05.03.2025: CDU/CSU und SPD wollen ein gigantisches Aufrüstungsprogramm auf den Weg bringen. Mit schuldenfinanzierten "Sondervermögen" und Ausnahmen von der Schuldenbremse. In dieser Situation darf Die Linke nicht für die Aufhebung der Schuldenbremse stimmen, meint Ingar Solty.
Die Unterhändler von CDU/CSU und SPD haben sich geeinigt: Alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also alles über 44 Milliarden Euro, sollen von den Beschränkungen der Schuldenbremse ausgenommen werden. Ein Plan zu massiver Aufrüstung. Und zwar dauerhaft und ohne Grenze nach oben. 100 Milliarden? 500 Milliarden? 1.000 Milliarden? "Whatever it takes", sagt Friedrich Merz. Das Geld wird nicht nur in die Bundeswehr, sondern vor allem auch in das ukrainische Militär fließen. Zusätzlich soll ein schuldenfinanziertes "Sondervermögen" von 500 Mrd. Euro für Infrastrukturinvestitionen eingerichtet werden.
Sie wollen das noch mit dem alten Bundestag machen, weil sie da zusammen mit den Grünen eine Zwei-Drittel-Mehrheit haben. Im neuen haben sie die nicht mehr, da wären Union und SPD für eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf AfD oder Linke angewiesen.
Eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse soll dann bis Jahresende in den neuen Bundestag eingebracht werden.
"Deutschland ist dabei, seine Schuldenregeln auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen. Schade, dass sie das Geld nie für grüne Energie, digitale Technologie, Bildung, Gesundheit und Umwelt ausgegeben haben, sondern um Waffen und Bomben zu kaufen, hauptsächlich von Trump, um einen nicht zu gewinnenden Krieg in der Ukraine zu gewinnen."
Yanis Varoufakis, 5.3.2025, https://x.com/yanisvaroufakis/status/1897206117253394801
Die Linke hat die Schuldenbremse immer abgelehnt, weil sie soziale und ökologische Investitionen ermöglichen wollte. Nun wird sie umgarnt, einer Reform zuzustimmen, die ausschließlich der Hochrüstung dient. Und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die ukrainische Regierung den Krieg nur noch durch massivste Zwangsrekrutierungen aufrechterhalten kann und die USA bereits nach einem Weg suchen, den Konflikt einzufrieren.
In dieser Situation muss Die Linke diese Politik blockieren und darf nicht für die (an sich richtige, aber in dieser Situation unverantwortliche) Aufhebung der Schuldenbremse stimmen, meint Ingar Solty.
Hintergrund ist ein am 1. März 2025 vom Parteivorstand der Linkspartei beschlossene Antrag "Ukraine unterstützen – China einbinden – Schuldenbremse abschaffen – UNO statt Trump"[1]
"Die Linke wird einer Aufhebung der Schuldenbremse im Bundestag zustimmen, Taschenspielertricks wie Sondervermögen finden wir falsch."
Beschluss des Parteivorstandes vom 1. März 2025
Während des Wahlkampfs betonten Spitzenpolitikerinnen und -politiker der Linkspartei noch, sie würden keiner weiteren Aufrüstung zustimmen. Doch nun hat der Parteivorstand sich anders positioniert: Statt in dieser historischen Situation die eigene Macht zu nutzen, um eine Politik zu verhindern, die einen verlorenen Krieg auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung fortsetzt, neues Wettrüsten befeuert und dabei Sozialstaat und Demokratie gefährdet, zeigte man sich in einem Positionspapier bereit, für die Abschaffung der Schuldenbremse zu stimmen. Damit aber ermächtigt man die Hochrüstungs- und Kriegspolitik – während man die Regierung in reinster Symbolpolitik darum bittet, das auf Kredit bereitgestellte Geld doch bitte nur für zivile Zwecke einzusetzen.
Schuldenbremse und Aufrüstung werden zum Dilemma für die Linke
Ingar Solty
Linke haben nicht nur Schwierigkeiten, weltwirtschaftliche, geopolitische und sicherheitspolitische Zusammenhänge zu verstehen. Sie haben vor lauter folgenloser "Solidarität mit der Ukraine"-Bekenntnisse darüber hinaus ganz offensichtlich Probleme, Staaten von Menschen zu unterscheiden und den Ukraine-Krieg als Klassenfrage zu begreifen. Aber zum Glück gibt es die bürgerlich-konservative FAZ, die die Sinne für die Klassenperspektive schärft und den Erkenntnisprozess fördert. Ihr Ukraine-Korrespondent schreibt (meine Einordnung und Schlussfolgerung folgt dann am Ende):
Warum Ukrainer ukrainische Soldaten töten
Die Ukraine braucht dringend frische Soldaten und setzt zunehmend auf Zwang. Das kommt im Land nicht gut an. Manche Männer wehren sich mit Gewalt.
FAZ, 3.2.2025
In der Ukraine häufen sich Fälle, in denen sich Männer, die zur Armee einberufen werden sollen, mit Gewalt dagegen wehren. Für Aufsehen sorgt ein Fall in der zentralukrainischen Stadt Poltawa, wo am Samstag ein Mann einen für die Einberufung verantwortlichen Offizier des Gebietswehramtes Poltawa erschossen hat. Einer Erklärung der ukrainischen Armee zufolge griff der Mann an einer Tankstelle eine Gruppe frisch eingezogener Männer an, die sich auf dem Weg zu einem Ausbildungszentrum befanden.
Der Tatverdächtige habe sich mit Sturmhaube und Tarnfleckhose der Gruppe genähert, den Offizier mit einem Jagdgewehr bedroht und aufgefordert, ihm seine Waffe zu übergeben. "Als er sich weigerte, erschoss der Mann den Soldaten", heißt es in der Erklärung. "Der Soldat starb an Ort und Stelle an den Folgen seiner schweren Verletzungen." Danach habe sich der Angreifer das Sturmgewehr des Getöteten gegriffen und sei mit einem der eingezogenen Männer geflohen. Beide Männer seien inzwischen festgenommen, teilte die ukrainische Polizei mit. Die beiden Mitte der achtziger Jahre Geborenen stammen aus dem Gebiet Poltawa. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein.
Die Armee braucht mehr Soldaten
Der Angriff reiht sich ein in eine Folge von Gewalt gegen die Rekrutierungsinfrastruktur der Ukraine. Ebenfalls am Samstag hatte in Riwne im Nordwesten des Landes ein Angreifer einen Sprengsatz in ein Rekrutierungszentrum geworfen, wobei ein Mensch getötet und sechs weitere verletzt wurden. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich am Sonntag in einer Rekrutierungsstelle im ostukrainischen Pawlograd, wobei ein Soldat verletzt wurde.
Der ukrainische Oberbefehlshaber Olexandr Syrskyj verurteilte die Angriffe als "schändliche Gewalttaten" und versicherte zugleich, die Armee tue alles, um Fälle von Menschenrechtsverletzungen bei Mobilmachungsmaßnahmen zu verhindern. Die Bodentruppen versuchten, Probleme in der Arbeit der Einberufungsämter (TZK) zu überwinden, Fehler zu korrigieren und die Qualität der Arbeit der TZK zu verbessern, schrieb Syrskyj am Montag auf Telegram. Die Verteidigung der Ukraine sei jedoch "ohne die landesweite Unterstützung der Armee und den Respekt vor dem Militär unmöglich", mahnte der Oberbefehlshaber.
Die Männer der Rekrutierungseinheiten haben den wohl unbeliebtesten Job im Land. Die Armee ist dringend auf neue Soldaten angewiesen, um Verluste auszugleichen und Personal zur Rotation zu haben, um den seit Beginn des russischen Großangriffs an der Front kämpfenden Soldaten Erholung zu gönnen. Doch die zu Beginn des russischen Überfalls noch hohe Zahl an Freiwilligen ist mit der Dauer des Krieges so stark gesunken, dass die Armee nun zwangsrekrutiert.
Auch Rekrutierer greifen zu Gewalt
Die Mitarbeiter der Einberufungsämter patrouillieren auf den Straßen und fragen Männer nach ihrem Ausweis. Wer mindestens 25 Jahre alt ist und keinen Hinderungsgrund vorweisen kann, wird in der Regel sofort mitgenommen. Dabei müssen die Rekrutierer zum Teil selbst zu Gewalt greifen, was in der Öffentlichkeit nicht verborgen bleibt und oft den Zorn anheizt. Das liegt an korrupten Strukturen, die es Familien mit Vermögen und Beziehungen ermöglichen, ihre Männer vom Wehrdienst "zu befreien". Zudem hat sich herumgesprochen, dass Männer, die von der Straße weg rekrutiert werden, anders als bei freiwilliger Meldung keine Mitsprache mehr über ihre Verwendung haben und sich nach kurzer Grundausbildung oft an vorderster Front wiederfinden.
Der Kommandeur der Landstreitkräfte, Mykhailo Drapatyj, bezeichnete die Angriffe auf Soldaten der TZK als "rote Linie, die nicht überschritten werden" dürfe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte jüngst die Einberufungspraktiken verteidigt. Der schnellste Weg, Soldaten nach Hause zu bringen, bestehe darin, genügend Soldaten zu mobilisieren, um Russland zu zwingen, den Krieg zu beenden, sagte er Ende Januar in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Il Foglio.
Vor einem Jahr hatte die Ukraine nach langer Diskussion das Einberufungsalter von 27 auf 25 Jahre gesenkt. Mehrere Unterstützerländer, vor allem die USA, verlangten eine Senkung auf 18 Jahre, doch das hat Selenskyj bisher vehement ausgeschlossen. Vergangenen Sommer beschloss das ukrainische Parlament auf Antrag von Selenskyjs Partei, das Einberufungsalter nicht weiter zu senken. Seine Regierung sei jedoch dabei, die Armee auch für Männer unter 25 Jahren, die freiwillig dienen wollten, attraktiver zu machen. (Ende FAZ, https://www.faz.net/aktuell/politik/ukraine/warum-ukrainer-rekrutierer-der-armee-toeten-110272998.html)
Letzteres ist eine Form der "ökonomischen Wehrpflicht" für die Arbeiterklasse im Armenhaus Europas: Wer sich für ein Jahr Schützengraben und Töten und Getötetwerden verpflichtet, bekommt zukünftig Geld, das ein durchschnittlicher Arbeiter nur in zehn Jahren erarbeiten kann, plus zinslose Baukredite, kostenloses Studium usw.
Und jetzt ratet mal, wofür die Bundesregierung die Verfassung ändern will, um die Regierung der Ukraine finanziell zu unterstützen!
Und um die gigantische Aufrüstung zu finanzieren, die im Atomzeitalter angesichts der ausgelaufenen Rüstungskontrollverträge und der eskalativen Logik von Hochrüstung die Wahrscheinlichkeit einer Auslöschung Europas nicht geringer, sondern höher machen.
Mittlerweile fordern deutsche Ökonomen in ihrem Wahn und im Anschluss an Pistorius und seinen Wahn ein Sondervermögen von 40% des BIP für Aufrüstung. Das sind - Lukas Scholle vom neuen Surplus-Magazin hat es berechnet - 1.180 Milliarden Euro für Waffen.
Alle, die diese Politik jetzt direkt unterstützen, haben das Blut der ukrainischen und der russischen Arbeiterklasse an ihren Händen. Und sie unterstützen die AfD und anderen europäischen Rechtsextremen, die sich an der Demontage der Sozialstaats durch die Regierung nähren werden.
Alle, die es indirekt unterstützen, weil sie ausgerechnet in dieser historischen Situation ihre Macht nicht nutzen, diese Politik zu blockieren, sondern für die (an sich richtige, aber in dieser Situation unverantwortliche) Aufhebung der Schuldenbremse stimmen und damit die Regierung zu ihrer Politik ermächtigen, während sie die Regierung in reinster Symbolpolitik und folgenlosem virtue signaling bitten, das nun auf Kredit ausgehobene Geld aber doch bitte nur für die zivile Unterstützung der Ukraine auszugeben und nicht für Kriegsfortsetzung und Hochrüstung, machen sich - man muss das laut und deutlich sagen - zu Komplizen. Sie haben offensichtlich nicht verstanden, worum es gerade geht.
Anmerkungen
[1] Beschluss des Parteivorstandes Die Linke vom 1. März 2025: Ukraine unterstützen – China einbinden – Schuldenbremse abschaffen – UNO statt Trump
https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2024-2026/detail-beschluesse-pv/ukraine-unterstuetzen-china-einbinden-schuldenbremse-abschaffen-uno-statt-trump/
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