28.04.2023: In der Gemeinde Farkha im Westjordanland setzt sich eine junge kommunistische Führung für Feminismus, Nachhaltigkeit und die Betreuung älterer Menschen ein.
Von Fatima AbdulKarim
Foto: Mustafa Hammad, der Bürgermeister von Farkha, auf dem Acker neben seinem Haus
Auf einer leicht ansteigenden Hügelkuppe im Zentrum des besetzten Westjordanlandes, gelegen zwischen Nablus und Ramallah, liegt eine kleine Oase des Feminismus, Kommunismus und partizipativer Basisdemokratie. Das Dorf Farkha, das bis zum Ende des Jahrzehnts völlig selbständig werden will, wurde vor ein paar Jahren als erstes Ökodorf in Palästina anerkannt. Fünf der neun Sitze des Dorfrats werden derzeit von Menschen unter 38 Jahren besetzt, und ähnlich jugendliche autonome Komitees arbeiten in verschiedenen Bereichen daran, das Leben der Bewohner zu verbessern.
Farkha ist das Zuhause einer engmaschigen Gemeinschaft von rund 1.800 Einwohnern; selbst diejenigen, die weggezogen sind, darunter Auswanderer und junge Familien, die in größere Städte gezogen sind, halten eine enge Verbindung zu ihrer Heimatstadt aufrecht. Sie kommen regelmäßig zu Besuch - insbesondere zum jährlichen Farkha International Youth Volunteer Festival, zu dem Teilnehmer aus ganz Palästina und der ganzen Welt kommen.
"Wir wollen die Angelegenheiten nicht im Stil der Stil der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erledigen", sagt Mustafa Hammad, der 31-jährige Bürgermeister von Farkha. Das Bestreben des Dorfes, das zum PA-Gouvernement Salfit gehört, sich selbst zu versorgen, hat seine Wurzeln im Misstrauen der Bewohner gegenüber der ausbeuterischen, neoliberalen Wirtschaftspolitik der PA, von der sie sich unabhängig machen wollen. Zu diesem Zweck produziert Farkha 256 Kilowatt Strom aus Solarenergie, und spart so 35 Prozent der Stromkosten. Das Dorf bezieht fast 35 Prozent seines des Wasserbedarfs aus einer lokalen Quelle. Inzwischen bauen die Bewohner ihre eigenen landwirtschaftliche Produkte an und führen lokale Infrastrukturprojekte mit ihren eigenen Händen durch.
Außerdem führen die Mitglieder des Dorfrats die monatlichen Gehälter, die sie vom Ministerium für lokale Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde erhalten, in einen Fonds für Projekte in der Gemeinde ab. Der Rat erlässt den Einwohnern auch Gebühren, die er für unnötig hält, etwa für die Eintragung von Grundstücken oder für den Erhalt von Gebührenbescheiden.
"Wir versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen, und wir haben das getan, woran wir wirklich für unser Volk geglaubt haben", erklärt Hammad das Engagement der Bewohner für ihr Dorf. "Auf diese Weise unterstützen wir die Standhaftigkeit eines Volkes, das der Gefahr einer ethnischen Säuberung und Auslöschung durch eine brutale Besatzungsmacht ausgesetzt ist."
Foto: Das palästinensische Dorf Farkha im nördlichen Teil des besetzten Westjordanlandes.
Schutz für die Verletzlichen während der Pandemie
Wenn man von Farkha aus auf Tausende von Dunam Olivenhainen im Norden blickt (ein Dunam entspricht 1.000 m², Anm. der Red.), mit den Bergen von Nablus im Hintergrund, ist es kein Wunder, dass die Bewohner gegen den Bau großer neuer Zufahrtsstraßen in das Dorf sind. Stattdessen haben die Landwirte und Grundbesitzer einstimmig beschlossen, von mehreren Grundstücken einige Meter abzuschneiden, um kleine landwirtschaftliche Wege zu bauen, auf denen Esel und Fahrzeuge ein- und ausfahren können, um die Ernte zu erleichtern.
Seit der Einstufung als Ökodorf hat Farkha auch mit der Entwicklung einer eigenen ökologischen Landwirtschaft und Agroforstwirtschaft begonnen, die eine Kombination aus traditionellen Steinterrassen, Wasserrückhalte- und Bewässerungssystemen und sogar eine Biogasanlage für die Lebensmittelzubereitung umfasst. Der Betrieb ist zum Experimentieren und Lernen für Besucher aus Palästina und der ganzen Welt offen.
Foto: Die Altstadt von Farkha
"Das Dorf besteht hauptsächlich aus Arbeitern der Mittelschicht und Angestellten des öffentlichen Sektors - und keinen großen Wirtschaftsmagnaten -, so dass wir in fast allen Bereichen auf unseren persönlichen Einsatz angewiesen sind", erklärt Hammad. "Wir haben es geschafft, unseren eigenen experimentellen Öko-Bauernhof zu bauen, wir kümmern uns selbst um die regelmäßige Wartung unserer Schule, und wir haben das Gebäude für den Sozialclub von Grund auf neu gebaut."
Von den 330 Haushalten des Dorfes haben 234 haben ihre eigenen Gärten. Mehr als die Hälfte davon ist während des COVID-19-Lockdowns entstanden - ein Zeitraum von fast 18 Monaten, in dem junge Menschen im Dorf neue Verantwortung übernahmen.
Während der Pandemie engagierte sich Hammad, der bereits ein etablierter lokaler Aktivist und damals stellvertretender Bürgermeister war, zusammen mit 17 Gleichgesinnten, um die Bedürfnisse der Familien im Dorf zu befriedigen.
Während des Lockdowns zwischen März 2020 und August 2021 erledigte dieses Unterstützungskomitee Besorgungen für ältere Menschen in der Gemeinde, um die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus zu verringern. Die Freiwilligen bezahlten für die Menschen die Strom- und Wasserrechnungen, kauften Medikamente und Lebensmittel und sammelten Gelder aus der Gemeinde und von externen Organisationen, um die Bedürftigsten zu versorgen. Diese Aktivitäten haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass von insgesamt 115 Infektionen nur vier Dorfbewohner an COVID-19 starben.
Durchschlagender Erfolg bei der Kommunalwahl
Bei der Kommunalwahl im Oktober 2021 erzielten diese jungen Freiwilligen einen durchschlagenden Erfolg, ein Beweis für das Ansehen und den Einfluss, den sie sich während des Lockdowns bei ihren Mitbürgern erarbeitet hatten. Mit dem neuen Rat wurde auch ein erweitertes Verwaltungsmodell eingeführt, das noch mehr junge Menschen in verantwortungsvolle Positionen gebracht hat: "Es gibt neun Mitglieder des Dorfrats, aber das Dorf wird im Wesentlichen von 130 aktiven Mitgliedern der Ratsausschüsse geleitet", erklärte Hammad.
Der Bildungsausschuss, zum Beispiel, setzt sich aus dem Elternbeirat der örtlichen Schule, ehemaligen Schulleitern und Erziehern sowie aktuellen Lehrern zusammen. Außerdem gibt es einen Rechtsausschuss der sich aus Juristen und Fachleuten sowie ehemaligen Ratsmitgliedern zusammensetzt, die sich mit den Gesetzen und Vorschriften der PA auskennen. Alle neun Ausschüsse führen ihre Sitzungen unabhängig durch.
"Die Ausschüsse sind dezentralisiert, und ihre Entscheidungen sind für den Rat verbindlich, weil das Vertrauen gegenseitig ist", sagte Hammad. Dieses Vertrauen, erklärte er, wurde während der COVID-19-Periode aufgebaut, als junge Menschen die Führung übernahmen und den Dorfbewohnern zeigten, dass sie in der Lage sind, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Die Träume sind groß
Hammads 62-jährige Mutter, Amneh Rizqallah, kam mit einer abgewetzten Schürze um die Taille aus ihrer Küche. Hammad hatte damit geprahlt, dass das Dorf eine fortschrittliche feministische Sichtweise in Bezug auf die Beteiligung von Frauen hat, und Rizqallah schloss sich dieser Meinung an. "Keines unserer Mädchen in Farkha bricht seine Ausbildung ab", sagte sie selbstbewusst, während sie ein Tablett mit Teetassen und Untertassen abstellte. "Selbst diejenigen, die nicht gut abschneiden, machen eine Berufsausbildung."
Rizqallah erklärte, dass sie und ihre Altersgenossinnen Bildung als eine "Waffe" für junge Frauen betrachten, da sie nicht so viele Beschäftigungsmöglichkeiten haben wie junge Männer. "Farkha ist im Vergleich zu den umliegenden Dörfern in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher, weil unsere Mädchen gut ausgebildet sind", sagte sie. "Wenn sie Familien gründen, haben viele von ihnen bereits eine berufliche Laufbahn, die ihre Familien und ihre Gemeinschaft voranbringen."
Foto: Amneh Rizqallah, die Mutter von Mustafa Hammad, dem Bürgermeister von Farkha
Diesen Geist verkörperte eine Gruppe junger Gymnasiastinnen, die sich auf der Straße versammelt hatte. Eine von ihnen beschrieb das Dorf als "ein sehr ermutigendes Umfeld", in dem man eine Ausbildung erhalten könne. "Ich möchte Agraringenieurwesen studieren, weil ich glaube, dass ich die landwirtschaftlichen Methoden meiner Mutter mit neuen wissenschaftlichen Methoden verbinden kann", sagte eine andere.
Die Mädchen hatten im vergangenen Sommer auch zum ersten Mal am jährlichen internationalen Freiwilligenfestival von Farkha teilgenommen. Die Veranstaltung ist inspiriert von den Freiwilligenfestivals, die in den 1970er und 80er Jahren in Nazareth auf Initiative des kommunistischen Bürgermeisters Tawfiq Ziad nach seinem erdrutschartigen Wahlsieg im Jahr 1975 stattfanden. Jeden Sommer beteiligten sich palästinensische und internationale Teilnehmer einige Tage lang an Reinigungs-, Pflanz- und Sanierungsprojekten für die Infrastruktur - ein Beitrag zur Behebung der Ressourcenknappheit, unter der die Stadt damals litt -, bevor sie abends an politischen, kulturellen und Bildungsveranstaltungen teilnahmen.
Einladung zum Farkha Festival 2023 in Palästina - Kampf gegen Apartheid und für Klimagerechtigkeit Aufruf des Vorbereitungskomitees zur Teilnahme am 28. Farkha-Festival vom 13. bis 20. August 2023 |
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eingefügt von kommunisten.de | ||
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Das Farkha International Volunteering Festival, das vor kurzem sein 27. Jubiläum feierte, bringt in ähnlicher Weise jeden Sommer junge linke Aktivisten aus Palästina und der ganzen Welt für etwa 10 Tage zusammen und stärkt den Einfluss der Kommunistischen Partei (Palästinensische Volkspartei, Anm. der Red.) im Dorf durch die Zusammenarbeit mit internationalen linken Parteien, die jedes Jahr teilnehmen. Im vergangenen Jahr nahmen 60 internationale Freiwillige, vor allem aus Europa, sowie 150 Palästinenser teil, die größtenteils aus Farkha stammten. (mehr dazu hier)
Foto: Die Mädchenschule in Farkha
"Unser Programm wird vollständig von einer Gruppe von etwa 10 jungen Männern und Frauen aus Farkha geplant und überwacht", erklärte er und betonte, dass die Arbeit vollständig ehrenamtlich ist und etwa zwei Monate Vorbereitung erfordert. "Die Mittel werden vor Ort aufgebracht, und um die Logistik, etwa die Verpflegung, kümmern sich unsere eigenen Familien."
"Meine persönliche Geschichte, die Geschichte des Dorfes als Ganzes und die Geschichte der Präsenz der Kommunistischen Partei sind seit den 1950er Jahren miteinander verwoben", erklärte Hammad und betonte, dass die fortschrittlichen Gedanken und Grundsätze der kommunistischen Bewegung die kollektive Einstellung der meisten Dorfbewohner geprägt haben.
Aufbauend auf Farkhas starken, über Jahrzehnte gefestigten linken Prinzipien versuchen Hammad und seine Mitstreiter, die Perspektiven des Dorfes zu verbessern, ohne seinen ländlichen Charakter aufzugeben. Das Hauptaugenmerk liege nun auf der Umsetzung von Projekten wie dem Bau einer neuen Schule, der Schaffung einer unabhängigen Wasserversorgung und dem Ausbau des Zugangs von Farkha zur Solarenergie.
"Die Träume sind groß, aber wir haben einen Achtjahresplan, um ein völlig selbständiges Dorf zu werden, hier, im Herzen Palästinas, trotz allem", sagte er. Für viele außenstehende Beobachter ist Farkha ein Schauplatz, wie eine echte progressive Demokratie im Nahen Osten aussieht.
Der Artikel ist am 10. Jnauar 2023 im Magazin +972 erschienen.
Fatima AbdulKarim ist Journalistin und lebt in Ramallah. Twitter @FatiabdulFatima
eigene Übersetzung