Interview mit Claudia Stamm und Stephan Lessenich zur Gründung der neuen Partei
Frage: Warum habt Ihr die Initiative zur Gründung einer neuen Partei ergriffen?
Stephan Lessenich: Ich habe wahrgenommen, dass sich der Wind in der Welt und auch hier in Bayern dreht. Dass politische Parteien gerade hier im Freistaat im Angesicht der rechtspopulistischen Entwicklungen nach und nach Positionen geräumt haben, die früher selbstverständlich gewesen wären. Die Fluchtbewegungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass wir gesellschaftlich vor großen Herausforderungen stehen.
Deswegen scheint es mir besonders wichtig, bestimmte Positionen zu festigen und solche, die früher womöglich in einem breiten Spektrum noch selbstverständlich gewesen wären, zu verteidigen. Also Menschenwürde, Menschenrechte, aber auch soziale Rechte – und zwar global.
Die moderne kapitalistische Gesellschaft beruht seit 500 Jahren darauf, dass sie die Kosten ihrer Produktions-, Arbeits- und Lebensweise in andere Weltgegenden auslagert. Den Preis für die Externalisierung haben sehr lange fast ausschließlich Dritte bezahlt. Gegenwärtig leben wir in einer Situation, in der das auf uns zurückschlägt. Flucht und Migration sind nur ein Aspekt davon. Da wir Probleme produzieren, die auf uns zurückschlagen, wäre es im Sinne der Vernunft und der vorausschauenden Einsicht, vom globalen Norden aus umzusteuern. Das wäre im wohlverstandenen langfristigen Eigeninteresse.
Dafür aber braucht man ein neues politisches Angebot. Denn viele Menschen wissen nicht mehr, wen oder was sie wählen sollen – oder ob sie überhaupt noch zur Wahl gehen sollen. Es braucht mut und eine Partei, die sagt, was ist, und nicht schönredet. Und die endlich einen demokratischen Prozess des gesellschaftlichen Dialogs eröffnet zu der Frage, was werden soll.
Claudia Stamm: Das, was Stephan sagt spielt bei mir natürlich auch eine große Rolle – umsteuern ist angesagt, anders geht es nicht mehr. Und es ist mir natürlich nicht leichtgefallen, bei den Grünen auszusteigen – das war und ist so ein bisschen wie am Ende einer langjährigen Beziehung. Es war ein längerer Prozess. Etwa die Sache mit den sicheren Herkunftsstaaten. Einer der Grundwerte der Grünen war es, das Konstrukt des sogenannten sicheren Herkunftsstaats abzulehnen. Im Bundesrat stimmten sie dann 2015 doch dafür, Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Oder der Vorschlag der Grünen, die Bundeswehr nach Syrien zu schicken – mit dem sie übrigens als erstes auf dem "Markt" waren - im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Ein Wahnsinn für eine Partei, die sich aus der Friedensbewegung heraus gegründet hat. Das Fass zum Überlaufen gebracht haben aber die Abschiebungen in Kriegsgebiete, die von grünen Landesregierungen mitgetragen werden, und die Entwicklung, dass überhaupt nicht mehr klar ist, für was Grüne stehen – Stichwort: Erbschaftssteuer, Doppelpass oder Bundesteilhabegesetz.
Ich war an dem Punkt, dass ich mich fragen musste, ob ich noch in den Spiegel schauen kann – daraus habe ich die Konsequenz gezogen. Einer bzw. einige Wenige müssen halt den ersten Schritt machen, damit andere mitgehen können. Deshalb haben wir eine neue Partei gegründet - mut - eine starke Stimme für Menschlichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologischen Umbau.
Frage: Läuft das Ganze auf eine Spaltung der bayerischen Grünen hinaus?
Stephan Lessenich: Das kann ich nicht einschätzen. Man wird sowieso die Bundestagswahlen abwarten müssen und was im linken Spektrum überhaupt passiert. Ich denke, je nach Abschneiden von Grünen, Linkspartei, aber auch SPD nach den nächsten Bundestagswahlen, wird sich wahrscheinlich auch hier im Land einiges verschieben.
Frage: Wie seid Ihr denn auf den etwas ungewöhnlichen Parteinamen gekommen?
Claudia Stamm: Wir wollten als Namen keine Abkürzung, sondern ein Wort, das für sich steht. Das ist nicht leicht, da sehr viele Wörter schon besetzt sind. Fast allen von uns war es auch wichtig, dass im Namen für die Bedeutung des Menschen, der Menschenrechte - der Buchstabe "M" - vorkommt. Des Weiteren war uns wichtig, dass wir mit dem Namen spielen können: mut steht nicht dauerhaft für drei Begriffe, sondern soll jeweils Werte von uns verkörpern. Eben auch Menschenwürde oder das "T" für Teilhabe oder auch Transparenz. Unser Programm ist überschriebe mit: mitbestimmen-umsteuern-teilen. Beim letzten Stammtisch habe ich zu "miteinander Umstürze gestalten" aufgerufen.
Stephan Lessenich: Man könnte aber auch ausbuchstabieren "miteinander-unmögliches-tun" oder "mehr-umstürzendes-treiben".
Claudia Stamm: Mit mut verstehen wir uns aber nicht als diejenigen, die Mut brauchen, um etwas zu tun, sondern eher als MutmacherInnen! mut zu einer lebendigen Demokratie, mut zu Vielfalt, mut zu Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar", der unumstößlich gilt – und keine Grenzen kennt.
Frage: Ihr wollt zur Vernetzung der vielen ehrenamtlich Aktiven in den HelferInnenkreisen beitragen und ihnen eine politische Stimme geben?
Claudia Stamm: Die vielen Menschen - Hunderttausende allein in Bayern, mindestens sechs Millionen in Deutschland -, die unbeirrt von der öffentlichen Stimmungsmache in örtlichen HelferInnenkreisen Geflüchteten solidarisch zur Seite stehen, haben keine politische Repräsentation mehr. Von den Grünen habe ich schon gesprochen. Aber auch die Linkspartei hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Ich denke da an die Position von Sahra Wagenknecht, die sich manchmal beim Thema Asyl und Integration fast nicht von ganz rechts unterscheidet.
Es ist unerträglich, dass 25.000 AfD-Mitglieder den öffentlichen Diskurs bestimmen und die anderen Parteien vor sich hertreiben. Möglich ist das, weil die Vielen in den örtlichen HelferInnenkreisen zu wenig vernetzt und organisiert, letztlich zu "leise" sind. Die Vollversammlung der Ehrenamtlichen, die von der Initiative "Gemeinsam für Menschenrechte und Solidarität" organisiert wurde, ist da ein wichtiger Schritt. Dafür möchte ich den FreundInnen von "Gemeinsam für Menschenrechte und Solidarität" auch ganz herzlich danken. Mit der Gründung von mut wollen wir den Geflüchteten und ihren UnterstützerInnen eine politische Stimme und Repräsentation geben.
Frage: Ihr habt langjährige CSU-WählerInnen in Euren Reihen, Ihr wollt CSU-Wählerinnen und Wähler ansprechen, andererseits habt Ihr ein ziemlich linkes Programm. Wie passt denn das zusammen?
Claudia Stamm: Wir sehen uns nicht links. Überhaupt hat sich das Links-rechts-Schema aus meiner Sicht überholt. Der Wille, etwas zu ändern, ja die Erkenntnis, dass es notwendig ist, etwas zu ändern, ist nicht mehr in links und rechts einzuordnen, sie geht quer durch die Gesellschaft. Auch unsere Kernthesen gehen quer durch alle politischen Richtungen, das zeigt auch die Reaktion unserer UnterstützerInnen, von denen sich viele nicht links ansiedeln wollen. Auch für viele konservative WählerInnen ist die CSU aufgrund ihrer Asylpolitik oder der ewigen Ankündigungen in der Steuerpolitik umsteuern zu wollen und dies nicht zu tun, nicht mehr wählbar.
Wir wollen etwas Neues aufbauen. Möglicherweise gibt es in unserem Programm als links geltende Vorschläge. Aber wir wollen nicht nur die ansprechen, die sich als "links" verstehen, sondern alle, die angewidert sind von der Skrupellosigkeit der herrschenden Politik und der sie tragenden Parteien. Wir gehen nicht davon aus, dass Leute sich erst als links deklarieren müssen, bevor sie sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen dürfen.
Stephan Lessenich: Wenn ich mir die Eckpunkte unseres Vorabprogramms anschaue, dann würde ich nicht durchgängig sagen, dass das linke Positionen sind. Wenn ökologische Transformation oder die Unteilbarkeit von Menschenrechten als linke Positionen empfunden werden, dann spricht das vielleicht auch ein bisschen für die gesellschaftliche Verschiebung von Positionen: dass man das jetzt der Linken zuordnet, weil es in weiten Teilen der politischen Parteien – übrigens auch auf der Linken – nicht mehr so ohne weiteres gesetzt ist. Ich glaube, dass wir nicht nur sich selbst als links beschreibende Personen oder Milieus ansprechen, sondern schon auch breiter in Milieus hineinwirken können, die sich tendenziell eher als konservativ beschreiben würden.
Frage: Claudia, Du warst seit 2009 die stärkste Stimme im Bayerischen Landtag für LGBT*I-Rechte. Die Community fürchtet, nun diese Stimme zu verlieren. Zu Recht?
Claudia Stamm: Ich kann versprechen, dass ich, solange ich im Landtag bin, weiterhin laut bin und Initiativen zu LGBT*I anstoße. Meine Rede zur Rehabilitierung der Opfer des § 175 und zur Ehe für alle nach meinem Austritt hat das bereits gezeigt. Im Moment läuft ein Antrag von mir für einen queeren Beauftragten der Staatsregierung. Ich werde weiter für eine landesweite Koordinierungsstelle nach Münchner Vorbild oder für einen Aktionsplan für Akzeptanz kämpfen – und immer wieder darauf hinweisen, dass die CSU in Bayern so gar nichts für die Gleichstellung von LGBT*I tut.
Den aufkommenden Rechtspopulismus vor Augen haben auch Parteien der "Mitte" den gesellschaftlichen Wert von kultureller Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit aus den Augen verloren. Fragen des Minderheitenschutzes, der Gleichstellung unterschiedlichster sexueller Orientierungen und Identitäten scheinen verhandelbar geworden zu sein. Doch der Schutz und die Förderung gesellschaftlicher Vielfalt bilden das Fundament eines Gemeinwesens, das lebendig und lebenswert ist – und zwar für alle gleichermaßen.
Mit mut machen wir ein Angebot, politisch für gesellschaftliche Vielfalt einzustehen. Die Sicherung und Förderung gesellschaftlicher Vielfalt zählt neben der unbedingten Achtung der Menschenwürde, der Herstellung sozialer Gerechtigkeit, einer ökologischen Transformation und nachhaltiger Friedenssicherung zu den unverhandelbaren Werten von mut.
Letzte Frage: Wollt Ihr schon zu den Bundestagswahlen antreten?
Stephan Lessenich: Nein. Wir sind auch erstmal eine kleine, hoch motivierte Gruppe. Wir wissen, dass es in unserem erweiterten Umfeld eine Nachfrage gibt und wollen hier vor Ort – in Bayern - etwas bewegen. Wir zielen erst mal nicht auf Bundespolitik, da wir finden, dass dies von unten nach oben wachsen muss. Deswegen machen wir für Bayern ein anderes politisches Angebot. Und setzen darauf, dass es verfängt.
Danke für das Gespräch
Das Gespräch führte Leo Mayer für kommunisten.de
03.07.2017
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