03.06.2014: Es war am 6. Juni 2013, als „Guardian“ und “Washington Post“ erstmals aus Dokumenten des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über Praktiken des us-amerikanischen Geheimdienstes berichteten. Seit nunmehr einem Jahr liefern die als sog. NSA-Affäre begonnen Enthüllungen über die Überwachungspraktiken der westlichen Geheimdienste regelmäßig neuen Stoff über Umfang und Ausmaß des Sammelns persönlicher Daten. Ein Großteil dessen, was wir darüber wissen, verdanken wir dem "unpatriotischen Verhalten" Snowdens, wie US-Präsident Oba¬ma es nannte. Die Affäre schockiert durch ihr gigantisches Ausmaß: 30 bis 60 Millionen Telefon- ¬und Internetverbindungen sollen täglich allein in Deutschland abgehört worden sein.
Nach den nun veröffentlichten neuesten Enthüllungen greift die NSA aber nicht nur auf den Mailverkehr zu sondern greift auch Massen von Bildern aus dem Internet ab, um sie mit Gesichtserkennungssoftware zu prüfen. Der US-Geheimdienst hoffe, mit Hilfe der Technologie das Auffinden von Zielpersonen rund um die Welt zu revolutionieren. Genauso jage der Dienst Fingerabdrücken und anderen biometrischen Daten hinterher, hieß es unter Berufung auf Informationen von Edward Snowden. Zu vermuten sei, dass der Geheimdienst auch Zugang zur Datenbank des US-Außenministeriums habe, in der Bilder zu Visa-Anträgen gespeichert werden.
Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings, dass Überwachungssysteme nicht ein Monopol der USA oder Großbritanniens darstellen. Deutschland ist Partner und Angriffsziel des amerikanischen Geheimdienstes zugleich. Letztlich ist Ziel der Partnerdienste aller Herren Länder, ihre Bürger gegenseitig und gemeinsam zu überwachen. Darüber hinaus finden transnationale Konzerne in der Wirtschaftsspionage ein lukratives Geschäftsfeld und private Firmen spezialisieren sich auf den Verkauf von Kundeninformationen an Banken und Versicherungen.
Angesichts dessen verwundert es nicht, dass zeitgleich mit den neuen NSA-Enthüllungen bekannt wird, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) künftig in NSA-Manier auch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook in Echtzeit ausforschen will. Das Projekt läuft nach Informationen von SZ, NDR und WDR intern unter dem Titel "Echtzeitanalyse von Streaming-Daten" und ist Teil einer sogenannten "Strategischen Initiative Technik" (SIT). Die Kosten des Programms, das vorerst bis 2020 laufen soll, werden vom BND insgesamt auf rund 300 Millionen Euro beziffert. Der Bundestag soll in den kommenden Wochen diese Summe bewilligen.
Bereits in diesem Jahr will der Auslandsgeheimdienst seine Technik verbessern, um Webblogs, Foren und Portale wie Facebook und Twitter systematisch auswerten zu können. Der BND gab dazu bei der Bundeswehr-Universität München eine Studie zur "Automatisierten Beobachtung von Internetinhalten" in Auftrag.
In dieses Bild des globalen Überwachungsszenariums passt die Meldung, dass der Generalbundesanwalt Range offenbar nicht plant, Ermittlungen gegen den US-Geheimdienst NSA wegen des massenhaften verfassungswidrigen Ausspähens der elektronischen Kommunikation von Bundesbürgern einzuleiten – angeblich wegen mangels an Anhaltspunkten.
Mit „Fassungslosigkeit“ reagierte auf diese Ankündigung z.B. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins: Es sei absurd, so Weichert, „wenn von uns erwartet wird, dass wir tätig werden, wenn sich Nachbarn mit Videokameras beobachten, zugleich aber von der obersten deutschen Ermittlungsbehörde ein Anfangsverdacht verneint wird, wenn die digitale Privatsphäre und das Telekommunikationsgeheimnis von Millionen Menschen in Deutschland offensichtlich verletzt werden. Schon die öffentlichen Aussagen der britischen und US-amerikanischen Tatverdächtigen selbst, die Spionage und Datenschutzverstöße nach deutschem Recht faktisch eingestehen, sollten für eine Einleitung von Ermittlungsverfahren genügen.“
Die Grünen und die LINKE fordern ein Eingreifen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), damit Range offiziell die Ermittlungen aufnimmt. Sollte es tatsächlich zu keinem Ermittlungsverfahren kommen, so wäre dies ein "beispielloser Akt der Rechtsbeugung", so Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei. Und Constanze Kurz vom Chaos Computer Club sprach in diesem Zusammenhang von "Strafvereitelung im Amt" und fuhr mit Blick auf die EU fort: "Und auch aus Europa haben wir in Sachen Geheimdienstkontrolle wohl nicht mehr viel zu erwarten, wenn Jean-Claude Juncker Präsident der Europäischen Kommission werden sollte. Denn fast vergessen ist, dass Juncker vor nicht mal einem Jahr als Ministerpräsident zurücktrat, um einem Misstrauensvotum zu entgehen. Grund war ein Spionageskandal um jahrelanges illegales Abhören durch seine Geheimdienste." (FAZ 30.5.14).
In der Laudatio anlässlich der Verleihung des "Internationalen Whistleblowerpreis 2013" an Edward Snowden, vergeben durch die Internationale Assoziation der Juristen gegen Nuklearwaffen (IALANA), die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Antikorrup¬tionsorganisation Transparency International sagte Josef Foschepoth, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg: "Wir brauchen dringend eine politische und gesellschaftliche Debatte, die unsere Verfassung vom Kopf wieder auf die Füße stellt und das, was oben ist, auch wirklich als höchsten zu schützenden Wert benennt. Nicht die Sicherheit des Staates oder das, was man dafür hält, sind die höchsten Werte unserer Verfassung, sondern die Grundrechte und Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger, von denen alle Macht im Staate ausgeht. (…) Jetzt ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, daraus Konsequenzen zu ziehen und den vielleicht wichtigsten Satz unserer Verfassung wieder voll zur Geltung zu bringen: Die Grundrechte sind 'unmittelbar geltendes Recht' (GG, Artikel 1, Absatz 3)"
Für dieses Anliegen waren im September letzten Jahres über 20.000 in Berlin auf die Straße gegangen. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen und -netzwerken, von Gewerkschaften, Berufsverbänden von Journalisten, Juristen und Ärzten und von mehr als 80 weiteren Organisationen. Schon im Juli hatten in 30 deutschen Städten mehr als 10.000 Menschen gegen die ausufernde Überwachung durch US-und andere Geheimdienste protestiert. "Stop watching us" hieß damals die Losung dieser internationalen Protestbewegung gegen die Internet-Überwachung durch die NSA, gegen 'Prism' und für Solidarität mit Edward Snowden und andere Whistleblower.
Jetzt gilt es politischen Druck zu entwickeln für die Befragung von Edward Snowden vor dem parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschusses in Deutschland, für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen die NSA und für die Offenlegung und Aufhebung aller Geheimverträge mit ausländischen Diensten.
Text:gst Foto: mami