Deutschland

Luebeck 20 Jahre Hafenstrasse20.01.2016: Unter dem Motto "Refugees Welcome" erinnerten am 16. Januar rund 600 Lübecker BürgerInnen mit einer Demonstration und Kundgebung an den bis heute unaufgeklärten Brandanschlag in der Hansestadt vor 20 Jahren. Es war der folgenschwerste rassistische Brandanschlag in der Geschichte der Bundesrepublik: Am 18. Januar 1996 brannte die Asylunterkunft  in der Lübecker Hafenstraße komplett aus. Zehn Menschen, Geflüchtete aus dem Kongo, dem Libanon, aus Angola und Togo, starben in den Flammen. Unter den Toten waren sieben Kinder. Von den überlebenden Menschen wurden viele schwer verletzt und leiden bis heute an den Folgen.

Bis heute wurde für diesen zehnfachen Mord kein Täter verurteilt. 20.000 Seiten Ermittlungsakten umfasst der ungelöste Kriminalfall - und eine Reihe von Ungereimtheiten, die in Vielem Parallelen zu den Ermittlungspraktiken um die NSU-Morde aufweisen. Vier junge Männer aus der rechten Szene wurden in der Nähe des Tatorts aufgegriffen, aber bald wieder freigelassen. Trotz dringender, bis heute ungeklärter Verdachtsmomente wie z.B. Brandspuren an ihren Haaren, wurden sie nie vor Gericht gestellt. Stattdessen legten sich Polizei und Staatsanwaltschaft schnell auf einen Hausbewohner als Tatverdächtigen fest. Zwei aufwändig geführte Prozesse gegen ihn endeten jedoch beide Male mit einem Freispruch.

Refugees Welcome

Auf der Demonstration, zu der das Lübecker Flüchtlingsforum und das Bündnis «Wir können sie stoppen» aufgerufen hatten, wurde auf Transparenten und in Redebeiträgen eine Willkommenskultur für die aktuellen Flüchtlinge, die diesen Namen auch verdient sowie ein Bleiberecht unabhängig von deren Herkunftsstaaten eingefordert. Insbesondere wandten sich die RednerInnen gegen die neuerlichen Verschärfungen des Asyl- und Ausweisungsrechts und im konkreten gegen die Absichten von Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD), die auf Massenabschiebungen hinauslaufen. So plant Saxe für die Abschiebungen den insolventen Lübecker Flughafen Blankensee zu nutzen. "Wir sind fassungslos, dass der Bürgermeister der Hansestadt die Planung von inhumanen Abschiebungen unterstützt und den überflüssigen Flughafen zum Drehkreuz von Abschiebungen machen will". Und sie verglich die Lage heute, zwanzig Jahre nach dem Brandanschlag: „Wieder gibt es Anschläge auf Asylunterkünfte, wieder erleben wir, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist. Auch in Lübeck hat es erneut gebrannt. Im vergangenen Juni legte jemand in dem Rohbau einer geplanten Asylbewerberunterkunft im Stadtteil Kücknitz an zwei Stellen Feuer. Zwei Monate später zerstörten Angreifer die Scheiben an einer weiteren geplanten Unterkunft im Stadtteil Marli. Dass es bei der Zahl der Anschläge der vergangenen Monate noch keine Todesopfer gegeben hat, gleicht fast schon einem Wunder.“

Inga Gottschalk, Vorsitzende des Migrationsforums, berichtete konkret von Abschiebungen durch die Hansestadt, bei denen Familien auseinandergerissen würden. Der damalige Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller habe sich 1996 für die Angehörigen der Opfer des Brandanschlags stark gemacht. Gottschalk: "Wir erwarten vom jetzigen Bürgermeister, dass er sich ebenfalls für die Familien einsetzt, statt pauschal die Zahl von 1000 möglichen Abschiebungen in die Welt zu setzen."

„Ein abschiebefähiger Flüchtling – das ist aus dem Wörterbuch des Unmenschen“

Die Vorschläge des Bürgermeisters Saxe bringen selbst den Parteigenossen und Amtsvorgänger Michael Bouteiller, (Lübecker Bürgermeister von 1988 bis 2000), in Rage.

Lübecker Nachrichten vom 16.1.16: „Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) will bis zu 1000 Asylbewerber abschieben, er schlägt den Flughafen als Abschiebeeinrichtung vor. Säßen Sie heute auf seinem Sessel, hätten Sie genauso gehandelt?

Bouteiller: Einen Teufel würde ich tun. Saxe plant eine Massenabschiebung. In dieser Frage hat er gar keine Zuständigkeit, das Landesamt ist zuständig. Es handelt sich um 1000 einzelne Schicksale, die sorgfältig überprüft werden müssen. Dieser Vorschlag schreckt Flüchtlinge ab und demotiviert die ehrenamtlichen Helfer. Ich habe dafür keinerlei Verständnis.

LN: Muss sich eine Kommune nicht auch vor einer Überforderung durch Zuwanderung schützen?

Bouteiller: Es gibt keine Überforderung. Wo gibt es denn Probleme mit den Flüchtlingen in Lübeck? Ein abschiebefähiger Flüchtling – das ist aus dem Wörterbuch des Unmenschen.“

Damals wie heute: Rassistischer Kontinuität entgegentreten!

„Nach dem Anschlag waren sich große Teile der Lübecker Bevölkerung und Politik einig: Die Überlebenden sollten ein gesichertes Bleiberecht in Deutschland erhalten, Geflüchtete sollten nicht länger in überfüllten Massenunterkünften bleiben müssen, sondern in Wohnungen als normale Nachbar_innen leben können. Rassistischer Stimmungsmache sollte deutlich und gemeinsam entgegen getreten werden“ heißt es in dem Aufruf zur Demonstration.

„Heute, 20 Jahre später, erinnert manches wieder an die Situation und Stimmung der frühen Neunziger Jahre. Wieder gibt es unzählige Anschläge auf Asylunterkünfte, wieder marschieren Nazis und Rassist_innen auf den Straßen, wieder erleben wir, wie tief der Rassismus in der Gesellschaft verankert ist und wieder gibt es große Teile der Politik, die „Verständnis für Sorgen und Ängste“ zeigen und unter diesem Vorwand das Recht auf Asyl weiter einschränken wollen. Die mörderische Politik der Abschottung Europas ist fortgeführt worden und hat – insbesondere im Mittelmeer – zehntausende Opfer gefordert, die jämmerlich ertrunken sind, weil es keine sicheren Fluchtwege für sie gibt.

Die Verantwortung für die Fluchtursachen tragen wir alle: Solange wie wir hinnehmen, dass sich deutsche Regierungen durch Kriegsteilnahme, Rüstungsexporte und die Unterstützung autoritärer Regime schuldig machen – akzeptieren wir auch die Verelendung und Vertreibung der Menschen in den Herkunftsländern.

Aber dennoch ist die Situation 2016 auch ganz anders als 1996. Wir haben zunächst die massenhafte Bewegung der Geflüchteten, die sich von Grenzen und Zäunen nicht hat aufhalten lassen und ihren Weg nach Europa und nach Deutschland durchgesetzt hat. Und wir haben eine riesige Bewegung der Solidarität, die sich praktisch für die gute Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten einsetzt, während staatliche Stellen allzu oft dabei versagen. „Refugees Welcome“ ist nicht nur eine Parole, sondern wird auch in Lübeck von tausenden Menschen tagtäglich in die Praxis umgesetzt.

Zum 20. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags in der Lübecker Hafenstraße ist es an der Zeit, dass wir – Geflüchtete, Migrant_innen und Einheimische,  gemeinsam auf die Straße gehen und zeigen, dass wir viele sind. Es ist an der Zeit, das Vermächtnis des 18. Januar 1996 wieder aufzunehmen und sich gemeinsam einzusetzen:

  • Für das Recht zu bleiben und das Recht zu gehen – überall und überall hin!
  • Für offene Grenzen und sichere Fluchtwege – Fähren statt Frontex!
  • Für sicheren Aufenthalt, Sprachkurse und Arbeitsmöglichkeiten für alle Geflüchteten – ob aus Syrien, Afghanistan oder vom Balkan!
  • Für eine menschenwürdige, dezentrale Unterbringung aller Geflüchteten, für die Umwandlung von Leerstand zu Wohnraum und einen massiv verstärkten sozialen Wohnungsbau – für alle Menschen, die eine Wohnung brauchen
  • Gegen alle bereits durchgeführten und noch geplanten Verschärfungen des Asylrechts, gegen Pegida, AfD und NPD – und gegen jede Form rassistischer Stimmungsmache
  • Für eine gemeinsame Zukunft mit allen Menschen, die in Lübeck leben und die noch nach Lübeck kommen“

Für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen

Eine, die ihr Leben vor zwanzig Jahren retten konnte, ist Marie Agonglovi aus dem Togo. Die heute 57-Jährige war aus München angereist, wo sie heute lebt. "Ich kann diese Brandnacht einfach nicht vergessen", sagte sie den Lübecker Nachrichten (16.1.16), "ich will, dass die Täter gefasst werden."  Eine Wiederaufnahme der Ermittlungen fordern auch die Veranstalter der Demonstration. Eine Rednerin des Solidaritätszentrums der "Alternative" auf der Wallhalbinsel forderte den schleswig-holsteinischen Landtag  auf, einen Untersuchungsausschuss Hafenstraße einzusetzen.

Polizeilich ermittelt wurde vor allem in zwei Richtungen: Zum einen gegen vier junge Männer aus Mecklenburg-Vorpommern. Drei der vier waren in der Nacht neben der Polizei die ersten am Tatort. Ihre Haare waren frisch versengt, sie kamen aus der rechten Szene und Maik W. hat die Tat sogar mehrfach gestanden. Doch zu einer Anklage gegen diese vier jungen Männer kam es nie.

Anfang 1998: Maik W. sitzt wegen anderer Straftaten in der Jugendanstalt-Neustrelitz. Dort gesteht er den Brandanschlag gegenüber einem JVA-Beamten: Er habe zusammen mit seinen drei Freunden das Asylbewerberheim in Lübeck angezündet. Seine Freunde hätten Drogengeschäfte mit den Bewohnern des Hauses gemacht und seien beschissen worden. Der Beamte gibt das Geständnis an Polizei und Staatsanwaltschaft weiter, ist bei der späteren Vernehmung dabei: "Ich war völlig perplex darüber, dass die Polizei versucht hat, Maik W. das Geständnis auszureden. Das ging so, nun denken sie doch mal an die Angehörigen der Opfer, die müssten jetzt alle noch mal aussagen".  Maik W. widerruft daraufhin sein Geständnis. Ein halbes Jahr später gesteht er ein zweites Mal - diesmal gegenüber einem Journalisten des Spiegel. Aber auch das hat keine Konsequenzen.

Wie im Fall des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) suchte die Polizei die Täter zunächst im Kreis der Opfer. Ebenso wie beim NSU lesen sich Berichte über die Ermittlungen wie eine einzige Aneinanderreihung von Schlampereien und Fehleinschätzungen, kurz: wie Auf¬klärungsverhinderung. Beweisstücke wurden nicht gesichert oder verschwanden, Alibis bestenfalls halbherzig überprüft und unabhängige Sachverständige nicht ernst genommen. Stattdessen wurden die Opfer überwacht und abgehört. Nach Aufdeckung der NSU-Mordserie gibt es genügend Ansatzpunkte, den Fall Hafenstraße wieder komplett neu aufzurollen. So wie dies jetzt beispielsweise - wenn auch nach jahrzehntelangem Drängen - gerade zum Münchner Oktoberfestattentat 1980 passiert.

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Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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