28.06.2014: Über Wochen hatten sich die Industriegiganten General Electric und Siemens ein Bieter-Rennen geliefert um die Übernahme von Teilen des Alstom-Konzerns. Das Angebot des US-Konzerns GE umfasste die komplette Übernahme des Energiegeschäfts von Alstom. Siemens hingegen zeigte lediglich Interesse am Gasturbinengeschäft, holte sich aber mit Mitsubishi Heavy Industries einen Partner ins Boot, der sich mit bis zu 40 % an den übrigen Energiegeschäften des Alstom-Konzerns beteiligen wollte. Am vergangenen Wochenende nun fiel die Entscheidung des Alstom-Managements zugunsten von GE. Noch allerdings hat die französische Regierung die notwendige Zustimmung zu dem Deal nicht gegeben. Sie macht eine künftige staatliche Beteiligung an Alstom zur Bedingung. Für diese Staatsbeteiligung mit maßgeblichem Einfluss auf die Unternehmenspolitik wird die französische Regierung 20 % der Aktien vom derzeitigen Hauptanteilseigner, dem Bouygues-Konzern kaufen. Zur Finanzierung dieser Transaktion sollen Staatsanteile am Energiekonzern GDF Suez verkauft werden. Darüber hinaus behält die französische Regierung sich auch in der Energiesparte beim neuen Eigentümer GE für bestimmte Entscheidungen ein Mitspracherecht vor, etwa im Nukleargeschäft.
Erst Ende April hatte der US-Konzern GE Alstom offiziell ein Übernahmeangebot unterbreitet, das den Kauf der Energiesparte für 12,3 Milliarden Euro vorsah. Wegen der großen industriepolitischen Bedeutung für die Energieerzeugung und –verteilung Frankreichs beanspruchte der französische Wirtschaftsminister ein Mitspracherecht und forderte darüber hinaus Siemens auf, ebenfalls ein Angebot auszuarbeiten. An den Verhandlungen waren neben der französischen Regierung auch die Gewerkschaften beteiligt. Insbesondere dem Druck der Gewerkschaften CGT und CFDT ist es zu verdanken, dass sowohl GE als auch das Bieter-Gespann Siemens und Mitsubishi Heavy Industries (MHI) ihre Offerten ergänzen mussten. Zusagen zu Standort- und Arbeitsplatzsicherheit sowie das Versprechen, neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen, wurden Bestandteil aller Verhandlungspakete.
Finanzanalysten und maßgebliche Investment-Fonds kritisieren erwartungsgemäß die Verpflichtungen zur Sicherung der Arbeitsplätze in Frankreich. Dies sei eine schwere Hypothek für das Ziel einer schnellen Restrukturierung von Alstom. Den jetzt möglichen Kosteneinsparungen stünden die „notwendigen Jobgarantien und die aktive Rolle der französischen Gewerkschaften und Politik“ im Weg, so ein Sprecher von Union Investment. Besondere Empörung aber ruft auf der Kapitalseite die Einmischung der französischen Regierung in die Verhandlungen und die nun beabsichtigte Teilverstaatlichung hervor. Ein Sprecher der Saxo Bank befürchtet „schlimme Folgen“ dieser „Lex Alstom“.
Mit dem Abschluss der Übernahmeschlacht werden die Alstom-Belegschaften beiderseits des Rheins vor neue Herausforderungen gestellt. Die Befürchtung des Alstom-Konzernbetriebsrats in Deutschland, dass GE die Arbeitsplatzgarantien für die französischen Standorte durch Arbeitsplatzabbau hierzulande kompensieren könnte, ist sicher nicht ganz unbegründet. Immerhin wurden durch das Management von Alstom Deutschland alle bestehenden Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung bereits gekündigt. Die Betriebsratsvorsitzende von Alstom Mannheim, Elisabeth Möller, rief vor wenigen Tagen anlässlich einer Betriebsversammlung zu einem koordinierten Kampf gegen Arbeitsplatzabbau auf. Ein solcher Grenzen überschreitender und Standorte übergreifender Kampf benötigt ein solides strategisches Fundament. Immer deutlicher wird, dass die Sicherheit der Arbeitsplätze eben auch abhängt von den Möglichkeiten und Perspektiven einer europäischen Industrie- und Energiepolitik. Nationale Lösungen bieten immer nur begrenzte Sicherheiten. Die Kritik des Bundestagsabgeordneten Peter Ramsauer (CSU) an Bundeskanzlerin Merkel, sie hätte die Siemens AG im Bieterwettbewerb mehr unterstützen müssen, läuft genau deswegen meilenweit am Problem vorbei. Die Arbeitsplatzversprechen eines Joe Kaeser oder eines Shunichi Miyanaga sind von keiner anderen Qualität als die anderer Konzernlenker. Notwendig ist eine gesamteuropäische gewerkschaftliche Strategie-Debatte über die Zukunft des Energiesektors, die das Ziel einer politisch gestalteten Energiewende in den Blick nimmt, deren Nachhaltigkeit sich auch am Erhalt und der Qualität der Arbeitsplätze ablesen lässt. Dafür gilt es Interesse zu wecken in den Gewerkschaften, bei den Kolleginnen und Kollegen von Alstom, von GE, von Siemens und Mitsubishi Heavy Industries.
Text: isp Fotos: Theglobalpanorama/Momoneymoproblemz/Markwu75