit einem realistischen Verhältnis von Friedenswunsch und Kriegsrealität" – nicht zuletzt aufgrund der bündnisgrünen Regierungsbeteiligungen – hätten bei der Partei zum "sicherheitspolitischen Kulturwandel" geführt. "Die heutige Sicherheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen ist deshalb kein Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine konsequente Fortsetzung einer jahrzehntelangen gegenseitigen Annäherung," heißt es abschließend – und für die Verfasser:innen zufriedenstellend.

Buch Die ZeitenwendeMichael Bartscher, Stefan Hansen, Michael Rohschürmann (Hg).
Die Zeitenwende – sicherheitspolitischer Kulturwandel in der Bundesrepublik Deutschland?Implikationen einer ,Normalisierung' auf Gesellschaft und Bundeswehr
ISBN: 978-3-658-48043-1

Springer Gabler, Wiesbaden 2025, 432 Seiten, 79,99 Euro (eBook 62,99 Euro)


 Mein Fazit: Zwei Bücher zu einem gleichen Themenkomplex, die in Analyse und Schlussfolgerungen ein absolutes Kontrastprogramm darstellen.

Während das anfangs vorgestellte Buch in komprimierter Form die politischen Basics für eine hoffentlich stärker werdende Friedensbewegung liefert – als öffentlich vernehm- und sichtbarer Gegenpart zum derzeit weltweit zu verzeichnenden allseitigen Aufrüstungstaumel.

Dagegen das Buch der Kieler "Sicherheitspolitiker", die die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz, wonach "wir nicht im Krieg aber auch nicht mehr im Frieden" sind, als Grundlage ihrer Überlegungen machen und sich nach Kohlhaas-Manier ideologisch schon mal für einen Krieg in Stellung bringen.

Wer gute Argumente für eine Friedens- und Entspannungspolitik möchte, dem sei vor allem das erstgenannte Buch zu empfehlen. Weitere Anregungen gibt es sicherlich beim

bundesweiten Friedensratschlag in Kassel
am 8. und 9. November 2025
im Philipp-Scheidemann-Haus.

Friedensratschlag
Infos: https://friedensratschlag.de/friedensratschlag-2025/ 

txt: Günther Stamer

Wir werden in unsere Heimat zurückkehren

Palestina Wir werden zurüückkehren

Viva Palästina

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Nach einer längeren Unterbrechung konnten die Genoss:innen der Jugendorganisation der Palästinensischen Volkspartei (PPP) ihre Solidaritätsarbeit in Gaza wieder aufnehmen

Gaza Soliaktion 2024 12 09 5
zum Text hier
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