02.02.2024: Es bedurfte eines Vorgipfels und einer Erpressung, um Ungarns Regierungschef zu überzeugen: 33 Milliarden an Krediten und 17 Milliarden an Zuschüssen an die Ukraine, um das Land vor dem Bankrott zu bewahren. ++ Zusätzlich 21 Milliarden Euro Militärhilfe ++ EU-Abgeordnete Özlem Demirel: "Wirklich solidarisch wären ernsthafte diplomatische Bemühungen für ein Ende des Krieges – und ein Schuldenerlass. Die Pläne der EU hingegen sind reaktionär und unsolidarisch."
Die EU ist sich wieder einig und genehmigte einstimmig eine Finanzhilfe für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden über vier Jahre, die ab März freigegeben werden soll. Laut Ratspräsident Charles Michel handelt es sich um eine "sichere, langfristige und vorhersehbare" Finanzierung.
Viktor Orban, der sich im Dezember noch gewehrt hatte, lenkte ein und erhielt im Gegenzug eine jährliche Debatte über die Verwendung der Gelder, einen Bericht der Kommission und in zwei Jahren einen Gipfel für eine mögliche Überarbeitung des Programms, allerdings ohne die Möglichkeit eines Vetos, wie es der ungarische Premierminister jedes Jahr gefordert hatte.
Es dauerte zwei Stunden vor dem Gipfel, um Orban zu überzeugen. Ein erstes Treffen mit den Kommissions- und Ratspräsidenten Ursula von der Leyen und Charles Michel sowie Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Giorgia Meloni, das dann um den Niederländer Marc Rutte, den Polen Donald Tusk, den Spanier Pedro Sanchez und den Belgier Alexander De Croo (der den rotierenden Ratsvorsitz innehat) erweitert wurde und zu dem sich schließlich auch die baltischen Staaten gesellten, konnte Orban zum Einlenken bewegen.
Doch Orban erwirkte Zugeständnisse. "Das Geld, das den Ungarn geschuldet wird, wird nicht an die Ukrainer gehen", betonte Orban, der der Kommission die Zusicherung abgerungen hat, dass "die bloße Feststellung eines Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit nicht ausreicht, um den Sanktionsmechanismus auszulösen". Orban erwirkte eine Garantie der "Nicht-Diskriminierung" in den Urteilen der Kommission, die sich verpflichtete, "objektiv, fair, unparteiisch" und "auf der Grundlage von Tatsachen" zu entscheiden, wenn es um das Einfrieren der europäischen Gelder für Budapest geht (20 Milliarden sind seit 2020 gesperrt).
Die Tagesschau meldete dazu, "dass im Streit um eingefrorene EU-Gelder zunächst keine Zugeständnisse an Ungarn gemacht wurden". (Hervorhebung durch Redaktion)
Dazu kam die Erpressung, mit der Orban unter Druck gesetzt wurde. Die Financial Times hatte am Wochenende Unterlagen aus dem Europäischen Rat durchgestochen. Diese zeigten, so die Zeitung, wie Brüssel auf eine fortgesetzte Blockade des Hilfspakets durch Orban zu reagieren gedenke: Die Staats- und Regierungschefs würden öffentlich einen Ausschluss Ungarns von sämtlichen EU-Transferzahlungen fordern; das werde einen Schock auf den Finanzmärkten hervorrufen, den Forint abstürzen lassen, Investoren aus dem Land treiben.
"Ein guter Tag für Europa", kommentierte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich ebenfalls zufrieden. Dass die 27 Mitgliedstaaten den Weg für neue Milliardenhilfen für die Ukraine freigemacht haben, sei eine gute Botschaft für die Europäische Union und eine gute Botschaft für die Ukraine, sagte er in Brüssel. "Das war ein sehr erfolgreicher Gipfel."
Wolodymyr Selenskyj und die ukrainische Führung bedankten sich bei der EU. Wirtschaft und Finanzen der Ukraine würden langfristig stabilisiert, was genauso wichtig wie Rüstungshilfe oder Sanktionen gegen Russland sei. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal äußerte: "Die EU-Mitgliedstaaten haben ein weiteres Mal ihre Solidarität und Einigkeit mit dem ukrainischen Volk im Widerstand gegen den Krieg unter Beweis gestellt"
50 Milliarden für die "Modernisierung der Ukraine"
Im Rahmen einer Haushaltserhöhung für den Zeitraum bis 2027 hat die EU eine Finanzierung für die Ukraine in Höhe von 50 Mrd. - 33 Mrd. in Form von Darlehen und 17 Mrd. in Form von Zuschüssen - bewilligt, um "die makrofinanzielle Stabilität, die Sanierung und die Modernisierung der Ukraine zu unterstützen und wesentliche Reformen auf dem Weg zum EU-Beitritt durchzuführen". Die Mittel sind auch für den "Übergang zu einer grünen, digitalen und integrativen Wirtschaft bestimmt, die sich schrittweise an die Regeln und Standards der EU anpasst". Die mittelfristige Erhöhung des EU-Haushalts um 67 Milliarden muss vom Europäischen Parlament genehmigt werden.
Die Integration der Ukraine in die EU ist zwar noch in weiter Ferne, aber sie ist auf dem Weg, während die europäischen Landwirte auf der Straße protestieren und der Ukraine unlauteren Wettbewerb bei den Agrarexporten vorwerfen. Um die Gemüter zu beruhigen, hat die EU in aller Eile eine "Notbremse" für Eier, Zucker, Geflügel und perspektivisch auch Getreide erlassen (gestern vom französischen Premierminister Gabriel Attal gefordert), Produkte, die für den Weltmarkt bestimmt sind und stattdessen nach Europa gelangen.
Bisher Militärhilfen von 28 Milliarden Euro
Die europäischen Bürger sind zu 72% für eine weitere finanzielle Unterstützung der Ukraine. Und sechs von zehn für Waffenlieferungen. Gestern hat der Rat auch über diesen Teil der Unterstützung für den Krieg um die Ukraine diskutiert. Eine Aufstockung um 5 Milliarden für die Europäische Friedensfazilität und den Ukraine-Hilfsfonds für die Beschaffung von Rüstungsgütern.
Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hat die EU Kiew mit Militärhilfen im Umfang von 28 Milliarden Euro unterstützt, hieß es vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. In diesem Jahr sollen es Hilfen im Umfang von mindestens 21 Milliarden Euro werden. Eine Summe, die noch steigen könne, da noch nicht alle EU-Staaten Angaben zu der geplanten Unterstützung mit Rüstungsgütern gemacht hätten.
Olaf Scholz beklagte, dass "Deutschland in diesem Jahr mehr als die Hälfte zum ukrainischen Widerstand beitragen wird". In Europa herrscht ein Zahlenkrieg über die Höhe der Militärhilfe für Kiew: Die EU hat weitere 21 Milliarden versprochen und seit Kriegsbeginn 28 Milliarden ausgezahlt, aber laut einer Studie des Kieler Instituts hat Deutschland 17,1 Milliarden bereitgestellt (an zweiter Stelle nach den USA mit 43,9 Milliarden). Weit dahinter Spanien mit 900 Millionen, Italien mit 700 Millionen auf Platz 13 und Frankreich mit 500 Millionen auf Platz 15 (obwohl Paris nach eigenen Angaben mehr als 3 Milliarden bereitgestellt hat, ebenso wie Polen). Die Zusage der EU, der Ukraine bis März eine Million Artilleriemunition zu liefern, kann nicht eingehalten werden; diese Zahl dürfte erst Ende des Jahres erreicht werden.
"Wirklich solidarisch wären ernsthafte diplomatische Bemühungen für ein Ende des Krieges – und ein Schuldenerlass. Die Pläne der EU hingegen sind reaktionär und unsolidarisch."
Özlem Alev Demirel, EU-Abgeordnete (DIE LINKE)
Die EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel kommentierte:
"Der heutige EU Sondergipfel, der sich mit der Budgetanpassung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU bis 2027 beschäftigt, wird versuchen, Kredite an die Ukraine als 'solidarische Hilfe‘ zu verkaufen, die das bereits jetzt völlig überschuldete Land über Jahrzehnte unter das EU- Spar-und Anpassungsdiktat stellen werden. Konkret sollen im Rahmen der Ukraine-Fazilität 50 Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung stehen, davon 33 Milliarden als Kredite.
Dies wird in der Ukraine weitere Wellen von Privatisierung und Deregulierung nach sich ziehen. Bereits jetzt sitzt der Großaufkäufer Blackrock mit am Tisch, wenn es um die weitere Entwicklung der Ukraine geht. Letztlich werden erneut Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, denn noch so viele Deregulierungen werden nicht ausreichen, um der Ukraine die vollständige Rückzahlung der Kredite zu ermöglichen. Am Ende zahlt die Bevölkerung der EU und der Ukraine.
Wirklich solidarisch wären ernsthafte diplomatische Bemühungen für ein Ende des Krieges – und ein Schuldenerlass. Die Pläne der EU hingegen sind reaktionär und unsolidarisch.
Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung des EU-Sondergipfels ist die Erhöhung des Budgets für 'Migrations- und Grenzmanagements‘ im Rahmen der verschärften EU-Migrationspolitik. Hierfür sollen zwei Milliarden Euro ausgegeben werden. Das Geld soll unter anderem in den EU-Türkei-Deal zur Flüchtlingsabwehr und in die weitere Aufrüstung und Abschottung der EU-Außengrenzen eingesetzt werden. Diese Maßnahmen werden unweigerlich noch mehr Menschen das Leben kosten.
Ein weiterer Geldsegen ist zudem für die Rüstungsindustrie geplant. Im Rahmen des neuen Instruments STEP, die Europäische Plattform für strategische Technologien, sollen weitere 1,5 Milliarden Euro in den ohnehin rechtswidrigen Europäischen Verteidigungsfonds fließen.
In einer Zeit, in der ein Streik von Arbeitenden den nächsten jagt, weil das Leben unter der herrschenden Politik immer unmöglicher wird, in der Bauern und Bäuerinnen Massenproteste organisieren und der Unmut steigt, zeigt die EU, zeigen ihre Regierungschef*innen erneut, wo ihre Prioritäten liegen.
Die geplanten Budgetanpassungen haben nichts mit Solidarität, Stabilität oder Hilfe zu tun. Es sind vielmehr die geopolitischen Interessen der EU, auch in Bezug auf die Ukraine, die zählen. Die EU soll weiter zu einer Militärunion ausgebaut werden, die die Interessen der Konzerne auch militärisch durchsetzen kann."
Quelle: https://www.facebook.com/oezlemalevdemirel