13.04.2021: Gewerkschaft RWDSU verliert Abstimmung bei Amazon in Bessemer ++ Gewerkschaft legt Beweise für illegale Wahlmanipulation vor und erhebt Klage vor Arbeitnehmerschutzbehörde NLRB ++ RWDSU: "Die Verstöße machen es sehr wahrscheinlich, dass die NLRB die Ergebnisse aufheben und den Arbeiter*innen eine zweite Wahl geben wird."
Seit Monaten kämpft die Gewerkschaft RWDSU um den Zugang zum Amazon-Lager in Bessemer, einem Vorort von Birmingham im Bundesstaat Alabama. Voraussetzung für eine gewerkschaftliche Vertretung ist, dass ein Teil der Belegschaft gegenüber der zuständigen Behörde in Washington, dem National Labor Relations Board NLRB, ein Bekenntnis zur Gewerkschaft abgibt. Daraufhin wird eine Abstimmung anberaumt. Stimmt mehr als die Hälfte der Beschäftigten für die Gewerkschaft, gilt der Betrieb als organisiert und die RWDSU hätte im Fall von Amazon Tarifverhandlungen aufnehmen können. Ansonsten ist es Gewerkschaftsvertreter*innen verboten, das Firmengelände zu betreten und mit Beschäftigten zu sprechen. Viele Gewerkschaften reagieren darauf, indem sie die die Beschäftigten und ihre Familien zu Hause besuchen. Doch auf solche Haustürbesuche verzichtete die RWDSU aufgrund der Corona-Pandemie.
Im Dezember 2020 hatte das National Labor Relations Board erklärte, es gebe "ausreichende konkrete Hinweise" dafür, eine Wahl in dem Betrieb zuzulassen, da angenommen wird, dass mindestens 30 Prozent der Beschäftigten dafür stimmen würden. Amazon versuchte mit aller Kraft, das Votum zu verhindern, scheiterte jedoch mit einem Einspruch bei der Arbeitnehmerschutzbehörde NLRB. Der Bezos-Konzern war von Anfang an der Ansicht, dass keine Gewerkschaft nötig sei, da die Mitarbeiter ohnehin schon alles bekämen, wofür diese sich einsetzen könnte.
Kampf um Gewerkschaft bei Amazon in den USA |
Vom 8. Februar bis zum 29. März lief dann die Abstimmung der knapp 6.000 Beschäftigten, wegen der Corona-Pandemie in Form einer Briefwahl.
Nach Jahrzehnten der Niederlagen der Gewerkschaftsbewegung in den USA hofften Aktivist*innen rund um die Handelsgewerkschaft RWDSU, mit einem Sieg in der Abstimmung beim gewerkschaftsfeindlichen Handelsgiganten Amazon, und noch dazu im im notorisch gewerkschaftsfeindlichen Alabama, endlich einen Durchbruch und ein Signal der Erneuerung setzen zu können. In den USA hat sich die Stimmung gewandelt. Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Dachgewerkschaft AFL-CIO unterstützen 77 Prozent der US-Bürger*innen die Forderung der überwiegend afroamerikanischen und hispanic Amazon-Arbeiter*innen in Bessemer nach einer gewerkschaftlichen Vertretung.
Hinter der RWDSU standen nicht nur Gewerkschaftsorganisationen, sondern fast die gesamte Prominenz des linken Amerikas. Von der Spielergewerkschaft der Football-Liga NFL und den Gewerkschaften der AFL-CIO über bekannte Schauspieler wie Danny Glover bis zum ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders, der zu reiner Kundgebung vor das Werkstor kam. Selbst US-Präsident Joe Biden veröffentlichte eine Videobotschaft, in der er – ohne Amazon explizit zu erwähnen – für die gewerkschaftliche Organisation von Arbeiter*innen warb. Die Black Lives Matter-Bewegung und die Poor People's Campaign unterstützten die Gewerkschaft mit einer Karawane zu Amazon in Bessemer.
Abstimmung verloren
Doch am Freitag, 9. April, wurde klar: Das Vorhaben ist gescheitert. Vorerst.
Die endgültige Auszählung ergab 1.798 Gegenstimmen und 738 Ja-Stimmen, wobei etwa 55 % der 5.867 wahlberechtigten Arbeiter eine Stimme abgaben. Weitere 76 Stimmzettel waren ungültig und 505 wurden angefochten. Die angefochtenen Stimmzettel wurden nicht gezählt oder geöffnet, da sie das Ergebnis nicht verändert hätten.
Die Gewerkschaftsaktivist*innen machten aber sofort deutlich, dass sie nicht aufgeben werden. Und jetzt gibt sich die Gewerkschaft RWDSU sogar sicher, dass aufgrund des illegalen Agierens von Amazon "die NLRB die Ergebnisse aufheben und den Arbeiter*innen eine zweite Wahl geben wird".
Einschüchterung und ..
Wie üblich fuhr Amazon eine rigorose Kampagne gegen die Gewerkschaft, unterstützt von hoch bezahlten Anwälten, die auf Antigewerkschaftskampagnen spezialisiert sind. Im Gegensatz zur RWDSU hatte das Unternehmen am Arbeitsplatz uneingeschränkten Zugang zu seinen Mitarbeitern – ein großer Vorteil. Beschäftigte wurden verpflichtet, Vorträge anzuhören, in denen das Unternehmen die Nachteile der Gewerkschaftsmitgliedschaft illustrierte – unter anderem wegen vermeintlich hoher Mitgliedsbeiträge und anderer Nachteile. Zum Teil fanden diese Veranstaltungen zweimal die Woche statt.
Amazon-Beschäftigte berichten, dass Manager die die Namensschilder von Arbeiter*innen fotografierten, die mit der Gewerkschaft sympathisieren. Der Anwalt der RWDSU, Richard Drouko, berichtet davon, dass die Gewerkschaft Mitteilungen erhalten hat, in denen das Amazon-Management "mit einer Entlassung gedroht hat, wenn die Gewerkschaft gewinnt". Amazon informierte die Beschäftigten schriftlich, dass die Wahl am 1. März geendet hat - tatsächlich lief sie bis zum 29. März.
Kampf um die Köpfe ..
Auf großflächigen Plakaten auf dem Werksgelände schrieb das Unternehmen: "Gewerkschaften können es nicht. Aber wir." Selbst auf den Toiletten und in der Kantine fanden sich Plakate mit ähnlicher Aussage.
.. mit Fake-Profilen
Die Kampagne wurde auch über die sozialen Medien geführt. Von Amazon begeisterte Mitarbeiter*innen priesen das Unternehmen und schürten Angst vor der Gewerkschaft: "Die Gewerkschaft will nur deine Mitgliedsbeiträge, du verlierst deinen Lohn und deine Zusatzleistungen."
In einem Konflikt im Jahr 2018 waren die "AmazonFC"-Nutzer*innen erstmals in den sozialen Medien aufgetaucht. Der Konzern räumte ein, es handle sich um Angestellte, die für ihre positiven Kommentare im Netz bezahlt würden. Laut einem Bericht aus dem Jahr 2019 erhielten sie einen Tag bezahlten Urlaub und einen 50-Dollar-Gutschein für die hauseigene Marktplattform. Im Konflikt um die Abstimmung in Bessemer sind die Profile wieder da. "AmazonFCGary", "AmazonFCYola", "AmazonFCDan" und wie sie heißen wurden Anfang März 2021 erstellt, in der heißen Phase der Entscheidung. Bei einigen der Profile konnte nachgewiesen werden, dass es sich nicht um Beschäftigte, sondern um Fake-Profile handelt.
Amazon ließ sogar die Ampelschaltung vor dem Versandlager verändern, um Autoschlangen wegen roter Ampeln zu verhindern, die die Kontaktaufnahme der Gewerkschaftsaktivist*innen mit Beschäftigten ermöglicht hätten.
So weit, so illegal, und so normal für Amazon.
Wahlbetrug
Doch jetzt kann die Gewerkschaft Wahlmanipulation belegen. Stuart Appelbaum, Präsident der RWDSU, erklärte, dass die Gewerkschaft das National Labor Relations Board auffordern wird, "Amazon für sein illegales und ungeheuerliches Verhalten während der Kampagne zur Rechenschaft zu ziehen".
"Die Verstöße machen es sehr wahrscheinlich, dass die NLRB die Ergebnisse aufheben und den Arbeiter*innen eine zweite Wahl geben wird."
Richard Drouko, Anwalt der Gewerkschaft RWDSU
Richard Drouko ist sich sogar sicher, dass "die NLRB die Ergebnisse aufheben und den Arbeiter*innen eine zweite Wahl geben wird". Amazon hätte die Gewerkschaftsabstimmung vielleicht trotzdem gewonnen, wenn es fair und anständig gespielt hätte. Aber das tat es nicht, so Drouko.
Bei der Auszählung der Stimmen fiel auf, dass 20 Prozent aller Nein-Stimmen an nur zwei Tagen, am 12. und 17. Februar, abgeben wurden. Amazon hat an diesen Tagen in der Nacht unabgesprochen und illegal auf dem Firmengelände Briefkästen zur Abgabe der Briefwahlstimmen aufgestellt. Dabei hatte die NLRB den Antrag von Amazons auf Briefkästen auf dem Firmengelände abgelehnt, "weil es eine klare Möglichkeit zur Einschüchterung der Arbeiter" bieten würde.
Dessen ungeachtet stand am Morgen auf dem Parkplatz vor dem Lagerhaus ein Zelt mit Briefkästen mit einzeln verschlossenen Fächern und einem Briefschlitz, wie in Apartment- und Eigentumswohnungsgebäuden üblich. Der Briefkasten hatte keine Kennzeichnung des U.S. Postal Service. Auf einem Banner am Zelt stand: "Sprechen Sie für sich selbst! Werfen Sie Ihren Stimmzettel hier ein". Wer Schlüssel zu den Briefkästen hatte, ist der Gewerkschaft nicht bekannt: Amazon sagt, nur die Postbehörde USPS. Die Stimmzettel kamen in großen Stapeln bei der NLRB an.
"Obwohl die NLRB den Antrag von Amazon auf einen Briefkasten für die Abstimmung auf dem Lagerhausgelände definitiv abgelehnt hat, fühlte sich Amazon über dem Gesetz stehend und arbeitete trotzdem mit dem Postdienst zusammen, um eine zu installieren", sagte RWDSU-Präsident Appelbaum. "Sie taten dies, weil es eine klare Möglichkeit zur Einschüchterung der Arbeiter*innen bot." Diese ungesetzliche Form der Stimmabgabe, habe dem Unternehmen auch geholfen, herauszufinden, welche Mitarbeiter*innen die Gewerkschaft unterstützen, weil diese weniger wahrscheinlich auf dem Firmengelände wählen würden.
Eine Rolle in diesem Konflikt spielen e-Mails zwischen Mitarbeiter*innen der US-Postbehörde United States Postal Service USPS im Januar und Februar, die zeigen, dass Amazon die Behörde gedrängt hat, einen Briefkasten auf dem Firmengelände zu installieren.
In einer anderen e-Mail teilt eine Amazon-Managerin ihren Kolleg*innen in Bessemer mit, dass "Amazons erwartetes Aufstelldatum für diese Sammelbox der 7. Februar 2021 ist." In einer e-Mail vom 8. Januar teilte die Managerin außerdem mit, dass eine Person, deren Name geschwärzt wurde, "im Amazon-Hauptquartier gerne über diesen Fortschritt auf dem Laufenden gehalten werden [würde]".
Amazon-Sprecherin Heather Knox sagte, dass die Platzierung des Briefkastens dazu gedacht war, die Stimmabgabe zu erleichtern, und dass das Unternehmen eine Reihe von Optionen vorgeschlagen hat, um dies zu erreichen. "Die RWDSU bekämpfte diese auf Schritt und Tritt und drängte auf eine reine Briefwahl, die nach den eigenen Daten der NLRB die Wahlbeteiligung reduzieren würde", erklärte Knox in einer Stellungnahme. "Dieser Briefkasten - zu dem nur der USPS Zugang hatte - war eine einfache, sichere und völlig optionale Möglichkeit, den Mitarbeiter*innen die Wahl zu erleichtern, nicht mehr und nicht weniger."
"More Perfect Union" (https://perfectunion.us/) hat neue Details über Amazons illegale Aktionen zur Niederlage der Gewerkschaft erhalten. Die Verstöße machen es äußerst wahrscheinlich, dass die NLRB die Ergebnisse aufheben und den Arbeiter*innen eine zweite Wahl geben wird. Details in dem Video unten. |
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