Wirtschaft

09.09.2010: Für Wirtschaftsminister Brüderle ist es der "Aufschwung XL" Das Export-Musterländle Baden-Württemberg jubelt in einer Werbekampagne: "BIP, BIP hurra!". Und der Spiegel träumt von einem "Sommermärchen". Die Euphorie gilt den BIP-Zahlen der deutschen Wirtschaft, die Ende August vom Statistischen Bundesamt (destatis) veröffentlicht wurden. Mit 4,1% ist der Zuwachs gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal in der Tat beachtlich. Bedenkt man jedoch den Wachstumseinbruch von minus 4,9% bezogen auf das gesamte Jahr 2009, dann ist es vorerst nur eine Schwalbe, die bekanntlich noch keinen Sommer macht. Das volkswirtschaftliche Potenzial der BRD befindet sich etwa auf dem Niveau von 2007, drei produktive Jahre hat die Krise gekostet.

Untersucht man die Daten genauer, dann ist zudem Ernüchterung angesagt. Die wirtschaftliche Erholung ist noch stärker als früher exportgetrieben. ?s wurden, preisbereinigt, deutlich mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland exportiert als vor einem Jahr: +19,8% schreibt destatis (24.8.10). Begünstigt wurde die neue Exportoffensive durch die Euro-Abwertung, die niedrigen Zinsen der EZB und durch den Lohnverzicht der Gewerkschaften, wodurch die deutschen Stückkosten im Vergleich zu den anderen EU-Ländern weiter sanken. Profitiert haben von dem neuerlichen Ausfuhrboom vor allem die weltmarktorientierten Großkonzerne und allenfalls deren Kernbelegschaften, die wieder von Kurzarbeit zu Normalarbeitszeit und gar Sonderschichten übergehen konnten. Allen voran die Automobilkonzerne, die sich über den chinesischen und mittlerweile weltgrößtem Automarkt aus der Krise exportieren konnten und neue Profitrekorde ansteuern. Die drei Autoriesen VW, Daimler und BMW erzielten im ersten Halbjahr 2010 einen Gewinn (nach Steuern) von zusammen 4,9 Milliarden Euro, im entsprechenden Vorjahreszeitraum fuhren sie noch einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro ein. Daimler will für das gesamte Jahr einen Vorsteuergewinn von sechs Milliarden verbuchen. Auch beim Elektromulti Siemens erreichen operatives Ergebnis und Nettoprofit Höchstmarken: 4,45 Mrd. Nettogewinn in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres (+29,4%). Zweistellige Gewinnzuwächse auch bei den stark exportorientierten Chemiegiganten BASF und Bayer. Der Aufschwung 2010 ist primär ein Boom der Profite. Nach Berechnungen des isw erzielten die 12 Dax-30-Schwergewichte Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler, Deutsche Bank, Eon, Post, RWE, Siemens, Telekom und VW im ersten Halbjahr 2010 einen aggregierten Gewinn von 27,7 Milliarden Euro 91% mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Die Konjunkturstütze Export dürfte jedoch noch stärker auf Sand gebaut sein als in früheren Jahren. Denn die globale Konjunktur zeigt keine Anzeichen eines größeren und selbsttragenden Aufschwungs, insbesondere bei den großen Industrieländern. Dem kurzen Aufschwung in den USA geht bereits wieder die Puste aus und es besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft im Rahmen eines Double Dips erneut in das ökonomische Schlamassel eintaucht. Gewiss, der ausfallende US-Verbraucher als Konsument der letzten Instanz wird inzwischen weitgehend durch die kräftig konsumierenden neuen Mittelschichten in den großen Schwellenländern, allen voran China und Indien, ersetzt. Doch nach China gehen gerade mal sieben Prozent der deutschen Exporte, nach ganz Asien 15 Prozent. In Asien hält zudem der Niedergang der japanischen Wirtschaft an und zieht die Weltkonjunktur mit nach unten. Entscheidend für die deutschen Exporte ist nach wie vor die EU, die 2009 63 Prozent aller Ausfuhren (Euro-Raum: 43%) aufnahm. Gerade im Euro-Raum aber dürften die von der Bundesregierung durchgepeitschten Sparpakete und Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen der einzelnen Länder sich verheerend auf Staatsnachfrage und Massenkaufkraft auswirken. Griechenland ist bereits voll in die Rezession abgesackt. Der Konjunkturpfeiler Export könnte so bald einen Knacks bekommen.

Ungleichverteilung wird noch krasser

Die Bundesregierung verweist darauf, dass auch binnenwirtschaftliche Nachtfragekomponenten zum guten zweiten Quartalsergebnis beigetragen hätten, der Aufschwung also von mehreren Kräften getrieben sei. Das trifft bei oberflächlicher Betrachtung auf die Investitionen zu: die Bauinvestitionen stiegen gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal preisbereinigt um 5,2%, die Ausrüstungsinvestitionen gar um 9,5%. Das Statistische Bundesamt aber schränkt selbst ein: "Hier zeigen sich neben Basiseffekten nach der Wirtschaftskrise und Nachholeffekten nach dem strengen Winter auch die positiven Auswirkungen der staatlichen Konjunkturprogramme". Zudem wurden die Läger wieder aufgefüllt - der Wachstumsbeitrag der Vorratsveränderung betrug allein 1,4%, also mehr als ein Drittel. All dies aber sind mehr oder weniger einmalige Effekte, die in den kommenden Monaten weitgehend ausfallen. Gleiches gilt für den Staatskonsum, der um 3,1% gestiegen war, dessen positiver Wachstumsbeitrag aber ebenfalls auf das Konjunkturprogramm zurückzuführen ist, das jedoch in diesem Jahr ausläuft. Bleiben von den binnenwirtschaftlichen Komponenten die Privaten Konsumausgaben, die für 58% der BIP-Nachfrage stehen. Sie sanken gegenüber dem zweiten Quartal 2009 um 0,9%. Der "Aufschwung XL" ging offenbar an der Masse der Verbraucher total vorbei. Das widerspiegeln auch Meinungsumfragen. Auf die Forsa-Frage "Spüren Sie persönlich etwas vom Wirtschaftsaufschwung in Deutschland?" antworteten 82 Prozent der Befragten mit "Nein!". Nur 16 Prozent bejahten die Frage. Bei Bürgern mit einem Haushaltseinkommen von mehr als 3000 Euro aber fällt die Beantwortung bereits zu 24% positiv aus. Spitzenverdiener kassierten offenbar im Aufschwung zusätzlich ab. Das kommt auch in den Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Einkommensverteilung zum Ausdruck. Danach stieg das Volkseinkommen, das sich aus Arbeitnehmerentgelt und Unternehmens- und Vermögenseinkommen zusammensetzt, im zweiten Quartal um 8,3%. Das Arbeitnehmerentgelt stieg jedoch lediglich 2,5%, real etwa um 1,3%. Die Unternehmensgewinne und Vermögenseinkommen aber explodierten förmlich: sie verzeichneten einen Zuwachs von sage und schreibe 21,9%.

Die immer ungleicher werdende Einkommensverteilung ist nicht nur eine ernste Soziale Frage, sondern wird zunehmend zu einem konjunkturpolitischen Problem. Sie führt dazu, dass wachsende Teile des Volkseinkommens nicht der Endnachfrage zugeführt, sondern gespart werden. Die Bezieher von hohen Gewinn- und Vermögenseinkommen weisen eine Sparquote auf, die um ein Vielfaches höher ist als bei niedrigen und mittleren Einkommen. Damit aber besteht die Gefahr, dass sich der verhängnisvolle Kreislauf, der zur Krise 2008/09 geführt hat, wiederholt. Die Konjunktur bricht ein, weil es im Inland an der nötigen nachfragewirksamen Massenkaufkraft fehlt. Die hohen Ersparnisse der Gutverdienenden und Reichen aber werden der Spekulation zugeführt. Die Geld-Reichen legen ihre aufgeschatzten Finanzmittel erneut bei Banken und Finanzkonzernen an, die damit noch gewagtere Spekulationsräder drehen und die Raserei an den Finanzmärkten so richtig beschleunigen. Der nächste Finanz-Crash lässt grüßen.

Es wird nur einen Weg aus der Krise geben, wenn die Masseneinkommen, die Löhne und Gehälter, die Niedriglöhne, die Renten und Bezüge von Sozialhilfeempfängern kräftig erhöht werden. Dazu muß das Sparpaket der Bundesregierung weg, müssen flächendeckende Mindestlöhne eingeführt und die Bezüge der Hartz-IV-Empfänger und ihrer Kinder kräftig aufgestockt werden. Zur Finanzierung sind die Spitzensteuersätze und Gewinnsteuern spürbar anzuheben, sind die Vermögen der Geld-Millionäre mit einer Steuer von mindestens fünf Prozent zu belegen.

Fred Schmid (aus isw-Newsletter vom 09.09.10)

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