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Irak Wahlfinger21.05.2018: Bündnis "Sayirun" zwischen Sadristen und Kommunisten wird stärkste Fraktion ++ zwei Kommunist*innen im Parlament ++ Vertreterin der kurdischen Freiheitsbewegung ins irakische Parlament gewählt ++ Iran schickt General der Revolutionsgarden nach Bagdad, um Regierungsbildung mit Sayirun zu verhindern

Seit Samstag (19.05.) ist es offiziell: Das erstaunliche Bündnisses zwischen dem schiitischen Prediger Muqtada al-Sadr und den Kommunist*innen hat die Parlamentswahl im Irak gewonnen. Die Wahl hatte bereits am 12. Mai stattgefunden, das amtliche Endergebnis ließ aber wegen Problemen bei der Auszählung und Vorwürfen der Wahlfälschungen lange auf sich warten.

Rashid Ghewielib:
Die kommende Wahl und die Kommunist*innen

Das Bündnis Sayirun (Vorwärts marschieren) wurde mit 54 Mandaten stärkste Kraft im 329 Sitze zählenden Parlament. In Bagdad errang Sayirun mit 17 Mandaten fast doppelt so viel wie die zweitplatzierte Partei Fatih mit 9 Sitzen. Irak Haifaa al Amin 2
In Bagdad wurde auch der Vorsitzende der Irakischen KP, Raid Fahmi, ins Parlament gewählt; das zweite Mandat für die IKP gewann die Genossin Haifaa al-Amin (Foto rechts) in Thi-Quar, im Süden des Irak.

Frage: Die Irakische KP hat sich einem Wahlbündnis angeschlossen, zu dem auch die Kräfte um den schiitischen Kleriker Muqtada al-Sadr gehören. Wie kam es dazu?

Irak Rashid Ghewielib"Die Bewegung al-Sadrs ist keine Partei, sondern eine breite Volksbewegung. Die Basis bilden die Armen, die Schiiten. Sie leben in einem Milieu, in dem die Menschen sehr eng an ihren Imam gebunden sind und ihm theologisch und politisch folgen. In seiner kurzen und bewegten Geschichte hat al-Sadr Dinge getan, die unseren Vorstellungen ganz und gar widersprechen. Im Irak haben die politischen Kräfte und Strömungen nach 2003 oft von null angefangen. Es gab keine Erfahrung innerhalb staatlicher Institutionen, dafür aber einen fast sofort einsetzenden Bürgerkrieg. Seitdem hat sich aber auch viel verändert."

Inwiefern?

"Das hat ganz zentral mit der Reaktion der al-Sadr-Bewegung auf die Protestbewegung von 2011 zu tun, die damals von linken und demokratischen irakischen Kräften ausging. Diese Bewegung war auch von den Erfahrungen der Revolutionen in Tunesien und Ägypten geprägt. Aber der Protest geschah auch angesichts der konkreten Situation im Irak. Es ging um die fehlende Sicherheit für die normale Bevölkerung, die hohe Arbeitslosigkeit und die extreme Korruption. Wer keine Arbeit in Polizei, Armee oder der Verwaltung hat, hat kaum eine Chance. Es gibt keine Industrie mehr, weder in öffentlicher noch in privater Hand. 2015, nach sozialen Protesten in Basra, entstand eine praktische Allianz zwischen den Sadristen und den säkularen demokratischen Kräften. Da hat sich wirklich viel entwickelt, gerade was politische Ziele und Vorstellungen betrifft. Al-Sadr selbst hat seine Leute verpflichtet, bei den Protesten keine Bilder von sich und seiner Familie zu tragen. Statt schiitischer Fahnen und Parolen sollten sie irakische verwenden. Seine Anhänger übernahmen die Positionen der Protestbewegung bezüglich des Quotensystems, aber auch unsere sozialen Forderungen. Das alles taten sie, ohne Bedingungen zu stellen. Außerdem hat sich al-Sadr von den anderen islamischen Parteien und dem Iran gewissermaßen distanziert."
Rashid Ghewielib, Irakische Kommunistische Partei
Quelle: Jungle World

 

 

Außer den Kommunist*innen gehören dem Bündnis auch eine kleine liberale Partei und mehrere zivilgesellschaftliche säkulare Gruppen an. Stärkste Kraft im Bündnis ist die Bewegung von Muqtada al-Sadr, der 2008 seine Milizen in eine zivile Organisation umstrukturierte und tausende Unterstützer*innen mobilisieren kann. Sadr, der selbst nicht antrat, schickte vor allem neue, unverbrauchte Gesichter ins Rennen, unter ihnen viele Personen mit einem Doktortitel oder Diplom. "Wir haben mit dem Bündnis neue Wählerschichten angesprochen", sagt Jassem al-Hilfi von der Irakischen Kommunistischen Partei (IKP). "Wir treten für alle Iraker ein, nicht nur eine Konfession oder Ethnie."

Irak Wahlplakate

Wahlergebnis  
   Partei / Bündnis    Parlamentssitze  
Sayirun 54
Fatih 47
Nasr (Victory) 42
State of Law 26
KDP 25
Al-Wataniya  22
Al Hikma 19
PUK  18
Gorran 5
New Generation 4
Komal 2
CDJ 2
KIU 2



Auf Platz zwei folgt mit 47 Mandaten die Liste Fatih, eine Allianz des fest zum Iran stehende Politikers und Führers der gefürchteten PMU-Milizen Hadi al-Amiri. Lediglich auf den dritten Platz kam der von den USA favorisierte amtierende schiitische Regierungschef Haidar al-Abadi mit seiner Liste Nasr (Victory/Sieg) mit 42 Sitzen.

Irak Rashid Ghewielib"Die drei großen ethno-religiösen Blöcke, Schiiten, Sunniten und Kurden, teilen sich durch ein Quotensystem die ganze Macht im Staat. Sie haben ein in der Verfassung nicht vorgesehenes System geschaffen, wonach bis in die kommunale Verwaltung gezählt wird, wie viele Sunniten, Schiiten oder Kurden in ¬einer Gegend wohnen, und nach diesem Proporz wird die Verwaltung besetzt. Wer, wie die linken und liberalen Parteien, nicht zu diesen Blöcken gehörte, hatte keine Chance, da auch Parlamentssitze nach dem Quotensystem besetzt wurden. Dieses System hat kein funktionierendes Gesundheitssystem, keine stabile Wirtschaft oder soziale Sicherheit produziert, und nach 15 Jahren haben viele Menschen die Nase voll davon."
Rashid Ghewielib, Irakische Kommunistische Partei
 

 

Irak Yusra RajabDie kurdischen Parteien errangen 58 Sitze, die meisten in Hand von Barzanis KDP (25) und der PUK (18).
Mit Yusra Rajab (Foto), Kandidatin von Tavgara Azadi (Bewegung für eine freie Gesellschaft) auf der Liste New Generation, wurde erstmals eine Vertreterin einer kurdischen Partei, die sich von den Ideen Abdullah Öcalans inspirieren lässt, ins irakische Parlament gewählt.

Wahlsieg von Sayirun und al-Sadr ein Schock für die politische Klasse, die USA und den Iran

Der überraschende Wahlsieg von Sayirun mit Muqtada al-Sadr als die starke Figur und den Kommunist*innen als Bündnispartner hat den etablierten Kräften des Irak sowie den USA und dem Iran einen Schock versetzt.

Irak Sadr 1Insbesondere der 44 Jahre alte Al-Sadr (Foto) ist schwer einzuschätzen. Analyst*innen und Journalist*innen bezeichnen ihn jetzt als "Populist" und "Nationalist", früher abwechslungsweise auch als "Islamist" oder "Schiit" mit den Adjektiven "radikal" oder "moderat". Für die USA war er einfach ein "Terrorist".

Sadr machte sich einen Namen mit dem bewaffneten Kampf der schiitischen Mehdi-Milizen gegen die US-Besatzer. Er konnte sich dabei auf die Regierung in Teheran und die armen Bevölkerungsschichten in Bagdad und anderen Städten stützen. Washington bezeichnete die Mehdi-Milizen als die größte Bedrohung für die Sicherheit des Irak.

Aber nicht nur gegen die US-amerikanische und britische Soldaten lieferten sich seine Milizionäre blutige Kämpfe, vor allem in Bagdad machten sie auch Jagd auf Sunniten, Linke, Schwule und Andersdenkende. Selbst den höchsten schiitischen Geistlichen im Irak, Großayatollah Ali Sistani, forderte Sadr heraus. Nach der Niederlage seiner Miliz gegen die US-Truppen und den damaligen Regierungschef Nuri al-Maliki tauchte er vor rund zehn Jahren im Iran unter. 2008 ordnete er an, dass sich die Milizen zu zivilen Gruppen umwandelten.

Mit dem Beginn des "Arabischen Frühlings" in Ägypten und Tunesien kehrte Sadr im Jahr 2011 in den Irak zurück. Seine Bewegung bezeichnete er nun als "Bewegung des Irakischen Frühlings". Er schlug plötzlich neue Töne an, wandelte er sich zu einem der schärfsten Kritiker des politischen Establishments in Bagdad, ging auf die Sunniten zu und präsentierte sich fortan als irakischer Nationalist. 2016 spielte er bei den Massenprotesten gegen Korruption und Misswirtschaft eine bedeutende Rolle. Da sei auch der definitive Wandel gekommen, sagte Jassem al-Hilfi von der IKP der Neuen Züricher Zeitung. "Als Sadr-Anhänger das Regierungsviertel in der Grünen Zone stürmten, hätten ihm Kommunisten, die monatelang friedlich demonstriert hatten, deutlich gemacht: «Keine Gewalt, keine religiösen Symbole und nur die irakische Flagge.» Laut Hilfi war es die Geburtsstunde der ungleichen Allianz, die nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Es waren zwei schiitische Geistliche aus der Sadr-Familie, unter ihnen der Vater von Muktada al-Sadr, die mit ihrer schiitisch-islamistischen Bewegung der damals starken Kommunistischen Partei den Garaus bereitete. «Sayyed Muktada ist mein Freund», sagt Hilfi heute über den ehemaligen Unruhestifter." (NZZ: Wie ein Kommunist irakischer Regierungschef werden könnte)

Im Wahlkampf kritisierte Sadr massiv die grassierende Korruption, den Konfessionalismus und forderte politische und soziale Reformen. Politisch tritt das Bündnis für ein Ende des Proporzsystems zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden ein, will die Armut beseitigen sowie das Gesundheitswesen und die Beziehungen mit den Nachbarstaaten verbessern. Sadr fordert den Abzug der USA aus dem Irak, will aber gleichzeitig auch den Einfluss des Iran zurückdrängen. Er hat seinen außenpolitischen Kurswechsel mit Besuchen in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Jordanien unterstrichen.

Iran kämpft um seinen Einfluss im Nachbarland

Insofern war die Wahl im Irak auch eine Abstimmung über die künftige Rolle des östlichen Nachbarn. Mit Millionen hatte der Iran ihm wohlgesonnene Listen unterstützt, neben der "State of Law"-Koalition des ehemaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki und der Liste Fatih der Volksmobilisierungseinheiten (PMU) auch die kurdische Patriotische Union (PUK).

Auch wenn das Reformbündnis Sayirun die stärkste Fraktion im Parlament stellt, sind die Hürden zur Regierungsbildung hoch. Nach Artikel 76 der Verfassung des Irak fällt das Recht der Regierungsbildung dem politischen Block mit den meisten Stimmen zu. Bisher hat noch nie die stärkste Partei die Regierung gestellt, sondern immer Blockbildungen anderer Fraktionen. Vor allem sind der Einfluss und der Druck der USA wie auch des Iran hoch.

Iran Qasem SoleimaniSchon zwei Tage nach der Wahl, als sich Muqtada al-Sadr für die Bildung einer neuen nationalen Regierung unter Einschluss aller Fraktionen mit Ausnahme der eng mit dem Iran verbundenen State of Law–Liste von Ex-Premier Nuri al-Maliki und der Fatih-Liste von Milizenführer Hadi el-Ameri aussprach, traf der Kommandeur der Islamischen Revolutionären Garden des Iran (IRGC), Qasem Soleimani, in Bagdad ein. Er soll verhindern, dass Sadrs Koalition die Regierung stellt. Soleimani steht als Symbol für den weitreichenden Einfluss Teherans in Bagdad. Er arbeitete eng mit den schiitischen PMF-Milizen im Krieg gegen den IS zusammen und unterstützte im Wahlkampf massiv die Fatih-Allianz des PMU-Führers Hadi al-Amiri.

Am Dienstag (14.05.) traf sich der Revolutionsgarden-General mit Führern schiitischer Parteien, um ein schiitisches Bündnis als größten Block im Parlament gegen Sadr zu schmieden. Zu den Gesprächen über eine Blockbildung gegen Sayirun lud er auch die kurdischen Parteien in die "Grüne Zone" von Bagdad ein. Der Journalist Wajih Abbas deckte Details dieser Treffen auf und berichtete, dass der Iran auf einem Premier aus den Reihen der Listen Fatih oder State of Law besteht, um seinen Einfluss zu behalten.

Doch zehntausende Iraker*innen forderten Soleimani auf, unverzüglich Bagdad zu verlassen und Sadr die neue Regierung bilden zu lassen. Muqtada al-Sadr kritisierte die Einmischung des Iran und erklärte, dass er "jede ausländische Einmischung in die Bemühungen um die Bildung einer neuen Regierung zurückweist". Er forderte Soleimani auf, innerhalb von 48 Stunden den Irak zu verlassen. Daraufhin wich Soleimani in das kurdische Sulaymaniyah aus, um von dort gegen das Reformbündnis von Sadr und gegen das Wahlergebnis zu konspirieren.

Beobachter gehen davon aus, dass je länger Sadr braucht, um eine Regierungskoalition zu bilden, desto leichter wird es für Soleimani die iranischen Pläne im Irak durchzuziehen.

Heute (21.05.) hat die Abgeordnete der Al-Wataniya Allianz, Farah al-Sarraj, erklärt, dass Al-Wataniya und Al Hikma Gespräch mit Sayirun über eine Regierungsbildung führen. Gleichzeitig spricht Muqtada al-Sadr mit dem amtierenden Premierminster Haider Abadi (Nasr) über die Bildung einer Regierung.


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