19.08.2014: Wieder einmal ergriff Israels Führung eine günstige Gelegenheit, um heute die Verhandlungen mit der Hamas-Führung in Kairo abzubrechen und den Terrorkrieg gegen den Gaza-Streifen fortzusetzen. Die maßlosen Verwüstungen, die Israel seit über einem Monat begangen hat und bereits über 2.000 Zivilisten das Leben kostete, entzünden weltweit Abscheu, Ablehnung und Proteste. So veröffentlichte eine Gruppe international bekannter und wirkender Juristen Ende Juli eine Erklärung "als einen wichtigen Ausdruck professioneller Beurteilung und des individuellen Gewissens im Hinblick auf das Verhalten der Israelis in Gaza, das am 8. Juli begann und das bereits so viele unschuldige Leben gekostet - und solch weitreichende Verwüstung verursacht hat", wie es Richard Falk formulierte, einer der Erstunterzeichner und Initiatoren des nachstehenden Textes und seit 2008 Sondergesandter des UN-Menschenrechtsrates für die Palästinensischen Autonomiegebiete.
Die Internationale Gemeinschaft muss Israels kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen beenden!
Als Wissenschaftler im Gebiet des Völker- und Strafrechts, Verteidiger der Menschenrechte, als Gesetzesexperten und Personen, die fest an die Rolle des Rechts glauben und an die Notwendigkeit, dieses Recht in Zeiten des Friedens zu achten, aber vor allem in Zeiten des Krieges, halten wir es für unsere intellektuelle und moralische Pflicht, die schweren Verstöße, die Täuschungsmanöver und die Missachtung der wichtigsten Prinzipien des Rechts in Zeiten bewaffneter Konflikte anzuprangern und auch die Missachtung der fundamentalen Menschenrechte der gesamten palästinensischen Bevölkerung, gegen die bei der anhaltenden israelischen Offensive gegen den Gazastreifen verstoßen wurde.
Wir verurteilen ebenso die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, so wie jeden rücksichtslosen Angriff auf Zivilpersonen, der ungeachtet der Identität der Angreifer, nicht nur illegal ist gemäß internationalem Recht, sondern auch moralisch untragbar. Jedoch kann man, wie auch implizit vom UN-Menschenrechtsrat in seiner Resolution vom 23. Juli 2014 festgehalten wurde, die beiden Parteien bei dem Konflikt nicht als gleich(stark) erachten, und es ist ersichtlich, dass ihre Aktionen – wieder einmal - von unvergleichbarem Ausmaß sind.
Wieder einmal ist es die unbewaffnete Zivilbevölkerung - die gemäß dem Internationalen Humanitären Recht (IHL) "geschützten Personen" - die im Zentrum des Sturms steht. Gazas Zivilisten werden im Namen eines falsch konstruierten Rechts der Selbstverteidigung geopfert, inmitten einer Eskalation, vor den Augen der gesamten internationalen Gemeinschaft. Die sogenannte Operation 'Protective Edge' brach während des anhaltenden bewaffneten Konflikts im Zusammenhang einer verlängerten aggressiven Besatzung aus, die im 1967 begann. Im Laufe des seit damals andauernden Konflikts wurden Tausende der Palästinenser im Gazastreifen getötet und verwundet, während der periodischen und vorgeschobenen "Feuerpausen"-Zeiträumen seit 2005, nach Israels unilateralem "Abzug" aus dem Gazastreifen. Die Toten, die Israels provokative Aktionen im Gazastreifen vor der letzten Eskalation der Feindseligkeiten zur Folge hatten, dürfen auch nicht ignoriert werden.
Gemäß UN-Quellen wurden in den letzten zwei Wochen fast 800 Palästinenser in Gaza getötet und über 4.000 verletzt, von denen die meisten Zivilisten waren. Mehrere unabhängige Quellen geben an, dass nur 15% der Opfer Kämpfer waren. Ganze Familien wurden ermordet. Hospitäler, Kliniken, als auch Rehabilitationszentren für Behinderte wurden angegriffen und schwer beschädigt. Am Sonntag, dem 20. Juli wurden an einem einzigen Tag über 100 palästinensische Zivilpersonen in Shudscha'iya, einem Wohnviertel von Gaza City getötet. Das war eine der blutigsten und aggressivsten Operationen, die Israel jemals im Gazastreifen ausgeführt hatte, eine Art urbaner Gewalt, was eine völlige Missachtung der Unschuld der Zivilbevölkerung darstellt. Traurigerweise folgte auf diese nur ein paar Tage später ein gleichermaßen destruktiver Angriff auf Khuza'a, im Osten von Khan Yunis.
Darüber hinaus hat die Offensive bereits eine umfassende Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur verursacht; laut das UN-Büro der Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNWRA) wurden über 3.300 Häuser attackiert, was zu ihrer Zerstörung geführt, oder schwere Schäden angerichtet hat.
Wie von dem UN-Untersuchungskomitee (FFM) des Gaza-Konfliktes nach Israels Operation "Cast Lead" (Gegossenes Blei), 2008–2009 festgestellt wurde: "Während die israelische Regierung sich bemüht hat, ihre Operationen in erster Linie als Antwort auf Raketenangriffe in Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung darzustellen, sieht das Komitee den Plan zumindest teilweise als gegen ein anderes Ziel gerichtet an: "Die Bevölkerung von Gaza insgesamt" (A/HRC/12/48, para. 1680). Dasselbe gilt für die derzeitige israelische Offensive.
Die Zivilbevölkerung im Gazastreifen steht unter direktem Beschuss und viele sind gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Was bereits eine Flüchtlings- und eine humanitäre Krise war, hat sich mit einer neuen Welle der Massenvertreibung von Zivilpersonen noch verschlimmert: die Zahl von IDPs (Interne Vertriebene) hat nun fast 150.000 erreicht, viele von ihnen haben Zuflucht in überfüllten UNRWA-Schulen erhalten, die unglücklicherweise auch keine sicheren Bereiche sind, wie sich bei den wiederholten Angriffen auf die UNRWA-Schulen in Beit Hanoun zeigte. Jeder in Gaza ist traumatisiert und lebt in einem Stadium von konstantem Terror. Dieses Ergebnis ist gewollt, da Israel sich wieder einmal auf die 'Dahiye-Doktrin' bezieht, die absichtlich auf unverhältnismäßige Gewalt zurück greift, um der Zivilbevölkerung Leid zuzufügen, um so eher politische (auf die Hamas-Regierung Druck ausüben) als militärische Ziele zu erreichen.
Indem Israel so handelt, verletzt es wiederholt und schamlos das Recht in Zeiten bewaffneten Konflikts, das besagt, dass Kämpfer und militärische Ziele angegriffen werden dürfen, das bedeutet, solche Ziele, die durch ihren Charakter, Lage, Zweck oder ihren Einsatz einen wirksamen Beitrag zu der militärischen Handlung leisten und deren völlige oder teilweise Zerstörung, Gefangennahme oder Neutralisierung in der zu der Zeit vorherrschenden Situation einen definitiven militärischen Vorteil bieten." Den meisten der letzten schweren Bombardierungen in Gaza fehlt eine akzeptable militärische Rechtfertigung, stattdessen scheinen sie dazu zu dienen, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Wie das Internationale Rote Kreuz (ICRC) klarstellt, ist willkürlich Terror zu erzeugen nach dem Völkergewohnheitsrecht eindeutig rechtswidrig.
In seinem Gutachten hinsichtlich der Atomwaffen stellte der ICJ fest, dass das Unterscheidungsprinzip, das von den kriegsführenden Staaten verlangt, zwischen Zivilpersonen und Kämpfern zu unterscheiden, eines der "Kardinalprinzipien" des internationalen humanitären Rechts und der "nicht zu übergehenden Prinzipien des internationalen Völkergewohnheitsrechts" ist.
Das Prinzip der Unterscheidung ist festgeschrieben in den Artikeln 48, 51(2) und 52(2) des Zusatzprotokolls 1 von 1977 zu den 1949 Genfer Konventionen, für die es keine Vorbehalte gegeben hatte. Gemäß dem Zusatzprotokoll I, beziehen sich "Angriffe" auf Gewaltakte gegen den Gegner, entweder zum Angriff oder zur Verteidigung" (Artikel 49). Sowohl unter dem Völkergewohnheitsrecht als auch unter dem Vertragsrecht, ist das Verbot, Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu richten oder auf zivile Ziele, unumstößlich. Dabei gibt es keinen Ermessensspielraum, um sich auf eine militärische Notwendigkeit als Rechtfertigung zu berufen.
Im Gegensatz zu Israels Behauptungen können Fehler nicht gerechtfertigt werden, die in zivilen Opfern enden: falls Zweifel über den Charakter des Zieles bestehen, legt das Gesetz eindeutig fest, dass vorausgesetzt wird, dass eine Sache, die zivilen Zwecken dient (wie Schulen, Häuser, Plätze zum Beten und medizinische Einrichtungen) nicht für militärische Zwecke eingesetzt wird. In diesen letzten Wochen forderten UN-Offizielle und Repräsentanten wiederholt von Israel, sich bei Angriffen auf den Gazastreifen, wo die Risiken sich aufgrund der sehr hohen Bevölkerungsdichte zuspitzen, strikt an die Vorsichtsmaßnahmen zu halten, und dass ein Maximum an Zurückhaltung ausgeübt werden muss, um zivile Opfer zu vermeiden. HRW (Human Rights Watch) hat festgestellt, dass diese Regeln existieren, um die Fehler zu minimieren, "wenn solche Fehler sich wiederholen, kommen Bedenken auf, ob diese Regeln missachtet werden."
Zudem verstößt Israel, selbst wenn es klare militärische Ziele angreift, permanent gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: das wird besonders sichtbar bei den 100 Häusern von Zivilpersonen, die von der israelischen Armee im Laufe der aktuellen militärischen Operation in Gaza zerstört wurden. Mit der erklärten Absicht, auf ein einziges Mitglied der Hamas zu zielen, hat die israelische Armee Häuser bombardiert und zerstört, obwohl sie von dutzenden Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder und ganze Familien, bewohnt waren.
Gemäß dem internationalen Völkergewohnheitsrecht ist es bereits an sich illegal, vorsätzlich zivile Objekte anzugreifen, und der Verstoß gegen einen solchen fundamentalen Grundsatz des Gesetzes kann einem Kriegsverbrechen gleichkommen. Wenn man eine Warnung erlässt - zum Beispiel Israels sogenannte Dachklopf-Technik, oder 5 Minuten vor dem Angriff ein SMS sendet – mindert das nicht (die Tat): es bleibt illegal, ohne einen Beweis militärischer Notwendigkeit vorsätzlich ein ziviles Haus anzugreifen, da das einem Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gleichkommt. Darüber hinaus sind diese "Warnungen" im Allgemeinen ineffektiv und können sogar noch zu weiteren Todesopfern führen; sie scheinen eine im Voraus konstruierte Entschuldigung von Israel zu sein, um Menschen, die in ihren Häusern verbleiben, als "menschliche Schutzschilder" zu darzustellen.
Die rücksichtslosen und unverhältnismäßigen Angriffe, das Zielen auf Ziele, die keinen effektiven militärischen Vorteil verschaffen und das vorsätzliche Zielen auf Zivilpersonen und deren Häuser waren durchgängige Charakterzüge von Israels langjähriger Politik der Bestrafung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens, die sieben Jahre lang durch die von Israel verhängte Blockade praktisch eingesperrt war. Solch ein System läuft auf eine Art Kollektivstrafe hinaus, die gegen das in Artikel 33 der Vierten Genfer Konvention festgelegte bedingungslose Verbot verstößt und international aufgrund der Rechtswidrigkeit verurteilt wurde. Weit entfernt davon, dass internationale Akteure dagegen opponieren, wurde Israels illegale Politik der absoluten auf Gaza verhängten Blockade unter den mittäterischen Augen der internationalen Gemeinschaft von Staaten trotzdem fortgesetzt.
Wie im Jahre 2009 von dem für den Gaza-Konflikt zuständigen UN-Untersuchungskomitee bekräftigt: "Gerechtigkeit und Achtung vor der Rolle des Gesetzes ist die unabdingbare Basis für Frieden. Die fortwährende Situation hat eine Krise des Rechtssystems in dem besetzten palästinensischen Gebiet geschaffen, die ein Handeln erfordert" (A/HRC/12/48, para. 1958). In der Tat: "Die langanhaltende Straflosigkeit war ein Schlüsselfaktor bei der Aufrechterhaltung der Gewalt in der Region und bei der Wiederholung von Gewalttaten sowie bei der Beeinträchtigung des Vertrauens unter den Palästinensern und vielen Israelis hinsichtlich der Aussicht auf Gerechtigkeit und eine friedlichen Lösung des Konfliktes" (A/HCR/12/48, para. 1964).
Deshalb,
- begrüßen wir die Resolution, die am 23. Juli 2014 von dem UN-Menschenrechtsrat angenommen wurde, in der eine unabhängige internationale Untersuchungskommission eingesetzt wurde, um sämtliche Verstöße gegen das internationale humanitäre Recht und gegen die internationalen Menschenrechte in dem besetzten palästinensischen Gebiet zu untersuchen.
- Wir appellieren an die Vereinten Nationen, die Arabische Liga, die Europäische Union, die einzelnen Staaten, insbesondere an die USA und die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit und mit all ihrer kollektiven Macht, mit höchster Dringlichkeit zu handeln, um die Eskalation der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens zu beenden und Prozesse zu aktivieren, um all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die die Verstöße gegen das internationale Recht zu verantworten haben, einschließlich politischer Führer und Militärkommandanten. Insbesondere:
- Alle regionalen und internationalen Akteure sollten den sofortigen Beschluss eines dauerhaften, umfassenden und beidseitig vereinbarten Waffenstillstandsabkommens unterstützen, das die schnelle Erleichterung und den Zugang für humanitäre Hilfe und die Öffnung der Grenzen nach und von Gaza sicherstellt;
- Alle hochrangigen Vertragsparteien der Genfer Konventionen müssen dringend und bedingungslos aufgefordert werden, ihre fundamentalen Verpflichtungen, die jederzeit bindend sind, zu erfüllen und gemäß dem bekannten Artikel 1 zu agieren und alle notwendigen Maßnahmen zur Unterdrückung der Verstöße ergreifen, wie in Artikel 146 und Artikel 147 der Vierten Genfer Konvention festgeschrieben ist. Diese Regeln sind auch von allen interessierten Parteien anwendbar;
- Außerdem prangern wir den schamlosen politischen Druck an, der von einigen UN-Mitgliedsstaaten und von der UN auf Präsident Mahmoud Abbas ausgeübt wurde, um ihn vor der Suche von Rückhalt beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) abzuschrecken, und wir drängen die verantwortlichen Führer von Palästina, sich auf die Rechtsprechung des ICC zu berufen, indem sie den ICC-Vertrag ratifizieren. In der Übergangszeit sollten sie die Erklärung gemäß Artikel 12(3) der römischen Statuten neu einreichen, um die schwerwiegenden internationalen Verbrechen, die auf dem palästinensischen Territorium von allen Parteien des Konfliktes begangen wurden, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen; und
- der UN-Sicherheitsrat muss letztendlich seinen Verpflichtungen in Bezug auf Frieden und Gerechtigkeit nachkommen, indem er die Situation in Palästina dem Staatsanwalt des ICC überträgt.
Quelle: richardfalk.wordpress.com und TLAXCALA (Übersetzung) / Foto: UN (Gaza 7.8.2014)
Dort sind eingereichte Unterschriften zur Unterstützung der Erklärung dokumentiert, neue Unterschriften können an