13.04.2023: Lula: "China ist heute ein unverzichtbarer Partner für Brasilien und Lateinamerika. Wir beabsichtigen, diese Beziehung zu konsolidieren" ++ Die Herausforderung besteht darin, die Beziehungen zu Peking zu stärken, ohne die USA zu sehr zu verärgern.
Gegenwärtig stehen die Politiker:innen aus aller Welt Schlange vor den Toren Pekings. Heute ist die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zu einem zweitägigen Besuch in China angekommen; auf dem Flughafen der nord-ostchinesischen Millionenstadt Tianjin. Am morgigen Freitag wird sie gemeinsam mit Chinas Außenminister Qin Gang mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Tianjin nach Peking fahren - und kann so einen funktionierenden Bahnverkehr erleben.
Ihr Besuch steht im Schatten des Besuchs von Emmanuel Macron, der vor einigen Tagen mit seinen Wirtschaftsabkommen und vor allem seinen Aussagen zum Taiwan-Konflikt und zur Vision einer "strategischen Autonomie" Europas für Furore sorgte. (siehe kommunisten.de: "Souveränität statt Vasallentreue. Macron träumt vom "dritten Pol"")
"Da es sich um ihren ersten Besuch in China als Außenministerin handelt, wird erwartet, dass der Besuch dazu beitragen wird, eine objektivere und umfassendere Sicht auf China und die chinesisch-deutschen Beziehungen zu entwickeln, aber es ist unrealistisch, wirklich positive Äußerungen zu erwarten", sagte Cui Hongjian, Direktor der Abteilung für Europastudien am China Institute of International Studies, am Donnerstag gegenüber der chinesischen Zeitung Global Times.[1]
Wesentlich mehr Bedeutung als den Besuch Baerbocks wird der gleichzeitigen Chinareise des brasilianischen Präsidenten Lula beigemessen, der sich am Freitag mit dem chinesischen Partei- und Staatschef Xi Jinping trifft. Lulas Reise ins Reich der Mitte hat gestern endlich begonnen, nachdem der Präsident im März wegen einer Lungenentzündung zu einer Verschiebung gezwungen war. In Begleitung von rund 40 Behördenvertreter:innen, darunter Minister:innen, Gouverneur:innen und Parlamentarier:innen, sowie etwa 300 Geschäftsleuten erwartet Lula viel von dem Besuch in dem Land, das seit 2009 der wichtigste Handelspartner Brasiliens ist.
Mindestens 20 bilaterale Handels- und Technologieabkommen sollen unterzeichnet werden, darunter der Bau des Cbers-6, des sechsten in einer Reihe von Satelliten, die in Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern gebaut werden und die Überwachung des Amazonas-Regenwaldes ermöglichen sollen.
"China ist heute ein unverzichtbarer Partner für Brasilien und Lateinamerika. Wir beabsichtigen, diese Beziehung zu konsolidieren", sagte Lula vor seiner Abreise und kündigte an, Xi Jinping nach Brasilien einzuladen. "Wir wollen eine Partnerschaft mit den Chinesen aufbauen, damit sie in Dinge investieren können, die es noch nicht gibt: Autobahnen, Eisenbahnen, Wasserkraftwerke, jedes Projekt, das etwas Neues für Brasilien bedeutet."
Und auch wenn manche in einem solchen Wunsch eine weitere Bedrohung für die bereits zerstörten Ökosysteme des Landes sehen, so ist das, was Lula durch die Zusammenarbeit mit China verfolgt, in Wirklichkeit die Industrialisierung der brasilianischen Wirtschaft, die über den derzeit überwiegenden Export von Eisenerz, Öl und vor allem Soja (dessen Produktion mit Latifundien, Transgenen und dem extensiven Einsatz von Pestiziden verbunden ist) hinausgeht. China tritt dabei als wichtiger Investor auf: In Brasilien bauen chinesische Unternehmen Verkehrsinfrastruktur, liefern Technologie für den digitalen Wandel und errichten Werke für Elektro-Autos. Brasilien hat ein weiteres wichtiges Ziel: die Entwicklung einer Halbleiterindustrie im Lande, einem Sektor, in den die führenden Mächte der Welt Hunderte von Milliarden Dollar investieren.
Zur Zusammenarbeit mit China gehört aber auch der mögliche Beitritt des lateinamerikanischen Riesen zur Belt and Road Initiative, der neuen Seidenstraße: das riesige Infrastrukturprogramm, an dem sich bereits rund zwanzig lateinamerikanische Länder beteiligen.
Da der Handel zwischen Brasilien und China im Jahr 2022 ein Volumen von 171 Mrd. USD erreichen wird, was einer jährlichen Steigerung von 4,9 % entspricht, wird viel von dem Abkommen erwartet, das vorsieht, dass der Handel zwischen den beiden Ländern in ihren jeweiligen Währungen, d. h. in Reais und Yuan, abgewickelt wird, ohne dass der US-Dollar, die übliche Währung für internationale Transaktionen, verwendet wird. Für Xi Jinping ist es ein selbsterklärtes Ziel, den chinesischen Renminbi als globale Währungsalternative zu positionieren.
In den USA wird Chinas wachsender Einfluss in Brasilien mit Argusaugen beobachtet. Vor allem befürchtet man, dass die beiden Staaten, die ihren bilateralen Handel zunehmend in Lokalwährungen durchführen, an der Dominanz des US-Dollars rütteln könnten.
Dass dies alles schlechte Nachrichten für die Vereinigten Staaten sind, ist der Tageszeitung O Globo nicht entgangen, die Lula in einem am Montag veröffentlichten Leitartikel vor der Gefahr warnte, Washington zu verärgern: "Wenn er im Lande ist, wird Lula eine große Herausforderung vor sich haben: das Gleichgewicht zwischen den globalen Giganten, den Vereinigten Staaten und China, zu halten, die sich auf einem erklärten Kollisionskurs befinden. Brasilien ist nicht daran interessiert, einen von beiden zu verärgern. Dies zu vergessen, ist die größte Gefahr für Lula".
Was O Globo jedoch am meisten beunruhigt, ist die Rolle Brasiliens im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, "dem Thema, bei dem Brasilien am meisten zu verlieren hat. ...Die Amerikaner würden jede Art von Handelsabkommen oder technologischen und touristischen Austausch zwischen Brasilien und China akzeptieren. Aber eine pro-sino-russische Position in der Ukraine-Frage würde als Herausforderung interpretiert werden".
Sicherlich wird der Vorschlag, eine Gruppe neutraler Länder zu bilden, die sich als Vermittler für die Beendigung des Krieges einsetzen, einer der Punkte sein, die der brasilianische Präsident am Freitag mit Xi Jinping besprechen wird, auch wenn es im Moment nur wenige Anzeichen für einen Frieden gibt: Es ist kein Zufall, dass Lulas jüngste Äußerungen, wonach es ratsam sei, dass die Ukraine ihre Souveränität über die Krim abgibt, um eine Verständigung zu erleichtern, vom Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, entschieden zurückgewiesen wurden, der davon überzeugt ist, dass es für die Ukraine "keinen rechtlichen, politischen oder moralischen Grund" gibt, "auch nur einen Zentimeter Territorium" abzutreten.
Mit dem chinesischen Präsidenten wird Lula natürlich auch über viele andere Themen sprechen: vom Handel bis zu Investitionen, von der Energiewende bis zum Klimawandel.
Am heutigen Donnerstag aber, wird der brasilianische Präsident in Shanghai an der Eröffnungszeremonie der ehemaligen Präsidentin Dilma Rousseff an der Spitze der neuen Entwicklungsbank der BRICS (der Gruppe, die sich aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammensetzt) teilnehmen, die als ein wichtiges Instrument für den Aufbau einer multipolaren Welt gilt.
Vorher absolviert er einen Programmpunkt, der in Washington bitter aufstoßen dürfte: Er besucht ein Innovationszentrum des Netzwerkausrüsters Huawei – jener Firma, die von den USA als Bedrohung für die nationale Sicherheit gewertet wird und gegen die Sanktionen verhängt sind. Damit setzt Lula ein klares Zeichen, dass sein Land beim Wirtschaftskrieg der USA gegen China mittels Sanktionen im Hochtechnologiesektor nicht mitziehen, sondern weiterhin mit beiden Seiten Geschäfte machen wird. Brasilien nutzt die Huawei-Technologie bereits für seine 4G- und 5G-Netze – und wird dies weiter machen.
"Der Besuch von Präsident Lula bei Huawei spiegelt den Wunsch Chinas und Brasiliens wider, auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie enger zusammenzuarbeiten, da Brasilien seinen Handel mit China diversifizieren will, und dieser Besuch ist auch ein Prozess des Lernens und der Einführung", sagte Ma Jihua, ein Beobachter der Telekommunikationsbranche, der Global Times.
Schließlich stehen ein Treffen mit Unternehmern sowie Treffen mit dem Präsidenten des Nationalen Volkskongresses Zhao Leji und Premierminister Li Qiang auf dem Programm von Lula.
Anmerkungen
[1] Global Times, 13.4.2023: "German FM visits China amid EU's strategic autonomy debate"
https://www.globaltimes.cn/page/202304/1289133.shtml
- Souveränität statt Vasallentreue. Macron träumt vom "dritten Pol"
- Die EU bei Xi: ein bisschen Ukraine, eine Menge Geschäfte
- Lula, keine Waffen für die Ukraine: "Unser einziger Krieg ist der gegen die Armut".
- Lula: "Sie haben versucht, mich lebendig zu begraben, aber ich bin hier"