18.05.2017: Im vergangenen Jahr sahen die fortschrittlichen Kräfte der Region mit Bestürzung das Auftauchen rechtsgerichteter Führer wie Mauricio Macri in Argentinien und Michel Temer in Brasilien. Das Erstarken eines Blocks neoliberaler Länder rund um die Pazifik Allianz eröffnete die Debatte über den Charakter des wieder aufstrebenden Neoliberalismus, die Grenzen des sogenannten "progressiven Zyklus", die Aufgaben, die auf die Linkskräfte des Kontinents zukommen, das Nachdenken über die revolutionären Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts und die Herausforderungen an die marxistische Theorie. Interview mit dem marxistischen Ökonomen Claudio Katz aus Argentinien:
Was ist Neoliberalismus? Eine Ideologie, eine Wirtschaftsform, eine politische Theorie?
Claudio Katz: Der Neoliberalismus ist eine reaktionäre Praxis oder ein konservatives Denken, ein Akkumulationsmodell, das auf Aggressionen gegen die Arbeiter im Rahmen einer größeren Internationalisierung des Kapitals beruht. Seit den 1980er Jahren ist er grundsätzlich als eine Offensive des Kapitals auf die Arbeit definiert worden, um die Profitrate wiederherzustellen..
Meiner Auffassung nach verstärkte sich der Neoliberalismus mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Annexion Ostdeutschlands und der Anpassung der Europäischen Union an die Globalisierung. Noch im Jahr 2008 hat es eine Diskussion darüber gegeben, ob sich der Neoliberalismus halten oder ob er sich auflösen würde. Die Erfahrung hat gezeigt, dass er sich gehalten, an Stärke gewonnen und bis zu einem Punkt vertieft hat, dass die Ungleichheit nie gekannte Ausmaße erreichte. Und er ist eindeutig das Modell, das bis heute fortbesteht.
Es ist ein Wirtschaftsmodell, das sich sehr vom Keynesianismus der Nachkriegszeit unterscheidet und das auf geopolitischer Ebene Momente der Bipolarität, der Unipolarität und der Multipolarität erlebt hat, obwohl es mir so scheint, dass die herrschenden Klassen dieses neue Modell in einem gemeinsamen Rahmen globalisierter Geschäfte umsetzen.
Wie wird der Neoliberalismus der "Trump-Ära" aussehen?
Claudio Katz: Die große Frage, den wir alle haben, ist, welche Art von Liberalismus Trump in seiner Präsidentschaft verfolgen wird. Nun, ich glaube dass sich die Globalisierung ebenso wie die produktive Internationalisierung halten wird. Es gibt viele Zweifel darüber, auf welche Weise Trump Veränderungen in die Freihandelsverträge und in all das einbringen wird, was mit der Mobilität der Arbeitskraft zu tun hat. Und in diesem neuen Szenarium scheint mir, dass wir mit ihm auf irgendeinen Typus von Neoliberalismus in Kombination mit Formen eines reaktionären Nationalismus zusteuern, wobei es sich um einen anderen Zeitabschnitt des Neoliberalismus handeln würde, aber das wird man noch sehen müssen.
Könnten wir sagen, dass der Neoliberalismus definierte Etappen besitzt, eine "Geschichte"? Falls ja, welche wären das – insbesondere in Bezug auf Lateinamerika?
Claudio Katz: Ich persönlich interpretiere den Neoliberalismus als ein integrales Modell auf der politisch-ökonomischen Ebene, als eine Ideologie des Kapitals, die das Denken in den neoklassischen Formen der Wirtschaftslogik wieder aufgreift und die in Lateinamerika natürlich verschiedene Etappen durchlaufen hat. Ich glaube, dass er dort Ende der 1970er Jahre sogar die Tendenzen der entwickelten Länder vorweg genommen hat; es war schließlich Pinochet, der das erste Experiment des Neoliberalismus vorgenommen hat und dies hatte, wie mir scheint, zwei Etappen: eine erste in den 1980er Jahren, als das Ganze "Reformen der ersten Generation" genannt wurde und ein Modell inflationärer Anpassung der allgemeinen Zinssätze war. Die zweite Etappe im darauf folgenden Jahrzehnt war charakterisiert vom sogenannten Konsens von Washington und war bereits ein Modell der kommerziellen Öffnung, der Privatisierungen, der Flexibilisierung der Arbeit etc.
Jetzt treten wir in eine neue Periode ein, weil es im vergangenen Jahrzehnt eine Krise des Neoliberalismus gab; diese neue Periode ist die "konservative Restauration", die in sich eine neue Etappe des Neoliberalismus darstellt.
Nach den jüngsten Wahlniederlagen der fortschrittlichen Kräfte in der Region und dem parlamentarischen Putsch in Brasilien würde ich Sie gerne fragen: Gibt es innerhalb der neuen regionalen Rechten Vorschläge oder nicht? Worin liegt die Gefährlichkeit dieser Gegenoffensive?
Claudio Katz: Was wir gerade erleben ist, wie ich bereits gesagt habe, eine "konservative Restauration", die seit einem Jahr die dominierende Erscheinung in ganz Lateinamerika ist. Um diese Restauration zu verstehen muss man sich die Modelle des fortgesetzten Neoliberalismus genau ansehen, also jene Länder, in denen es zu keinem Zeitpunkt eine Unterbrechung des Neoliberalismus gegeben hat: Mexiko, Peru, Kolumbien und Chile – Länder in denen die Arbeitslosigkeitsraten, die Prekarisierung der Arbeit und die Ungleichheit konstant geblieben sind; und man muss sich dazu das Modell von Terror und Repression in Honduras, Mexiko und Kolumbien anschauen, die Aggression gegenüber den popularen Bewegungen, alles in allem den fortgesetzten Neoliberalismus, der in Lateinamerika nie verschwunden war.
Wie du sehr richtig anmerkst, erstreckt sich diese Gegenoffensive auf zwei Teile Lateinamerikas: In Argentinien findet der erste Fall der neoliberalen Restauration statt. Ihr erstes Jahr des Neoliberalismus hat zu haarsträubenden ökonomischen Resultaten in Bezug auf Rezession, Inflation, Konsumeinbrüche und sinkende Investitionen geführt. Und das Projekt dauert an, da es Ziele verfolgt. Es stellt keine bloße Improvisation dar und hat sich zur Aufgabe gemacht, die von den Arbeitern erkämpften Rechte zu zerstören und eine Struktur permanenter Aggression gegen die popularen Errungenschaften wieder herzustellen; es hat sich bislang sicherlich gezeigt, dass es zwar viele Absichten zur Anpassung, jedoch nur begrenzte Fähigkeiten zu ihrer Durchführung besitzt.
Der zweite Fall, mit einigen Ähnlichkeiten, ist der von Temer in Brasilien, da wir ein Modell halb konservativer Restauration mit korrupten Parlamentariern vor uns hatten, die unter Berufung auf Gott und korrupte Familienmitglieder und Militärs für das Amtsenthebungsverfahren stimmten. Es handelt sich jedoch letztlich um eine äußerst illegitime Regierung, die deshalb ziemlich beschränkte Fähigkeiten hat, um ein neoliberales Modell zu stabilisieren.
Streng genommen ist das Projekt dieser Restauratoren das der Pazifik Allianz. Sie setzen auf ein Abkommen allgemeinen Freihandels für die gesamte Region und das Problem ist, dass dieses Projekt gut mit Hillary Clinton abgestimmt war und viele Probleme mit Trump hat.
Und wie werden sie mit einem solch unvorhergesehenen Ereignis umgehen?
Claudio Katz: Die "konservative Restauration" steht nun der unerwarteten Präsidentschaft von Trump gegenüber, der zum Abkommen der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) auf Abstand geht und daher eine große Krise auslösen kann; innerhalb der herrschenden Gruppen besteht eine große Unschlüssigkeit über die zu verfolgende Politik, sie wissen nicht, ob sie den Mercosur demontieren oder den Freihandel auf neue Partner aus Europa oder China ausrichten sollen.
Dieser Krisenmoment ist gegeben, weil Lateinamerika, wenn Trump auf einen Konflikt mit China zusteuert, zum kommerziellen Opfer dieses Konfliktes werden kann, indem sich die regionale ökonomische Ausrichtung festigt; außerdem kann sich die Krise zuspitzen, wenn Washington den Zinssatz anhebt, wenn es die Mauer zu Mexiko baut, etc. Kurzum, wir befinden uns in einer "konservativen Restauration" mit einer Krise in dieser Restauration durch den Aufstieg von Trump.
Wenn Sie uns nahe legen, die "Neokonservatismen" im Vergleich zu Ländern wie Mexiko oder Chile zu analysieren, müssen wir dann daraus schließen, dass diese restaurative Rechte antritt, um neoliberale Maßnahmen anzuwenden oder solche abzuschließen, die unvollendet geblieben waren?
Claudio Katz: Ja, sie sind angetreten um das, was vom neoliberalen Modell im vergangenen Jahrzehnt wegen des sogenannten progressiven Zyklus' unerledigt geblieben ist, zu vollenden. Dies geschah aufgrund der Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen den herrschenden und den popularen Klassen, aufgrund der Einschränkungen, denen der Interventionismus des nordamerikanischen Imperialismus unterlag, aufgrund der Volksbildung, der Existenz radikaler Projekte in Bolivien und in Venezuela, des Fortbestehens der Kubanischen Revolution; aufgrund all dessen, was der neoliberalen Aggression Grenzen gesetzt hat. Jetzt kehren sie zurück und gehen doppelt aggressiv gegen die Arbeiter vor.
Gibt es eine Beziehung in der Stärkung oder Schwächung des Neoliberalismus, der in Diktaturen (Chile, Argentinien, etc.) oder in Demokratien (Bolivien, Venezuela, etc.) errichtet worden ist?
Claudio Katz: Eine Charakteristik des Neoliberalismus besteht darin, dass er als Modell in allen Ländern Südamerikas in der Epoche der Diktaturen eingeführt und von den konstitutionellen Regimes der 1980er Jahre sowie den verfassungsmäßigen neoliberalen Regierungen der 90er bestätigt wurde; politische Regimes von Zivilisten, die im Dienste der selben diktatorischen herrschenden Klassen standen und dem selben Modell des Arbeitsmarktes und der neoliberalen Globalisierung verschrieben waren. Dies wurde durch die großen Rebellionen der Jahre 2000, 2003, 2004 und 2005 unterbrochen, und nun tritt die konservative Restauration an, um diesen Prozess umzukehren.
Wie zutreffend oder unzutreffend erscheint Ihnen die Kategorie der von David Harvey verkündeten "Akkumulation durch Enteignung"?
Claudio Katz: David Harvey nimmt einen Gedanken von Rosa Luxemburg auf, der mit dem Prozess der Ausplünderung von Naturressourcen zu tun hat, der Arbeitskraft, die sich innerhalb der Dynamiken der ursprünglichen Akkumulation vollzieht und die in kombinierter Form mit dem Prozess der Kapitalakkumulation insbesondere in peripheren Ökonomien vorkommt.
Harvey greift diese Vorstellung auf und verwendet den Begriff "Enteignung", um auf den modernen Charakter dieser Ausplünderung hinzuweisen, indem er ihn auf die entwickelten Ökonomien der Metropolen, die Finanzspekulationen, Betrügereien und Privatisierungen ausdehnt.
Dabei handelt es sich um ein Konzept, das viele Diskussionen ausgelöst hat. Es gibt marxistische Theoretiker, die die übermäßige Betonung der außerökonomischen Rolle beim Verfall der Logik des Kapitals in dieser Kategorie in Frage gestellt haben, in dem sie darauf hinwiesen, dass Marx die objektive Logik der Akkumulation und der Prozesse von Diebstahl, Raub oder Plünderung des Kapitalismus studiert hat, die im Unterschied zu den Modellen der Zinsknechtschaft oder der Sklaverei auf besonderen Regeln der Konkurrenz, des Profits, der Ausbeutung beruhen, wobei die "Enteignung" einen weiteren Bestandteil darstellt. Ich denke , dass in Zeiten gewöhnlicher Akkumulation die "Enteignung" eine zweitrangige Position hat, während sie zum Beispiel in Kriegs- oder in anderen Krisenzeiten eine bedeutendere Rolle spielt; in den peripheren Ökonomien spielt die "Enteignung" im Verhältnis zu den Volkswirtschaften der Zentren eindeutig eine bedeutendere Rolle.
Was den Staat angeht, so würde ich Sie gerne etwas sehr grundlegendes fragen: Welches sind seine wesentlichen Elemente?
Claudio Katz: Auf theoretischer Ebene hat in den vergangenen Jahren eine interessante Wiederbelebung marxistischer Staatsvorstellungen stattgefunden, die die eher traditionelle, vereinfachende, orthodoxe und instrumentalisierende Vision überwinden, dass es sich dabei nur um ein Unterdrückungsorgan einer herrschenden über eine unterdrückte Klasse handele.
Moderneren Denkern ist es gelungen, die gesamte Dimension des Staates als ein Projekt der Befreiung der Gesellschaft von staatlicher Unterdrückung zu begreifen, indem sie die Gedanken von Marx wieder aufnahmen; oder die Lenins, der die Erwartung hatte, in der sozialen Emanzipation sehr rasch voranzukommen und von daher auch in der Auflösung der unterdrückerischen staatlichen Formen; die Geschichte zeigte jedoch, dass sich diese Erwartungen als äußerst optimistisch erwiesen.
Auf theoretischer Ebene hat es sehr interessante Beiträge zum Beispiel von Gramsci gegeben, die zeigen, dass der Staat ein Instrument von Zusammenhalt und Einverständnis ist, das dazu tendiert die Hegemonie der herrschenden Klassen zu stabilisieren. Außerdem sind da die Ideen von Althusser bezüglich des Staates als Organisation der verschiedenen Apparate staatlicher Herrschaft. Ebenso können wir die Debatten zwischen Poulantzas und Balibar über den Staat als Verdichtung der gesellschaftlichen Beziehungen oder den Staat als assoziatives Modell von Bürokratien und kapitalistischen Gruppen lesen.
Zusammenfassend: Das marxistische Staatsdenken kann viel beitragen, insbesondere was die Gegenposition zu sehr grundlegenden und simplen liberalen, neoliberalen, neoklassischen Vorstellungen angesichts der Idee vom Minimalstaat angeht, angesichts der These vom Staat als neutrale und unverzichtbare und ewige Institution. Die Untersuchung der Staatstheorie, ihre Erweiterung und Anreicherung erlaubt es den Marxisten zugleich, sozialistische Projekte und Strategien zu denken, die uns, wenn diese Komplexität erst einmal einbezogen wird, den Erscheinungsformen des zeitgenössischen Staates näher bringen.
Im vergangenen Jahrzehnt haben im Bereich der Diskussionen innerhalb der Linken viele darauf bestanden, "das Soziale" vom "Politischen" zu trennen. Was ist davon zu halten?
Claudio Katz: Die starke Unterteilung zwischen dem Sozialen und dem Politischen begann in heftiger Weise etwa vor einem oder zwei Jahrzehnten in Strömungen, die wir in Argentinien als "Autonomisten" bezeichnen und die große Schwierigkeiten damit hatten, das Verhältnis zwischen "dem Sozialen" und "dem Politischen" zu erfassen und eine traditionelle Vorstellung des Marxismus zu verstehen, dass der soziale Kampf die unmittelbarste Form ist, in der die Arbeiter und die Unterdrückten die Straße für ihre Forderungen gewinnen, aber dass die Umwandlung dieses grundlegenden ökonomischen Kampfes Bewusstsein, Organisation und politisches Handeln erforderlich macht.
Es gab große Hoffnungen und Erwartungen, eine Idealisierung sozialer Bewegungen und ihrer Fähigkeit zu handeln, ohne eines politischen Aufbaus und politischer Organisationen zu bedürfen. Dennoch scheint mir, dass das, was im vergangenen Jahrzehnt geschehen ist - die Erfahrung des sogenannten progressiven Zyklus und der politischen Mitte-links-Prozesse in Argentinien, Ecuador und Brasilien sowie der politisch radikalen Prozesse in Venezuela und Bolivien - gezeigt hat, dass diese Hoffnungen und Erwartungen, diese Vereinfachung der politischen Analyse, haltlos gewesen ist; dass die Arbeiter zu ihrer Emanzipation politisches Handeln und noch etwas wichtigeres brauchen: den Kampf um die Eroberung der politischen Macht. Denn eines der Produkte dieser streng auf die sozialen Bewegungen konzentrierten Theorie, die Vorstellung "die Welt zu verändern, ohne die Macht zu ergreifen", kann nicht auf eine politische, im staatlichen Bereich geregelte Transformation verzichten.
Viele dieser Debatten haben sich zu abstrakten Diskussionen gewandelt und sind zurückgeblieben. Heute ist es offensichtlich, dass der soziale Kampf einer Orientierung auf die politische Ebene bedarf und dies beinhaltet den Aufbau von Organisationen sozialistischen Typs, um ein sozialistisches Projekt abzustützen.
Wie unüberwindbar ist die offensichtlich existierende Trennung zwischen den "politischen Parteien" als politische Instrumente und den "sozialen Bewegungen"? Werden Letztere die Ersteren ersetzen oder werden sie schließlich wie jene enden?
Claudio Katz: Diese Trennung von sozialer Bewegung und politischer Organisation erscheint mir vollkommen abstrakt und schematisch. Es gibt ein Bindeglied zwischen beiden, das ist die Orientierung des sozialen Kampfes auf die politische Ebene, und im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Kampf der Linken offenkundig auf die politische Ebene konzentriert; auf die Herausforderungen, vor denen die radikalen Regierungen standen und stehen, um in einem sozialistischen Projekt voranzukommen oder auf die Unfähigkeit, dieses Projekt zu entwickeln und die Frustration, die bereits erlebt worden ist und die die Mitte-Links-Regierungen charakterisiert hat.
Glauben Sie, dass der Zugang der fortschrittlichen lateinamerikanischen Bewegungen zum Staatsapparat (Venezuela, Ecuador und ganz besonders in Bolivien) verfrüht war und kann es sein, dass wir dafür den Preis zahlen? In dem Sinne, nicht über eine ausreichend konstituierte und organisierte soziale Kraft zu verfügen.
Claudio Katz: Ich glaube nicht, dass man mit Begrifflichkeiten wie "verfrüht" argumentieren kann, denn das sagt mir nichts über die Bedingungen, unter denen gehandelt wird; was es gibt, das sind Möglichkeiten der Herausbildung sozialer Kräfte und wenn wenn diese - mit eindeutig linker Prägung - an die Regierung kommen, dann stehen sie vor der Herausforderung, diese Prozesse zu radikalisieren oder sie abzubremsen und zu einem Scheitern der popularen Transformation zu führen.
Im Fall von Venezuela ist es offensichtlich und konkret so, dass es dort eine Regierung gibt, die vor über eineinhalb Jahrzehnten die Leitung der öffentlichen Belange übernommen hat und putschistischen Verschwörungen, fortgesetzten Destabilisierungen, ökonomischem Verfall, internationalem Druck, finanzieller Bedrängnis, etc. widersteht. Und da gibt es nun einen Zwiespalt, denn die Regierung hat es zwar vermocht zu widerstehen, aber hat es nicht verstanden, diesen Widerstand in ein antikapitalistisches und somit das rentistische Erbe der venezolanischen Ökonomie überwindendes Wirtschaftsmodell umzuwandeln; es hat eine Periode großer Verbesserungen für die breite Bevölkerung gegeben; aber die unproduktive Struktur ist nicht verändert worden und das Land erlebt weiterhin eine Auseinandersetzung um die Kontrolle der Erdölrendite, die Spannungen und dauerhaften Druck seitens der Kapitalisten erzeugt, um zu destabilsiieren. Die Wirtschaft bleibt der Schlüsselfaktor dieser Revolution.
Die gute Nachricht ist, dass die herrschende Klasse Venezuelas im vergangenen Jahr eins ums andere Mal mit all ihren verzweifelten Versuchen, die sie zum Sturz der Regierung unternommen hat, gescheitert ist; ihr letztes Abenteuer bestand in einem improvisierten Putsch, der scheiterte, da es wichtige Gegendemonstrationen gab und das Volk sich trotz aller Entbehrungen den Provokationen der Rechten, was Maduro angeht, nicht angeschlossen hat. Klar, Maduro hat nicht das Verhalten von Dilma Rousseff oder das von Lugo gezeigt, sich zu ergeben und schwach zu werden, er ist stark geblieben, aber das Dilemma bleibt bestehen: er verpasste eine Gelegenheit, den Prozess zu vertiefen und die Banken zu verstaatlichen, den Außenhandel zu kontrollieren und zu nationalisieren, der Spekulation der Kapitalisten bei der Handhabung der Preise ein Ende zu setzen; dies verlangt nicht nur, sich gegen die Rechte zu stellen, sondern auch gegen die Bourgeoisie innerhalb des Chavismus, das ist die große Herausforderung, die der bolivarische Prozess offen gelassen hat.
Das Wesentliche ist, dass Venezuela und Bolivien im Unterschied zu Brasilien und Argentinien zwei offene Prozesse sind, bei denen noch alles möglich ist.
Intellektuelle wie Françoise Houtart oder Frei Betto haben betont, dass sich die Beschränkungen des "progressiven Zyklus" zum Teil dadurch ergeben, dass seine Regierungen zwar anti-neoliberal aber nicht antikapitalistisch gewesen seien. Was für eine Meinung vertreten Sie diesbezüglich?
Claudio Katz: Tatsächlich handelt es sich um Regierungen, die mit den herrschenden Klassen, mit dem Imperialismus aneinander geraten sind und auf das Mittel der Volksmobilisierung zurückgegriffen haben – was sie stark von Regierungen wie denen von Dilma Rousseff oder Cristina Kirchner unterscheidet – die jedoch ihre Grenze bei der Entscheidung zu antikapitalistischen Maßnahmen fanden; der positive Aspekt liegt darin, dass sie, obwohl sie keine antikapitalistischen Schritte unternehmen, sich zumindest auf konzeptuellem Gebiet zu einem sozialistischen Projekt bekannt haben, was Leute mit antikapitalistischen Absichten angezogen hat.
Glauben Sie, dass es auf dem Wege von Wahlen eine Revolution im tiefsten Sinn des Wortes geben kann?
Claudio Katz: Dabei geht es um den Inhalt des Wortes Revolution, weil die Revolution in der gesamten Geschichte des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika ein vorherrschendes Thema gewesen ist; danach kamen der Neoliberalismus, die Diktaturen und der Begriff wurde zu einem geächteten Wort. Mit dem bolivarischen Prozess rehabilitierte sich der Begriff Revolution, und da ist der Fall Kubas, das das revolutionäre Konzept aufrecht erhält.
Solange wir in einem kapitalistischen Regime mit der Art von Ausbeutung leben, die den Kapitalismus kennzeichnet, werden die Ausdrücke einer radikalen Umwandlung unter der Bezeichnung Revolution für die Marxisten stets präsent sein: Revolution bedeutet den massiven Eintritt der Ausgebeuteten ins direkte Handeln in einem Prozess, der das kapitalistische System umwälzt. Das Problem ist, dass die spezifischen Merkmale, die ein revolutionärer Prozess aufweist, im Vergleich zu den traditionellen Prozessen des 20. Jahrhunderts bedeutsame Unterschiede zeigen; allgemein gab es dabei eine Vorstellung von Gleichzeitigkeit bei den Prozessen einer sozialistischen Umgestaltung zwischen der Bildung einer Arbeiterregierung, der Ergreifung der Staatsmacht und der Transformation der Gesellschaft, drei Momenten eines simultan oder nur mit geringen zeitlichen Unterschieden stattfindenden Prozesses. Wie uns jedoch die Erfahrung Venezuelas oder andere Fälle zeigen, besitzt diese Kombination dreier Prozesse unterschiedliche zeitliche Abstände, das heißt, an die Regierung zu kommen, die Staatsmacht zu erkämpfen und die Gesellschaft umzuwandeln, das sind drei Seiten ein und desselben Prozesses, die jedoch unterschiedliche Momente der Entfaltung aufweisen. Das Problem besteht also darin, ob es von der Regierung der Arbeiter zur Umwandlung der Gesellschaft und zur Aufhebung ihrer kapitalistischen Fundamente hin zu einer Veränderung und Beseitigung staatlicher Formen voran geht oder nicht. Dies ist die offene Frage und dabei gilt es viele Erfahrungen zu bedenken; dies ist quasi das große offene Thema unseres Jahrzehnts und unserer ganzen Epoche.
In diesem Jahr ist seit der Ermordung von Che Guevara in Bolivien ein halbes Jahrhundert vergangen. Welche Meinung haben Sie zu seinem ökonomischen Denken? Ist die Bewahrung dieses Teils seines Erbes angebracht, das Ihr Landsmann Kohan nachdrücklich den "verbotenen Apfel des Kommunismus" genannt hat?
Claudio Katz: Wenn man von Che spricht und die Frivolität der Kommerzialisierung eines sozialistischen Führers und die folgende publizistische Absorbierung weglässt, also ihn als Revolutionär und vor allem seinen Charakter eines revolutionären Kämpfers bewahrt, der auf allen Ebenen, auf denen er wirkte, Vorstellungen sozialistischer Radikalisierungen aufgeworfen hat, kann man feststellen, dass er eine klare Vorstellung davon hatte, dass ein Prozess, der nicht vorangeht, sich zurückentwickelt; und dass ein Prozess, wenn er sich nicht in einen sozialistischen wandelt, nicht nur kapitalistisch bleibt, sondern dies auch in der schlimmsten Weise.
Es gibt zahlreiche Beiträge von ihm in vielen Bereichen, zum Beispiel was den sozialistischen Internationalismus angeht und im Verständnis, dass die Revolution eine sozialistische sein oder nur die Karikatur einer Revolution bleiben und dass sie zudem globalen Maßstab haben wird.
Che ist der Mensch der moralischen Werte, des revolutionären Denkens, der die Theorie formulierte, eine Ethik des neuen Menschen zu gestalten: mit Solidarität und Brüderlichkeit als Prinzipien von Beginn der Revolution an, ohne auf die Entstehung eines Zustandes materiellen Wohlstands zu warten.
Diese Theorie muss im Zusammenhang der generellen Sichtweise Ches verstanden werden, der außer Kämpfer und Anführer, eben auch Guerillero und Ökonom war und über Erfahrungen im kubanischen Industrieministerium verfügte. Er dachte über Mechanismen der Teilhabe und Demokratisierung nach und wandte sich gegen kommerzielle Beziehungen zwischen Betrieben – zu jener Zeit war das jugoslawische Modell gefragt – ohne sich jedoch dem reinen russischen Modell der Zwangsplanung zu verschreiben. Ganz ohne Zweifel sind seine Beiträge bezüglich des Modells, wie man einen erfolgreichen antikapitalistischen Übergang auf ökonomischer Ebene in Kombination mit einer sozialistischen Demokratie mit kollektiver Beteiligung gegen die erschöpften Mechanismen des Marktes durchführen könnte, von Bedeutung: eine Frage mit der man sich unter jeglichen Umständen und in jedem Land auseinanderzusetzen hat. Die Erfahrung Ches gehört jedenfalls zu denen, die für die Aufgaben des sozialistischen ökonomischen Denkens einzubeziehen sind.
Wie ist das historische Experiment der Unidad Popular im Chile von Salvador Allende zu beurteilen und welche Lehre können wir daraus ziehen?
Claudio Katz: Dieses Thema ist interessant und wichtig, weil die Probleme, die die Unidad Popular durchlaufen hat, denen sehr ähnlich sind, denen sich zum Beispiel Venezuela ausgesetzt sieht. Wir haben zwei Prozesse vor uns, die einer Regierung mit erklärt sozialistischer Ausrichtung über die Wahlurnen den Zugang zur Macht verschafften, aber unter unterschiedlichen Bedingungen stattfanden, da wir uns nicht mehr in der Epoche der klassischen Militärputsche der 1970er Jahre befinden, sondern in einer Zeit verfassungsgemäßer Regierungsformen und "weicher" Staatsstreiche wie in Honduras oder Brasilien.
Es gibt jedoch zwei wichtige Themen beim Vergleich oder bei der Reflektion in Bezug auf Salvador Allende: das erste ist der Kampf gegen die Verschwörungen der Rechten. Sowohl Venezuela als auch, in geringerem Maße, Bolivien sind mit dem selben Typ von rechten Komplotten konfrontiert, die Allende erfuhr, wenn auch der Wirtschaftsboykott heute perfektionierter ist und mehr Instrumente zur Verfügung hat als in den Siebzigern. Aber da ist auch der Einsatz der Kommunikationsmedien als reaktionärer Mechanismus zur Erzeugung einer kritischen Masse innerhalb der Mittelklasse zugunsten rechtsgerichteter Staatsstreiche; letztlich ist das erste der Rechten zuzuordnen, und hier ist ein weiterer schwerer Fehler Allendes zu überwinden, denn er war es schließlich, der Pinochet zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt hatte, während Chávez diesen Irrtum nicht beging und sowohl er wie auch Maduro es verstanden haben, die Armee zu säubern und diese Art rechter Dominanz zu vermeiden.
Das zweite Problem Allendes waren die Zögerlichkeiten bei der Volksmobilisierung gegen den Putschismus, obwohl es dazu allgemeinen zwei Sichtweisen gibt: eine die denkt, dass die Sache für die Unidad Popular schief ging, weil sie den Prozess zu sehr beschleunigte, seine Radikalisierung schwindelerregend war und weil sie sich mit der Christdemokratie anlegte, das heißt, dass man sich nicht mit der Bourgeoisie verständigte und man langsamer hätte vorgehen müssen; die andere verweist darauf, dass das Problem war, die zögerlichen Momente des rechten Lagers nicht ausgenützt zu haben, um im Hinblick auf antikapitalistische Maßnahmen voranzugehen; und dass Allende zögerte statt zu handeln und schließlich in hohem Maße zum Gefangenen seiner Blauäugigkeiten bezüglich der Verfassung wurde. Auf jeden Fall muss die heroische und aufopfernde Erfahrung Salvador Allendes dazu dienen, diese Beschränkungen zu überwinden.
Glauben Sie, dass die neuen Generationen der Linken Lenin lesen sollten? Ist dies unzeitgemäß oder zu fremd? Welchen Wert hätte das Werk des russischen Anführers für einen jungen Lateinamerikaner von heute?
Claudio Katz: Das ist ein sehr wichtiges Thema, insbesondere da ja, wie Sie gesagt haben, dieses Jahr das hundertjährige Jubiläum der Bolschewistischen Revolution begangen wird und es viele Feierlichkeiten und Debatten geben wird.
In Bezug auf Lenin glaube ich, dass man die theoretische Ebene von der politischen Ebene trennen muss. Auf der theoretischen Ebene finden wir seine Schlüsselideen, zum Beispiel das Konzept der "ungleichen Entwicklung", das uns ermöglicht, die Dynamik der kapitalistischen Entwicklung im Gegensatz zur rein evolutionistischen Methodologie oder zur Politik der kleinen Schritte zu verstehen, die zur Zeit von Kautsky und Bernstein vorherrschte; Lenin führte die Vorstellung des schwächsten Bindegliedes ein, um zu bemessen, wie sich die Krise des Kapitalismus in bestimmten Situationen, in bestimmten Ländern und Momenten verhält – und die politische Fähigkeit der Revolutionäre besteht darin, dies zu erfassen.
Lenin ist der erste marxistische Denker, der verstand, dass der Kapitalismus diesen verschiedenen Etappen unterworfen ist; Marx sah den Prä- und den Postkapitalismus, Lenin dagegen führte die Vorstellung ein, dass es eine Periode des Freihandels, eine Etappe des Imperialismus, etc. gibt, und tatsächlich können wir heutzutage vom Neoliberalismus sprechen.
Aber Lenin war insbesondere ein revolutionärer Politiker, der die politische Dimension des sozialistischen Denken in all seinen Aspekten bestimmte und einführte und der mit großer Flexibilität handelte. Er war der Urheber der dauerhaftesten politischen Strategien des marxistischen Denkens, mit der Vorstellung, die Vielfalt der Möglichkeiten in einem revolutionären Kontext zu begreifen und auf die am besten geeignete unter ihnen zu setzen.
Im Hinblick auf Lateinamerika würde ich mich auf eine seiner Ideen konzentrieren, die ein Verhältnis zu der Unterscheidung benennt, die er zwischen revolutionärem Nationalismus und konservativem Nationalismus traf. Lenin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts derjenige, der zum ersten Mal erfasste, dass die Formen des Nationalismus sehr unterschiedliche Inhalte haben. Und so ist der chauvinistische faschistoide Nationalismus von Trump oder Le Pen eine Sache, und der radikale revolutionäre Nationalismus in der Tradition von Torrijos oder Chávez eine ganz andere; diese Nationalismen zu unterscheiden und ihre Übereinstimmung mit dem Sozialismus zu suchen ist wohl einer der großen Stärken des leninistischen Denkens.
Was denken Sie über die politische Bildung in diesen Zeiten? Welche Formen sollte sie annehmen? Auf welche Autoren sollte sie zurückgreifen und unter welchen Methodologien?
Claudio Katz: Ich halte mich nicht für allzu qualifiziert, um Leitlinien für Schulungskurse zu empfehlen. Es gibt zur Zeit viele und sehr interessante Schulungen für Aktivisten in Lateinamerika. Ich denke da an Alba, an die Escuela Nacional Florestan Fernandes der Landlosenbewegung in Brasilien, wo die Bildung stringent, jedoch nicht dogmatisch ist, und dies ist verglichen mit anderen Zeiten und vergangenen Jahrzehnten der große Beitrag der aktuellen Epoche.
Eher als Autoren zu nennen, würde ich gerne ein Thema aufwerfen, das in die Weiterbildung und die Überlegungen des aktuellen lateinamerikanischen Marxismus einbezogen werden sollte. Ich arbeite zur Zeit an diesem Thema, es geht um die Aktualisierung der marxistischen Dependenztheorie, eine Frage, die mir wegen des von ihr geleisteten Beitrages zentral für unsere Geschichte erscheint. Sie macht auch deutlich, was der lateinamerikanische Marxismus über die zum Verständnis zeitgenössischer Probleme gelieferten Werkzeuge hinaus dem Marxismus als solchem anbieten kann.
40 Jahre nach ihrem Entstehen muss man diese Theorie überprüfen und bearbeiten, zunächst auf der Ebene des marxistischen Erbes der Theorie, die wir von Marx, von den Klassikern wie Lenin, Luxemburg oder Trotzki, von den Theoretikern der Nachkriegszeit wie Mandel und Samir Amin gelernt haben. Der zweite Schlüsselaspekt ist, welchen Typus der marxistischen Dependenztheorie wir neu gestalten müssen, das heißt diejenige wieder aufnehmen, die in der Hitze der Kubanischen Revolution entstanden ist und eine Synthese zwischen Sozialismus und Antiimperialismus für unabdingbar erklärt; diejenige die sich rund um Namen wie Ruy Mauro Marini, Vania Bambirra und Theotonio dos Santos herum bildet. Ebenso müssen wir sie in ihren Polemiken gegen die Ansichten von Fernando Henrique Cardoso studieren, inwieweit sie kritische Ideen wie die von Agustín Cuevas auffing, wie sie eine bereichernde Synthese mit der Theorie des Weltsystems von Wallerstein fand, welche Berührungs- und welche Distanzierungspunkte sie mit der Metropolen-Satelliten-Theorie von André Gunder Frank hatte und welche Polemik sie sich mit den theoretischen Thesen der Antidependenz lieferte.
Es ist sehr wichtig, die marxistische Dependenztheorie wieder aufzunehmen, mit ihr die Charakteristika des aktuellen neoliberalen Kapitalismus und die Formen der imperialistischen Reorganisation zu studieren und die Probleme Lateinamerikas und des Sozialismus unserer Epoche neu aufzuwerfen.
Welchen Stellenwert räumen Sie dem Thema der Abschaffung des Patriarchats, dem Ökosozialismus und dem Humanismus ein?
Claudio Katz: Das sind Themen, die man gerne in die Agenda des zeitgenössischen Marxismus und des aktuellen Sozialismus aufnehmen wollte und die bei den verschiedenen Foren, auf denen alternative Ideen und Projekte diskutiert werden, sehr präsent gewesen sind. Sie sind durch die Entstehung von Bewegungen sehr wichtig geworden, die den sozialen Kampf und den Kampf um solche Problematiken zur Geltung gebracht haben. Dabei denke ich an die Bewegungen der Frauen, der Indigenen, usw., sie sind auf den Straßen und sind mit ihren Ideen in die Universitäten und in das allgemeine Denken vorgedrungen.
Nun ist Donald Trump im Amt und ich würde Ihnen gerne die Frage nach den virtuellen Szenarien einer offenen Konfrontation mit Russland stellen.
Claudio Katz: Trump ist heute das große Thema und ich würde sagen, er wird dies auch in den nächsten Monaten sein, wir werden die ganze Zeit über ihn reden und zwar auf ökonomischer und auf internationaler Ebene, ganz wie von Ihnen schon angedeutet. Natürlich versucht er, sich mit China auseinanderzusetzen, für eine Ausbalancierung zu sorgen, das Handelsdefizit und die Verschuldung der USA gegenüber dem asiatischen Riesen zu reduzieren. Er möchte Druck auf die Chinesen ausüben, damit sie ihre Märkte öffnen, während er gleichzeitig einen heftigen Disput mit ihnen vorbereitet, worauf Peking zu reagieren beginnt.
Dennoch geht es nicht um eine Thema weltweiter Reorganisation, sondern um ein Aushandeln der Globalisierung unter anderen Vorzeichen, was Trump zu erreichen versucht, wo das Gewicht eines jeden Staates in Verhandlungen eine größere Bedeutung erhält. Der US-Präsident versucht Russland zu benutzen und eine Vereinbarung mit Putin zu treffen, um China zu isolieren, was schwierig ist, da das heutige Russland nicht mehr das von Jelzin2 ist und auch nicht das Land, das auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, wie sich in Syrien und Georgien gezeigt hat. Putin spielt mit hohem Einsatz. Und auch China hat sich ein Netz aus verschiedenartigen Handelspartnern geschaffen und die Bereitschaft geäußert, den Wettstreit mit den USA aufzunehmen und dabei die Botschaft und die politische Idee des Freihandels bestärkt, eine wichtige Tatsache, weil uns dies einen ersten Eindruck davon vermittelt, wie dieser Wettstreit aussehen wird.
China hat eine Botschaft der Globalisierung und der Förderung des freien Handels ausgesandt, was sich als interessant erweist, weil es uns dazu auffordert, vorsichtig mit den Idealisierungen zu sein, die manche in dieser Konfrontation bezüglich Russlands oder Chinas vornehmen.
Meines Erachtens liegt das Zentrale jedoch auf einer anderen Ebene, nämlich in der großen Offensive, die Trump gegen die Arbeiterklasse, gegen die Latinos, gegen die Afroamerikaner, gegen die Frauen vorbereitet. Trump verkörpert ein rassistisches Projekt der weißen Vorherrschaft, ein Projekt von Multimillionären. Man muss vorsichtig sein mit den beschaulichen Sichtweisen, die einige bezüglich seiner Person haben, denn er ist ein Reaktionär; das Positive an all dem ist, dass sich in den USA bedeutende Widerstandsbewegungen entwickeln. Letztendlich kann ich das Interview abschließen indem ich sage, dass in den USA interessante Zeiten anbrechen, die von Lateinamerika aus gesehen werden sollten.
Der Artikel ist in deutscher Sprache zuerst auf dem Nachrichtenportal Amerka21 erschienen.
Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Erstveröffentlichung: Correo del Alba, 16. März 2017
siehe auch
- Claudio Katz: Lateinamerika - Ein Prozess, der sich nicht radikalisiert, geht rückwärts.
- Marta Harnecker: historische Prozesse verlaufen in Wellen
- Isabel Rauber: Lateinamerika - Ende eines Zyklus oder neue politische Zeit?
- Valter Pomar: Linksregierungen: Möglichkeiten und Grenzen
- Álvaro García Linera: Lehren für die Linke in der ganzen Welt
- Fin del ciclo progresista?