Deutschland

12.12.2022: Vergesellschaftung ist möglich. Die Expert:innenkommission gibt in ihrem seit Donnerstagabend (8.12.) kursierende Entwurf des Zwischenbericht grünes Licht für die Enteignung großer, profitorientierter Immobilienkonzerne. Rechtliche Einwände, die die Gegner der Vergesellschaftung vorbrachten, entkräftet das Gremium. Die Expert:innen bestätigen, dass das Land Berlin die nötige Gesetzgebungskompetenz hat, um ein Vergesellschaftungsgesetz zu verabschieden.

 

"Die Kommission hat bestätigt, was für mehr als eine Million Menschen vergangenes Jahr schon klar war: Berlin kann enteignen! Der Senat hat keine Ausreden mehr und kann sich nicht länger hinter der Kommission verstecken. Berlin kann nun Geschichte schreiben“, freut sich Isabella Rogner, Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. "Auch die von Senat bisher genannte, völlig aufgeblasene Entschädigungshöhe hat die Kommission zurückgewiesen. Das heißt: wir können uns die Enteignung leisten, das steht fest!"

Die 13-köpfige mit hochkarätigen Jurist:innen besetzte Kommission prüft seit Ende April rechtliche Teilaspekte, die bei einer Vergesellschaftung der Immobilienbestände großer profitorientierter Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen berührt würden.

In dem nun vorliegenden Entwurf für den Zwischenbericht gehen die Expert:innen zunächst davon aus, dass, anders als es das Bundesverfassungsgericht dem Mietendeckel bescheinigte, die landesrechtliche Kompetenz zur Regelung einer Vergesellschaftung gegeben ist. Allerdings brauche es eine Organisationsform, deren gemeinwirtschaftlicher Auftrag im Rahmen eines Vergesellschaftungsgesetzes dauerhaft gesichert sei. "Eine Anstalt des öffentlichen Rechts, wie sie von der Initiative des Volksentscheids vorgeschlagen wurde, ist jedenfalls ein geeigneter Träger", heißt es von der Kommission.

Außerdem würde die Finanzierbarkeit der Enteignung keine Hürde darstellen, denn als Entschädigung für die Vergesellschaftung müsse nicht der Verkehrswert der Wohnungsbestände gezahlt werden. Wie sich die Entschädigungshöhe stattdessen errechnet, ist dabei weiterhin ungeklärt. Dass der symbolische Euro pro Wohnung, den Deutsche Wohnen & Co enteignen einmal vorgeschlagen hatte, nicht ausreicht, darin sind sich die Expert:innen einig. Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob der Verkehrswert generell keine Grundlage ist, um die Entschädigung zu berechnen, oder ob vom Verkehrswert der Wohnungsbestände Abzüge wegen der spekulativen Gewinne der Unternehmen gemacht werden müssten.

Finanzsenator hält "haushaltsneutrale" Entschädigung für möglich

Kurz vor dem Durchstechen des Kommissionsberichts an die Berliner Morgenpost hatte der Berliner Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) bestätigt, dass finanzielle Transaktionen für die Enteignung der Wohnungskonzerne "haushaltsneutral und schuldenbremskonform" möglich sind. Die Kostenschätzung des Senats sei nicht "up to date", gab der Finanzsenator zu und erklärte, dass das sogenannte "Ertragswertverfahren die beste Annäherung" an den Entschädigungswert sei, denn er "wolle keine Haushaltsfinanzierung" und auch die Berliner Mieter:innen sollen am Ende nicht "die Zeche zahlen".  Bei dem Ertragswertverfahren dienen die voraussichtlichen Mieteinnahmen als Grundlage für die Entschädigungssumme. Auf diese Weise könne sichergestellt werden, dass die Spekulation der Konzerne nicht vergütet werde. 

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen begrüßt diese Absage an die bisherige Kostenschätzung des Senats, die sie nicht nur als veraltet, sondern auch als methodisch falsch betrachtet: "Um die Entschädigungshöhe festzulegen, müssen wir weg von den spekulativen Zahlen der Konzernbilanzen und hin zu einer Interessensabwägung, die das Grundgesetz vorsieht. Bei dieser Abwägung müssen selbstverständlich die Interessen der Mieter:innen und das Gemeinwohl im Vordergrund stehen", sagt Ralf Hoffrogge von der Initiative. 

Kommission: Diskussionsprozess "noch nicht abgeschlossen"

Nachdem der Entwurf des Zwischenberichts am Donnerstagabend an die Öffentlichkeit gelangte, stellte die Kommission am Freitag etwas düpiert klar, dass der Diskussionsprozess "noch nicht abgeschlossen" sei, der Entwurf noch beraten werde, Punkte noch "aufgegriffen" werden müssten und noch keine Auskunft darüber möglich sei, "was die Kommission am Ende ihrer Beratungen beschließen wird". Zu erwarten ist, dass sich in weiten Teilen des Berichts zwei unterschiedliche Positionen zu verschiedenen Fragen durchziehen werden. Kein Wunder, schließlich schreibt die Kommission bundesrepublikanische Rechtsgeschichte.

Offiziell soll der Zwischenbericht erst im Laufe dieser Woche vorgestellt werden. Der endgültige Bericht soll dann bis Ende April 2023 folgen, ein Jahr nach dem Start der Kommission.

Die Kommission entscheidet nicht

Als der Zeitplan für die Kommission aufgesetzt wurde, war noch nicht klar, dass die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden muss – der Termin wurde auf den am 12. Februar gelegt. Auch wenn es nur ein Zwischenbericht ist und die Kommission nur Empfehlungen abgibt, kommt für die Gegner:innen der Vergesellschaftung die Einschätzung der Expert:innenkommission zur Unzeit. Bekanntlich lehnen die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihr Bausenator Andreas Geisel (beide SPD) das Ziel von Deutsche Wohnen & Co enteignen vehement ab.

"Wenn Giffey und Geisel weiterhin die Arbeit verweigern und stattdessen schützend die Hand über ihre Immobilienfreunde halten, dann werden sie am 12. Februar die Quittung dafür kassieren, sagt Isabella Rogner von der Initiative.

Franziska Drohsel, stellvertretende Vorsitzende des SPD-Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf, äußerte, dass sie den Eindruck habe, "dass das Verfassungsrecht instrumentalisiert wird, um eine politische Diskussion totzumachen." Sie appelliert an die Basis der SPD, den politischen Druck zu verstärken.

DIE LINKE will Berliner Wiederholungswahl erneut zur Mietenwahl machen

Die Berliner LINKE hätte sich für ihren Kleinen Landesparteitag am Freitagabend keinen besseren Wahlkampfauftakt wünschen können.

Mit dem Zwischenbericht seien "die rechtlichen Nebelkerzen, die die SPD und die Konservativen aufgestellt haben, von der Expertenkommission nun ausgepustet, und das ist der Rückenwind für uns im anstehenden Wahlkampf", jubelte Martha Anna Kleedörfer, die Vorsitzende des Kreisverbands Mitte.

"Wir, und nur wir, sind diejenigen, die dafür sorgen werden, dass es dann, wenn diese Kommission ihren hoffentlich positiven Bericht vorgelegt hat, tatsächlich einen Gesetzentwurf gibt, der dann im Abgeordnetenhaus auch beschlossen werden kann", versprach Kultursenator und Vizesenatschef Klaus Lederer. Wobei offen ist, ob und wieviel DIE LINKE nach dem 12. Februar noch umsetzen können wird. Aktuell liegt die Partei in Umfragen zwischen elf und 13 Prozent, bei der Pannenwahl im September vergangenen Jahres war sie noch auf 14,1 Prozent gekommen.

Die Berliner LINKE hofft, das abgekühlte Verhältnis der Initiative zur Partei wieder kitten zu können. Zwar hatte sich DIE LINKE im Wahlkampf des vergangenen Jahres als einzige Partei vorbehaltlos hinter die Ziele des Volksentscheids gestellt. Aber die von der Partei später im Senat mitgetragene Einsetzung der Expert:innenkommission war den Aktivist:innen dann aber umso bitterer aufgestoßen. Sie hatten erwartet, dass DIE LINKE nach dem überwältigenden Erfolg der Volksabstimmung [1] in der Regierungskoalition die sofortige Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes durchsetzt. Sie sprachen von "dreister Verschleppungstaktik". Auf dem Landesparteitag im April hatten sich die Delegierten von einer Vertreterin der Initiative anhören müssen, dass man sich "von der LINKEN getäuscht" fühle und der Eindruck entstehe, "dass eure Unterstützung für den Volksentscheid nur Wahlkampftaktik war".

Spitzenkandidat Lederer versprach am Freitagabend, dass man "auch diese Wahl wieder zu einer Mietenwahl machen" werde.  

 

 

Fußnoten

[1] In Berlin haben sich mehr als 200 Mieterinnen- und Mieter-Initiativen zusammengeschlossen und mit etwa 350.000 Unterschriften einen Volksentscheid erzwungen: Alle Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, sollen gegen Entschädigung enteignet werden. Am 26. September 2021 wurde in Berlin parallel zur Bundestagswahl auch über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" abgestimmt. 56,4 Prozent sprachen sich für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius und anderen aus, 39 Prozent dagegen.
Bei den Koalitionsverhandlungen konnte sich DIE LINKE als kleinste Koalitionspartnerin nicht durchsetzen. Entgegen dem Willen der LINKEN, die den Volksentscheid per Gesetz schnell durch- und umsetzen wollte, wird in der Koalitionsvereinbarung die Umsetzung auf die lange Bank geschoben: Eine Expert:innenkommission wurde beauftragt, die rechtliche Situation zu prüfen und nach einem Jahr Vorschläge zu machen. Ein Gesetz soll "gegebenenfalls" 2023 vorgelegt und dann diskutiert werden. Ursprünglich lehnte die Enteignungsinitiative eine Mitarbeit in der Kommission ab, entsandte dann aber doch drei Vertreter:innen.


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