Deutschland

Tuerk Maas Besuch 2021 01 1819.01.2021: Bundesaußenminister Heiko Maas zu Besuch in Ankara ++ Maas setzt sich für Verbesserung der Beziehungen ein ++ Menschenrechtslage in der Türkei kein Thema, obwohl Türkei Oppositionelle verfolgt und Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ignoriert ++ Maas fordert Freilassung des zu 30 Tagen Haft wegen Verstoß gegen Kautionsauflagen verurteilten Alexej Nawalny ++ Julian Assange seit 21 Monaten wegen Verstoß gegen Meldeauflagen in Haft: Maas schweigt.

 

Heiko hat am Montag (18.1.) seinen Freund Mevlüt in Ankara besucht. Die beiden Außenminister, Heiko Maas (SPD) und Mevlüt Cavusoglu, duzen sich und machten bei der gemeinsamen Pressekonferenz auf gute Freundschaft.

Maas drückte seine Hoffnung auf eine Verbesserung der Türkei-EU-Beziehungen aus. Er wünsche sich sehr, dass "alle Möglichkeiten und Potenziale genutzt werden", sagte Maas nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen in Ankara. Mevlüt Cavusoglu erklärte, das Gespräch habe in "positiver Atmosphäre" stattgefunden. Er lobte das Engagement Deutschlands für bessere Beziehungen zur Türkei. ″Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU haben sich durch das erneute Engagement der Türkei und Deutschlands zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen verbessert″, sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu.

Maas machte sehr deutlich, dass er von Sanktionen gegen die Türkei nichts mehr hören will. Die EU hat im letzten Jahr damit gedroht, ihre Sanktionsliste gegen die Türkei zu erweitern, weil sie weiterhin Gasvorkommen in griechischem und zypriotischen Gewässern auskundschaftet, im östlichen Mittelmeer militärisch auftritt und das UN-Waffenembargo gegen die Kriegsparteien in Libyen unterläuft. Deutschland hat bisher ernsthafte Sanktionen verhindert, ist mit dieser Linie zuletzt aber immer mehr in Bedrängnis geraten.[1] ″Statt über Maßnahmen zu sprechen, muss es jetzt um den konstruktiven Dialog gehen″, betonte Maas mehrfach.

Seit einigen Wochen setzt die Türkei auf Entspannung gegenüber der Europäischen Union. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan betont immer wieder, dass sein Land die Beziehungen zur EU verbessern wolle. Ihm steht das Wasser bis zum Hals. Krieg und Besatzung in Syrien, Krieg gegen die PKK und Militärstützpunkte im Nordirak, Beteiligung am Krieg Aserbaidschans gegen Armenien, Beteiligung am Krieg in Libyen, Unterstützung der dschihadistischen Banden – das überfordert auch die türkische Wirtschaft. Die Inflationsrate liegt nach Angaben der Regierung bei 14,6 Prozent, bei Lebensmitteln sind es sogar mehr als 20 Prozent. Der Ökonom Steve Hanke von der US-amerikanischen Johns Hopkins-Universität hält die Inflationsrate noch für deutlich höher und schätzt sie auf rund 37 Prozent. Die schon vor Corona hohe Arbeitslosigkeit (13,2%) steigt weiter. Die Türkische Lira befindet sich unaufhaltsam im Sinkflug, die Auslandsschulden wachsen. Das Land braucht dringend ausländische Investitionen. Doch die Ausländischen Direktinvestitionen sind in den letzten fünf Jahren um 54 Prozent zurückgegangen.

In dieser Situation ist die Normalisierung der Beziehungen zur EU als größter Handelspartnerin der Türkei unverzichtbar, um das Land vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren und das politische Überleben Erdogans zu sichern. Dafür ist Erdoğan bereit, seinen aggressiven Kurs im östlichen Mittelmeer zu beenden. Zudem kann er sich auf die deutsche Regierung und den deutschen Außenminister verlassen.

Deutschland und die EU streben im Gegenzug vor allem eine Verlängerung des 2016 unterzeichneten »Flüchtlingsabkommens« mit der Türkei an. Denn die Türkei wird gebraucht zur Abwehr von Flüchtenden. Und so bezeichnete Maas in der Pressekonferenz die Aufnahme von Millionen syrischer Flüchtlinge durch die Türkei als einen Erfolg und eine Anstrengung, die "von Europa nicht richtig gewürdigt wurde".

Erdoğan hat seinerseits bereits angekündigt, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsidenten Charles Michel zu zeigen, wie die Türkei die EU-Gelder aus dem Flüchtlingspakt verwendet. Die beiden sollen noch im Januar in die Türkei kommen, wenn es nach dem Wunsch von Erdoğan und Cavusoglu geht. Dann will ihnen Erdoğan zeigen, wie türkische Bauunternehmen mit EU-Geldern in der türkisch besetzten Provinz Idlib in Syrien rund 50.000 Häusern gebaut haben, in denen rund 300.000 syrische Binnenflüchtlinge untergebracht werden sollen. Mit dieser völkerrechtswidrigen Maßnahme soll verhindert werden, dass die Flüchtenden in die Türkei und weiter in die Europäische Union fliehen.

Festnahme Alp AltinoersDie Menschenrechtslage in der Türkei war auch bei diesem Treffen kein Thema. Dabei sind gerade in den letzten Wochen tausende Oppositionelle einschließlich gewählten Bürgermeister*innen und Abgeordneten verhaftet worden. Die türkische Regierung ignoriert zwei wichtige Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) aus jüngster Zeit, in denen die Freilassung des bekannten Unternehmers und Kulturmäzens Osman Kavala und des Ex-Vorsitzenden der kurdisch-linken HDP, Selahattin Demirtaş, gefordert werden. Ankara weist die Urteile des EGMR brüsk als unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Statt die Urteile umzusetzen, wozu die Türkei verpflichtet ist, will Erdoğan die HDP komplett verbieten.

Der Türkei-Berichterstatter im Europaparlament, Nacho Sanchez Amor, nannte als Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei die Entschärfung der türkischen Antiterror-Gesetze, die Freilassung von Oppositionspolitiker*innen und Aktivist*innen und ein Ende des Drucks auf die Zivilgesellschaft, die Medien und die linke kurdische Partei HDP. Für Heiko Maas waren dies keine Themen. Maas erwähnte lediglich, man habe in guter Atmosphäre über anhängige Konsularfälle gesprochen, also über deutsche Staatsbürger, die in der Türkei in Haft sind oder aber das Land nicht verlassen dürfen. Dafür preist er den Beitrag des Erdoğan-Freundes Mesut Özil zum deutschen und internationalen Fußball.

Maas aktiv für Menschenrechte - in Russland

Doch auch wenn Heiko Maas in Ankara zum Thema Menschenrechte und politische Verfolgung schwieg, so blieb er zu diesen Themen nicht untätig. Kurz vor dem Start seines Flugzeuges forderte er über Twitter die sofortige Freilassung des am Sonntag in Russland festgenommenen Alexej Nawalny. Ein russisches Gericht hat Nawalny nach seiner Rückkehr aus Deutschland zu 30 Tage Haft verurteilt, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen hat.

″Russland ist durch die eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Bürgerrechte gebunden. Die Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber #Nawalny zur Anwendung kommen″, so Maas.[2]

Schweigen gegenüber Türkei und Großbritannien

Gegenüber der Türkei oder auch Großbritannien ist Heiko Maas da großzügiger. Im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, auch britisches Guantanamo genannt, ist seit April 2019 der Wikileaks-Gründer Julian Assange in Isolationshaft eingesperrt. Grund: Verstoß gegen Kautionsauflagen.

Die seit Jahren andauernden Zersetzungsmaßnahmen (konstruierte Vergewaltigungsvorwürfe, mediale Verleumdungskampagnen, Morddrohungen aus den USA), Folter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh (Isolationshaft, Hot-Box, entwürdigende Behandlung) und ein Schauprozess, an dessen Ende ihm 175 Jahre Haft in den USA oder die Todesstrafe drohen – die US-Regierung hat Einspruch gegen die vorläufige Nichtauslieferung eingelegt -, haben Assange psychisch krank und depressiv gemacht. Nicht zuletzt UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte nach einem Besuch im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo Assange einsitzt, festgestellt, Assange sei in einem lebensbedrohlichen Zustand; er zeige Anzeichen psychischer Folter. Inzwischen leide Assange auch an Herzproblemen, so seine Verteidiger*innen. Inzwischen besteht sogar die Sorge, Assange könnte die Haft in Belmarsh nicht überleben.[3]

All das hatte aber bislang nicht dazu geführt, dass die Haftbedingungen in irgendeiner Form erleichtert wurden oder dass der deutsche Außenminister Maas die Regierung in London daran erinnert, dass Großbritannien ″durch die eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Bürgerrechte gebunden″ sei.

Wenn es um politische Gefangene geht, gilt für Bundesaußenminister Heiko Maas eben zweierlei Maß.    

 

Anmerkungen:

[1] EU-Gipfel: Eine Bankrotterklärung der EU

[2] https://twitter.com/HeikoMaas/status/1351077011746410500

[3] Julian Assange bleibt im britischen Guantanamo in Haft

 

 

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zum Text hier
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