20.09.2014: "Der Papst ist kein Linker, aber er spricht wie einer". so brachte Alexis Tsipras das Gespräch mit dem Papst auf den Punkt. Am Donnerstag hatte Papst Franziskus den griechischen Oppositionsführer und stellvertretenden Vorsitzenden der Europäischen Linken zu einer Privataudienz empfangen. Der Papst habe laut Tsipras bei der Diskussion über die Wirtschaftskrise von einer "Wertekrise" gesprochen und es als "unfassbar" bezeichnet, dass die Politik zuvorderst um die Rettung von Banken anstatt um die Rettung von Menschen besorgt sei. Zur Frage der Migration forderte Franziskus jegliche nur erdenkbare Anstrengung, um noch mehr Tote im Mittelmeer zu verhindern.
Es sei eine „angenehme Überraschung“, dass Positionen der Linken sehr nahe seien an der Haltung der katholischen Kirche, sagte Tsipras. „Auch wenn wir von unterschiedlichen ideologischen Positionen ausgehen, glauben wir zusammen an die Prinzipien der Solidarität, der Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts“.
Die Sympathien dürften gegenseitig sein. In einem Interview im März mit der Zeitung »La Stampa« hatte der Papst gesagt, der Marxismus sei zwar falsch, doch viele seiner Anhänger seien »sehr gute Menschen«.
Der Vorsitzende der Partei der radikalen Linken Griechenlands, Syriza, berichtete dem Papst über die Folgen der weiterhin andauernden tiefen Rezession Griechenlands nach vier Jahren striktester Sparpolitik. Er und Walter Baier, Koordinator des Think-tanks der Europäischen Linken »transform! europe«, baten den Papst laut eigenen Angaben, "weiterhin für die Rechte und Würde des Menschen zu kämpfen und zu sprechen und Initiativen für eine Lösung der Nahost-Krise zu setzen".
Radio Vatikan meldet über das Treffen: „Privat beim Papst war an diesem Donnerstag außerdem der griechische Politiker Alexis Tsipras, Vizepräsident der Europäischen Linken. Bei dem informellen Gespräch, das nicht in der offiziellen Audienzliste von Franziskus auftauchte, ging es um soziale Fragen. Vatikansprecher Federico Lombardi betont, das Treffen habe „keinerlei politische Relevanz gehabt“. Griechische Medien hatten der Begegnung des Papstes mit dem Linkspolitiker breite Aufmerksamkeit gewidmet.
Begleitet wurde Tsipras von dem österreichischen Kommunisten Walter Baier, der einen Think-tank leitet. Baier hat mehrfach am „Vorhof der Völker“, einer Vatikaninitiative zum Gespräch mit Nichtglaubenden, teilgenommen. Die Europäische Linke führt einen intensiven Dialog mit der katholischen Fokolarbewegung.“
Die Themenpalette, die er mit Papst Franziskus besprochen habe, sei laut Tsipras sehr breit gewesen: Armut, Migration, Wirtschaftskrise und die herrschende Kriegsgefahr. "Der Dialog zwischen der Linken und der Kirche ist wichtig. Zwar gibt es unterschiedliche Ideologien, in vielen Punkten wollen wir aber dasselbe - also etwa Solidarität und Gerechtigkeit." Der Papst erkenne, so Syriza-Chef Tsipras, "die Wichtigkeit der Initiativen, um gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen". Kurz hätten sie dabei auch die griechische Innenpolitik gestreift. "Was ist passiert? Die Reichen wurden noch reicher, die Armen ärmer. Wir haben Banken gerettet, nicht die Menschen."
Tsipras meinte, dass es sich um ein „historisches Treffen“ gehandelt habe. Offenbar wurde das so auch an anderen Stellen so eingeschätzt: Denn kaum war der Termin für die Zusammenkunft publik geworden, habe es Druck aus Griechenland gegeben, sagte Tsipras. "Die griechische Regierung mag nichts von dem, was ich mache. Sie mag mich nicht", sagte er in einem Gespräch mit der österreichischen Tageszeitung Standard.
Die griechische Regierung und die EU sind nervös. Bereits bei den Europawahlen im vergangenen Frühling hat die konservative Nea Dimokratia von Premierminister Antonis Samaras schlechter abgeschnitten als Syriza. Auch bei allen Meinungsumfragen, die seither durchgeführt worden sind, hat Syriza die Nase vorn, nach einer jüngsten Erhebung sogar mit sechs Prozentpunkten.
Aber auch innerhalb der Kirche passt der neue Ton von Papst Franziskus nicht jedem. So wenden sich gerade fünf Kardinäle in einem Buch gegen einen neuen Kurs. Es gebe keinen Spielraum für Änderungen, wird unmissverständlich festgehalten. So offen hat bisher am vom Papst eingeschlagenen Weg innerkirchlich niemand gezweifelt. Das Treffen mit einem innerhalb der EU derart umstrittenen Politiker wie Tsipras wird innerhalb der römisch-katholischen Kirche wohl auch nicht nur positiv gesehen.
Zustande gekommen war das Treffen laut Vatikanangaben durch Kontakte der Europäischen Linkspartei mit der katholischen Fokolar-Bewegung, die derzeit in Rom ihre Generalversammlung abhält. Walter Baier, der bis 2006 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs war und nun das Forschungs- und Bildungsnetzwerk "transform! europe" leitet, habe diese Treffen eingefädelt. Beide Seiten hätten durch diesen Brückenschlag einen Dialog von "Menschen guten Willens" anregen wollen. "Sieben Monate Vorlauf hat es gebraucht", sagte er. "Damit hatten wir aber schneller eine Audienz beim Papst als ein Treffen mit dem Wiener Bürgermeister." Das steht bis heute aus.
Für Walter Baier war es nicht das erste Treffen mit einem Papst. Im Jahr 2011 war er neben vier anderen Atheisten zum interreligiösen und interkonfessionellen Treffen für den Frieden nach Assisi und Rom eingeladen worden und hatte ein Gespräch mit Papst Benedikt. (kommunisten.de berichtet: Friedenstreffen: "... ich glaube schon, dass der Papst die Gottesfrage überschätzt").
Nach dem Gespräch mit Papst Franziskus meinte Baier: "Der Papst steht den Anliegen der Linken - soziale Gerechtigkeit, Kapitalismuskritik - aufgeschlossen gegenüber." Dies seien auch Themenfelder, die viel breiter getragen werden müssen als bloß durch die politische Linke. Denn, so Baier: "In der herrschenden Krise der institutionalisierten Politik- und Parteienlandschaft stehen zwei Institutionen in einer besonderen Rolle: die Religionsgemeinschaften und die Gewerkschaften."
txt: lm
siehe auch: Papst empfängt am Donnerstag zwei europäische Linkspolitiker