16.06.2024: Erstmals setzt die UN Israel auf die Liste von Ländern, die bei bewaffneten Konflikten keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz von Kindern ergreifen ++ Israels militant-zionistische Regierung reagiert empört ++ UN-Fachleuten für Menschenrechte kritisieren Israels Methoden bei der Befreiung von vier Gefangenen am 8. Juni im Gazastreifen als "hinterhältig" ++ Der ehemalige geschäftsführende Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, fordert, dass der Internationale Strafgerichtshof ermitteln müsse.
In einem jährlichen Bericht des UN-Generalsekretärs werden Länder und verschiedene Organisationen daraufhin untersucht, ob sie in bewaffneten Konflikten Rücksicht auf Kinder nehmen bzw. rücksichtslos Kinder zu Opfern des Krieges machen. Der Berichts mit der Liste von Ländern, die keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz von Kindern ergreifen, heißt "Kinder in bewaffneten Konflikten" [1] und sollte erst nach Vorlage im UN-Sicherheitsrat am 18. Juni veröffentlicht werden.
Bisher war es üblich, dass der Bericht erst nach Vorlage beim UN-Sicherheitsrat veröffentlicht wurde, doch diesmal schlugen die Wellen schon Tage vorher hoch. Israel, das zum ersten Mal auf diese Schwarze Liste gesetzt wurde, ging empört an die Öffentlichkeit.
Am 7. Juni bestätigte der Sprecher des UN-Generalsekretärs, Stéphane Dujarric, dass Israel darüber informiert wurde, dass es in diesem Jahr in den Bericht über Kinder in bewaffneten Konflikten aufgenommen werden wird. Dies ist eine Tradition, dass die UNO Höflichkeitsanrufe tätigt, um neu hinzukommende Länder im Voraus zu informieren und undichte Stellen zu vermeiden.
Doch der israelische Botschafter bei der UNO, Gilad Erdan, zeichnete dieses Telefonat auf und veröffentlichte einen Teil davon auf einem Social-Media-Konto.
Die UN wiederum zeigte sich "schockiert" über Israels Verhalten bei der Aufzeichnung und Veröffentlichung des Telefongesprächs. "Botschafter Erdans Aufzeichnung dieses Telefongesprächs und die teilweise Veröffentlichung dieser Aufzeichnung auf Twitter [X] ist schockierend und inakzeptabel und offen gesagt etwas, das ich in meinen 24 Jahren im Dienst dieser Organisation noch nie gesehen habe“, erklärte Stéphane Dujarric.
"Endlich": Amnesty International-Chefin und UN-Sonderbeauftragte für die besetzten palästinensischen Gebiete begrüßen UN-Entscheidung zur "Schwarzen Liste
Francesca Albanese, UN-Sonderbeauftragte für die besetzten palästinensischen Gebiete, schrieb auf X: "Es hätte nicht nötig sein dürfen, dass 15.000 Kinder getötet, noch viel mehr verstümmelt und 20.000 zu Waisen gemacht wurden, um Israel zu den Staaten zu zählen, die abscheuliche Verletzungen des internationalen Kinderrechts begehen. Zwischen 2008 und 2022 wurden mehr als 1.434 palästinensische Kinder getötet und mehr als 32.175 verletzt, die meisten davon durch den Einsatz 'exzessiver Gewalt' durch israelische Streitkräfte. Im selben Zeitraum wurden 25 israelische Kinder getötet, die meisten davon durch Palästinenser, und 524 verletzt. Es hat nicht am 7. Oktober begonnen." (https://x.com/FranceskAlbs/status/1799200176810168815)
Agnes Callamard von Amnesty International sagte, dass Menschenrechtsgruppen seit langem die israelischen Übergriffe auf Kinder dokumentieren. "Es hätte nicht 15.000 in Gaza getötete Kinder gebraucht, damit Israel auf diese schändliche Liste kommt", so die die Generalsekretärin von Amnesty International.
Human Rights Watch begrüßte die Entscheidung ebenfalls, Israel auf die schwarze Liste der Länder zu setzen, die keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz von Kindern bei bewaffneten Konflikten ergreifen.
Wie das Gaza Government Media Office kürzlich mitteilte, wurden seit Anfang Oktober mehr als 15.500 palästinensische Kinder bei israelischen Angriffen auf die bombardierte Enklave ermordet. Tausende von palästinensischen Kindern wurden schwer verletzt und werden sich ihr Leben lang nicht von den physischen und psychischen Traumata des Krieges erholen.
50.000 Kinder im Gazastreifen benötigen eine sofortige medizinische Behandlung wegen akuter Unterernährung
Laut UNICEF leben neun von zehn palästinensischen Kindern im Gazastreifen in "schwerer Nahrungsmittelknappheit".
Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) benötigen mehr als 50.000 Kinder im Gazastreifen eine sofortige medizinische Behandlung wegen akuter Unterernährung. In einer Erklärung vom Samstag erklärte das Hilfswerk: "Aufgrund der anhaltenden Beschränkungen des Zugangs für humanitäre Hilfe sind die Menschen im Gazastreifen weiterhin mit einem verzweifelten Ausmaß an Hunger konfrontiert. Die UNRWA-Teams arbeiten unermüdlich daran, die Familien mit Hilfsgütern zu versorgen, aber die Lage ist katastrophal".
Mindestens 28 Kinder sind infolge der von Israel verhängten Hungerblockade des Gazastreifens bereits den Hungertod gestorben.
Der stellvertretende Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, Carl Skau, hat sich diese Woche zwei Tage lang ein Bild von der Notlage der Palästinenser gemacht und erklärt, die Herausforderungen seien "so groß wie nie zuvor". "Die Situation im südlichen Gazastreifen verschlechtert sich rapide. Eine Million Menschen im südlichen Gazastreifen sind ohne sauberes Wasser oder sanitäre Einrichtungen in einem stark überfüllten Gebiet entlang des Strandes in der brennenden Sommerhitze gefangen. Wir sind durch Flüsse von Abwässern gefahren", sagte Skau.
Die Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass im besetzten Westjordanland seit Oktober 800 Kinder durch Angriffe des israelischen Militärs oder jüdischer Siedler verletzt wurden.
Netanjahu: UN auf "Schwarze Liste der Geschichte"
Entgegen allen Beweisen für die israelischen Kriegsverbrechen, weist die israelische Regierung die Vorwürfe zurück und zeigt sich empört über die Entscheidung der UN.
"Die israelische Armee ist die moralischste Armee der Welt, und keine wahnhafte Entscheidung der UNO wird daran etwas ändern", erklärte der Chef der militant-zionistischen Regierung Israels, Benjamin Netanjahu.
Netanjahu sagte, die UNO habe sich selbst auf die "Schwarze Liste der Geschichte" gesetzt. "Die UNO hat sich heute selbst auf die schwarze Liste der Geschichte gesetzt, als sie sich den Unterstützern der Hamas-Mörder anschloss", schrieb Netanjahu auf X.
Israels Außenminister Israel Katz drohte Konsequenzen für die UNO an: "Die beschämende Entscheidung des UN-Generalsekretärs Antono Guterres, die israelischen Streitkräfte in die schwarze Liste aufzunehmen, ist ein Akt der Niedertracht. Guterres, der eine Schweigeminute zum Gedenken an den iranischen Präsidenten einlegte, der Zehntausende Unschuldige hinrichten ließ, wird als antisemitischer Generalsekretär in die Geschichte eingehen, der die Sexualverbrechen der Hamas und Israels Recht auf Selbstverteidigung ignorierte. Die israelischen Streitkräfte sind die moralischste Armee der Welt – und kein erfundener Bericht wird daran etwas ändern. Dieser Schritt wird Konsequenzen für Israels Beziehungen zur UNO haben." (https://x.com/Israel_katz/status/1799117013178085677)
Die Botschaft Israels in Berlin behauptet gar, dass die israelische Armee der "Sicherheit von Zivilisten Vorrang" einräume, und dass der "jüngste UN-Bericht über Kinder und bewaffnete Konflikte" ein "voreingenommener und politischer Bericht" sei, "der die umfassenden Menschenrechtsverletzungen der Palästinenser und die immensen Anstrengungen Israels, das Leben Unschuldiger auf beiden Seiten zu schützen, völlig außer Acht lässt." (https://x.com/IsraelinGermany/status/1801278557802353049)
Für die Palästinensische Autonomiebehörde ist die Entscheidung, Israel auf die "Schwarze Liste" zu setzen, "ein weiterer Schritt, Israel für seine Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen".
Kenneth Roth: Der internationale Strafgerichtshof sollte Israels Geiselbefreiungsaktion untersuchen
Eine Reihe von unabhängigen UN-Fachleuten für Menschenrechte hat Israels Methoden bei der Befreiung von vier Gefangenen am 8. Juni und dem damit verbundenen Massaker im Flüchtlingslager al-Nuseirat als "hinterhältig" verurteilt. Die 16 Expertinnen und Experten warfen Israel vor, dass seine Kräfte als Vertriebene und als humanitäre Helfer verkleidet in einem humanitären Lkw zum Einsatzort im Flüchtlingslager Nuseirat gelangt seien. Dies sei nach internationalem Recht verboten und ein Kriegsverbrechen.
Bei der Aktion seien 274 Palästinenser getötet und fast 700 verletzt worden. Sie seien zwar froh über die sichere Heimkehr der vier israelischen Geiseln der Hamas, doch "Israels Angriff auf das Lager Nuseirat ist in seiner exzessiven Gewalt und seinen verheerenden Auswirkungen widerwärtig", so die Menschenrechtler. Die zivile Tarnung sei hinterhältig. Diese Taktik offenbare Israels "Barbarei" und setze echte humanitäre Helfer in Zukunft noch größeren Risiken aus.
Sie kritisieren die israelische Regierung dafür, dass sie nicht mehr unternommen habe, um früher einen Waffenstillstand und die Befreiung der Gefangenen zu erreichen.
"Israel hätte vor acht Monaten, als der erste Waffenstillstand und Geiselaustausch auf den Tisch kam, alle Geiseln lebend und unversehrt befreien können. Doch Israel weigerte sich, um mit der Zerstörung Gazas und der Palästinenser als Volk fortzufahren. Dies ist eine in die Tat umgesetzte völkermörderische Absicht", erklärt Francesca Albanese.
Die Aktion der israelischen Armee war von einem furchtbaren Massaker an den Palästinensern im Flüchtlingslager al-Nuseirat begleitet. Nach verschiedenen Berichten kamen dabei auch drei von der Hamas Gefangene ums Leben. (siehe auch kommunisten.de, 7.6.2024: "Ein Gürtel aus Feuer". Raketen aus den USA auf UN-Schule: 40 Tote. Jüdische Gotteskrieger "Euer Dorf wird brennen")
Der Internationale Strafgerichtshof muss ermitteln
Der ehemalige geschäftsführende Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, fordert, dass der Internationale Strafgerichtshof ermitteln müsse.
"Der enorme Verlust an palästinensischem Leben bei der Befreiung von vier von der Hamas festgehaltenen Geiseln durch das israelische Militär am 8. Juni schreit nach einer Untersuchung. Die Entführung und Inhaftierung dieser vier Zivilisten durch die Hamas war ein eindeutiges Kriegsverbrechen, was das israelische Militär jedoch nicht von der Pflicht entbindet, bei der Rettungsaktion das humanitäre Völkerrecht einzuhalten", schreibt Kenneth Roth im Guardian [2].
Und weiter: "Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen, dessen Zahlen sich im Allgemeinen als zuverlässig erwiesen haben, wurden bei der Operation mindestens 274 Palästinenser getötet und mehr als 600 verwundet. Das Ministerium unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten, gibt aber an, dass sich unter den Toten 64 Kinder und 57 Frauen befanden, was 44 % der Gesamtzahl entspricht. Da sich viele der Männer, die bei der Operation getötet wurden, auf einem nahegelegenen Markt aufhielten, ist davon auszugehen, dass ein großer Teil von ihnen ebenfalls Zivilisten waren. Das ist eine schreckliche Zahl von Zivilisten.
Das humanitäre Völkerrecht verlangt, dass ein Militär von einem Angriff absieht, wenn die zu erwartenden Opfer unter der Zivilbevölkerung "im Verhältnis zu dem zu erwartenden konkreten und direkten militärischen Vorteil übermäßig hoch wären". Es liegt der Schluss nahe, dass die israelische Operation diesen Standard nicht erfüllte.
Dies gilt umso mehr, als sich die Frage nach ihrer Notwendigkeit stellt. Mit der Rettung dieser vier Geiseln haben die israelischen Militäroperationen insgesamt sieben Geiseln lebend befreit. Im Gegensatz dazu wurden mehr als 100 Geiseln als Ergebnis des israelischen Waffenstillstandsabkommens mit der Hamas vom November 2023 freigelassen. Nur wenige bezweifeln, dass ein weiteres Abkommen notwendig sein wird, um die meisten der verbleibenden Geiseln lebend nach Hause zu bringen. Die Verhandlungen kommen nur schleppend voran, was zum Teil daran liegt, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sein schwer fassbares Ziel, die Hamas zu vernichten, über die Freilassung der Geiseln zu stellen scheint."
Befreite Geisel ruft zur Teilnahme an Demonstrationen für Waffenstillstand auf
Andrey Kazlow, einer der vier am 8. Juni befreiten Gefangenen, ruft zur Beteiligung an den Demonstrationen für einen Waffenstillstand und ein Abkommen mit der Hamas zum Austausch der Gefangenen auf. Kazlow berichtete, dass im seine Bewacher zu seinem Geburtstag einen Kuchen gebacken hätten. Der staatliche israelische Sender Kan 11 wirft den freigelassenen israelischen Gefangenen vor, sie hätten Anzeichen gezeigt, die auf das Stockholm-Syndrom hindeuten könnten, nachdem sie über die anständige Behandlung des Widerstands gesprochen hätten. Die ehemaligen Häftlinge Andrey Kozlov, Shlomi Ziv und Almog Meir "sagten, dass es Entführer gab, die ihr Wohl wollten und auf sie achteten und im selben Satz von schwierigen Dingen erzählten, die sie durchgemacht hatten …".
Anmerkungen
[1] United Nations, 3 June 2024: Children and armed conflict. Report of the Secretary-General
https://documents.un.org/doc/undoc/gen/n24/095/07/pdf/n2409507.pdf
[2] The Guardian, 13.6.2024: The international criminal court should investigate Israel’s hostage rescue raid
https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/jun/13/international-criminal-court-investigation-israel-hostage-rescue-raid