30.12.2015: Entgegen den Hoffnungen hat die Linke in Italien auch 2015 ihre Zersplitterung nicht überwinden können. Mitte Dezember ist eine Sitzung des Runden Tisches der italienischen Linken mit einem Riss zu Ende gegangen. Die Gründung von Sinistra Italiana führt zu neuen Spaltungslinien. Auch der offene Brief von Oskar Lafontaine hat nicht gerade zur Einigung beigetragen. Mitte Januar wird erneut versucht, die Linke zusammenzuführen. Ein dringendes Unterfangen, angesichts der wachsenden Krisenzeichen.
Krise der radikalen Linken
Es erscheint seltsam, dass sich auch in Italien die radikale Linke, die schon immer gegen den Neoliberalismus gekämpft hat, in der tiefen Krise des Kapitalismus nicht stärken kann, sondern so weit geschwächt wurde, dass sie fast verschwindet. Als sich die kommunistische Rifondazione Comunista an der zweiten Regierung Prodi in den Jahren 2006 bis 2008 beteiligte, schaffte sie es weder die Regierung zu beeinflussen noch die Bewegungen zu koordinieren, um gemeinsam die Regierung entgegen den Vorgaben aus Brüssel zu einem Linksschwenk zu zwingen. Fast machtlos in den Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wurde sie von einem wachsenden Teil ihrer Anhängerschaft als bedeutungslos und in das politische System integriert angesehen. Bei den Wahlen nach dem Sturz der Regierung verlor die radikale Linke im Namen des Kampfes gegen Berlusconi zunächst Stimmen an die Demokratische Partei und an die Nichtwähler. Rifondazione und die anderen Teile der radikalen Linken spalteten sich mehrmals, wodurch sie sich noch mehr von den Wählern entfernten und aus dem Parlament verschwanden.
Bei der Europawahl 2014 rauften sich einige Spektren der Linken zu einer Liste L'Altra Europa con Tsipras zusammen und erzielten mit 4% und drei Europaabgeordneten ein positives Ergebnis. Die Krise der radikalen Linken war jedoch damit nicht überwunden. Eine Krise, die sich nicht nur in der weiter anhaltenden Zersplitterung und dem marginalen Einfluss auf die italienische Politik festmacht, sondern auch im großen Erfolg der moderaten Demokratischen Partei (PD), die mit Matteo Renzi jetzt die Schröder-Politik der SPD nachholt. Gleichzeitig werden im Namen der Regierbarkeit demokratische Strukturen abgebaut – gemeinsam mit dem abgehalfterten Berlusconi.
Ein noch deutlicheres Zeichen der Krise der radikalen Linken ist jedoch die anhaltende Stärke der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Peppe Grillo. Obwohl die Abgeordneten von MS5 im Europaparlament mit der Rechten paktieren, Peppe Grillo immer wieder ausfällig gegen Immigranten und Flüchtende wird, wählen nach wie vor auch viele ehemalige Anhänger und Aktivisten der radikalen Linken den M5S. Und auf der ganz rechten Seite nutzt der Führer der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, alle Radio- und Fernsehkanäle, um gegen Euro und EU, gegen Immigranten, Sinti und Roma und gegen den Islam zu hetzen und die einst separatistische Lega Nord zu einer landesweiten rechtsextremen Partei à la Front National umzubauen und die Führung im rechten Lager zu übernehmen. Mit wachsendem Erfolg.
Italien in der Krise
Um dem etwas von links entgegensetzen zu können, müsste sich die Linke zusammenraufen und eine kohärente und realistisch erscheinende Alternative erarbeiten. Noch dringender, da sich das Land seit dem Ausbruch der Finanz- und später der Euro-Schuldenkrise in einem nicht enden wollenden Niedergang befindet – der sich jüngst wieder beschleunigt. Mittlerweile liegt die Wirtschaftsleistung elf Prozentpunkte unter dem Niveau vor 2008 und befindet sich derzeit auf dem Level des Jahres 2000; Italien hat seit Beginn der Krise ca. 30 Prozent seiner Industrieproduktion verloren, die Arbeitslosenquote liegt bei über 12%, die Jugendarbeitslosigkeit kletterte 2015 auf ein Rekordhoch von über 44%. Auch mit seinen Staatsschulden hat Italien im Jahr 2015 einen neuen Rekordstand erreicht (über 2.200 Mrd. bzw. 135% des BIP). Und nun sind zum Jahresende auch noch vier Banken in die Pleite gerauscht: Die Cassa di Risparmio di Ferrara, Banca Etruria, Banca Marche und die Cassa di Risparmio di Chieti haben dabei Anleihen in Höhe von 800 Mio. Euro mit sich gerissen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) attestierte dem Land "tiefsitzende" strukturelle Probleme und mahnt die Regierung in Rom zu "umfassende Reformen", wenn das Land weiter in der Euro-Zone bleiben wolle. Allen voran müssten die Bankbilanzen von den notleidenden Krediten befreit werden, damit Institute wieder Kredite vergeben könnten. Doch sogar der IWF räumte ein, dass Italien im Grunde eine unmögliche Mission vor sich habe.
Die Linken auf der Suche nach Übereinstimmung
Vor diesem Hintergrund erscheint es umso dringender, dass die Linke mit einem Alternativprogramm endlich wieder handlungsfähig wird. Und das schien sogar ziemlich erfolgversprechend zu verlaufen. Seit Jahresbeginn wurde das Vorhaben in zahlreichen Versammlungen auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert.
Rifondazione Comunista (PRC) rief im Frühjahr zu einem "konstituierenden Prozess der Linken" auf, um eine italienische SYRIZA aufzubauen. (Il tempo è ora!) Es seien vor allem zwei Elemente, die die neuen Bedingungen für dieses Vorhaben geschaffen hätten: Der Sieg von SYRIZA in Griechenland, begleitet von der Entstehung von PODEMOS in Spanien, mache deutlich, dass auf europäischer Ebene eine massenhafte Präsenz gegen den Neoliberalismus, sowohl in seiner technokratischen wie auch in seiner rassistisch, nationalistischen Form, auftrete. Dadurch werde auch die interne Debatte der italienischen Linken begünstigt. Das zweite Element sei die Politik der Regierung von Matteo Renzi mit ihren Angriffen auf die sozialen Rechte, die zu einer starken Kritik und bei der Mehrheit der Gewerkschaften zu einem Bruch mit der Regierung geführt habe. (Italien: Massenproteste und Generalstreik gegen „Jobs Act“ Gesetz!)
Giorgio Cremaschi, von 2010 bis 2012 Präsident des Zentralkomitees der Metallgewerkschaft FIOM, machte sich unter Verweis auf SYRIZA und PODEMOS, die einen radikalen Bruch mit den bisherigen Erfahrungen machen würden, für einen "kompletten Bruch mit der PD" stark.
Auf Initiative seines Nachfolgers Maurizio Landini und unterstützt von vielen Persönlichkeiten der Linken, fand dann im September in Rom eine nationale Versammlung der Coalizione Sociale (gesellschaftlichen Koalition) statt, um ein "politisch-gewerkschaftliches Subjekt" aufzubauen. "Verbände, Bewegungen, Gewerkschaften, Frauen und Männer, die in den letzten Jahren gegen die vielfältigen Formen der Ungerechtigkeit, Diskriminierung und fortschreitenden Verschlechterung der Rechte gekämpft haben, entscheiden heute, einen gemeinsamen Weg zu fördern", heißt es in der Erklärung der Versammlung.
Anfang August erklärte Sergio Cofferati bei einer Beratung in Rom, dass im Herbst eine neue Linke in die Politik eingreifen werde. Die Linke habe nun einen enormen Raum, weil die Demokratische Partei (PD) ihre Natur und ihre Werte gewechselt habe. Die PD ist nicht mehr links, stellte er fest und sagte: "Alle zusammen, ohne dass einer das Erstgeburtsrecht hat, werden wir einem neuen politischen Subjekt des Leben geben. Dieses Treffen führt ein Novum in die italienischen Politik ein, weil die verschiedenen Strömungen der gegenwärtigen Linken, alle zusammen, im Herbst eine umfassende Initiative fördern werden, um eine Diskussion zu starten über die Werte, die der Linken Sinn und Repräsentanz geben – angesichts der Tatsache, dass die PD objektiv nicht mehr links ist." Sergio Cofferati ist nicht ein 'Irgendjemand' der italienischen Linken: Von 1994 bis 2002 war er Generalsekretär der Dachgewerkschaft CGIL, von 2004 bis 2009 Bürgermeister von Bologna, 2007 wurde er Mitglied des 45köpfigen Nationalkomitees der PD. Bei den Europawahlen 2009 und 2014 wurde er als Abgeordneter der PD ins Europäische Parlament gewählt. Am 17. Januar 2015 ist er aus der PD ausgetreten.
Sinistra Italiana orange ...
Schließlich wurde am 7. November im Teatro Quirino in Rom die Sinistra Italiana (Italienische Linke) als eine neue parlamentarische Gruppe im Parlament und im Senat gegründet. Im Parlament besteht die Gruppe aus den 25 Parlamentariern der linksökologischen Sinistra Ecologia Libertà (SEL), fünf ehemaligen Abgeordneten der PD – darunter der ehemalige Finanzminister Stefano Fassina - sowie Claudio Fava von der sozialistischen Strömung der Gemischten Gruppe. Im Senat haben sich die zwei Senatoren von L'Altra Europa con Tsipras der dort etwa zehnköpfigen Gruppe angeschlossen. Kurz darauf, am 13. November, folgte die Erklärung, dass sich Sinistra Italiana unter der Farbe orange als neue Partei konstituieren und zu den Wahlen antreten werde. Wer wolle, der könne sich dort einreihen – wenn er die eigene Partei auflöse.
Mit diesem Schritt wurde der Prozess der Konstituierung einer einheitlichen Linken konterkariert, zu dem sich ein breites Spektrum linker Parteien und Persönlichkeiten in langen und anstrengenden Runden Tischen in diesem Sommer zusammengesetzt hatten. Es ging und geht dabei um eine Bewegung, die als gemeinsame Alternative zu den Parteien von Mitte-Links bis Rechts stehen sollte, mit dem Ziel, von unten Positionen und Aktionen gegen den Neoliberalismus aufzubauen.
.. oder eine einheitliche Linke von Unten
Anfang November war es endlich so weit, dass der Start für eine neue, innovative, linke politischen Bewegung möglich erschien. Am 3. November wurde vom Runden Tisch das von Act!, Altra Europa con Tsipras, Futuro a Sinistra, Partito della Rifondazione Comunista, Possibile, Sinistra Ecologia Libertà gemeinsam erarbeitete Dokument "Wir sind bereit. Starten wir die Herausforderung!“ veröffentlicht. Teilgenommen haben auch Sergio Cofferati und Andrea Ranieri. Dieser Text sollte die Grundlage für eine nationale Zusammenkunft der Linken vom 15. bis 17. Januar 2016 sein, bei der eine politisches Kraft gegründet werden sollte, die eine Alternative zu den übrigen Parteien darstellt. Dabei geht es nicht um eine Parteien-Vereinigung, sondern um einen länger andauernden Prozess, der alle Menschen betrifft und die Politisierung und Beteiligung aller fördern soll, um die Gesellschaft substantiell zu verändern. Besonders soll er auch solchen Menschen eine Sprache geben und sie aktivieren, die nicht Mitglieder in einer Partei sind.
Rückschlag
Mit der Ankündigung, die Partei Sinistra Italiana zu gründen, kam dieser Prozess in eine Krise. Am 11. Dezember ging dann eine Sitzung des Runden Tisches der italienischen Linken mit einem Riss auseinander. Die Vertreter der Linie, die eine neue Partei gründen wollen, stießen auf den Widerstand derjenigen Kräfte, die für ein gemeinsames Projekt all derjenigen eintreten, die den Neoliberalismus überwinden wollen. Die demokratische Mitbestimmung aller, die eine Alternative gegen Austerität und neoliberalen Kapitalismus entwickeln wollen, dürfe nicht durch administrative top-down-Methoden torpediert und von autoritärem Verhalten und Strukturen kaputtgemacht werden, bevor die Bewegung auch nur zum Leben erweckt worden ist, kritisierte der Nationalsekretär von Rifondazione, Paolo Ferrero. (Sinistra italiana: due o tre chiarimenti)
Rifondazione Comunista hält die überstürzte Gründung einer neuen Linkspartei unter Auflösung der bestehenden Parteien, das ist die Forderung aus den Reihen von Sinistra Italiana, für falsch, weil die bestehenden linken Parteien aus einem historischen Zusammenhang heraus entstanden und gewachsen sind, also nicht einfach mit einem Federstrich auszulöschen sind. Für Eleonora Forenza, Europaabgeordnete von L'Altra Europa und Mitglied des Nationalsekretariats der PRC ist diese neue Partei zudem nur eine "PDS 2.0" (die PDS - Demokratische Partei der Linken - war die Nachfolgeorganisation der PCI nach deren Auflösung und Vorgängerin der PD) und "das bewusste Gegenteil einer einheitlichen Linken für Alle". (Non si costruisce il futuro cancellando le identità)
Ein weiteres Argument von Rifondazione ist, dass sich Nicht-Parteigebundenen nicht einfach in eine Partei drängen lassen würden. Es gehe um die Zusammenführung der vielen existierenden Initiativen und Bewegungen und nicht nur um Wahltaktik. Wahlen würden dem Prozess der politischen Aktion gegen den neoliberalen Kapitalismus "keinen Aufwind, kein Leben" geben, so Rifondazione. Das linke einheitliche Subjekt, das gegründet werden soll, müsse eine niedrige Eintrittsschwelle haben, ein gemeinsames Haus bieten, in dem die ganze Vielfalt der linken, anti-neoliberalen Aktionsmöglichkeiten Platz findet. Wenn sich Teile der Bewegung nun voreilig als Partei zusammenfinden, dann würde dies zu weiteren Spaltungen führen, befürchtet Ferrero.
"Die Idee eine neue Partei anstelle eines einheitlichen Subjekts zu schaffen ist falsch und antwortet nicht auf die Notwendigkeit, eine Regierungsalternative zu dem von Reznzi und Salvini erzeugten Desaster aufzubauen", heißt es in einer Erklärung des Nationalsekretariats der PRC. Die PRC verweist dabei auch auf die Erfahrungen, die gerade in Lateinamerika – von Uruguay bis Bolivien – gemacht werden, um die verschiedenen sozialen, kulturellen und politischen Kräfte im Kampf gegen den Neoliberalismus zusammenzuführen.
Wie weiter?
Rifondazione plädiert dafür, diesen Fehler zu korrigieren und sich schnellstens auf die Basis und die monatelangen Gespräche mit ihren positiven Ergebnissen zu konzentrieren, um die Chance nicht zu vertun, bei der nächsten Versammlung des Runden Tisches am 15.-17. Januar auf der Basis des Dokuments "Wir sind bereit. Starten wir die Herausforderung!“ eine Bewegung für eine einheitliche Linke ins Leben zu rufen.
Die Parteiführung hat für diese Linie die Unterstützung der Basis. Vor Weihnachten fand in den 462 Basisorganisationen eine Mitgliederbefragung statt, bei der sich die große Mehrheit für die Unterstützung eines "partizipativen und demokratischen Prozesses" zur Bildung einer einheitlichen Linken und gegen die Auflösung der PRC aussprach.
Sergio Cofferati hält dagegen den 'Runden Tisch' für ungeeignet, um den Prozess einer neuen politischen Formation voranzubringen. Diese Treffen würden eine "Idee des Vertikalismus" vermitteln, der weder sinnvoll noch wirksam sei. Er plädiert für Versammlungen auf nationaler und lokaler Ebene. Um die entstandene Krise zu überwinden, schlägt er vor, dass Einzelpersonen, nicht Verbände oder Organisationen, ein Manifest veröffentlichen. "Wenn das Manifest von Personen unterzeichnet ist, dann sagt das, dass die Organisationen nicht aufgelöst, aber beiseite gelegt sind. Und damit beginnt eine Diskussion die Organisation benötigt, aber als Unterstützung", meint er in der Zeitung il manifesto.
Für ein neues politisches Subjekt verlangt er, die "Garantie der Diskontinuität mit der Geschichte die uns in den jetzigen Zustand gebracht hat – das ist nicht nur die Veränderung der PD, sondern auch der Rückgang der Glaubwürdigkeit einer radikalen Linken, wie wir sie kannten. .. Sinistra Italiana ist eine parlamentarische Gruppe; sie ist nützlich, aber sie ist nicht die neue politische Formation. Diese muss den Ehrgeiz eines viel größeren Umfangs haben. Aber das wird viel Zeit benötigen, um dies aufzubauen."
Die Haltung der PRC, sich nicht aufzulösen, hält Cofferati für "legitim". Aber er setzt darauf, dass sich "auf dem Weg die Vorstellungen ändern können" wenn nicht der Führung, dann vielleicht der Mitglieder. (Cofferati: «Passiamo la mano, tocca ai ragazzi»)
Für eine rote und realistische Linke
Carlo Galli, Professor an der Universität von Bologna und Mitglied der Parlamentariergruppe Sinistra Italiana - Sinistra Ecologia Libertà setzt sich für eine rote, radikale aber realistische Linke ein. Er geht davon aus, dass die Arbeiterbewegung im klassischen Sinne nicht mehr existiert. "Aber die Arbeiter gibt es noch und mit ihnen die Nicht-Arbeiter, die Arbeitslosen, die prekär Arbeitenden, die untypisch Ausgebeuteten, die Diskriminierten, die Untergeordneten, die Armen, die Ausgeschlossenen. Und daher muss die Linke von heute, um nicht auf oberflächliche Weise nach der Mode gehen zu wollen, das tun, was notwendig ist: Nämlich ihre gut fundierten Analysen auf den Widersprüchen der Gegenwart aufbauen. Sie muss Anstrengungen unternehmen, um diese Widersprüche zu überwinden und das genannte Erbe kreativ nutzen, indem sie die Spannung in dem Befreiungsprozess aufrechterhält, in einer Zeit, in der die Unterdrückung diffuser und perfektionierter geworden wird - und alles in allem brutaler -, weil sie sich der Körper, des Verstandes und der Herzen bemächtigt hat und als alternativlos präsentiert."
Über die Strömungen und das Erbe, die zusammengeführt werden müsse, schreibt er: "Es sind viele Arten von Erbe notwendig, um heute die politische Energie zu sammeln und den Widerstand ins Leben zu rufen, die den heute Herrschenden die Stirn bieten können: Da ist mit Sicherheit das Erbe der Arbeiterbewegung, aber auch das des sozialen Katholizismus (Denn was würde die enorme Aufmerksamkeit, die die Linke der letzte Enzyklika des Papstes gibt, bedeuten, wenn diese nicht eine Suche nach einer alternativen Richtung zum globalen Kapitalismus wäre?). Dann das Erbe der Bewegung für Umweltschutz und auch das der, wenn auch minoritären, radikalen bürgerlichen Linken (die im eigentlichen Sinn republikanisch ist).
Viele Arten von Erbe stimmen nicht komplett miteinander überein, alles ist auszuprobieren und zu erneuern, in dem Bewusstsein, dass der Gegner, der hier bekämpft wird, eine spezielle Form von Kapitalismus darstellt: Den Neoliberalismus generell und den deutschen Neoliberalismus in Besonderen. Innerhalb dieser Form von Kapitalismus leben wir und bewegen uns.
Das Ziel ist die Befreiung der Arbeit und die Rückgabe der Menschen an sich selber, ihre Emanzipation von den Ketten, die die heutigen Herrschenden noch nicht einmal zu benennen erlauben.
Rot und realistisch, radikal und klug, vielfältig und einheitlich, das ist die Linke, die wir brauchen." (Rossa e realistica. Così è Sinistra italiana)
Lafontaine: Italienische Linke muss für Austritt aus dem Euro eintreten
Wenig hilfreich in diesem komplizierten Prozess war der offene Brief von Oskar Lafontaine an die italienische Linke. Mitte Oktober hatte Lafontaine in einem in il manifesto veröffentlichten "Brief an die italienische Linke" (Zersplitterung überwinden) viel Erfolg beim "Aufbau einer neuen Linken in Italien" gewünscht. Als "unabdingbare Voraussetzung" für ein Ende der Austeritätspolitik nennt Lafontaine den Ausstieg aus dem Euro und die "Rückkehr zu einem verbesserten europäischen Währungssystem EWS, das Auf- und Abwertungen wieder zulässt". Das EWS habe "über viele Jahre funktioniert und das Entstehen von großen wirtschaftlichen Ungleichgewichten, wie sie derzeit in der Europäischen Union gegeben sind, verhindert", behauptet der LINKEN-Politiker.
Sofort setzte eine heftige Debatte über dieses Thema ein, die neue Gräben aufriss. "Überraschung und Sorge sind die Eindrücke, die durch den Brief von Oskar Lafontaine entstanden sind", äußerte Gabriele Pastrello, Wirtschaftsprofessor in Triest, ebenfalls in il manifesto. Die EZB sei "nicht der schlimmste Gegner Griechenlands" gewesen, schreibt Pastrello, sondern es war "die Unnachgiebigkeit der Eurogruppe als Ausdruck und Ergebnis der Hegemonie von Schäuble (und ähnlich Denkenden) in ihrem Inneren. Es war die Eurogruppe bzw. Schäuble, die von der EZB gefordert hatten, alle Geldhähne an Griechenland zu schließen, schon lange vor der letzten Phase der Verhandlungen und der Schließung der griechischen Banken". Er weist die Vorstellung zurück, dass die Rückkehr zum europäischen Währungssystem die Probleme lösen könnte.
Er schreibt: "Vor allem sehe ich nicht die Vorzüge eines Neo-EWS für Italien. Ich erinnere an die 'Herrlichkeiten' des vergangene EWS, das mit der Trennung der italienischen Zentralbank vom Finanzministerium, das heißt, mit dem Verlust der geldpolitische Autonomie der italienischen Regierung eingeführt wurde (das ist unvermeidbar, wenn das Defizit des Staatshaushaltes über die globalen Finanzmärkte finanziert werden soll). Darauf folgte 1992 die Krise der Lira und das erste finanzielle Blut- und Tränenprogramm der Regierung Amato. Und lassen sie uns nicht vergessen, dass der Wiedereintritt in das EWS, auch vor dem Betritt zum Euro, finanzielle Einschnitte und rezessive Reformen erforderlich machte.
Lafontaine schlägt ein neues EWS vor, um 'die klassischen Instrumente makroökonomischer Steuerung wie Zinspolitik, Wechselpolitik und eigenständige Haushaltspolitik' wieder herzustellen. Tatsache ist, dass diese Instrumente im erforderlichen Umfang für die Erreichung des nachvollziehbaren Ziels von Lafontaine einfach unvereinbar sind mit der Existenz einer 'Währungsschlange', gleichgültig ob sie alt oder neu ist.
Daher reduziert sich Lafontaines Vorschlag auf das Rausgehen aus dem Euro und die Rückkehr zu den Nationalstaaten, was ein Ende des europäischen Projekts bedeutet. Wenn man das für richtig hält, soll man es sagen."
Pastrello schlussfolgert, dass Lafontaine die falsche Adresse attackiert. Der Angriff müsse sich nicht gegen Frankfurt (Sitz der EZB), sondern gegen Berlin wenden. Er müsse der SPD die Frage stellen, warum sie das unglaubliche Massaker an Griechenland unterstützt hat, besonders am Ende der Verhandlungen, nach der nur sehr zaghaften Zurückhaltung am Anfang. Er müsse die SPD nach dem verpassten politischen Widerstand gegen die Politik des Rauswurfs der schwächeren Länder aus dem Euro fragen, die von der Rechten in Deutschland gefordert wird. "Von diesen Punkten muss er beginnen. Die italienische Linke wird dann folgen", so Pastrello. (Lafontaine e i veri nemici dell’Europa)
txt: bema, rc, lm