16.10.2025: Die Islamische Republik Iran: Antiimperialistisch oder repressiv und autoritär? Die Islamische Republik steht heute an einem entscheidenden historischen Punkt. Sie ist von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Krisen ebenso erschüttert wie von äußeren Spannungen und inneren Rissen, meint Mehdi Ebrahimzadeh.
In einer Zeit, in der der Nahe Osten hoffnungsvoll auf einen dauerhaften Waffenstillstand und Frieden blickt, steht der Name Iran durch die Aktivierung des "Snapback"-Mechanismus erneut im Zentrum der Schlagzeilen. Seit über vier Jahrzehnten kreisen die Innen- und Außenpolitik der Islamischen Republik um Spannungen, Widerstand und Krisen. Einerseits präsentiert sich das Regime als Bannerträger des Antiimperialismus und als Verteidiger der Unterdrückten – insbesondere des palästinensischen Volkes –, andererseits ringt es im Innern mit massiver Repression, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen sowie einer tiefen Legitimationskrise.
Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen idealistischer Rhetorik und realer Autorität, ist es, der das Bild der Islamischen Republik zwiespältig und komplex macht.
Von Revolution zu Autoritarismus: Das innere Gesicht der Islamischen Republik
Die Revolution von 1979 begann mit strahlenden, gerechtigkeitsorientierten Parolen. Viele Menschen – auch linke und freiheitsliebende Kräfte in der Region – sahen damals in der iranischen Bewegung einen antiimperialistischen Aufbruch, der als Modell für die Befreiung vom westlichen Einfluss dienen könnte. Doch nur wenige Jahre nach dem Sieg der Revolution entfernte sich das Land rasch von seinen ursprünglichen Idealen. (siehe z.B. kommunisten,de, 15.2.2019: "40 Jahre unvollendete Revolution" oder "Mehdi Ebrahimzadeh: 1975 wurde ich verhaftet. Vier Jahre später war die Revolution")
In den Anfangsjahren stellte sich das neu gegründete Regime mit dem Slogan "Weder Osten noch Westen" als Gegner des Imperialismus dar. Gleichzeitig begann jedoch ein Prozess, der die Grundlagen politischer und sozialer Freiheit zerstörte. Die Besetzung der US-Botschaft und die Geiselnahme amerikanischer Diplomaten galten zwar als antiimperialistischer Akt, dienten jedoch in Wirklichkeit der Konsolidierung der Macht der religiösen Kräfte und der Ausschaltung anderer politischer Strömungen.
In den 1980er Jahren richteten sich die Sicherheits- und Justizapparate der Islamischen Republik schnell gegen linke, nationale, ethnische und religiöse Oppositionelle. Tausende politische Aktivisten wurden verhaftet, gefoltert oder hingerichtet. Der Höhepunkt dieser organisierten Gewalt war der Sommer 1988, als auf direkten Befehl Ayatollah Khomeinis Tausende politische Gefangene in Schnellverfahren zum Tode verurteilt und in Massengräbern verscharrt wurden.
Parallel dazu trieb das Regime eine "Islamisierung" von Bildung und Kultur durch: Universitäten wurden geschlossen, kritische Professoren und Studierende entlassen, und das soziale Verhalten – insbesondere das der Frauen – wurde streng kontrolliert. Der Zwangsschleier, die Geschlechtertrennung, die umfassende Medienzensur und die Diskriminierung religiöser und ethnischer Minderheiten prägten das neue Gesicht der Republik.
So wurde aus dem anfänglichen Versprechen von Gerechtigkeit und Unabhängigkeit ein System, das grundlegende Freiheiten zugunsten des Machterhalts opferte. Der Antiimperialismus wurde zum Vorwand, um innere Repression und politische Abschottung zu legitimieren.
Außenpolitik, "Achse des Widerstands" und ihre hohen Kosten
Auf außenpolitischer Ebene strebte die Islamische Republik von Anfang an den Export ihrer Revolution und den Aufbau eines Netzwerks schiitischer Verbündeter an. Von der Hisbollah im Libanon über die Huthi im Jemen bis zu irakischen Milizen und der Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien – Teheran versuchte, eine "strategische Tiefe" im Nahen Osten zu schaffen, die als Schutzschild gegen die USA und Israel dienen sollte.
Diese Doktrin, bekannt als "Achse des Widerstands", beruht auf der Idee des Kampfes gegen Zionismus und Imperialismus, hat jedoch in der Praxis andere Folgen gehabt.
Der Präsident des Iran, Pezeshkian, vor der Generalversammlung der UN am 24.9.2025: "Der wahnhafte Plan eines 'Großisraels' spiegelt die wahren Ziele des zionistischen Regimes wider, und niemand auf der Welt wird vor den aggressiven Absichten dieses Regimes sicher sein."
Aus Sicht der Regierung ist die Unterstützung dieser Kräfte Teil der revolutionären Identität des Iran; aus Sicht vieler Iraner jedoch geschieht dies auf Kosten von Wohlstand und Sicherheit. Im Land fragen sich viele: Warum sollen Milliarden Dollar in Stellvertreterkriege in Libanon, Syrien oder Jemen fließen, während Armut, Inflation und Arbeitslosigkeit die Bevölkerung heimsuchen?
Der Slogan "Weder Gaza noch Libanon, mein Leben für den Iran" – in den Protesten der letzten Jahre häufig zu hören – war eine klare Antwort auf diese Politik: Die Menschen sind nicht länger bereit, den Preis für die regionalen Ambitionen des Regimes zu zahlen.
Regional führte diese Strategie zur zunehmenden Isolation des Iran. Viele arabische Staaten – von Saudi-Arabien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten – sehen in der Islamischen Republik eine Bedrohung für ihre Stabilität. Diese Angst begünstigte ihre Annäherung an Israel und die sogenannten "Abraham-Abkommen".
Mit anderen Worten: Was ursprünglich der Sicherheit Irans dienen sollte, wurde selbst zu einer Quelle der Instabilität und Bedrohung.
Atomenergie: Legitimes Recht oder nationale Krise?
Das iranische Atomprogramm ist eines der längsten und kostspieligsten Projekte der jüngeren Landesgeschichte. Der Bau des Buschehr-Reaktors begann in den 1970er Jahren und wurde nach der Revolution mit russischer Hilfe fertiggestellt. Doch seit den 2000er Jahren sorgten Irans Urananreicherungsaktivitäten für internationale Besorgnis.
Unter dem Motto "Atomenergie ist unser unveräußerliches Recht" versuchte die Regierung, das Programm zu einem Symbol nationaler Unabhängigkeit zu machen. Vordergründig ging es um technologische Entwicklung und Energieversorgung, tatsächlich aber um die Schaffung einer militärischen Abschreckung. Der Bau der Anlagen in Fordo und Natanz diente genau diesem Ziel.
Der Preis war hoch: jahrelange Wirtschaftssanktionen, internationale Isolation, Kapitalflucht, Währungsverfall und zunehmende Armut. Schätzungen zufolge hat Iran Hunderte Milliarden Dollar in das Atomprogramm investiert, ohne dass dadurch die Energieprobleme des Landes gelöst wurden.
Obwohl Iran über die zweitgrößten Öl- und Gasreserven der Welt verfügt und enorme Potenziale für Solar- und Windenergie besitzt, beharrt das Regime auf der teuren Urananreicherung – aus politischen, nicht ökonomischen Gründen.
Anfang Oktober hat der Iran die Entdeckung eines neuen Gasfeldes mit 10 Billionen Kubikfuß Gas und 200 Millionen Barrel Öl bekannt gegeben.
Das Atomabkommen (JCPOA) von 2015 weckte Hoffnung auf Entspannung, doch der Ausstieg der USA und der Konfrontationskurs beider Seiten beendeten diese. Die erneute Aktivierung des "Snapback"-Mechanismus und die Rückkehr der UN-Sanktionen sind direkte Folgen dieser Sackgasse.
Selbst innerhalb der Regierung gibt es inzwischen unterschiedliche Stimmen: Mehrfach forderten Präsidenten wie Rouhani oder Pezeshkian Verhandlungen, doch die letzte Entscheidung liegt beim Obersten Führer, der Gespräche weiterhin als "Zeichen der Schwäche" betrachtet.
Das populistische Motto vom "unveräußerlichen Recht" hat sich in eine nationale Krise verwandelt, die weder Energie noch Sicherheit brachte – nur ein schwierigeres Leben für Millionen Iraner.
Gesellschaft und Frauen: Von Repression bis zum Aufstand "Frau, Leben, Freiheit"
Seit vier Jahrzehnten versucht die Islamische Republik, die Gesellschaft nach religiös-patriarchalen Maßstäben zu formen – von der Sittenpolizei und der Kontrolle der Frauenkleidung bis zur Internetzensur und kulturellen Einschränkungen.
Doch unter dem Druck dieser Kontrolle ist eine neue Generation herangewachsen, deren Werte in völligem Widerspruch zur Ideologie des Regimes stehen.
Die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit", die im Herbst 2022 nach dem Tod von Mahsa (Jina) Amini aufloderte, symbolisiert diesen historischen Bruch. Sie war weit mehr als ein Protest gegen den Schleierzwang – sie war ein Aufschrei gegen Diskriminierung, Korruption, Armut und Ungerechtigkeit.
Trotz brutaler Repression – Hunderte Tote, Tausende Verhaftungen – ist die Wirkung dieser Bewegung unumkehrbar. Millionen Frauen setzen heute durch zivilen Ungehorsam eine "ungeschriebene" Freiheit durch. Selbst das neue "Sittengesetz" konnte daran nichts ändern. Der soziale Ungehorsam der Frauen ist zu einer unumstößlichen Realität geworden.
Iranische Frauen sind heute nicht nur im öffentlichen Leben präsent, sondern prägen Wissenschaft, Kunst, Sport und Zivilgesellschaft maßgeblich. Erfolge wie der Friedensnobelpreis für Narges Mohammadi oder sportliche Spitzenleistungen zeigen, dass Frauen längst die treibende Kraft des Wandels sind.
Dieser tiefgreifende kulturelle Wandel untergräbt die Machtstrukturen des Regimes von innen. Die Veränderung von Straßenbild, Musik, Sprache und sozialem Verhalten zeugt vom Verfall der offiziellen Ideologie, die längst nicht mehr zur Realität des heutigen Iran passt.
Wirtschaft, Umwelt und die Krise der Belastbarkeit
Neben der politischen Repression gehört der wirtschaftliche und ökologische Zusammenbruch zu den größten Herausforderungen des heutigen Iran.
Jahrzehntelange Misswirtschaft, systemische Korruption, internationale Sanktionen und militärische Ausgaben haben das Land an den Rand des wirtschaftlichen Kollapses gebracht. Eine Inflation von über 50 %, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Abwanderung der Fachkräfte und zunehmende Armut in Stadt und Land sind sichtbare Zeichen der Krise.
Auch die Umweltlage ist katastrophal: Das Austrocknen des Urmia-Sees, des Zayandeh-Rud und anderer Feuchtgebiete, Bodensenkungen in Isfahan und Teheran sowie die Zerstörung von Wäldern und Weiden haben den Iran an den Rand einer ökologischen Katastrophe geführt.
Fehlerhafte Wasserpolitik, der Bau zahlreicher Staudämme, wasserintensive Industrien in Trockengebieten und Korruption bei der Genehmigung solcher Projekte sind Hauptursachen. Die Folgen sind Landflucht, Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft und der Verlust jahrhundertealter Ökosysteme.
Das ausgetrocknete Flussbett des Zayandeh-Rud ist heute ein Symbol für Unfähigkeit und Missmanagement – ein Ort, an dem sich Menschen zu politischen und kulturellen Protesten versammeln, wo einst Feste gefeiert wurden.
Opposition und Zukunftsperspektiven
Trotz zahlreicher Krisen besteht die Islamische Republik weiter. Das Geheimnis ihrer Beständigkeit liegt in mehreren Faktoren: strenge Sicherheitskontrolle, Öleinnahmen, systematische Repression und das Fehlen einer einheitlichen Opposition.
Die Opposition lässt sich grob in zwei Hauptlager unterteilen.
Zum einen die monarchistischen Gruppen und Organisationen wie die Volksmudschahedin, die den Sturz des Regimes um jeden Preis anstreben und auch ausländische Intervention begrüßen. Doch gerade nach den jüngsten Bombardierungen durch Israel und die USA hat diese Haltung an Unterstützung in der Bevölkerung verloren. Die meisten Iraner lehnen zwar das Regime ab, sehen aber Krieg nicht als Weg zur Befreiung.
Auf der anderen Seite steht ein breiteres Spektrum republikanischer, linker, nationalistischer und säkularer Kräfte, die einen friedlichen Übergang zu einer demokratischen Republik anstreben. Diese Strömung stützt sich auf soziale Bewegungen – insbesondere Frauen, Arbeiter, Lehrer und Studierende – und setzt auf inneren Zusammenhalt und internationale Solidarität, nicht auf militärische Intervention.
Ihr Hauptproblem bleibt die organisatorische Zersplitterung. Dennoch haben neue Protestwellen diese Gruppen einander nähergebracht und das Konzept einer "säkular-demokratischen Republik" zu einem zentralen gesellschaftlichen Leitbild gemacht.
Fazit: Zwischen Fortbestand und Wandel
Die Islamische Republik steht heute an einem entscheidenden historischen Punkt. Sie ist von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Krisen ebenso erschüttert wie von äußeren Spannungen und inneren Rissen. Das Regime stützt sich weiterhin auf Repression, hat jedoch seine politische und moralische Legitimität verloren.
Gleichzeitig wächst eine junge, gebildete und global vernetzte Gesellschaft heran, die nicht länger an die alten Parolen von "Antiimperialismus" und "Widerstand" glaubt.
Die entscheidende Frage lautet: Wird die Islamische Republik grundlegende Veränderungen zulassen und den Weg des Dialogs mit der Welt und mit ihrem eigenen Volk öffnen – oder weiter auf Verleugnung und Gewalt setzen?
Die Erfahrung der letzten 45 Jahre zeigt: Repression mag den Fortbestand verlängern, macht Reformen jedoch unmöglich.
Am Ende wird das doppelte Gesicht der Islamischen Republik – Verfechterin der Gerechtigkeit nach außen, Unterdrückerin der Freiheit im Innern – unausweichlich mit einer Gesellschaft konfrontiert werden, die nicht länger bereit ist, alte Lügen zu glauben.
Heute braucht Iran mehr denn je Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit – und eine Regierung, die statt Ideologieexport das Wohl ihrer eigenen Bürger in den Mittelpunkt stellt.