Internationales

alt20.01.2013:  Liest man in diesen Tagen, was die bürgerlichen Medien zu den jüngsten Zuspitzungen in Mali und der französischen Intervention gegen die Rebellen des Nordens Azawas verbreiten, gewinnt man den Eindruck, dass jedes kritische Reflektieren der Ereignisse und jegliche Berücksichtigung der Erfahrungen in Afghanistan, im Irak, in Somalia, in Libyen und Syrien in den Köpfen dieser Autoren ausgelöscht sind. Dass die Probleme Malis auch nicht ansatzweise mit Bomben und ein paar Luftlandetruppen modernst aufgerüsteter Kämpfer zur Durchsetzung französischer Interessen gelöst werden können, zeigt die nachstehende Analyse:

Der Staatsstreich vom 22. März 2012 und die [vorhergehende und bis jetzt anhaltende] Besetzung des nördlichen Teils von Mali durch islamistische Kräfte und die Tuareg der MNLA, haben Mali in die größte Krise seiner Geschichte gestürzt. Doch diese Lage spiegelt auch die Konsequenzen der imperialistischen Politik wieder, die dem Land seit seiner Unabhängigkeit aufgezwungen worden sind. Mali stellt keine Ausnahme von der Regel dar, wonach alle Länder Westafrikas instabil sind. ...

Nach außen hin ist Mali ein demokratisches Land. Es gibt mehrere Oppositionsparteien, unzählige Organisationen der Zivilgesellschaft sind aktiv und die Pressefreiheit wird garantiert. Doch viele fortschrittliche AktivistInnen müssen erkennen, dass dies nur ein Schein ist und dass die formale Demokratie die Korruption und die Verbrechen der herrschenden Klasse, die dem Land einen üblen Schlag versetzt haben, nicht verdecken können. ...  Denn die eifrige und schnelle Umsetzung eines strukturellen Anpassungsplans, wie er von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgeschlagen wurde, haben zu einer Zerstörung des Staates geführt.

Schon seit Beginn der 1990er Jahre sah sich die Bevölkerung großen Sozialkürzungen ausgesetzt, vor allem bei der Gesundheit, im Schulwesen und bei der sanitären Infrastruktur. Die zwanzig größten Staatsunternehmen wie die Internationale Bank für Mali (BIM), die Telefongesellschaft von Mali (SOTELMA), die Gesellschaft Malis für die Textilentwicklung (CMDT), die Energie von Mali (EDM) usw. wurden – ganz oder teilweise – zu lächerlichen Preisen an vor allem französische Multis wie DAGRIS, Vivendi, Bouygues, Canac-Getma usw. verschleudert und privatisiert. Als schwächstes Glied in der Region fiel Mali in die tiefste Krise seit seiner Unabhängigkeit.

Diese Unabhängigkeit wurde 1960 unter Modibo Keita erlangt, der bis heute für die Menschen Malis ein Vorbild darstellt. Als überzeugter Panafrikaner mit sozialistischen Ideen wurde er vom von de Gaulle geführten französischen Staat, der früheren Kolonialmacht, nie akzeptiert. 1968 wurde er durch einen von Moussa Traoré geführten Militärputsch gestürzt. Er wurde eingesperrt und im Militärcamp Djicoroni Para vergiftet.

Erst 1991, unter dem Eindruck der Mobilisierungen des Volkes, die durch den Fall der Mauer in Berlin und die Rede von François Mitterrand in La Baule ermutigt wurden, gab es einen neuen Staatsstreich mit Sturz der Troaré-Diktatur. Der junge Oberst, der die Diktatur zu Fall brachte, war niemand anderes als Amadou Tourmani Touré (ATT), der die Macht Zivilisten überließ. Nach den Wahlen von 2002 übernahm er wieder die Regierungsgeschäfte und blieb bis zum Putsch des vergangenen Jahres im Amt.

Malis Norden: eine besondere Geschichte

Mit einer Fläche von drei Mio. Quadratkilometer gehört der Norden Malis zur Sahelzone, die schon immer ein Gebiet des Widerstandes gewesen ist, das man nur schwer kontrollieren konnte. Das Erbe des französischen Kolonialreiches bei der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten waren künstliche Grenzen, die der Bevölkerung aufgedrückt wurden. ...  Zum Zeitpunkt der Entkolonisierung haben sich die Vertreter der Mauren und der Tuareg in einer von Mohammed Mahmoud Ould Scheich, der Führer von Timbuktu, am 30. Mai 1958 übergebenen Botschaft an die französische Regierung gewandt, mit der Bitte, ihr Gebiet nicht den Staaten südlich der Sahara zuzuschlagen.

Der Norden von Mali wird nicht nur von Tuareg bevölkert, diese sind dort sogar in der Minderheit; ihre Zahl wird auf 600.000 geschätzt [Die Gesamtbevölkerung von Mali beträgt gut 15 Mio.]. Es gibt dort auch Mauren, Songhai, Fulah usw.. Sie haben gemeinsam, dass man in jener Region nur schwer überleben kann. Der Staat Mali hat niemals auf Dauer in die dortige Infrastruktur investiert und auch die landwirtschaftlichen oder Vieh züchtenden Arbeiten der Bevölkerung nicht unterstützt.

Es hat im Norden zahlreiche Aufstände gegeben, ... Wichtig war der Aufstand von 2006. Das Abkommen von Algier, welches dem Konflikt ein Ende setzte, sah den Rückzug der Armee von Mali aus der Region vor. Stattdessen sollten "Spezialeinheiten für Sicherheit, die an das Kommando der Militärzone angebunden und ausschließlich aus Leuten aus den Nomadenzonen bestehen sollten" geschaffen werden. Außerdem sollten "ein Entwicklungsfonds und ein Fonds der sozio-ökonomischen Wiedereingliederung der Zivilbevölkerung" eingerichtet werden. Im Ergebnis hat die Bevölkerung wenig von den 700 Mrd. FCFA profitiert, deren Freigabe die Nationalversammlung [Malis] am 5. November 2009 zugestimmt hat. Außerdem hat sich der Norden von Mali schnell in eine graue Zone verwandelt, in der die verschiedenen bewaffneten Gruppen ihr eigenes Gesetz durchgesetzt haben.

Häufig wird die Sahara als eine nur schwer zu überwindende Grenze dargestellt. Tatsächlich stellt die Sahara seit langer Zeit eine Zone intensiven Handels dar und die seit Jahrhunderten benützen Handelsrouten durchqueren dieses Gebiet vielfach; doch es gibt auch Pisten, die nur wenigen Einheimischen bekannt sind:

"Von vielen Möglichkeiten werden nur die Trassen benützt, die zu einem gegebenen Moment und in Funktion des lokalen und regionalen Kontextes als am praktischsten und sichersten gehalten werden. Dies bedeutet, dass es viele andere Möglichkeiten für Tätigkeiten gibt, die die größte Diskretion verlangen. Außerdem kennt, kontrolliert und nützt jede Gruppe nur einen Teil der Wege, was zu einer territorialen Fragmentierung führt und eine mögliche Öffnung der Wege kompliziert macht. Die Bewegungen und der Handel können daher nur sehr schwer kontrolliert werden."

Diese Situation ermöglicht den Schmuggel von Zigaretten, Brennstoffen, Drogen – aber auch von Menschen aus den Ländern südlich der Sahara, die über die Maghreb-Länder nach Europa zu gelangen suchen.  ...  Aus diesem Grund wurde der Norden zu einer Quelle der Korruption der Eliten Malis; das Geld ermöglicht es, Milizen zu unterhalten, die reine Mafia-Banden, aber auch politische und/oder religiöse Kämpfer sein können.

Die Islamisten

Die Grenze zwischen bewaffneten islamistischen und reinen Mafia-Gruppen ist fließend. Historisch gibt es drei islamistische Gruppen im Norden von Mali.

Die erste und bekannteste ist die AQMI (Al Qaida des islamischen Maghreb), die 2007 aus der salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC), einer algerischen Gruppe, hervorging. Sie tritt für einen globalen Djihad mit Kadibats (Brigaden) ein, mit genauen Zielvorstellungen, von denen die wichtigste in der Strategie der AQMI die Schaffung eines befestigten Stützpunktes ist. Er liegt in der Zone von Timétrine in der Region Adrar und kann als Bezugspunkt für kleine mobile Einheiten und/oder für festgehaltene Geiseln dienen, aber natürlich auch für militärische Aktionen. Da die Kontrolle der Anhöhen hervorragende Beobachtungsposten schafft, können von dort aus die Bewegungen der Kolonnen der Regierung entdeckt werden. Kurzum, es scheint sehr schwierig zu sein, überraschende Operationen zu Land oder mit Hubschraubern [dagegen] durchzuführen.  Die AQMI wird von generösen Spendern aus dem Vorderen Orient finanziert, sowie von Lösegeldern, das westliche Regierungen für die Freilassung ihrer BürgerInnen bezahlen.

Die zweite Gruppe stellt eine nationalistische Abspaltung der AQMI dar; es handelt sich um die MUJAO (Bewegung für die Vereinigung des Djihad in Westafrika), die vom Mauretanier Hamada Ould Khairou geführt wird. Sie finanziert sich im Wesentlichen aus dem Drogen- und Zigarettenschmuggel.

Die dritte Gruppe schließlich ist die Ansar Dine, eine Gruppe der Tuareg, die der AQMI recht nahe steht und deren Führer Lyad ag Ghali ein alter Kämpfer ist, der bereits an den Konflikten von 1990 in Menaka  teilgenommen hat, die sich mit Unterbrechungen bis zum Abkommen von 2006 in Algier fortgesetzt haben. Er hat viele offizielle Funktionen bekleidet, auch die des Beraters von Amadou Tourmani Touré, er war aber auch Botschafter von Saudi Arabien, was es ihm ermöglicht hat, zahlreiche Kontakte mit islamistischen Fundamentalisten zu knüpfen. Seine Gruppe hatte Beziehungen mit Kämpfern der Tuareg, vor allem der MNLA.

Während des von USA/NATO unterstützten Krieges zum Sturz des libyschen Regimes im Jahre 2011 haben tausende Angehörige der Tuareg auf Seiten Muammar al-Gaddafis  gekämpft haben. Viele befanden sich nach den gescheiterten Tuareg-Rebellionen der vergangenen beiden Jahrzehnte bereits vor diesem Interventions- und Bürgerkrieg im Dienst der libyschen Streitkräfte. Als die Niederlage der gaddafitreuen Truppen im libyschen Bürgerkrieg immer wahrscheinlicher wurde, begannen Tuareg-Kämpfer im Oktober 2011 von Niger kommend die malische Grenze zu überschreiten.

Das Eintreffen von früheren Tuareg-Kämpfern der islamischen Legion in Mali ermöglichte – ausgehend von der nationalen Bewegung von Azawad (MNA) und der Bewegung der Tuareg im Norden von Mali (MTNM) – eine Neuzusammensetzung der politisch-militärischen Kräfte der Tuareg, was zur Entstehung der MNLA führte. Sie definiert sich wie folgt: "Die nationale Bewegung der Befreiung von Azawad ist eine Volksbewegung, die die Realisierung der Ziele des Volkes von Azawad anstrebt, also die völlige Befreiung, die nationale Einheit, die Sicherheit und die Entwicklung im gesamten Gebiet von Azawad." ...

Am 17. Januar startete der erste Angriff der MNLA auf die Stadt Menaka. Die Behauptung, die Armee Malis hätte nichts gegen die Angriffe unternommen, stimmt nicht. Über zwei Monate lang wurde in der Umgebung der wichtigsten Städte gekämpft: Kidal, Gao und Timbuktu. Ende Januar wurden die Angriffe der MNLA mit denen von islamistischen Organisationen wie Ansar Dine, aber auch der AQMI zusammengeführt. In der ersten Zeit trat die MNLA solchen Informationen entgegen, doch angesichts der Beweise bestätigte sie sie, obwohl sie sich auch weiterhin gegen jedes Bündnis mit Islamisten erklärte und die Anerkennung der Unabhängigkeit von Azawad verlangte ...

Die MNLA konnte unterdessen weitere Städte im Norden unter ihre Kontrolle bringen, auch, weil sich die malische Armee überwiegend aus der Region zurückzog. Am 30. März wurde die Stadt Kidal erobert, am 31. März wurde die Garnisonsstadt Gao übernommen, am 1. April erlangte die MNLA die Kontrolle über Timbuktu. Damit war praktisch der ganze Azawad unter ihrer Kontrolle und die militärische Offensive wurde am 5. April eingestellt. Am 6. April rief die MNLA einseitig die Unabhängigkeit des Azawads aus. Eine Anerkennung durch andere Staaten fand bisher nicht statt. Die Nachbarstaaten kündigten an, die Eigenständigkeit des Azawad auch künftig nicht anzuerkennen.

Nach und nach verlor [jedoch] die MNLA [Anfang 2012] die Führung im Norden zugunsten von islamistischen Organisationen. Es gab eine Reihe von Spaltungen, aber weil die Region isoliert ist, kann man ihr Ausmaß schlecht abschätzen. Es bildete sich die FNLA, zu der vor allem Mauren und Araber gehören, die sich gegen die Unabhängigkeit von Azawad aussprechen. Es bildeten sich weitere Gruppen wie die 'Bewegung der Patrioten für den Widerstand und die Befreiung von Timbuktu' (MPRLT), die von Songhais geführt wird, die 'Befreiungsfront für den Norden Malis' (FLMN). Die meisten dieser Organisationen gründeten sich auf Stammesebene. Einige Mitglieder der MNLA traten islamistischen Organisationen bei.

Um diesen Verlust an Leuten auszugleichen, schlug die MNLA eine Vereinigung mit der Organisation Ansar Dine vor; ein Teil der Kämpfer der MNLA aus dem Innern waren dafür, denn die Organisation verfügte nicht mehr über viele Mittel und hatte ernste Verpflegungsschwierigkeiten mit Nahrung und Waffen. Die meisten außerhalb lebenden Mitglieder [waren und] sind jedoch dagegen.

Die bereits angekündigte Allianz der MNLA mit der islamistischen Gruppe Ansar Dine zerbrach dann am 8. Juni 2012 an der Weigerung der säkularen MNLA, die Scharia anzuerkennen, und die Islamisten vertrieben die MNLA aus den Städten, um dort die Scharia durchzusetzen. Am 28. Juni musste die MNLA nach Kidal auch Gao und Timbuktu wieder verlassen.

Die Bevölkerung Malis ist weitgehend muslimisch, auch im Norden. Aber wenn sie auch tief gläubig sind, so ist die religiöse Praxis tolerant. Daher steht die Scharia in völligem Gegensatz zu den Lebensweisen und der Musik, dem Tanz, den gemischten Treffen in Lokalen und auf Plätzen, besonders weil die Frauen in den Gemeinden eine wichtige Rolle spielen. Daher hat es Demonstrationen von Frauen und jungen Leuten gegen die Verbote, Fußball zu spielen, Musik oder Radio zu hören, Fernsehen zu schauen oder sich einfach gemischt auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten, gegeben.

Seit den Angriffen der MNLA zu Anfang des Jahres [2012] sind 380.000 Menschen aus ihrer Heimat geflohen, entweder in die benachbarten Länder oder in den Süden von Mali. Die sanitären Verhältnisse der Flüchtlinge sind katastrophal, und dies umso mehr, als die Aufnahmeländer selbst unter einer Nahrungsmittelkrise leiden. Im Norden wird die Nahrungsmittelkrise noch durch die politische Lage verschärft, aber auch durch die Probleme der Versorgung mit Energie, Wasser und Medikamenten. Die wichtigsten Städte werden dort von Islamisten gehalten, denen sich Anhänger von Boko Haram aus Nigeria zugesellt haben, aber auch Islamisten aus Somalia und Pakistan.

Umsturz und Doppelherrschaft im Süden Malis

Das Debakel der Armee von Mali [im Kampf gegen die MNLA] wurde als eine Demütigung erlebt, es gab Demonstrationen von Frauen und Angehörigen der Soldaten, die gegen das Fehlen von Munition, die unvorbereitete Kampfaufnahme, die fehlende Logistik demonstrierten, was zu einer größere werdenden Malaise geführt hatte. Das Massaker von Adjelhoc [Ende Januar 2012], bei dem 82 gefangene Soldaten von den Rebellen erwürgt wurden, wurde von der gesamten Bevölkerung Malis als ein Trauma erfahren. Dieser barbarische Akt war der Auslöser von Mobilisierungen gegen die Regierung und die obere Militärhierarchie, weil sie unfähig waren, die Verteidigung des Landes zu organisieren. Schlimmer noch, einige behaupteten, dass man gespeicherte Telefonnummern von Generälen Malis  in den Handys von gefangen genommenen Rebellen fand, was auf eine Komplizenschaft zwischen den beiden Lagern hinweisen würde.

Die Soldaten des Militärlagers 'Soundiata Keita' bei Kati, etwa fünfzehn km von Bamako entfernt, revoltierten [am 21.3.2012]. Der Besuch des Verteidigungsministers General Sadio Gassama hatte zum Ziel ... zu besänftigen. Aber statt die Dinge zu beruhigen, hat sich die Meuterei der Soldaten ausgeweitet und die Soldaten sind zum Präsidentenpalast auf dem Koulouba-Hügel marschiert. Amadou Tourmani Touré und seine Getreuen haben die Gefahr unterschätzt, so sehr, dass der Präsident Hals über Kopf die Flucht ergreifen musste. Touré floh den Hügel hinab, seine Schutzgarde hielt auf der Straße ein Auto an und sie sind dann schnellstens zu den Fallschirmjägern von Djicoroni geflohen. Trotz einigen Widerstandes der Präsidentengarde fiel die Staatsmacht wie eine reife Frucht vom Baum (um keinen schlimmeren Ausdruck zu gebrauchen).

Unter Führung von Amadou Sanogo haben die Militärs, die die Macht ergriffen haben, ein 'Nationales Komitee für die Wiedererrichtung der Demokratie und des Staates' (CNRDRE) aufgebaut. Dieser Staatsstreich war vor allem ein Werk von einfachen Soldaten und Unteroffizieren, die durch den Vorwurf der Korruption und der Unfähigkeit, das Land zu verteidigen, gegen die Politik und die hohen Militärs angeleitet waren. Der Staatsstreich hat die politische Klasse tief gespalten, aber auch die Gesellschaft Malis.

Von Anfang an hat die radikale Linke, die von der SADI-Partei (Afrikanische Solidarität für die Demokratie und die Unabhängigkeit) angeführt wird, ihn ohne Vorbedingungen unterstützt. Die Mitglieder haben die 'Volksbewegung des 22. März' (MP22) organisiert, die sich als eine Art [politisches] Gegenstück zu den Putschisten versteht. Ihr gehören das Netzwerk der Gemeinderadios KAYRA, bäuerliche Strukturen, wie die Gewerkschaft der Bauern Malis (SYPAM TTD = Erde, Arbeit, Würde), die Vereinigung der Vertriebenen Malis und andere kleinere linke Organisationen an. Die MP22-Bewegung stellte eine direkte Verbindung zwischen der Erhebung von 1991 und dem Staatsstreich her:

"Angesichts des Scheiterns des Konsenses der politischen Parteien ist dieser Staatsstreich das einzige Mittel, über das das Volks von Mali verfügt, seine verlorene Würde und Ehre wieder zu gewinnen, seine nationale Einheit und territoriale Integrität, seinen Zusammenhalt und sein soziales Wohlergehen wieder herzustellen und seine Demokratie auf der Basis seiner Interessen zu erneuern.

Unser Volk hat mittels der gesunden und patriotischen Teile seiner Armee entschieden, einen historischen Sprung zur Verteidigung der mit der Revolution vom 26. März 1991 verbundenen Werte zu machen. Zugunsten jenes historischen Ereignisses haben politische Parteien und Bewegungen, Vereinigungen und Organisationen der Zivilgesellschaft, sowie unabhängige Persönlichkeiten entschieden, eine Bewegung namens Volksbewegung des 22. März 2012 (MP22) auf die Beine zu stellen.

Diese Bewegung setzt sich zum Ziel: Die Dynamik des Bruchs und der Veränderung, wie sie durch das CNRDRE angestoßen worden ist, zu unterstützen; über die Vertiefung des demokratischen Prozesses zu wachen; das CNRDRE bei allen seinen Handlungen zur Sanierung der öffentlichen Verwaltung zu unterstützen; dem CNRDRE bei seinem Kampf gegen Korruption und illegale Bereicherung zu helfen und es bei der Lösung des Problems des Nordens von Mali zu unterstützen."

Auf der anderen Seite wurde gegen den Putsch die Einheitsfront für die Rettung der Demokratie (FDR) gegründet. Sie besteht aus den Parteien der Rechten in Mali, die Amadou Tourmani Touré unterstützen, aber auch aus der RARENA, die eine eher sozialdemokratische Organisation darstellt, und die zeitweise in der Nationalversammlung der gleichen Gruppe angehörte wie SADI; außerdem eine der beiden wichtigsten gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeitenden, die Nationale Union der Arbeiter Malis. Die andere, die CSTM, stellte sich auf die Seite der Militärs.

Sicherlich wurde der Staatsstreich sowohl im Innern wie auch außerhalb Malis verurteilt, doch eher formal. So hat der Machtverzicht von Amadou Tourmani Touré  [am 8. April 2012] auf Verlangen der ECOWAS, um eine politische Lösung zu finden, die mit der Verfassung vereinbar sein sollte, niemandem Probleme bereitet. Denn die westlichen Länder haben die Weigerung von Touré, die Präsenz von fremden Truppen in Mali zu begrüßen, nie gut geheißen. Und Frankreich hat noch mehr Gründe, ihm zu zürnen, weil er sich weigerte, ein Abkommen über die 'Migrationsströme' zu unterzeichnen, welches die Ausweisung von aus Mali stammenden Menschen, die keine gültigen Papiere besitzen, aus Frankreich erleichtern sollte. Alle machten ihm auch seinen Willen zum Vorwurf, zu einem Modus Vivendi mit den bewaffneten Truppen zu kommen, die sich im Sahel und im Norden von Mali befinden.

Im Augenblick ist die politische Krise viel zu schwer, als dass die Anhänger von ATT eine völlige Rückeroberung der Macht organisieren könnten. Diese Aufgabe wurde der ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten) übertragen, die versuchen soll, dem CNRDRE, der Organisation der Putschisten, die Macht zu entreißen. Auch wenn das CNRDRE sich [am 6. April 2012] formal dem Plan zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung anschloss, versuchte es dennoch, seine Macht zu stabilisieren ...

Der Übergangsplan [der ECOWAS] sah die Ernennung eines Übergangspräsidenten vor, welches der Vorsitzende der Nationalversammlung [Dioncounda Traoré] sein sollte; dieser würde dann im Einklang mit den Protagonisten einen Ministerpräsidenten ernennen. ... Schnell verschwand der Übergangspräsident im Gefolge eines Angriffs von DemonstrantInnen [am 21. Mai 2012], die bis zu seinem Büro vordringen konnten [und ihn verprügelten], wieder von der Szene. Dioncounda Traoré hält sich seither in Frankreich auf, ohne dass man seinen genauen Gesundheitszustand kennen würde. ...

Mali befindet sich [seither weiter] in einer Lage, in der keines der beiden Lager den Sieg davontragen kann. Die MP22 hat ihre Basis erweitern können, indem sie eine neue Organisation aufgebaut hat, die COPAM (Koordination der patriotischen Organisationen von Mali). Sie hat auch eine nationale 'Konferenz des Übergangs' organisiert, doch es gelang dieser Initiative nicht, die Unterstützung der großen Mehrheit der Menschen in Mali zu gewinnen. Auf der anderen Seite verfügt die ECOWAS kaum über Unterstützung, um das CNRDRE wirklich auflösen und ihren Willen durchsetzen zu können. So bleibt die Situation im Augenblick zwischen den Gegnern und Befürwortern des Putsches blockiert, wiewohl beide Seiten sich getroffen haben, um Lösungen für die Probleme im Norden zu finden, wo sich die Lage weiter verschlechtert.

Interventionswünsche und -politik

Die einen möchten eine Militärintervention, die die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung sichert, die also gegen den Ansatz der Militärs des CNRDRE vorgeht, mit dem Versuch, die Unterstützung und die Mobilisierungen der radikalen Linken zugunsten der Putschisten zu ersticken. Es besteht somit das Risiko, dass eine Intervention der ECOWAS die korrupte Elite Malis, die von Amadou Tourmani Touré  (ATT) symbolisiert wird, zurückbringt, dass also eine "ATTokratie ohne ATT" errichtet wird.

Andere vertreten die Meinung, eine [ausländische] Intervention müsste sich auf den Norden des Landes konzentrieren, um diesen Teil zu befreien, doch diese Position hat einige Schwierigkeiten, vor allem weil eine solche Intervention die verschiedenen bewaffneten Gruppen vertreiben müsste, dann aber mit dem Problem des fehlenden oder nicht existierenden Staates konfrontiert wäre, der diese Zone nicht unter seiner Kontrolle halten könnte. Dies würde zu einer permanente Stationierung von ausländischen Truppen führen, und dies unter der Bedingung, dass man zuwarten müsste, bis der Staat Mali irgendwann einmal seine Funktionen wieder ausüben kann, was viel Zeit und Geld kosten würde. Bezeichnenderweise hat der Sicherheitsrat der UNO die Forderung der Afrikanischen Union und der ECOWAS zugunsten einer militärischen Intervention nicht abgesegnet.

Es stellen sich weitere Probleme. In dieser Region kann Algerien aufgrund seines wirtschaftlichen und militärischen Gewichtes nicht umgangen werden. 2009 belief sich sein Militäretat auf 5,3 Mrd. Dollar, im Vergleich zu den 180 Mio. Dollar von Mali. Die Regierung von Algerien steht einer Militärintervention der ECOWAS kritisch gegenüber, vor allem wenn sie von Frankreich unterstützt würde, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass diejenigen, die in dieser Krise im Namen der ECOWAS handeln, die beiden Pfeiler von 'Françafrique' sind, die eine besonders starke neokoloniale Beziehung aufweisen, wie sie von französischen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Netzwerken unterhalten werden. Tatsächlich ist Ouattara ein Befehlsempfänger Frankreichs, denn nur dank der französischen Militärintervention ist er nach umstrittenen Wahlergebnissen an die Macht gelangt. Und Blaise Compaoré (aus Burkina Faso) ist ein Vermittler in Westafrika auf Rechnung von Paris, seitdem er nach dem Mord an Thomas Sankara an die Macht gelangt ist. Algerien unterliegt also keinem Irrtum und es möchte Herr der Geschicke bleiben. ...

Der französische Imperialismus, der auf dem afrikanischen Kontinent wegen seiner Militärinterventionen in der Elfenbeinküste und in Libyen ganz und gar verschrieen ist, versucht eine diskrete Vorgehensweise, was der Linie des neuen sozialistischen Präsidenten François Hollande entspricht: Er möchte eine ähnliche Politik machen wie seine Vorgänger, aber weniger ostentativ. Als er den Präsidenten der Republik Benin, Boni Yayi (der ebenfalls unter zweifelhaften Umständen an die Regierung gelangte) [Ende 2012] besuchte, hat er die Rolle des Befehlsgebers gespielt und ihm erklärt, als Vorsitzender der Afrikanischen Union müsse er den Sicherheitsrat der UNO wegen einer Militärintervention anrufen; Frankreich würde dieses Verlangen unterstützen und auf logistischer Ebene bei der Entsendung von Truppen Hilfe leisten. Sogleich hat die AU einen entsprechenden Antrag bei der UNO gestellt.

Wie gut, dass Hollande als 'runde' Ergänzung auch noch den nach Frankreich geflüchteten 'Übergangspräsidenten'  Traoré instrumentalisieren kann. Nach der Einnahme der Ortschaft Konna durch die Rebellen, nahe der strategisch wichtigen Stadt Mopti, richtete Traoré am 10. Januar 2013 ein offizielles Gesuch um militärische Hilfe an Frankreich. François Hollande kam diesem umgehend nach, wie er einen Tag später bekannt gab. Seit dem Nachmittag des 11. Januar interveniert nun die französische Armee in Mali (Opération Serval). Malis Übergangspräsident Traoré erklärte gleichzeitig am Abend des 11. Januar den Ausnahmezustand.

Eine andere Politik

Die Krise in Mali zeigt uns auch die Auswirkungen der imperialistischen Politik auf Afrika mittels Schuldenzahlungen, Zerstörung von Staaten, Zerstörung der wirtschaftlichen Netze durch die Privatisierungen der nationalen Großbetriebe und die Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft (APE), die unter dem Vorwand der freien Konkurrenz die kleinen Wirtschaftsbetriebe im Handwerk und auf dem Land ersticken.

Der Norden Malis leidet unter dieser Politik, aber auch unter fehlenden Investitionen auf sozialer, sanitärer und gesundheitlicher Ebene. Der Bevölkerung bei ihren bäuerlichen Tätigkeiten zu helfen, einen verantwortlichen und auf Tausch gegründeten Austausch zu entwickeln, würde die Entwicklung der Region ermöglichen und die soziale Basis untergraben, auf der die verschiedenen islamistischen Gruppen sich an die arbeitslose Jugend wenden.

Die Eroberung und Befreiung des Nordens von islamistischen Kräften ist vor allem eine politische Frage, die die verschiedenen Identitäten der Volksgruppen zu respektieren hat und auf humanitäre und wirtschaftliche Entwicklung setzen muss. Das Militär muss dem politischen Willen, der von den gesamten Völkerschaften Malis geteilt wird, untergeordnet sein.

Die Politik der imperialistischen Regierungen und ihrer Verbündeten in der Region steht im Gegensatz zu diesen Positionen und kann daher die Lage nur verschlimmern.

Quelle: Afrique en Lutte (Kämpfendes Afrika) - Paul Martial
Texte in eckigen Klammern und Kursiv sind eigene redaktionelle Ergänzungen.

Foto: Maghrebia

* Paul Martial ist Mitglied der Afrika-Kommission der NPA (Neue Antikapitalistische Partei) in Frankreich und der Redaktion von Afrique en Lutte.

 

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
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Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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