14.02.2023: Ada Colau, die linke Bürgermeisterin von Barcelona, setzt die Beziehungen der Stadt zu Israel und die Städtepartnerschaft mit Tel Aviv aus ++ Sie wirft Israel "jahrzehntelange systematische Verletzungen der Menschenrechte" und die "illegale Besetzung und Besiedelung palästinensischer Gebiete" vor. ++ Verband der jüdischen Gemeinden Spaniens: "raffinierter Antisemitismus" ++ Solidarität mit Ada Colau: "Diese Entscheidung geht über Barcelona hinaus."
Ada Colau, die linke Bürgermeisterin von Barcelona, hat am Mittwoch vergangener Woche (8.2.) in einem Schreiben an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu angekündigt, dass die Stadt die Beziehungen zu Israel und die Städtepartnerschaft mit Tel Aviv so lange aussetzen wird, bis Israel die "systematische Verletzung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes" beendet.
Es handelt sich um eine vorübergehende Aussetzung, von der Colau hofft, dass sie "zum Nachdenken und Handeln anregt".
In ihrem Schreiben an Netanjahu wies Colau darauf hin, dass Amnesty International und andere Organisationen "Praktiken des Staates Israel" verurteilt hätten, "die Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung und gegen die Menschlichkeit" darstellen würden. Sie wirft Israel "jahrzehntelange systematische Verletzungen der Menschenrechte" und die "illegale Besetzung und Besiedelung palästinensischer Gebiete" vor.
"... Das Büro der Bürgermeisterin von Barcelona hat die Beziehungen zu den Institutionen des israelischen Staates vorübergehend ausgesetzt, hält aber die Beziehungen zu den israelischen und palästinensischen Organisationen aufrecht, die sich für den Frieden und gegen die Apartheid einsetzen." |
"Aus all diesen Gründen teile ich Ihnen mit, dass ich beschlossen habe, die Beziehungen zum Staat Israel und zu den offiziellen Institutionen dieses Staates - einschließlich der Partnerschaftsabkommen mit der Stadtverwaltung von Tel Aviv - vorübergehend auszusetzen, bis die israelischen Behörden der systematischen Verletzung der Menschenrechte gegen die palästinensische Bevölkerung ein Ende setzen und die Verpflichtungen, die ihnen durch das Völkerrecht und die verschiedenen Resolutionen der Vereinten Nationen auferlegt werden, vollständig erfüllen. Wir können nicht schweigen", schrieb die Bürgermeisterin.[1]
"Es ist eine Kritik an einer Regierung, nicht an einem Volk, einer Gemeinschaft oder einer Religion."
Ada Colau
Sie merkt in ihrem Schreiben ausdrücklich an, dass die Maßnahme "keinesfalls eine Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung" darstellt. "Es ist eine Kritik an einer Regierung, nicht an einem Volk, einer Gemeinschaft oder einer Religion." Colau betont, dass der Boykott Israels nicht für israelische oder palästinensische Bürger:innen gelte, die sich für den Frieden einsetzen. "Abschließend möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Stadtrat von Barcelona seine Unterstützung und Zusammenarbeit sowohl mit palästinensischen als auch mit israelischen Organisationen, die sich für den Frieden in den besetzten palästinensischen Gebieten einsetzen, verstärken wird", heißt es in dem Brief an den israelischen Ministerpräsidenten.
Der Plan, die seit 1998 bestehende Städtepartnerschaft mit Tel Aviv zu beenden, geht auf eine Initiative der linken Organisation "Coalición Basta Complicidad con Israel" und die "Organisationen für globale Gerechtigkeit", ein Zusammenschluss von mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen, zurück. Unterstützt wurde die Initiative auch von spanischen Gewerkschaften sowie der katalonischen NGO "Observatori DESC".
"Organisationen für globale Gerechtigkeit" hat die Stadtregierung von Barcelona nach den Luftangriffen in Gaza im Mai 2021 (siehe kommunisten.de: "Gaza - Testgebiet für neue Kriegswaffen") aufgefordert, die Städtepartnerschaft mit Tel Aviv zu beenden. Der Verband rief dazu auf, "die Bemühungen sowie die Kontakte mit lokalen Gruppen der Zivilgesellschaft zu verstärken, um die Gewalt zu deeskalieren, die Menschenrechte zu schützen und zu verteidigen und die Besatzung zu beenden".
Stadtrat von Barcelona gespalten
Colaus Schritt kommt wenige Monate vor den Kommunalwahlen im Mai. Ada Colau war bei der zurückliegenden Kommunalwahl die Kandidatin der basisdemokratischen Plattform 'Barcelona en Comú', die auch von Podemos und der Vereinigten Linken Izquierda Unida unterstützt wurde. Die Stadtregierung wird von dieser Linkskoalition und der Sozialistischen Partei PSC gebildet. Die Aussetzung der Städtepartnerschaft mit Tel Aviv spaltet die Stadtregierung in Barcelona. Laia Bonet, dritte Bürgermeisterin und Fraktionsvorsitzende der Sozialistischen Partei im Stadtrat, forderte Colau auf, die Beziehungen zwischen der katalanischen Stadt und Tel Aviv wiederherzustellen.
Die rechten Fraktionen Junts, Ciudadanos und PP fordern eine außerordentliche Ratssitzung auf die Initiative der Bürgermeisterin. In Anbetracht des Kräfteverhältnisses im Stadtrat und in einem Klima, das durch die bevorstehenden Kommunalwahlen noch verschärft wird, werden die Sozialisten - Partner der Comuns in der Stadtregierung - und die Esquerra Republicana über das Schicksal der Maßnahme entscheiden. Die starke Kritik an der Einseitigkeit und dem Inhalt der Verordnung deutet darauf hin, dass das Plenum am 24. Februar die Verordnung ablehnen könnte.
Verband der jüdischen Gemeinden Spaniens: "raffinierter Antisemitismus"
In Reaktion auf die Entscheidung Colaus hat der Bürgermeister von Madrid, José Luis Martínez Almeida von der rechten Partido Popular, dem Bürgermeister von Tel Aviv ein Schreiben zukommen lassen, in dem er eine Partnerschaft mit der Stadt Madrid anbietet. "Ich bin mit dem Abbruch der Beziehungen zum Staat Israel und dem Abbruch der Städtepartnerschaft nicht einverstanden. Das hat einen starken antisemitischen Beigeschmack, denn für die Linke ist der Schuldige immer derselbe: Israel", sagte er.
Für die israelische Regierung ist der Schritt der Bürgermeisterin von Barcelona eine "bedauerliche Entscheidung" die "gegen die Wünsche der Einwohner Barcelonas" gerichtet sei.
Der Verband der jüdischen Gemeinden Spaniens verurteilte die Aussetzung der Beziehungen zu Israel als "raffinierten Antisemitismus".
Doch nicht nur in Spanien wird von der Rechten und der pro-Israel-Lobby der Vorwurf des Antisemitismus ins Feld geführt. Die in Deutschland erscheinende Jüdische Allgemeine schrieb am 10. Februar: "Tatsächlich könnte der durch die Bürgermeisterin beabsichtigte Schritt Antisemitismus im Sinne dessen Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) darstellen. »Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen«, die mit dem Apartheid-Vorwurf wohl geäußert wurde, ist demnach Judenhass." [2]
Nicht überraschend hetzt auch die BILD gegen Colau - "Barcelona paktiert mit Israel-Hassern" - und wirft ihr Antisemitismus vor.[3]
Solidarität mit Ada Colau: "Diese Entscheidung geht über Barcelona hinaus."
Andererseits haben sich vier Nobelpreisträger (darunter Annie Ernaux), Schauspieler wie Viggo Mortensen und Susan Sarandon, aber auch Angela Davis, Arundhati Roy und Naomi Klein sowie die ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Luisa Morgantini für Ada Colau ausgesprochen. Die katalanische Vereinigung der Juden und Palästinenser bezeichnete die Initiative, die auch von der European Jewish for Just Justice unterstützt wird, als "mutig".
Mehr als hundert Intellektuelle, Schauspieler:innen, Musiker:innen, Politiker:innen, Professor:innen und Schriftsteller:innen haben ein Manifest unterzeichnet, um die Entscheidung der Bürgermeisterin Ada Colau zu unterstützen. Zu den Unterzeichner:innen gehören auch Abgeordnete des spanischen Parlaments und Mitglieder des Europäischen Parlaments von Unidas Podemos und Anticapitalistas.
"Barcelona kann auf eine lange Geschichte der Verteidigung der Menschenrechte zurückblicken", heißt es in der Erklärung, in der auch der Einsatz der katalanischen Hauptstadt "für die Achtung der Menschenrechte und den Frieden auf globaler Ebene" hervorgehoben wird. Es wird daran erinnert, dass die Erste Europäische Konferenz der Städte für Menschenrechte 1998 in Barcelona stattfand, um den 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu feiern. Das Manifest erinnert an das "klare Beispiel der Solidarität" Barcelonas während des Krieges in Bosnien und Herzegowina, als "Bürger und Institutionen einstimmig eine Vielzahl von Solidaritäts- und Kooperationsprojekten ins Leben riefen, begleitet von einer klaren Anprangerung der Verbrechen und Rechtsverletzungen, die begangen wurden. ... Erwähnenswert ist der Aufschrei gegen den Krieg, der aus den massiven Mobilisierungen gegen die NATO hervorging, oder Jahre später und in historischem Ausmaß weltweit gegen den Irakkrieg."
Weiter heißt es: "Barcelona wird nun auch in die Geschichte eingehen als die erste große Stadtverwaltung, die sich aus Solidarität mit dem palästinensischen Volk von der Apartheid distanzierte. Dies erinnert uns an die mutigen Stadträte, die in der Vergangenheit Pionierarbeit bei der Aufkündigung der Beziehungen zur Apartheid in Südafrika geleistet haben. Diese Entscheidung geht über Barcelona hinaus."
Und abschließend: "Wir dürfen nicht vergessen, dass die derzeitige israelische Regierung, die rechtsextremste, rassistischste, sexistischste und homophobste in der Geschichte des Landes, mehr denn je zur Rechenschaft gezogen werden muss, um ihre Straffreiheit zu beenden und sie zu zwingen, die Rechte des palästinensischen Volkes zu respektieren."[4]
Anmerkungen
[1] ctxt, 9.2.2023: Carta abierta de la alcaldesa de Barcelona al gobierno de Netanyahu
https://ctxt.es/es/20230201/Firmas/42118/Ada-Colau-Barcelona-Israel-Jerusalen-apartheid-Netanyahu-Palestina.htm
[2] Jüdische Allgemeine, 10.2.2023: "Bürgermeisterin kündigt Aussetzung aller Beziehungen zu Israel an"
https://www.juedische-allgemeine.de/politik/buergermeisterin-kuendigt-aussetzung-aller-beziehungen-zu-israel-an/
[3] Bild, 10.2.2023: "Bürgermeisterin sorgt für Antisemitismus-Skandal | Barcelona paktiert mit Israel-Hassern"
https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/antisemitismus-skandal-barcelona-paktiert-mit-israel-hassern-82852764.bild.html
[4] https://progressive.international/wire/2023-02-09-we-salute-you-barcelona/en
Der Artikel wurde am 15.2. geringfügig ergänzt