14.06.2021: Auf Betreiben der Bundesregierung ist einer Friedensdelegation in Düsseldorf die Ausreise nach Erbil untersagt worden ++ Die Initiative bezeichnet das Vorgehen deutscher Behörden als aktive Unterstützung für den Krieg der Türkei in Südkurdistan ++ Bundesregierung will Beziehungen zum Nato-Partner Türkei nicht belasten
Eigentlich sollte die Delegation 150 Personen aus elf Ländern umfassen. Für deutsche Teilnehmer*innen der Friedensdelegation endete die Reise jedoch bereits am Düsseldorfer Flughafen in einem fensterlosen Flur der Bundespolizei. 27 Politiker*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen wurden von der Bundespolizei an der Ausreise aus Deutschland gehindert. Bundespolizist*innen ″kesselten″ die Gruppe ein, und zwangen sie, ihnen in den Bereich der Polizei zu folgen. Hier wurden den Delegationsmitgliedern die Pässe abgenommen; sie wurden einzeln verhört.
Auf Fragen, was das Vorgehen solle, hätten die Bundespolizisten geantwortet, dass es ″Anweisungen von oben″ gäbe, die Gruppe nicht ausreisen zu lassen, erzählt die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir. Bis auf vier Teinehmer*innen der Delegation erhielten die anderen Mitglieder der Gruppe eine ″Ausreiseuntersagung″ für den Irak. Es bestehe bestehe die Gefahr, dass sie sich der Guerilla anschließen oder als ″menschliche Schutzschilde″ für die PKK fungieren könnten.
Bundesregierung will Beziehungen zum Nato-Partner Türkei nicht belasten
Die politische Begründung für das Ausreiseverbot ist allerdings eine andere. Durch die Einmischung in den Konflikt, die von der Bundespolizei als PKK-Unterstützung bewertet wird, ″werden erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt″. Es bestehe die Gefahr, dass die ″Beziehungen″ zum ″Nato-Partner Türkei″ weiter ″negativ belastet″ werden könnten. Deswegen sei eine Ausreise zu verweigern.
″Wer den Kurd*innen bei ihrem Kampf gegen den IS applaudierte, sollte ihnen jetzt nicht den Rücken kehren, sondern gegen die Angriffe des türkischen Staates protestieren. Wir sind hier, um gegen das Schweigen der Presse in Europa und Frankreich in Bezug auf diese Angriffe zu protestieren. Wir sind an den Ort der Angriffe gekommen, um unsere Solidarität zum Ausdruck zu bringen und um zu fordern, dass die Angriffe aufhören. Wir wollen Informationen zu sammeln und die Mauer des Schweigens in Frankreich und Europa durchbrechen.″
Pierre Laurent (PCF, Mitglied des französischen Senats PCF), der sich als Mitglied der ″Internationalen Delegation für Frieden und Freiheit in Kurdistan″ in Südkurdistan aufhält,
Die politische Bewertung von Cansu Özdemir fällt eindeutig aus. Die Bundesregierung habe ″kein Interesse″ an Frieden im Mittleren Osten. Wichtiger sei es ihr, der Türkei zu gefallen. Sie spricht von einem ″abgekarteten Spiel″ an dem die Bundesregierung, die Regierung Erdoğan und auch die kurdische Autonomieregierung beteiligt gewesen sei. Das Festhalten der Menschen am Flughafen erinnere an ″Erdoğan-Methoden″, die von der deutschen Polizei angewandt worden seien, um den türkischen Präsidenten ″zufriedenzustellen″.
"Das Reiseverbot zeigt einmal mehr die aktive Unterstützung der Türkei durch die deutsche Bundesregierung. Es ist wohl als ein klares Zeichen an die Türkei zu verstehen, ihre völkerrechtswidrige Besatzungsoperation in Kurdistan fortzuführen", heißt es von den Teilnehmer*innen der Delegation.
Cansu Özdemir: ″Diese Maßnahme war ganz klar rechtswidrig″
Die Festsetzung einer Abgeordneten eines deutschen Landesparlaments hat hohe Welle geschlagen und für große Empörung gesorgt. Neben Gewerkschaften, Initiativen und dem kurdischen Dachverband KON-MED hat auch der Bundesvorstand der Partei DIE LINKE gefordert, dass deutsche Behörden nicht zu Erdogans Handlangern werden dürfen. Özdemir erklärte, dass es ein juristisches Nachspiel geben werde, da die Maßnahmen der Bundespolizei eindeutig rechtswidrig gewesen seien. Hamburgs Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) äußerte derweil, dass das Handeln der Sicherheitsbehörden des Düsseldorfer Flughafens auch verfassungswidrig war. Laut Grundgesetz sowie der Verfassung der Hansestadt dürfen Abgeordnete während der Dauer ihres Mandats weder verhaftet noch in sonstiger Weise in ihrer Freiheit und in der Ausübung ihres Mandats behindert werden. Veit kündigte an, dass sich ″mit Sicherheit″ auch das parlamentarische Kontrollgremium in Hamburg mit dem Vorgang beschäftigen werde.
Der Parteivorstand der Partei DIE LINKE solidarisierte sich mit den betroffenen Genossinnen und Genossen und protestiert gegen das Ausreiseverbot. ″Wir erwarten von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt sofortige und umfassende Aufklärung über den Vorgang. Es kann nicht sein, dass Politikerinnen und Politiker, die ihre Rechte wahrnehmen, auf diese Weise in ihrer Arbeit behindert werden. Deutsche Behörden dürfen nicht zu Erdogans Handlangern werden.“
DIE LINKE kritisiert, dass NATO und Bundesregierung zu den türkischen Angriffen schweigen. ″Die angeblich gegen Stellungen der PKK gerichteten Angriffe treffen immer wieder die Zivilbevölkerung, kürzlich erst wurde eine Geflüchtetenlager von bewaffneten Drohnen beschossen. Die Souveränität des Irak wird missachtet und der militärische Einflussbereich der Türkei, neben Nordsyrien, auf weitere kurdische Gebiete ausgedehnt″, erklärt der Parteivorstand der Linken. ″NATO und Bundesregierung schweigen dazu.″
Unfreundlicher Empfang in Erbil
Den wenigen Delegeationsmitglieder, denen die Ausreise aus Deutschland gestattet wurde, wurde am Flughafen in Erbil (Hewlêr) ein unfreundlicher Empfang bereitet. So wurde z.B. der Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Taş nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF 15 Stunden von Sicherheitsbehörden in Erbil in Gewahrsam gehalten. Das Ziel der behörden der kurdischen Autonomieregierung: die Delegation direkt zurück nach Deutschland zu schicken.
Rund 50 Mitglieder der ″Internationalen Delegation für Frieden und Freiheit in Kurdistan″, die in den vergangenen Tagen in Erbil von der Einreise nach in die Autonome Region Kurdistan / Nordirak abgehalten wurden, sind am Sonntag wieder in Deutschland eingetroffen. Neben Delegierten aus Deutschland handelt es sich unter anderem auch um solche aus Slowenien und der Schweiz. Die meisten waren in Abschiebezellen im Untergeschoss des Flughafens Erbil festgehalten worden.
Friedensdelegation in Südkurdistan findet trotzdem statt
Die Mitglieder der Friedensdelegation, die es trotz der Behinderung durch deutsche, südkurdische und katarische Behörden nach Erbil geschafft haben – in Katars Hauptstadt Doha wurde ebenfalls eine Gruppe aufgehalten – führten inzwischen ein Gespräch mit Safeen Dizayee (PDK), dem Leiter der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten der Regionalregierung Kurdistan-Irak.
Die Delegation fordert den sofortigen Rückzug des türkischen Militärs aus Südkurdistan und eine friedliche Lösung aller Konflikte in der Region.
In einer Erklärung der Delegation zum Überfall der Türkei heißt es: ″Wir sind zusätzlich traurige Zeug*innen davon, dass die internationale Staatengemeinschaft dagegen untätig bleibt und nicht auf die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte pocht.″
Die Delegation beklagt, dass die Kurdische Regionalregierung die Delegation in den vielen Fällen daran hindert, mit den politischen Akteur*innen in Südkurdistan in Dialog zu treten. ″Organisationen, die wir besuchen wollten, wurden eingeschüchtert, sodass sie von den geplanten Treffen zurückgetreten sind. … Uns wurden bislang Ausflüge zu kulturellen, religiösen und historischen Stätten ermöglicht und wir wurden zu einem Gespräch mit dem Baba Șêx, dem höchsten religiösen Vertreter der ezidischen Gemeinschaft, eingeladen. Im ezidischen Flüchtlingslager Șarya, in dem es vor einer Woche einen großen Brand gab, sprachen wir mit den Menschen, die von Krieg, Vertreibung und Zerstörung besonders betroffen sind.″
Am heutigen Montag konnten Dutzende Teilnehmer*innen der Friedensdelegation ihr Hotel in Erbil nicht verlassen. Bewaffnete Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion des Irak hatten das Gebäude umstellt. ″Quasi über Nacht hat die kurdische Regierung uns jede Erlaubnis verweigert und repressive Maßnahmen ergriffen″, sagt Michael Neuhaus, Bundessprecher von Linksjugend Solid. Als Delegation sei man nun unter ″Hausarrest″ gestellt.
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