16.05.2024: Der Damm der Konservativen zur extremen Rechten ist überall brüchig ++ Kriterium ist nur noch, eindeutig pro-NATO, pro Ukraine und gegen Russland zu sein ++ Ursula von der Leyen will nach der EU-Wahl auch mit Stimmen der faschistischen Fratelli d' Italia wiedergewählt werden ++ Söder: Flüchtlingsvereinbarung zwischen Italien und Albanien" könnte auch eine Lösung für ganz Europa sein"
Noch bevor der Wahlkampf für die Wahlen im Juni offiziell eröffnet wurde, hatten sich das Europäische Parlament und die Institutionen beeilt, die heißesten und entscheidendsten Themen fest zu zurren, mit der Absicht Vereinbarungen zur Migrationspolitik, die uneingeschränkte militärische Unterstützung für die Ukraine, den Stabilitätspakt, im Wahlkampf nicht mehr thematisiert.
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sagen "besser so!“, denn das nächste EU-Parlament wird deutlich rechter sein als das jetzige. Tatsache ist jedoch, dass sie die politischen Vorhaben der extremen Rechten, insbesondere in Bezug auf die Festung Europa und die Fernhaltung von Flüchtlingen und die Politik der Abkommen mit den Regimen, die sie festhalten, d.h. einsperren sollen, weitgehend vorweggenommen haben, ebenso wie den Rückzieher beim Green Deal.
Der Damm der Konservativen zur extremen Rechten ist überall brüchig und von besorgniserregenden Rissen durchzogen.
Nachdem sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bisher nicht eindeutig zu einem möglichen Bündnis mit der extremen Rechten äußerte, brach EU-Ratspräsident Charles Michel am 14. Mai auf dem Demokratieforum in Kopenhagen das Tabu. "Was wirklich zählt, sind die Politiken, die Substanz“, nicht die Etiketten. "Im Rat gab es Zweifel vor den Wahlen in einigen Mitgliedstaaten, aber dann haben wir gesehen, dass es möglich ist, mit den Regierungen dieser Länder zusammenzuarbeiten, selbst wenn es eine rechtsextreme Partei in der Koalition gibt“. Weniger als einen Monat vor den EU-Wahlen haben die hohen EU-Beamten den Vormarsch der extremen Rechten, den die Umfragen zeigen, bereits in ihr Kalkül aufgenommen. Inzwischen geht es nur noch darum, eindeutig pro-NATO, pro Ukraine und gegen Russland zu sein.
Seit 2010 ist die extreme Rechte in der EU auf dem Vormarsch. In den Parlamenten fast aller EU-Länder – mit Ausnahme von Irland und Malta - haben ultrarechte Parteien starke Positionen. In zwei Ländern, Ungarn und Italien, stehen sie an der Spitze der Regierung (Polen war bis vor kurzem ebenfalls auf dieser Liste). In Finnland und der Slowakei ist die extreme Rechte an der Regierung beteiligt; in Schweden, wo ihr Anteil von weniger als 2% im Jahr 2006 auf über 20% im Jahr 2022 gestiegen ist, unterstützt sie die Regierung.
Gestern, knapp sechs Monate nach der Parlamentswahl, ist in den Niederlanden der Damm gebrochen. Die ultrarechte PVV von Gert Wilders, die liberale VVD des ehemaligen Ministerpräsidenten Rutte, die Landwirte und die Zentristen der NSC haben sich auf eine Regierungskoalition geeinigt.
In Österreich dürfte nach den aktuellen Prognosen die ultrarechte FPÖ im September als Siegerin aus den Nationalratswahlen hervorgehen und die nächste Regierung anführen.
In neun von 27 Staaten liegt die extreme Rechte inzwischen bei über 20% (in Portugal erreichte sie bei der letzten Wahl 18%), während die Parteien der traditionellen Rechten zunehmend auf die Positionen der Ultrarechten übergehen und sich für diese öffnen.
Söder sieht große Übereinstimmung mit Meloni.
Flüchtlingsvereinbarung zwischen Italien und Albanien"könnte auch eine Lösung für ganz Europa sein"
Auch für Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder ist die "Brandmauer" zu Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den faschistischen Fratelli d'Italia gefallen. Lange hatte er Manfred Weber, CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), für dessen Annäherung an die ultrarechte Politikerin kritisiert.
Jetzt reiste er nach Rom und besuchte die italienische Regierungschefin, die ihn im Palazzo Chigi, ihrem Amtssitz, empfing.
Söder sagte im Gespräch mit BR24, ihm gehe es dabei vor allem um eine gute staatliche Zusammenarbeit zwischen Bayern und Italien. Es gehe darum "einen Eindruck zu gewinnen, wer Frau Meloni ist, wie sie denkt. ... Das heißt aber nicht, dass wir in eine Kumpanei verfallen, aber gemeinsame Interessen gibt es."
Dem bayerischen Ministerpräsidenten geht es neben dem Bau einer Gas- und Wasserstoffpipeline über die Alpen vor allem darum, wie Meloni Asylverfahren in italienischen Lagern in Albanien organisieren will. Er lobte die Flüchtlingsvereinbarung zwischen Italien und Albanien. Italien will zwei Flüchtlingslager auf albanischem Boden betreiben. Ziel ist, die Migration über das Mittelmeer nach Italien und damit in die EU einzudämmen. "Das könnte auch eine Lösung für ganz Europa sein", bekräftigte der bayerische Ministerpräsident.
Vermittelt hatte den Termin EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sagte Söder. Die CDU-Politikerin will nach der Europawahl auch mit Stimmen von Melonis Partei, Fratelli d' Italia, wiedergewählt werden.
EVP-Chef Weber schätzt Meloni für "konstruktive" Rolle in Europa
Der Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, wirbt schon seit der Italien-Wahl im September 2022 für eine Zusammenarbeit mit den faschistischen Fratelli d'Italia. Schließlich habe man als EVP drei klare Prinzipien definiert, auf welcher Basis man andere Parteien einlade zur Zusammenarbeit. Partner könne nur sein, wer pro Europa, pro Ukraine und gegen Russland sowie pro Rechtsstaat sei. Die italienischen Faschisten erfüllen diese Bedingungen.
Im BR Fernsehen machte Weber auch klar, warum er Giorgia Meloni für europäische Lösungen braucht. Hätte die Regierung Meloni etwa im Europaparlament beim jüngst beschlossenen Migrationspakt nicht mitgearbeitet, wäre der Kompromiss gescheitert, mit dem Weber hofft, "endlich mehr Kontrolle über die Außengrenzen" zu bekommen.
Gebrochene Versprechungen
Die europäische Integration war ein Versprechen auf Frieden, auf einen großen, auf Wettbewerb basierenden Markt, auf eine gemeinsame Staatsbürgerschaft, es gab sogar die Hoffnung auf ein soziales Europa am Horizont. Heute herrscht Krieg vor den Toren und der "freie Handel" zeigt sich als Nachteil gegen die wirtschaftliche Dynamik Chinas. "Grenzschutz", "Flüchtlingsabwehr", "innere Sicherheit", "Protektionismus", "Souveränität" sind heute gängige Begriffe, die von allen verwendet werden, auch von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen.
Die extreme Rechte tritt mit wenigen Ausnahmen nach dem Brexit-Flop nicht mehr den Austritt aus der EU ein, sondern fordert, sie von innen heraus zu verändern. Das heißt, sie zu entleeren: ein Europa à la carte, wo jeder nimmt, was ihm passt, ein Geldautomat, der kurzfristig für vermeintliche nationale Interessen nützlich ist, wo der Green Deal zum Feind wird, den es zu bekämpfen gilt. Das ist die Wende, die das Rassemblement national in Frankreich vollzogen hat, das nun nicht mehr von einem Austritt aus dem Euro spricht, wie es Marine Le Pen noch vor einigen Jahren tat. Der junge Anführer Jordan Bardella bereitet im Hinblick auf die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen ein Bündnis mit der klassischen Rechten vor.
Der Vormarsch der extremen Rechten hat noch einen anderen Effekt: Er verwandelt die Europawahlen im Juni in eine Summe von 27 nationalen Wahlen, bei denen in jedem Land das Zentrum der politischen Auseinandersetzung lokal ist, während der europäische Horizont in Desinteresse versinkt.