07.12.2022: Seit Montag weitere Sanktionsmaßnahmen der EU gegen Russland in Kraft: kein russisches Erdöl auf dem Seeweg in die Länder der EU ++ G7 und EU versuchen, mit einem Ölpreisdeckel den Verkauf russischen Erdöls rund um den Globus zu reduzieren ++ Russland: kein Öl zu einem unterbewerteten Preis ++ Länder wie China, Indien, Saudi-Arabien beteiligen sich nicht an den westlichen Sanktionen und Embargos ++ Sorge vor Handelskrieg zwischen EU und USA
Seit Montag (5.12.) hat die EU zwei weitere Sanktionsmaßnahmen gegen Russland ergriffen: Das im Juni beschlossene Ölembargo ist in Kraft getreten. In der ersten Stufe darf kein Erdöl mehr aus Russland auf dem Seeweg in die Länder der EU importiert werden. Der Musterschüler Deutschland will zudem zum Jahresende auf russische Lieferungen über die Pipeline "Druschba" verzichten. Ausnahmen gibt es für EU-Mitgliedsstaaten, die eine besondere Abhängigkeit von russischem Öl haben, wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Sie können weiterhin über diese Pipeline versorgt werden. Bulgarien und Kroatien dürfen bis Ende 2024 Rohöl aus Russland über den Seeweg beziehen.
60 Dollar und keinen Cent mehr
Im Sommer hatten sich die EU, die G7 und Australien über ein Ölsanktionen gegen Russland verständigt. Bis zuletzt umstritten war die Höhe des sogenannten "Ölpreisdeckels".
Jetzt schlossen sich die EU und Australien nach monatelangem Tauziehen dem Vorschlag der USA und der G7 an und legte eine Obergrenze für den Preis des Moskauer Öls von 60 Dollar pro Barrel (159 Liter) fest. Die Preisobergrenze soll in Abhängigkeit von der Entwicklung des Weltmarktes ständig überprüft werden. Für Rohöl aus Russland werden gegenwärtig rund 65 Dollar gezahlt, was unter dem Weltmarktpreis liegt, der derzeit einen Stand von 80-85 Dollar erreicht hat
Reedereien aus den Unterzeichnerstaaten dürfen Öl aus Russland nur noch transportieren, wenn der Verkaufspreis durch Russland unter dieser Obergrenze von 60 Dollar liegt. Das bedeutet auch, dass EU-Unternehmen Dienstleistungen wie Versicherungen für den Transport und Finanzierungen nur dann anbieten können, wenn der Preis des transportierten russischen Öls unter dem Deckel bleibt.
Da gegenwärtig Griechenland laut Branchenangaben 21 Prozent aller Tankschiffe für den Transport flüssiger Stoffe weltweit besitzt, und rund 95 Prozent der Sach- und Haftpflichtversicherungen für alle Öltanker von Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich und der EU abgewickelt werden, hoffen G7 und EU, den Verkauf russischen Erdöls rund um den Globus verbieten zu können, wenn der Preis über der vom Westen festgelegten Höchstgrenze liegt.
Die G7 und Brüssel wollen mit dieser Maßnahme die Einnahmen Russlands aus dem Rohöl-Geschäft begrenzen und damit den Kriegsverlauf in der Ukraine zugunsten der Ukraine beeinflussen. Für den russischen Staat ist der Verkauf von Öl die wichtigste Einnahmequelle und paradoxerweise hat Moskau bislang von EU-Sanktionen finanziell profitiert. Denn bisher haben die niedrigeren russischen Exporte – ähnlich wie bei Gas und Kohle – Öl auf dem Weltmarkt verknappt und dadurch den Preis hochgetrieben. Infolgedessen wird Russland 2022 mehr Geld aus den EU-Staaten für sein Öl erhalten als 2021. Zudem kaufen derzeit nach Medienberichten China, Indien, Saudi-Arabien und Ägypten einen großen Teil des russischen Öls.
Kritik an Preisobergrenze durch Russland und Ukraine
Nicht nur von russischer, sondern auch von ukrainischer Seite wird die vereinbarte Preisobergrenze kritisiert. Allerdings sind die Wurzeln der Unzufriedenheit völlig unterschiedlicher Art. Russische Beamte werfen der EU vor, gegen die Grundsätze der freien Marktwirtschaft zu verstoßen, und warnen, dass Öl zu einem unterbewerteten Preis nicht geliefert würde.
Für den ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky ist die Obergrenze von 60 Dollar "eine unseriöse Entscheidung". Zelensky forderte eine radikalere Entscheidung, ein Barrel zu 30 Dollar, das näher an den russischen Produktionskosten liegt, um Putins Regime drastisch um seine Öleinnahmen zu bringen. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrei Jermak, verlangte, die Obergrenze auf 30 Dollar pro Barrel festzusetzen, um "die feindliche Wirtschaft schneller zu zerstören". Diese Haltung wurde in der EU von Polen und den baltischen Staaten unterstützt. Letztendlich hat Washington die Widersprüche, die die EU nicht ausräumen konnte, per Machtwort ausgeräumt.
G7 und EU allein zu Hause?
Die G7 und die EU wollen mit einem Ölpreisdeckel, der nahe am Weltmarktpreis für russisches Öl liegt, zum Einen verhindern, dass Russland seinen Krieg aus den Öleinnahmen finanzieren kann, zum Anderen aber auch, dass zu wenig russisches Erdöl auf den Weltmarkt gelangt, die Preise dann in astronomische Höhen steigen und die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession stürzt. Dass dieses Manöver gelingt, ist durchaus ungewiss: Moskau hat angekündigt, sich Preisdiktate nicht bieten zu lassen und Staaten, die den Preisdeckel einführen, nicht mehr zu beliefern.
"Ab diesem Jahr wird Europa ohne russisches Öl leben. Moskau hat bereits deutlich gemacht, dass es kein Öl an die Länder liefern wird, die eine marktfeindliche Preisobergrenze unterstützen. Demnächst wird die EU Russland beschuldigen, Öl als Waffe einzusetzen."
Michail Uljanow, ständiger Vertreter Russlands bei den internationalen Organisationen in Wien, Twitter, 3.12.2022
So warnt auch die Wochenzeitung The Economist. dass der Kreml seine Ölexporte einschränken und sich auf eine kleinere Gruppe von nicht-westlichen Tankern und Versicherern verlassen könnte, was die Weltmarktpreise in die Höhe treiben würde.
"Die andere Ungewissheit ist, wie viel Macht der Westen letztendlich über die globalen Ölmärkte ausüben kann", heißt es weiter. Damit wird eine weitere offene Frage angesprochen: Länder wie etwa China, Indien, Türkei, Saudi-Arabien oder Indonesien beteiligen sich nicht an den westlichen Sanktionen und Embargos und suchen nach alternativen Möglichkeiten, sich abzusichern – und da das Verbot bereits vor sechs Monaten angekündigt worden war, "hatten sie Zeit, sich darauf vorzubereiten."
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war denn auch bei ihrem Antrittsbesuch in Indien nicht erfolgreich mit dem Versuch, Indien zur Einhaltung des Ölpreisdeckels zu bewegen. Indien hält nichts von der Blockbildung und setzt auf eine multipolare Weltordnung sowie auf gute wirtschaftliche Verbindungen zu Russland. Außerdem nutzt Indien, nach den USA und China der drittgrößte Ölkonsument der Welt, den niedrigen Preis für russisches Öl, um die eigene Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Selbst Saudi-Arabien, weltweit größter Ölexporteur, importiert Öl aus Russland, um es mit einem Preisaufschlag auf dem Weltmarkt weiter zu verkaufen.
Russland strengt sich an, eine vom Westen unabhängige Tankerflotte zusammenzustellen und vom Westen unabhängige Versicherer zu finden – vor allem im eigenen Land, in China und in Indien. Die Financial Times schreibt, dass Russland 100 Tanker gekauft habe, um Indien, China, die Türkei und andere Länder mit Öl beliefern zu können. Damit wären Reeder und Versicherer aus der EU sowie aus Großbritannien tendenziell aus dem Geschäft und müssten nicht nur konkrete Einbußen, sondern perspektivisch auch den Verlust ihrer bislang starken, teilweise sogar dominanten Weltmarktposition hinnehmen.
EU auf der Suche nach Öl
Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) zieht zunehmend mit Russland an einem Strang. Unter Führung von Saudi-Arabien – das sich zunehmend von den Vereinigten Staaten unabhängiger macht – haben elf Länder im Oktober, nur wenige Stunden nachdem die G7 neue Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht hatte, vereinbart, die Fördermenge um zwei Billionen Barrel am Tag zu senken. Damit soll der Ölpreis hochgehalten werden.
Am vergangenen Sonntag (4.12.) beschloss die Opec+ [1] in einer virtuellen Sitzung die geringere Fördermenge beizubehalten und bekräftigte ihren Widerstand gegen die Preisobergrenze.
Für die EU bedeutet das Embargo, dass nach dem Wegfall der russischen Lieferungen etwa eine Million Barell Rohöl pro Tag anderweitig eingekauft werden müssen – auf einem Ölmarkt, der nicht größer geworden ist. Woher die EU dieses Öl beziehen wird, ist nicht ganz klar.
Die Lieferungen, die sich die EU mit der Bereitschaft und der finanziellen Fähigkeit, jeden Preis zu zahlen, in einem begrenzten Ölmarkt sichert, werden anderen – vorzugsweise ärmeren – Staaten fehlen. Können die russischen Öltransporte nicht schnell genug umgeleitet werden, entstehen Angebotslücken, die den Preis rasant in die Höhe treiben könnten. Die EU betreibt einmal mehr einen Wirtschaftskrieg gegen Russland, der zu Lasten vor allem ärmerer Bevölkerungsteile und ärmerer Länder geht.
Ein wirkliches Erdbeben mit der Preisexplosion wird jedoch für die Zeit nach dem 5. Februar 2023 erwartet: Dann tritt das Embargo für raffinierte Erdölerzeugnisse, d. h. Diesel, Flugbenzin und Diesel, in Kraft. Bei diesen Produkten importiert die EU 60 Prozent aus Russland. 1,1 Millionen Tonnen Ölprodukte dieser Art müssen dann täglich von woanders beschafft werden. Aber es gibt kaum Alternativen.
Sorge vor Handelskrieg zwischen EU und USA
Das Embargo gegen russisches Rohöl und die Preisobergrenze treten außerdem zu einem für die Beziehungen zwischen der EU und den USA heiklen Zeitpunkt in Kraft.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 10. Oktober berichtete, liefern die USA erstmals mehr Erdgas in die EU als Russland. So machten im September LNG-Lieferungen des extrem umweltschädlichen Frackinggases aus den USA fast 70 Prozent der europäischen Importe aus. Europa hat damit Asien als wichtigstes LNG-Zielland der USA verdrängt. Da einige EU-Länder jeden Preis überbietet, um an Gas zu kommen, können US-Unternehmen 150 Millionen Dollar Gewinn pro Flüssiggas-Schiff einstreichen.
Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire warnt: "Der Konflikt in der Ukraine darf nicht zu einer wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA und einer Schwächung der EU führen", äußerte Le Maire am Montag (10.10.) im französischen Parlament. "Wir können nicht akzeptieren, dass unser amerikanischer Partner sein Flüssiggas (LNG) zum Vierfachen des Preises verkauft, zu dem er es an seine eigenen Unternehmen abgibt. Eine wirtschaftliche Schwächung Europas ist in niemandes Interesse. … Frankreich hält es für wichtig, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten und lehnt Versuche der Isolierung ab."
Verschärft werden die Spannungen derzeit durch Bidens im August beschlossenes milliardenschweres Klimaschutz- und Sozialpaket, das unter dem Namen "Inflationsreduzierungsgesetz" bekannt ist. Es sieht 370 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Energiesicherheit vor – unter anderem Subventionen für Elektroautos, Batterien und Projekte zu erneuerbaren Energien "made in USA".
Befürchtet wird eine Benachteiligung europäischer Unternehmen und eine Abwanderung wichtiger Wirtschaftszweige. Der "Focus" schrieb: "Günstige Preise für Energie, Steuererleichterungen und zugleich wird die Abhängigkeit von China reduziert: Die USA ziehen deutsche Unternehmen derzeit geradezu magisch an." Zu diesen Unternehmen gehören vor allem Betriebe, die viel Energie verbrauchen, allen voran Hersteller von Aluminium, Zement oder Stahl. "Dax-Konzerne wie Bayer und BASF eröffnen in diesen Wochen neue Zentren und auch Aldi oder Lufthansa bauen aus", hieß es im "Focus".[2] Auch das "Handelsblatt" berichtet, dass immer mehr Unternehmen ihre Standorte in den USA ausbauen. "Berlin ist alarmiert. … Im Zuge des Ukrainekriegs und der Energiekrise in Deutschland verstärken die USA ihr Werben um deutsche Unternehmen. Zahlreiche US-Bundesstaaten bieten neben billiger Energie auch Steuererleichterungen und andere Hilfen an. Das gilt vor allem für die Südstaaten." [3]
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete bei seinem USA-Besuch in der vergangenen Woche die Maßnahmen Washingtons als "super aggressiv" und warnte: "Diese Entscheidungen werden den Westen spalten."
Auch das geostrategische Ziel des von den USA vorangetriebenen Ölpreisdeckels zielt auf die Stärkung der US-Exportmacht. Es scheint, als würde der Ukraine-Krieg genutzt, die EU wirtschaftlich zu schwächen.
Doch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wiegelt ab und weist darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft - anders als beispielsweise die französische - mit dem US-Markt eng verbunden sei. "Deshalb kann Deutschland kein Interesse an einem Handelskrieg haben, sondern muss auf Wirtschaftsdiplomatie setzen", so Lindner gegenüber der "Welt am Sonntag". Für die US-freundlichen Grünen äußert sich deren Chef Omid Nouripour ähnlich: "Wir dürfen uns auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht gegenseitig Steine in den Weg legen."
Mit dem Ölembargo "Putins eins auswischen", hat Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) gesagt. Es scheint, dass sich Deutschland und die EU damit ins eigene Knie schießen.
"Die einzigen, die vom Ampel-Irrsinn offensichtlich nicht profitieren, sondern für ihn draufzahlen, sind die Verbraucher in Deutschland. Sie sind die Dummen. Den Bürgern drohen infolge von Ölembargo und Ölpreisdeckel weiter hohe Preise bei Heizöl, Benzin und Diesel, Unternehmen Pleiten verbunden mit weiterer Arbeitsplatzvernichtung", meint die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Sevim Dagdelen.
Was für ein Schwachsinn: Ab sofort sind das Ölembargo und der Ölpreisdeckel in Kraft, um Russlands Wirtschaft unter Druck zu setzen. Während Grüne und Ampel-Regierung davon träumen, mit ihren neuen Sanktionen Putin zu schwächen, liefert Russland seine Energieträger zu ermäßigten Preisen an andere Länder. Gerade hat der pakistanische Staatsminister für Erdöl, Musadik Malik, bekannt gegeben, billiges Rohöl sowie Benzin und Diesel aus Russland zu beziehen. Russische Flüssiggaslieferungen mit Preisnachlass für Pakistan sind zudem im Gespräch. (https://en.dailypakistan.com.pk/.../russia-agrees-to...) Quelle: Facebook, Sevim Dagdelen, 5.12.2022 |
Anmerkungen:
[1] OPEC: 13 Mitglieder: Algerien, Angola, Äquatorialguinea, Gabun, Irak, Iran, Kuwait, Libyen, Nigeria, Republik Kongo, Saudi-Arabien, Venezuela, Vereinigte Arabische Emirate
OPEC+: OPEC plus 10 Kooperationspartner: Aserbaidschan, Bahrain, Brunei, Kasachstan, Malaysia, Mexiko, Oman, Russland, Sudan, Südsudan
[2] Focus, 30.9.2022: "Ausgerechnet mit günstigem Atomstrom locken USA deutsche Firmen an"
https://www.focus.de/politik/ausland/go-west-in-der-krise-werben-usa-deutsche-firmen-ab_id_154707668.html
[3] Handelsblatt, 29.9.2022: "Deutsche Unternehmen bauen ihre Standorte in den USA immer weiter aus"
https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/wirtschaftspolitik-deutsche-unternehmen-bauen-ihre-standorte-in-den-usa-immer-weiter-aus-/28697464.html