Europa

Norwegen Store Vedum14.11.2021: Norwegen ist ein konsensorientiertes Land. Das zeigt sich auch an Regierungswechseln. Die neue zentrum-links Regierung Norwegens unter dem Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre und dem Zentristen Trygve Slagsvold Vedum hat ihren ersten Haushalt vorgelegt. Das Resultat: sehr vorsichtiges Umsteuern nach acht Jahren Rechtsregierung. Zu vorsichtig warnen die Sozialistische Linkspartei (SV) und Rot (Rødt).

 

Es ist Tradition, dass bei Regierungswechseln in Norwegen, die abdankende Regierung ihren letzten Haushalt ausarbeitet und es dann ihren Nachfolgern überlässt, diesen abzuändern und durch das Parlament zu bringen. Da die Fristen normalerweise knapp sind, sichert dieses System lediglich moderate Änderungen im Jahr des Regierungswechsels, wenn verantwortliche wie unverantwortliche Wahlversprechen noch frisch im Gedächtnis sind.

 

Norwegen Rodt

 
15.9.2021: Norwegen wendet sich nach links. Wird jetzt der Ausstieg aus dem Öl eingeleitet?  

Norwegen Sitzverteilung 2021 09 13

 
05.10.2021: Norwegen, was nun?

Norwegen Storting

 

19.10.2021: Norwegens neue Regierung

 

Gahr Støre und Slagsvold Vedum hatten insgesamt nur drei Wochen Zeit, um den letzten Haushalt der rechten Regierung Solberg so umzuarbeiten, dass er den Eindruck eines wirklichen Umsteuerns weckt und die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen in Hurdal nicht ad abusrdum führt. Das ist nur teilweise gelungen. Jetzt stehen noch Verhandlungen mit der Sozialistischen Linkspartei (SV) an, die dem Vorschlag eine Mehrheit im Storting sichern kann – falls deren Kritik Gehör findet.

Es war zu erwarten und überraschte dennoch. Die neuen Regierungspartner wollen die Steuerentlastungen für Besserverdienende der letzten acht Jahre von insgesamt 32 Milliarden Kronen (etwa 3,2 Milliarden Euro) nicht zurücknehmen. Es wird nur umgeschichtet und das bedeutet leicht reduzierte Steuerlast für kleinere und mittlere Einkommen, etwas höhere für Besserverdienende und Reiche. Die Erhöhung der Vermögenssteuer von 0,85 auf 0,95 Prozent nimmt sich aber doch bescheidener aus als erwartet.

Gleichzeitig soll es etwas billigere Kindergärten geben (alle mit Kindern ab 10 Monaten haben in Norwegen Anrecht auf einen Platz), gratis Fähren für Inselbewohner, sowie höhere Einnahmen für den Staat aus Norwegens vielen Wasserkraftwerken. Gewerkschaftsbeiträge können jetzt mit bis zu 500 Euro pro Jahr von der Steuer abgesetzt werden (früher nur etwa 260 Euro). Es soll auch mehr Geld für Gemeinden sowie dezentralisierte Entbindungskliniken geben und extra Mittel für Distriktshochschulen – Fachhochschulen, die außerhalb der großen urbanen Zentren lokalisiert sind. Letztere Punkte sind Ergebnis der Mobilisierung durch die sogenannte "Bunadsguerilla" (Trachtenguerilla), deren Forderungen sich die Zentristen im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben hatten.

Die sogenannten "Käsehobelkürzungen" (ostehøvelkutt) von Solbergs Entbürokratisierungsreform im öffentlichen Sektor von bisher 0,5 - 0,8 Prozent des Totalbudgets pro Jahr sollen jedoch zum großen Missmut vieler vorerst erhalten bleiben. Auch Zahnbehandlungen für Erwachsene sollen weiterhin ohne Deckung durch den norwegischen Wohlfahrtsstaat bleiben und Arbeitslosen soll dieses Jahr wieder kein Feriengeld ausbezahlt werden (die Feriengeldregelung war von Solberg 2015 abgeschafft worden und wurde 2020 wegen Corona kurzfristig wiedereingeführt).

  Norwegen, Europas wichtigster Gaslieferant nach Russland, hat sich bereit erklärt, seine Exporte um 2 Milliarden Kubikmeter zu erhöhen, um die Energieknappheit auf dem Alten Kontinent zu lindern. Und Ministerpräsident Jonas Gahr Støre hat argumentiert, dass künftige Investitionen in Öl und Gas der Schlüssel zur Unterstützung des Übergangs zu erneuerbaren Energien sein werden.
eingefügt von kommunisten.de
 

 

Ein Ausgleich der erhöhten CO2 Abgaben ist durch Reduzierung von Benzin- und Dieselabgaben für den Privatverkehr vorgesehen, um der sozialen Schieflage solcher Abgaben entgegenzuwirken. Nicht alles, was versprochen war, findet sich in diesem Haushaltsentwurf. Er ist aber ein Anfang. Auch Rom wurde bekanntlich nicht an einem Tag erbaut.

Norwegen Rodt Urlaubsgeld fuer ArbeitsloseWie geht es jetzt weiter? Gahr Støre und Slagsvold Vedum stehen einer Minderheitsregierung vor. Vor Behandlung des Haushaltsentwurfes im norwegischen Storting müssen daher noch Verhandlungen mit Audun Lysbakkens sozialistischer Linkspartei (SV) geführt werden. Und hier kann es sein, dass man ein paar mögliche Siege für die SV in den vorliegenden Entwurf gleich mit eingebaut hat, um sich die Stimmen der SV-Fraktion zu sichern. Vielleicht doch eine höhere Vermögenssteuer, um staatliche Beiträge für Zahnbehandlungen oder Feriengeld für Arbeitslose zu finanzieren? Oder doch eine deutlichere Erhöhung der Gesamtsteuerlast für Besserverdienende, um weitere Einschnitte in der öffentlichen Verwaltung und an den Universitäten zu vermeiden (Universitätsangestellte und Lehrer gehören zur Kernklientel der SV)?

Es wird also spannend werden die nächsten Wochen. Die Ergebnisse der Gespräche zwischen Regierung und SV werden auch darüber entscheiden, ob sich das Støre-Vedum Bündnis zukünftig Mehrheiten rechts oder links der Mitte zu sichern gedenkt. Und Rodt in Fraktionsstärke als linke Opposition wird es der SV schwer machen, in den nächsten Tagen und Wochen zu viele Kröten zu schlucken.

Holger Pötzsch, Tromsø, Norwegen

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