15.09.2021: Die sozialdemokratische Arbeiterpartei schlägt die Konservativen ++ die Sozialistische Linkspartei legt zu ++ Die Grünen bleiben unter der 4%-Sperrklausel, erobern aber drei Direktmandate ++ der Anstoß für eine soziale und grüne Wende könnte von den "Roten" von Rødt kommen, die zum ersten Mal die 4%-Hürde übersprungen haben.
Knapp 3,9 Millionen Norweger*innen waren am Montag aufgerufen, die 169 Abgeordneten für das Parlament, dem Storting, zu wählen. Nach acht Jahren konservativer Politik herrscht Wechselstimmung im Land. Der bisher regierende Mitte-rechts-Block kommt nach starken Verlusten der rechten Høyre-Partei, von Christdemokraten (KfR), Liberalen und den Rechtspopulisten der Fremskrittspartiet (FP) nur noch auf 68 Sitze und ist weit entfernt davon, eine Mehrheit bilden zu können.
Zwar musste auch die sozialdemokratische Arbeiterpartei leichte Verluste hinnehmen, kann aber trotzdem die künftige Regierung führen, weil sie mit 48 Mandaten stärkste Partei ist und ihre linken potentiellen Koalitionspartner*innen dazu gewonnen haben. So deuten alle Zeichen auf die Wiederauflage einer Koalition aus sozialdemokratischer Arbeiderpartiet (AP), zentristisch-grüner Senterpartiet (SP) und der linken Sosialistisk Venstreparti (SV). Die sozialistische Linkspartei legte um 1,6 Prozentpunkte zu und kommt mit 7,6 Prozent auf 13 Abgeordnete. Die Grünen (Miljøpartiet De Grønne, MDG) kamen zwar nicht über die 4%-Hürde, sind aber mit drei Direktmandaten im Parlament vertreten.
Quelle: https://www.nrk.no/valg/2021/resultat/ |
Arbeiterpartei, SV und SP hatten bereits von 2009 bis 2013 gemeinsam regiert. Heute aber liegen andere Themen auf dem Tisch, die sich um das Problem der Probleme drehen: die Abhängigkeit der norwegischen Wirtschaft vom Öl.
Sowohl Grüne (MDG) als auch die Sozialistische Linkspartei (SV) haben im Wahlkampf angekündigt, keine Mehrheitsbeschaffer ohne Ausstieg aus der Erdölgewinnung zu werden. Die Grünen fordern das Ende der Erdölgewinnung bereits für 2035, für die Linkssozialisten der SV sollte die neue Regierung keine neuen Ölfelder und -plattformen mehr genehmigen. Nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts des Weltklimarates der Vereinten Nationen Anfang August hatte sich der Wahlkampf immer stärker um die Klimapolitik und ihre sozialen Auswirkungen gedreht.
Zwar beruht die norwegische Stromversorgung schon heute zu 99 Prozent auf erneuerbaren Energiequellen, insbesondere mittels Wasserkraftanlagen, und batteriebetriebene Fahrzeuge haben bei Neuwagen einen Marktanteil von 54 Prozent, aber Norwegen ist nach wie vor der größte Erdölexporteur Europas. 14 Prozent der norwegischen Wirtschaftsleistung kommt aus der Erdöl- und Erdgasproduktion, ungefähr 160.000 Arbeitsplätze hängen an der Branche – bei 5,4 Millionen Einwohnern eine beachtliche Zahl. Zudem pumpt das Schwarze Gold das Geld in den staatliche Pensionsfonds. Dieser ist mit einem Vermögen von mehr als 1,2 Billionen Euro der größte Staatsfonds der Welt und hält Vermögensanteile in aller Welt, zum Beispiel jeweils über neun Prozent der Anteile an den Immobilienkonzernen Deutsche Wohnen und Vonovia. Ein Ausstieg aus der Ölförderung ist deshalb kompliziert und in manchen Regionen unpopulär, auch wenn nach Umfragen bis zu 35 Prozent der Norweger*innen für ein Ende der Ölförderung sind.
Rote Partei erreicht acht Abgeordnete
Der Anstoß für eine soziale und grüne Wende könnte jedoch von einem anderen Novum dieser Wahlen ausgehen, nämlich dem erstmaligen Einzug der "Roten" von Rødt als mehrköpfige Fraktion in das norwegische Parlament. Rødt führte eine sehr offensive Kampagne zu sozialen und ökologischen Themen und kann fast 5% der Stimmen auf sich vereinigen. Künftig ist Rødt nicht mehr nur mit einem Direktkandidaten im Parlament vertreten, sondern mit einer Gruppe von acht Parlamentarier*innen.
″Wir haben endlich den Durchbruch erzielt, auf den wir fast zehn Jahre lang hingearbeitet haben"
Bjørnar Moxnes, Vorsitzender von Rødt
″Wir haben endlich den Durchbruch erzielt, auf den wir fast zehn Jahre lang hingearbeitet haben. Es ist klar, dass viele auf diesen Wendepunkt gewartet haben. Rødt ist zu einer Volksbewegung gegen die zunehmende Ungleichheit und für eine gerechte und starke Klimapolitik geworden″, sagt Bjørnar Moxnes, Vorsitzender der Roten. (Foto links)
Ein Mitte-Links-Bündnis ist für die "Roten" zwar nicht in Sicht, was vor allem an der mangelnden Bereitschaft der Zentrumspartei und der Arbeiterpartei liegt, aber ihr Vorsitzender Bjørnar Moxnes sagte am Montagabend, dass "wir nach unserem historischen Ergebnis alles tun werden, um die künftige Regierung nach links zu rücken, zugunsten von sozialer und klimatischer Gerechtigkeit".
Ähnlich äußerte sich ein anderer junger Abgeordneter der Linken, der Vorsitzende der SV Audun Lysbakken: "Wir werden die Stimmen in konkrete Ergebnisse umwandeln", versicherte er und erklärte sogleich die Bereitschaft der Partei zu einer Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten und den Zentristen.
Der künftigen Regierungschef, der Vorsitzenden der Arbeiterpartei Jonas Gahr Støre, steht nun vor der Aufgabe, eine stabile Koalition zu bilden, indem er zwischen der linken SV und den Zentristen der SP und einem neuen, kämpferischen Ansporn auf der linken Seite, vertreten durch die "Roten", vermittelt.