06.07.2018: Am 6. Juli vor 120 Jahren wurde Hanns Eisler in Leipzig geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er in Wien. Während der EislerTage Juni 2018 in Wien erörterten Teilnehmer*innen eines wissenschaftlichen Symposions Facetten seiner politischen Biografie, seines kompositorischen Wirkens 1918, 1938, 1948 und auch seines Nachwirkens 1968 ff. Gesangsstudierende stellten sich in einer breiten Auswahl aus seinem lebenslangen Liedschaffen interpretatorischen Ansprüchen. Selten zu hörende kammermusikalische Werke aus dem US-amerikanischen Exil wurden professionell dargeboten, eine nach Eislers Entwürfen (1948) rekonstruierte Trauermusik für Egon Erwin Kisch uraufgeführt. Als Veranstalterin fungierte die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft e.V., Berlin (IHEG; Prof. Dr. Hartmut Fladt, Dr. Peter Schweinhardt, Berlin / Mag. Dr. Hannes Heher, Wien) in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien [1] (mdw; Prof. Dr. Christian Glanz).
Ein Rahmenprogramm, geeignet, um Eisler und Wien weiter zu denken, ermöglichte Einblicke in Wiener Forschungsstätten sowie Ausstellungsbesuche:
- VGA – Verein zur Geschichte der ArbeiterInnenbewegung als Archiv, Bibliothek und Forschungsinstitut mit internationaler Ausrichtung im ehemaligen "Vorwärts"-Verlagsgebäude
- Arnold Schönberg Center Privatstiftung mit Sonderausstellung Arnold Schönberg & die Avantgardebewegung Jung-Wien
- Alfred-Klahr-Gesellschaft, Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung. Der Verein verfolgt den Zweck, das Archiv mit wertvollen Tonband-Dokumentationen sowie die Bibliothek der Kommunistischen Partei Österreichs als nationales Kulturgut zu sichern, zu verwalten und wissenschaftlich zu erschließen.
- Ausstellungsbesuche im Karl-Marx-Hof zur Präsenz von Marx im Roten Wien der Ersten Republik und 100 Jahre Rotes Wien 2019 [2]
Symposions-Teilnehmer*innen-Gruppenfoto im Ehrenhof |
Festvortrag von Dr. Johannes C. Gall (Berlin) im referierten Überblick:
"Es wechseln die Zeiten" – Hanns Eislers runde Geburtstage
Johannes C. Gall ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der über Jahre im Verlag Breitkopf & Härtel erscheinenden Hanns-Eisler-Gesamtausgabe. In Dekaden-Zeitsprüngen zwischen "runden" Geburtstagen gewichtete er mit Hörbeispielen einen breiter erarbeiteten Forschungsstand über Eislers Wirken in Lebensstationen: Wien 1. Weltkrieg; Wien-Berlin; Exil in Europa und in den USA; Wien und Berlin.
1908: Theoretischer Selbstunterricht
Am 6. Juli 1898 in Leipzig geboren, kam Hanns Eisler mit seiner Familie – dem Philosophie-Privatdozenten Rudolf Eisler und seiner Frau Ida Maria, geborene Fischer – schon kurze Zeit später nach Wien (nicht erst 1901), wo man mit den beiden älteren Kindern Elfriede und Gerhart seit einem Jahr wohnte. Hanns wuchs im Wien der Österreich-Ungarischen Monarchie auf. Seinem Bruder Gerhart zufolge begeisterte er sich vor dem 10. Geburtstag und dem darauf folgenden Übertritt ins Gymnasium fast ausschließlich für Fußball und Lesen.
"Mein Studium begann eigentlich", berichtete Hanns Eisler später, "als ich mir mit zehn Jahren aus Reclams Universal-Bibliothek eine allgemeine Musiklehre von Wolff kaufte. Da lernte ich zum Beispiel so das Trivialste über die Tonarten, über das Lesen von transponierenden Instrumenten. Das war das Wichtigste, was ich lernen konnte, damit ich Partituren lesen konnte". Als das gemietete Klavier des gern und oft musizierenden Vaters aus Geldmangel zurückgegeben werden musste, brachte das Hanns Eisler "in eine schwierige Lage, da ich mir als elfjähriger Junge zwar durch Selbstunterricht einiges an theoretischen Kenntnissen angeeignet hatte, wenn ich aber komponiert habe, musste ich meine Kompositionen im Kopf ausdenken und sie aufschreiben. Dann habe ich die wohlhabenderen Kollegen in der Schule gebeten, mich doch nach Hause kommen zu lassen, wo ein Klavier ist, und bat diejenigen, die Klavier spielen konnten, mir das vorzuspielen, oder ich stümperte es selbst am Klavier herum."
Johannes C. Gall resümierte diesen Lebensabschnitt: Die allerersten Kompositionen, die auf diese Weise entstanden – Eisler nannte eine Klaviersonate und ein Klaviertrio –, sind nicht erhalten, so dass wir auf spätere Jahre verwiesen sind, um uns einen Eindruck von seinen ersten musikalischen Gehversuchen zu machen.
1918: "Der müde Soldat" und "Gesang des Abgeschiedenen"
In der Dekade, die seit seinem zehnten Geburtstag vergangen war, hatte sich die Welt radikal verändert: Seit nunmehr vier Jahren tobte ein Krieg ungekannten Ausmaßes – ein Weltkrieg! Auch am 6. Juli 1918 wurde an vielen Orten auf der Welt erbittert weitergekämpft. Einzig die Kämpfe an der Ostfront waren infolge der Oktoberrevolution und der Gründung Sowjetrusslands bereits seit vier Monaten mit dem Frieden von Brest-Litowsk beendet.
Hanns Eisler in Uniform, ca. 1918 |
Während seiner Militärzeit – als einfacher Gefreiter in einem ungarischen Regiment – kam Eisler 1917 zweimal in den Schützengräben der vordersten Frontlinie zum Einsatz, jedes Mal mit längeren Lazarett- und Rekonvaleszenz-Zeiten im Nachgang. Seinen 20. Geburtstag 1918 feierte er auf Kurzurlaub in Wien. Dort hatte er schon einen Monat zuvor öffentliche Proben mit Arnold Schönberg besucht, der seine eigene Kammersymphonie op. 9 zur Uraufführung vorbereitete. Das Stück machte einen normen Eindruck auf mich, erinnerte sich Eisler später im Gespräch mit Nathan Notowicz. "Der Autodidakt schien jedenfalls bereits in der Musik seine Berufung erkannt zu haben", schließt Gall nicht nur daraus, "denn während seines gesamten Kriegsdienstes trug Eisler das Schreibzeug zum Komponieren immer mit sich. Die erste erhaltene Komposition – das Klavierlied Der müde Soldat nach altchinesischer Kriegslyrik in der Nachdichtung von Klabund – entstand laut autographem Vermerk 'Im Felde 1917'. Zusammen mit dem Lied Die rote und die weiße Rose fasste es Eisler zu dem Diptychon Dumpfe Trommel und berauschtes Gong zusammen – nach dem gleichnamigen Titel der Buchausgabe aus dem Inselverlag, die er damals im Marschgepäck bei sich hatte. Sie diente auch als Vorlage – so der Komponist – für ein großes Oratorium gegen den Krieg nach Texten von Li-Tai-Pe, von dem jedoch das meiste beim Brand in einem Unterstand im Felde verloren gegangen sei."
Für Hanns Eislers außerordentliches Talent zur Textvertonung spreche, dass allein aus der Zeit bis um seinen 20. Geburtstag 22 Lieder für Singstimme und Klavier erhalten sind, darunter die Galgenlieder nach Christian Morgenstern. Johannes C. Gall führte hierzu aus: "Die Lieder sind – wie dies Christian Martin Schmidt herausgearbeitet hat – entweder mit Krieg, Tod, Klage und Melancholie befasst, oder aber ihr inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf Satire, Ironie und Spott, wobei freilich beide Themenbereiche aufeinander bezogen sind.
Zum Zeitpunkt seines 20. Geburtstags war Eisler wohl bereits mit der Komposition Gesang des Abgeschiedenen befasst – einem fünfteiligen Liederzyklus für eine Altstimme und Kammerorchester, den er im August 1918 auf der Grundlage von Nachdichtungen japanischer Lyrik fertigstellte. Peter Deeg vermutet – zu Recht, wie mir scheint –, dass die kammerorchestrale Besetzung für 12 Soloinstrumente (Flöte, Oboe oder Englischhorn, Klarinette, Bassklarinette, Fagott, Horn, Harfe, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass) von Schönbergs Kammersymphonie op. 9 angeregt sein könnte, die Eisler kurz zuvor im Kleinen Musikvereinssaal gehört hatte. In stilistischer Hinsicht ist hingegen der Einfluss Gustavs Mahlers auffällig."
Bis 1928: Entscheidung für Schönberg und für das kämpferische Proletariat
Johannes C. Gall wandte sich sodann im Gefolge der Novemberrevolution und der Gründung der Ersten Republik Österreich Eislers Studium der Musik und der Herausbildung einer revolutionären Musiksprache insbesondere für Arbeiterchöre zu. 1919 hatte sich Eisler zunächst am Neuen Wiener Konservatorium für Musik eingeschrieben. Karl Weigls Unterricht in Musiktheorie hielt ihn aber nicht lange. Sehr bald stellte er sich bei Arnold Schönberg vor. Der nahm ihn nicht nur in seine Mödlinger Kompositionsklasse auf, sondern erließ ihm anfangs auch das Unterrichtshonorar. Gall: "In den nächsten Jahren arbeitete Hanns Eisler fleißig und diszipliniert an der Vervollkommnung seiner Kenntnisse und Fertigkeiten. Aus nächster Nähe wurde er Zeuge, wie Schönberg ab 1921 die Zwölftontechnik entwickelte. Später komponierte er selber zwölftönig, so bei Palmström op. 5, der Zweiten Sonate für Klavier op. 6 und der Hälfte der Klavierstücke op. 8, um die bis zu seinem 30. Geburtstag entstandenen Werke zu nennen. Sein Studium schloss er 1923 mit der Komposition seiner Sonate für Klavier op. 1 ab, die ihm in der Folge zu seinem ersten Notendruck, seiner ersten öffentlichen Aufführung, dem Künstlerpreis der Stadt Wien sowie schließlich einem Exklusivvertrag mit der Universal-Edition verhalf."
Die folgende Zäsur beschrieb Gall so: "1925 siedelte Eisler nach Berlin über – ebenso wie nur wenig später Schönberg, der einem Ruf als Professor für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste folgte. Im März 1926 entspann sich zwischen beiden jene berühmt-berüchtigte, brieflich ausgetragene Kontroverse, an deren Ende es zum Bruch kam. Den Anlass bildete eine Unterhaltung mit Alexander Zemlinsky auf der Zugfahrt zurück von Prag, bei dem Eisler sich kritisch über die moderne Musik und – schlimmer noch – über die Zwölftontechnik geäußert hatte. Schönberg sah dies als Verrat an. Er tat damit seinem früheren Schüler Unrecht, allerdings war Eisler in der Tat im Begriff, sein Musikschaffen neu auszurichten." Später schrieb Eisler darüber: Die Inhalte auch der technisch fortgeschrittensten Musik fand ich überhitzt oder überkältet und meistens dumm. … Das übliche Publikum behagte mir nicht. Ich wollte etwas Neues sagen und brauchte dazu neue Hörer.
Konnte Eisler in dieser Hinsicht an seinem 30. Geburtstag eine positive Bilanz ziehen, fragte Gall sich und die Teilnehmer*innen. Hatte er einen neuen Weg eingeschlagen, erreichte er eine neue Zuhörerschaft – insbesondere in der Arbeiterklasse? Gab es bereits Kompositionen, die eine neue Herangehensweise manifestierten? Dass dies noch nicht der Fall war, hatte Schönberg 1926 kritisiert. Galls geschichtlich vorgreifende Antwort ist: Ja.
In der Wiederbegegnung mit dem Schönberg-Schüler Karl Rankl, der gerade nach Berlin umgezogen und mit der Leitung des Berliner Schubert-Chores betraut worden war, erkannte Eisler offenbar eine günstige Gelegenheit, für einen relativ großen, auf außerordentlichem Niveau wirkenden Arbeiterchor eine Chormusik zu komponieren und aufzuführen, die sich für den Klassenkampf des Proletariats engagiert. Gall: "Ohne Umschweife begann er mit der Komposition der Vier Stücke für Gemischten Chor op. 13. Die autographe Partitur datiert die Fertigstellung des ersten programmatischen Stücks – mit vermutlich selbstverfasstem Text – auf den 18. Juli 1928."
1938: Politischer und musikalischer Avantgardismus? Anfänge zur Deutschen Symphonie
Aufgrund seiner politischen Haltung und Aktivität, seiner jüdischen Herkunft sowie als Schüler Schönbergs und damit Exponent einer als "entartet" diffamierten Kunstrichtung war der Komponist 1933 zu Flucht und Emigration gezwungen. Johannes C. Gall: "Das bedeutete das Ende einer sehr produktiven Phase, die ungefähr mit seinem 30. Geburtstag begonnen, ihm zu internationalem Erfolg und endlich auch zu einem finanziellen Auskommen verholfen hatte." Diese Phase umfasste die Komposition zahlreicher A-cappella-Chöre, politischer Lieder und Balladen ebenso wie den Beginn der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht und mit Ernst Busch. Zudem schrieb Eisler in dieser Zeit die Musik zu den Brecht-Stücken Die Maßnahme und Die Mutter, zu den Filmen Niemandsland, Kuhle Wampe und Pesn’ o gerojach sowie die Kleine Sinfonie op. 29 und die Orchestersuiten Nr. 1–4.
Die ersten fünf Jahren seines Exils verbrachte Eisler auf einer Odyssee – nach Brechts Diktum "öfter als die Schuhe die Länder wechselnd", mit Aufenthalten in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, in Belgien, der Tschechoslowakei, im Saargebiet (damals noch unter dem Mandat des Völkerbunds), in Dänemark, England, den USA, der Sowjetunion, in Spanien (wo er sich im Bürgerkrieg für die Internationalen Brigaden engagierte) und in Mexiko.
Gall: "Wichtige – im wahrsten Sinne des Wortes – Beweg-Gründe waren dabei zum einen Filmproduktionen – Dans les rues, Nieuwe Gronden, Le grand jeu, Abdul Hamid und Pagliacci –, zum anderen die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht." Beispiele für die Früchte tragende Kollektivwerkstatt sind die Publikation der von der Edition Carrefour verlegten Lieder, Gedichte, Chöre, die Arbeiten an Brechts Bühnenstück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe und an Eislers Lenin-Requiem. Außerdem arbeitete der Komponist ab 1935 an der zwölftönigen Deutschen Symphonie.
Notenskizze zur Deutschen Symphonie |
Im Januar 1938, in seinem 40. Lebensjahr, siedelte Eisler nach New York City über, um wie schon zweieinhalb Jahre zuvor einen Lehrauftrag an der New School for Social Research wahrzunehmen, der sich diesmal über vier Semester bis Anfang 1940 erstreckte. Im ersten dieser Semester, dem Frühlingssemester 1938, umfasste Eislers Lehrangebot drei Kurse. Gall: "Auf seinem Kompositionsschreibtisch lag damals der spätere zehnte Satz der Deutschen Symphonie, ein großdimensioniertes scherzoartiges Allegro für Orchester. Keine zwei Wochen nach seinem vierzigsten Geburtstag stellte er die Erstschrift des Particells fertig."
1948 – Als "Karl Marx der Musik" abgeschoben
"Das Jahr 1948, im dem Eisler 50 wurde, fällt erneut mit einem Einschnitt in dessen Biographie zusammen – seiner Ausweisung aus den USA, wo er eine Dekade lang und insbesondere während des Zweiten Weltkriegs Exil gefunden hatte", stellte Johannes C. Gall fest und führte dazu im Einzelnen aus: "Seine Lehr- und Forschungstätigkeit an der New School für Social Research hatte er bis 1942 fortgesetzt und mit Mitteln der Rockefeller Foundation Studien zur Filmmusik betrieben. 1942 war er nach Los Angeles übersiedelt, wo er als freischaffender Filmkomponist die Musik zu insgesamt acht Hollywood-Streifen schrieb und zweimal für einen Oscar nominiert wurde. 1946 war er jedoch infolge der schwerwiegenden Beschuldigungen, die gegen seinen gleichfalls in die USA emigrierten Bruder Gerhart Eisler als angeblichen 'secret agent of the Kremlin' erhoben wurden, selber in die antikommunistische Schusslinie geraten, 1947 zu mehrtägigen Hearings vor dem House Committee on Un-American Activities vorgeladen und schließlich wegen Verstoßes gegen die Einwanderungsbestimmungen für schuldig befunden worden. Im Februar 1948 erging die Abschiebungsanordnung; Ende März kehrten er und seine Frau Lou über London und Prag nach Wien zurück, wo sie am 1. April eintrafen."
Am 6. Juli 1948, seinem fünfzigsten Geburtstag, hielt Eisler sich in Prag auf, um Filmmusik zu schreiben. Gall zitierte zwei aussagestarke Würdigungen der Presse für den Jubilar, die in vorläufigen Anklängen die später gegenläufigen Ost- bzw. West-Sichten auf Eisler vorwegzunehmen scheinen. Die Zeitung Neues Deutschland beglückwünschte ihn unter der Überschrift "Hanns Eisler, der Arbeiter-Komponist". "Diesen Ehrennamen habe er sich verdient wie keiner, schreibt der Autor des Artikels Carl Friedrich, seine Weisen seien so volkstümlich geworden, dass oft der Name des Komponisten darüber vergessen wurde.
Die Jahre seines Exils, so Friedrich, zählten zu seinen fruchtbarsten, und er verweist unter anderem auf die Musik zu den Brecht-Stücken Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, Leben des Galilei und Furcht und Elend des Dritten Reiches, die abendfüllende Deutsche Symphonie, die Kammersymphonie, die Fünf Orchesterstücke, die Chorwerke Gegen den Krieg und Woodbury-Liederbüchlein, das Quintett Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, das Hollywooder Liederbuch und schließlich die bei der Oxford University Press erschienene Abhandlung Composing for the Films."
"Eine weitere Würdigung zum 50. Geburtstag", so Gall weiter, "erschien in der Nr. 22 der Europäischen Rundschau. Als Autor zeichnete Erwin Ratz, Eislers Mitschüler bei Schönberg und bewährter Mitarbeiter in editorischen Angelegenheiten." Auch Ratz hob die während der Emigration entstandenen Werke hervor: Seine Arbeiten der letzten fünfzehn Jahre (tragen) bereits alle Merkmale eines vollkommen persönlichen Stils. Hanns Eisler gilt daher heute mit Recht im Ausland als einer der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Musik unter den Komponisten der jüngeren Generation. (Ratz) Gall betonte Ratz’ "leidenschaftlichen Wunsch, (dass) Menschlichkeit und Wahrheit allein das seine Kunst Bestimmende bleiben mögen, wie wir dies auch gerade in den Werken der letzten zehn Jahre oft in überzeugender Weise feststellen können."
1958 – Abstieg in den Ruhm
Verglichen mit der Presseschau zum 50. seien die Würdigungen zu seinem 60. Geburtstag in Ost und West "geradezu überwältigend", konstatierte Gall. "Außerordentlich die Stuttgarter Zeitung, die Österreichische Volksstimme (mit einem Beitrag von Ernst Fischer) und Muzykal’naja Žizn’ (mit einem Artikel von Grigori Schneerson). Die Zeitschriften Junge Kunst und Musik und Gesellschaft würdigten den Komponisten mit Sonderheften, und die Edition Peters brachte eine Broschüre zu seinem 60. Geburtstag heraus. Eisler war in der DDR nunmehr etabliert und angesehen wie nie in seinem Leben zuvor."
Andererseits, so Gall weiter, denke man etwa an die Debatte, die fünf Jahre zuvor um sein Faustus-Libretto stattgefunden hatte, dann habe (mit Bertolt Brecht zu reden) sein Abstieg in den Ruhm begonnen: "Der Komponist wurde zwar mit Ehrungen überhäuft – ein Vierteljahr später sollte er auch den Nationalpreis I. Klasse der DDR erhalten –, zugleich hatte er als antiformalistischer Musterknabe des Sozialistischen Realismus her- und stillzuhalten", so Johannes C. Gall.
Eisler zu Ehren fand in Berlin und in Moskau eine Reihe von Konzerten statt. "An seinem 60. Geburtstag selbst dürfte Eisler, der zehn Tage zuvor zum dritten Mal geheiratet hatte – Stephanie Eisler, geborene Peschl –, hingegen zu einer größeren Feier in seinem Haus in Berlin-Pankow, Pfeilstraße 9, eingeladen haben. Eine Komposition, die der Komponist wenig vor seinem 60. Geburtstag fertigstellte und mit der er ganz bewusst an eine Zeit mit Brecht vor einem Vierteljahrhundert anknüpfte, war eine Orchesterfassung des 1934 in London entstandenen Sklave, wer wird dich befreien".
Die konzertante Umrahmung des Festvortrags mit mdw-Studenten und Angehörigen des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung war Christian Glanz zu verdanken. Einleitend trug Xiaocheng Wang, Klarinette (Klasse Wolfgang Kornberger), ausdrucksvolle Soli aus Eislers 1947 entstandener Bühnenmusik zum amerikanischen Theaterstück Night Music von Clifford Odets vor. Sie charakterisieren darin in jeweils freier Tonalität die Stimmungen und Aktionen der Hauptfigur. Wangs anzuerkennende Kunstfertigkeit war auch daran zu ermessen, dass die Kompositionen bei ihrer Entstehung dem Soloklarinettisten des Hollywood-Filmorchesters quasi "auf den Leib geschrieben" worden waren.
Geleitet von Stefan Foidl, boten die Chorvereinigung Gegenstimmen und die zünftige mdw-Bläser-Combo (Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Waldhorn und Christian Glanz an der Tuba) im Anschluss an den Festvortrag frisch bis derb vergnügt Lieder, die alle Welt von Eisler kennt: das Solidaritäts- und das Einheitsfrontlied, dazu Für Österreichs Freiheit (eine textlich nicht autorisierte Nachkriegsfassung zur Melodie des Kominternlieds: ,faschistische Schergen, ins Land eingedrungen‘). A cappella wurde Die Welt verändern wir vorgetragen, aus Neue deutsche Volkslieder von Johannes R. Becher (Berlin 1950).
Wissenschaftliches Symposion
im mdw-Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung
Aufgrund des Ausfalls einer Referentin mussten die Einzelvorträge der "Dekadenreihe" zu Eislers Wirken in Umbruchsjahren beschränkt bleiben auf 1928, 1938, 1948 und auf ein Nachleben 1968 ff.
1928 - Hanns Eisler als Rezensent und Kritiker (Frieder Reininghaus)
Frieder Reininghaus (Much/NRW) wies auf das beachtliche Wirken Hanns Eislers als Rezensent und Musikkritiker beim Zentralorgan der KPD, der Roten Fahne, in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre hin. In seinen Wiener Studien- und Gesellenjahren hatte Eisler von einer gemäßigt aufklärenden Position zur modernen Musik aus ein paar Mal für die bürgerlichen Musikblätter des Anbruch geschrieben. Der politisch-ästhetisch begründete Bruch mit seinem Kompositionslehrer Arnold Schönberg, den er 1925 von Berlin aus vollzog, führte zu grundsätzlichen Darlegungen: Musik für wen? Auf die revolutionär eingeleitete geschichtliche Dekade zurückblickend, akzentuierte der 28jährige Hanns Eisler in der Roten Fahne vom 15. Oktober 1927 die tiefen Klüfte der kapitalistischen Gesellschaft und der neuen Musik darin: 1918-1923, zur Zeit der Inflation, der Spartakuskämpfe, Räterepublik München, Budapest, die rote Armee vor Warschau, rauften sich die Musiker nur wegen rein technischer Dinge. Keinen gab es, der auch nur einen Hauch vom Atem dieser Zeit verspürt hätte. Die Folge dieser ,Zeitlosigkeit‘ und Borniertheit der Musik ist: Die moderne Musik hat kein Publikum, niemand will sie. Dem Proletariat ist sie als Privatangelegenheit gut erzogener Leute gleichgültig. Die Bourgeoisie sucht stärkere Reize und Unterhaltungsmittel. Die moderne Musik führt, wie kaum eine andere Kunst, ein Scheindasein, das nur noch künstlich aufrecht erhalten werden kann. (Eisler 1927)
"Parallel zur Rezensententätigkeit für die Rote Fahne arbeitete sich Eisler von der Vertonung von Heine-Texten (1925) und Zeitungsausschnitten (1926) zum Zugriff auf Tucholsky-Texte und die Zusammenarbeit mit dem am Ende der zwanziger Jahre radikalkommunistisch gestimmten Bertolt Brecht vor. Mit Der Graben hatte Theobald Tiger (eines der zahlreichen Pseudonyme Tucholskys) im November 1926 an die 'Materialschlachten' des Großen Krieges erinnert; später komponierte Eisler das Antikriegsgedicht mit dem lauten Stöhnen des vormaligen Frontoffiziers. Zart, quasi Choral lautet der Musik gewordene Vorschlag Eislers, denen 'drüben', auf der anderen Seite des Grabens, die Hände zu reichen." (Reininghaus 2018)
1928 sollte sich wegen der Abwertung des "roten Feuilletons" zwischen Tucholsky und Eisler ein öffentlicher Schlagabtausch entwickeln. Eisler vertonte lieber Brecht-Zeilen als "parteimüde" Lyrik. Reichlich dreißig Jahre später, nach allen biografischen und politischen Verwerfungen, änderte Eisler seine Haltung; er komponierte einen größeren Strauß von Tucholsky-Liedern und darin auch einen Revolutionsrückblick: 1918 – gesegnete Zahl. Nächstes Mal besser. Es lohnt sich, es lohnt noch einmal! Reininghaus: "Das galt 1958 ebenso wie 1928 – und übrigens auch 1968. Von 2018 wollen wir jetzt nicht reden."
1938 - Anschluss und Ausschluss (Prof. Dr. Albrecht Betz)
Eislers typische Methode dialektischer Betrachtungsweise aufgreifend, suchte Albrecht Betz, Aachen/Korbach, extreme zeithistorische Spannungen des Jahres 1938 unter dem Aspekt existenziell, künstlerisch und politisch resultierender Fragestellungen des 40jährigen Komponisten im Exil zu bündeln: Anschluss und Ausschluss. "Hanns Eisler hatte Anfang 1938 das Glück, eine Gastdozentur als Professor of Music an der später berühmten New School of social research in Downtown Manhattan zu erlangen.
Er lehrte Sozialgeschichte der Musik. Im Sommer traf er Ernst Bloch wieder, mit dem er weiterhin Volksfront und Avantgarde, eine zuvor im Prager Exil begonnene kulturpolitische Debatte mit dem nach Moskau emigrierten Georg Lukács ausfocht. Sie bestand noch lange fort und kreiste im Kern darum, wie aktuelle Kunst auf die sich verändernde Konfliktlage und zugleich auf die neuen Medien reagieren sollte: Gestaltung oder Montage, ob der Expressionismus in den Faschismus geführt habe (Beispiel Gottfried Benn) und um den Umgang mit der Tradition, Stichwort: Die Kunst zu erben. Es bildeten sich Fraktionen und es fielen harsche Worte, wohlgemerkt innerhalb einer Front, deren gemeinsamer Boden der Marxismus und deren gemeinsamer Feind der Faschismus war. Eisler und Bloch wollten aus dem Erbe das im obengenannten Sinne brauchbare aussondern, verdichten und produktiv verwerten. Das trug ihnen den Vorwurf Lukács’ ein, alles demontieren zu wollen, große geschlossene Formen, die das Publikum erheben sollen, der Zerstörung preiszugeben. Umgekehrt bezeichneten Eisler und Bloch Lukács’ Konzepte als idealistisch und hoffnungslos veraltet, sie seien Ausdruck einer Oberlehrer-Museums-Ästhetik, die niemanden der jungen Generation mehr interessiere. Lukács hatte allerdings die Autorität Moskaus auf seiner Seite und so galten Eisler und Bloch, ebenso Brecht und andere, künftig als produktive Ketzer des Marxismus, übrigens bis in die späte DDR des Nachkriegsjahrzehnts hinein." (Betz 2018)
In die USA emigriert ist Eisler nicht erst wegen des "Anschlusses" von Österreich (18. März 1938) an Hitlerdeutschland, das den Krieg und den Holocaust vorbereitete ("Münchner Abkommen" 1937 und "Kristallnacht"). "Deutschland"- und "Horst-Wessel-Lied" zu Hitlers Rede auf dem Wiener Heldenplatz, das für Befreiung und ein künftiges Leben frei von Angst stehende Trompetensignal in Beethovens "Fidelio", aus einem Prinzip Hoffnung durch Görings folgenden Besuch in einer Wiener Vorstellung ins volle Gegenteil umgebogen: Albrecht Betz nannte all dies im Zusammenhang mit der zugleich laufenden "Ausgliederung zahlreicher Künstler, denen die Identität mit dem eigenen: Volk-Staat-Nation-Kultur abgesprochen wurde. Wer ab Mai 1938 bei 'Entartete Musik' in Düsseldorf ausgestellt wurde – Schönberg und seine Schüler eingeschlossen –, dessen Karriere war beendet. Aufführungs- und Berufsverbote standen am Anfang, Verfolgung und Deportation am Ende." (Betz 2018)
Während sich die künstlerischen "Repräsentanten des inoffiziellen Deutschlands und Österreichs in den USA" für das (scheiternde) Projekt eines Freiheitspavillons für die New Yorker Weltausstellung 1939 einsetzten, wurde dem 40jährigen Eisler im Juli 1938 auf der Einwandererinsel Ellis Island in New York aufgrund abgelaufener Einwanderungspapiere die Wiedereinreise zunächst verwehrt. Betz: "Er stand unter Kommunismus-Verdacht. Ein Widerspruch eigener Art: sein internationales Renommee machte ihn zum Bittsteller. Selbst sein Argument, er könne wegen des kürzlich erfolgten 'Anschlusses' weder mehr nach Deutschland noch ins frühere Österreich zurück, wurde nicht akzeptiert.
Diese amerikanische Hürde – eher Sperre – zu überwinden, bedurfte es vorerst nicht nur Zähigkeit und der Fürsprache bekannter Persönlichkeiten, sondern im folgenden Jahr grundsätzlich eines Umwegs über Mexiko." (Betz 2018)
Einreisevisum Mexico 1939 |
Dabei schrieb doch der Komponist neben seiner Lehrtätigkeit in Manhattan sein (originäres) Streichquartett, ferner die Filmmusik zu dem China-Dokumentarfilm von Joris Ivens Die vierhundert Millionen, aus der später die Fünf Orchesterstücke und das Scherzo mit Solovioline entstehen werden. "Doch die Basis des Lebensunterhalts für mehrere Monate war eine Filmmusik-Arbeit, die Eislers politisches Gewissen unter normalen Verhältnissen kaum zugelassen hätte: die Musik zu einem amüsanten Werbefilm für die US-Ölproduktion, die Joseph Losey mit dem Titel Pete Roleum and his Cousins gedreht hat. Die Not zwang punktuell, so könnte man den Widerspruch etwas überdreht zuspitzen, zur Verklärung der Speerspitze der kapitalistischen Industrie. Zugleich steigerte diese 'politische Sünde' Eislers Reputation als exquisiter Filmmusik-Komponist. Es scheint, als habe sich die 'Unübersichtlichkeit der Lage' für ihn (und auch für Bloch) produktiv ausgewirkt." (Betz 2018)
"Mit einem Wortspiel ließe sich sagen: Durch den Anschluss – gleich Ausschluss und für viele Exil – konnten die USA (im Überbau) den Anschluss an die damals führenden europäischen Künste und Wissenschaften gewinnen. Deutschland und Österreich konnten sich von jenem Aderlass erst nach dem Krieg allmählich und kaum je vollständig wieder erholen." (Betz 2018)
1948 - Hanns Eisler: Wieder in Wien (Prof. Dr. Hartmut Krones)
Im gewählten Kontext seines Vortrags ging Hartmut Krones, mdw, zunächst auf das zu Eislers Lebzeiten kompositorisch nicht ausgeführte Vorhaben einer Koloman-Wallisch-Kantate ein. Als Hanns Eisler, aus den USA ausgewiesen, Anfang April 1948 in Wien eintraf, erklärte er ihre Vertonung öffentlich zu seinem nächsten Anliegen. Im Gepäck hatte er den 1935 für ihn verfassten Kantatentext Brechts zur Erinnerung an ein prominentes Justizopfer der österreichischen Dollfuß-Regierung von 1934. Schon in den ersten Tagen äußerte der Komponist im Interview, er denke an Schulaufführungen in Wiens sowjetischer Besatzungszone. Dafür stelle er sich eine Besetzung für Sprecher, Chor, zwei Klaviere und Ziehharmonika vor.
Weshalb es auch später dazu nicht gekommen ist, hat Hartmut Krones zufolge Eislers Sohn Georg aus zeitlichem Abstand eingeschätzt. Georg Eisler war 1948 dabei, als man von kommunistischer Seite seinem Vater abriet, damit 1949 für die "Wiener Feiern zum 15. Jahrestag des 12. Februar 1934" einen gesonderten Beitrag zu leisten: "Der war doch nicht für uns."
Ehrentafel im Karl Marx Hof |
Hartmut Krones hat dazu schon in den aktuellen Eisler-Mitteilungen erläutert: "In Österreich war das Verhältnis zwischen den Sozialisten und den Kommunisten – über den Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka hatte Eisler ein Naheverhältnis zu ihnen – ein sehr gespanntes. Die Kommunisten wollten eigentlich keinem Sozialdemokraten ein künstlerisches Denkmal setzen, und die Sozialisten keine von einem (mutmaßlichen) Kommunisten geschriebene 'Wallisch-Kantate'." (Krones 2018)
Die Person Koloman Wallischs, sozialdemokratischer Schutzbund-Führer im österreichischen Bruck an der Mur, charakterisierte Hartmut Krones als die eines aufrechten Demokraten. In seiner Heimatstadt habe Wallisch 1921 sogar den von seinem ungarischen Putsch-Versuch zurückkehrenden letzten Habsburger-Kaiser Karl vor der Lynch-Justiz gerettet. Maßgeblich war Wallisch während der Februartage 1934 in Bruck am Abwehrkampf von österreichischen Sozialisten und Kommunisten gegen die drohende austrofaschistische Diktatur beteiligt. [3]
Karl Marx Hof |
Noch am 19. Februar wurde er in Leoben ungeachtet öffentlicher Proteste hingerichtet. Eigens zu diesem Zweck hatte der damalige Justizminister und spätere österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die Ablauffrist (15. Februar) des 1933 eingeführten Standrechts um einige Tage verlängern lassen.
Desto engagierter ging Hartmut Krones in seinem Vortrag auf eine von ihm initiierte, gemeinschaftlich nachgeholte Vertonung des Brechtschen Kantatentextes durch acht österreichische Komponistinnen und Komponisten ein. 2016 hatte die Uraufführung beim internationalen Chorfest des Österreichischen Arbeitersängerbundes in der Koloman-Wallisch-Stadt Bruck an der Mur stattgefunden. Sie war "ein aufsehenderregender Erfolg". Ein Akzent seiner Darstellung lag insbesondere auf der dafür Eisler-typisch verfassten Ouvertüre von Hannes Heher. Ihr lag das rein instrumental verwendete Solidaritätslied aus der 3. Orchestersuite "Kuhle Wampe" zugrunde, nur geringfügig an Eislers eindringliche Fassung angepasst. Vorwärts und nicht vergessen, worin unsre Stärke besteht! erklingt dort im finalen Satz "Die Fabriken".
Das Solidaritätslied ist in Wien direkt mit der Geschichte des österreichischen März 1933 verknüpft. Am 19.3.1933 hatte Hanns Eisler, bald tiefer ins Exil gedrängter Komponist, die Aufführung dieser 3. Orchestersuite in einem Wiener Arbeiter-Sinfonie-Konzert durch Anton Webern miterlebt und auch – zu den ersten Takten des Solidaritätslieds ausgelöst – die stehende Akklamation des Saals. Schon am nächsten Tag, dem 20. März, folgte der Staatsstreich der Dollfuß-/Schuschnigg-Regierung gegen das Parlament, mit völliger Ausschaltung vor allem der noch zugelassenen Sozialdemokratie. Ein putschartiger Bruch mit der gültigen Verfassung der Ersten Republik Österreich von 1920.
"Die Wallisch-Kantate hat zwar nur sehr peripher etwas mit dem Jahr 1948 zu tun, sie dokumentiert aber, wie präsent Eisler im heutigen Österreich wieder in demokratischen Kreisen ist", bemerkte Hartmut Krones. "Auch im Wien des Jahres 1948 war der Komponist absolut kein Unbekannter, erinnerten sich doch viele der Aufführungen seiner Werke in den Arbeiter-Sinfonie-Konzerten. Einzelne Arbeiterchöre hatten in Wien vor 1933 immer wieder Eislersche Chorlieder in ihre Programme aufgenommen. Und bereits im Juni 1945 konnte man sowohl in einer Veranstaltung der KPÖ als auch in einer der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik wieder Eislersche Kantaten hören. Gleich nach dem Krieg druckte die Wiener Universal-Edition Eislers Lied Für Österreichs Freiheit ab, eine auf das Komintern-Lied zu singende Umdichtung. Anfang Mai 1948 fanden wahre 'Eisler-Festtage' statt. Die nachhaltigste 'Heimholung' Hanns Eislers war am 16. September 1948, als das Theater 'Die Scala' mit Johann Nestroys Höllenangst eröffnet wurde, zu der Eisler die Bühnenmusik verfasst hatte." In den folgenden Jahren bis zur Schließung des der KPÖ nahestehenden Theaters 1956 schuf er – alternierend mit Marcel Rubin – zahlreiche weitere Bühnenmusiken für "Scala"-Aufführungen. (Krones 2018)
Österreichische Arbeitersänger nahmen in der Zeit bis Juni 1949, Eislers endgültigem Umzug nach Berlin, und öfter noch in den Jahren bis 1952 dessen Chöre in Einzelkonzerte auf oder sangen sie zusammen mit anderen als Massenlieder. Bei solchen Gelegenheiten, zum Beispiel am 9. Juni 1951 im Mozartsaal des Konzerthauses, war auch der Werkschor der Siemens-Schuckert-Werke beteiligt, den Eisler 1919 unter anderen geleitet hatte.
Für die künstlerisch-festlichen Teile von drei Parteitagen der KPÖ (XIV., XV., XVI.) standen 1948, 1951 und 1954 jeweils das Einheitsfrontlied bzw. das Solidaritätslied in Eislers Orchesterfassungen auf dem Programm; bis zu sieben Werks- bzw. Arbeiterchöre boten sie gemeinschaftlich. Die Wiener Fassung des Einheitsfrontlieds für kleinere Besetzung, das Lied für den Frieden (Worte von Ernst Fischer) und das Österreichische Lied von der Gerechtigkeit (Worte von Walter Fischer) sendete der im sowjetischen Sektor wirkende Sender Wien der Rundfunkanstalt RAVAG 1949 zur Maifeier der "Russischen Stunde". Die beiden neuen Lieder wurden sehr bald auf Schellackplatten des KPÖ-Literaturvertriebs "Globus" eingespielt. Am 29. Mai 1949 sendete die RAVAG die Uraufführung der Kantate Die Mutter in einem Sonntag-Abend-Konzert der "Russischen Stunde" unter Eislers Leitung. (Krones 2018)
1968 - Die posthum gespaltene Wiederentdeckung Hanns Eislers (Prof. Dr. Hartmut Fladt)
Der Komponist Hartmut Fladt, Berlin (Jahrgang 1945) ist derzeit ebenfalls Editionsleiter für die fortlaufende Hanns-Eisler-Gesamtausgabe. In seinem Vortrag charakterisierte er zwei Hauptlinien einer im Westen wie im Osten ähnlich strukturierten Eisler-Rezeption. Die politisch-intellektuelle, soziokulturelle auf der einen und die kreativ-kompositorische auf der anderen Seite kreuzten, ergänzten oder bekämpften sich demnach immer wieder. "Intellektuell wurde Eisler 1970/71, nicht nur für uns Musik-Studierende, in der Bundesrepublik zur festen Größe durch die Publikation der Bunge- und auch der Notowicz-Gespräche. Für uns waren sie sogar wichtiger als das musikalische Œuvre. Unsere Rezeption des tabuisierten Brecht (Eisler war ja, im Gegensatz zu Kurt Weill, gar nicht im allgemeinen Bewusstsein) geschah in kleinen Schüler-Lese- und Diskussions-Zirkeln. Wir sprachen über faschistische und stalinistische Repressionen auch in der Musik. Das Leipziger Reclam-Schriften-Bändchen Materialien zu einer Dialektik der Musik, herausgegeben von Manfred Grabs, demonstrierte dann 1976, vor der Gesamtausgabe, auch die geschichtlichen Wandlungen des Denkens und der künstlerischen Maßnahmen Eislers – mit all ihren Widersprüchen." (Fladt 2018)
"Für wen sollte diese alte neue Musik bestimmt sein, wer sollte sie hören, wer sollte sie singen, spielen? Unmittelbare Verständlichkeit, sogar aktive Beteiligung an der Ausführung auch für wenig vorgebildete Laien zu erreichen, das stellte viele Kolleginnen und Kollegen aus der Neue-Musik-Szene, stellte auch mich vor gewaltige Probleme." (Fladt 2018)
Anhand einer Reihe populärer musikalischer Hörbeispiele aus verschiedenen Genres, wie mit Denk- und Verfahrensweisen Eislers in der Musik nach 68 umgegangen werden konnte (Nicolaus A. Huber, Hartmut Fladt, Hans Werner Henze, Heiner Goebbels, Udo Lindenberg, Peter Ablinger, Gruppe "Arbeit") erläuterte der Vortragende sehr unterschiedliche kompositorische Versuche des Anknüpfens: "Nicht an dem, WAS Eisler gemacht hatte, sondern am WIE, resultierend aus der Trennung von Material und Verfahrensweisen. Auf der Grundlage einer strikten Gegenwärtigkeit (im umfassendsten Sinne alle entfalteten Möglichkeiten nutzend) eine gesellschaftlich verantwortliche Musik schreiben, in der Tradition des guten alten Ethos-Charakters von Kunst; eine Musik, die nicht die dummen Material-Tabus einer abstrakten Avantgarde kennt. Das musikalische Material darf komplex, darf aber ebenso sehr einfach sein (z. B. wenn ich Musik für Kinder schreibe), darf für musikalische Laien verständlich und ausführbar sein; ich darf aber nie in meinen Verfahrensweisen lügen, d. h. in einen billigen Retourismus (schöner Begriff von Eisler aus den späten 20ern) verfallen. Mit den sieben Tönen der C-Dur-Skala kann ich Neue Musik machen, die vertraut und produktiv verstörend zugleich ist. … Sorgen wir, wie in der Musik, für ein vernünftiges und attraktives WIE von Veränderungen." (Fladt 2018)
"Heimkehr - Eisler, Schönberg und Wien"
Mag. Dr. Hannes Heher und ein Konzertabend an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw)
Vor einem dichtgedrängten Hörsaal-Auditorium des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung wies der in den Konzertabend einführende Komponist Hannes Heher auf die lange Tradition der Beschäftigung mit Hanns Eisler gerade an diesem Haus hin. Er sei froh, beim gewählten Thema seines Eröffnungsvortrags Heimkehr? Eisler, Schönberg und Wien inzwischen das Fragezeichen weglassen zu können. Mit dem Wunsch, hier Eisler zu singen, habe er selber schon als Gesangsstudent offene Türen vorgefunden. Ein breiteres Interesse sei heute offenkundig, längst nicht mehr nur im Gesangs-Bereich: "Wir müssen uns einlassen auf die Botschaft, die uns Hanns Eisler zu Gehör bringt, wir sind angehalten, auch intellektuell dabei sein. Die Worte Ändere die Welt, sie braucht es! hat Hanns Eisler zwar nur einige wenige Male konkret so vertont. Dass diese Aufforderung aber aus jedem Takt seiner Musik spricht, ist evident. Das wäre auch ein Ansatz, wie man Eisler richtig, also in dem von ihm vorgesehenen Sinne, interpretieren sollte." (Heher 2018)
Hannes Heher erinnerte daran, "dass Hanns Eisler als einer der wenigen Komponisten überhaupt ein umfangreiches Konvolut an Vorschlägen hinterlassen hat, wie denn mit seiner Musik umzugehen sei: Er hat sie dirigiert, ohne ein Dirigent zu sein, Klavier gespielt, ohne pianistische Grundlagen zu haben, trotz Beeinträchtigung durch Alkohol und Nikotin und ohne eine Spur von Gesangstechnik gesungen, mit ausgewählten Interpretinnen und Interpreten intensiv exemplarische Aufführungen seiner Stücke erarbeitet – und er hat sich die Seele aus dem Leib geschrieben und geredet (und das, wie auch sein Singen, oft aufnehmen lassen), um seine Interpretationsvorschläge für die Nachgeborenen zu erhalten, vorzuzeigen, wie es gehen muss. Obwohl seine interpretatorischen Leistungen in technischer Hinsicht alles andere als perfekt sind, zeigen sie uns doch in beeindruckender Weise seine kompositorische Welt – und sollten viel öfter als Maßstab herangezogen werden. Gerade in Zeiten, in denen man immer wieder mit mittelmäßigen oder wirklich schlechten Aufführungen von Eisler-Musik konfrontiert ist, wäre ein sich Beziehen auf dessen Vorschläge mehr als notwendig. Lasst uns also eine Lehrkanzel für die richtige Interpretation von Hanns Eislers Musik ins Leben rufen! Das wäre eine revolutionäre Großtat und würde wahrscheinlich den schlechten Interpretationen den Garaus machen!" (Heher 2018)
Im ersten Programmteil boten Studierende der mdw unter vorbereitender Mithilfe von Prof. Dr. Christian Glanz eine vielfältige musikalische Auswahl aus Hanns Eislers umfangreichen Schaffen von Klavierliedern und Songs. Sie kamen aus den Gesangsklassen von Maria Bayer und Peter Thunhart und näherten sich engagiert ihrem jeweils zu erobernden Terrain wechselnder Entstehungszeiten. Schlaglichter aus einer unvollständigen Palette: 1917 Der müde Soldat, 1926/27 Zeitungsausschnitte, 1942 Hollywood-Elegien, 1953 Und ich werde nicht mehr sehen, 1955 Wienerlied.
Im kammermusikalischen zweiten Teil des Eisler-Schönberg-Abends mit Raritäten aus dem Œuvre der Exil- und Nachkriegszeit fiel neben Bernhard Jaretz und Jakob Pejcic (Gesangsklasse Peter Thunhart) wiederum Barbara Neubauer (Klasse Maria Bayer) mit stimmlich und gestalterisch besonderen Möglichkeiten auf. Im Zentrum dort standen drei Kammerkantaten von 1937, sämtlich "als persönliche Stellungnahmen" Eislers nach Gedichten von Ignazio Silone anzusehen: Die römische Kantate op. 60, Kriegskantate op. 65 und Kantate auf den Tod eines Genossen op. 64. Daran wirkten Xiaocheng Wang und Sandra Hipfinger (Klarinetten-Klasse Wolfgang Kornberger) und auch Profis aus dem Aron-Quartett mit: Georg Hamann, Bratsche, und Christophe Pantillon, Cello (Hochschulprofessor an der mdw).
"Ernst Bloch spricht es direkt an, diese Stücke sind in musiktheoretischer Hinsicht wunderbare Beispiele für Eislers sehr persönliche Anwendung der Dodekaphonie. Im Gegensatz zum Erfinder der Technik – Arnold Schönberg – war ihm die Emanzipation der Konsonanz – freilich im zwölftönigen Raum – ein wichtiges Anliegen." (Heher 2018)
Als praktischen kompositorischen Auftrag, mit dem sich Eislers Verknüpfung von politischer und musikalischer Avantgarde noch in der europäischen Nachkriegsphase nachweisen lässt, hatte Heher die Rekonstruktion einer von Hanns Eisler skizzierten "Trauermusik für Egon Erwin Kisch" besorgt. Ihre Uraufführung durch das Aron-Quartett zu Beginn des zweiten Programmteils hinterließ den Eindruck eines organischen Ganzen. Den 1948 begonnenen Entwürfen Hanns Eislers sei "zu entnehmen, dass er sich ein dreiteiliges Werk für Streichquartett vorgestellt hat, von dem er den ersten ruhigen Teil sogar vollständig abgeschlossen hat", bemerkte Heher als kompositorisch nachvollziehender Bearbeiter. Es sei nicht allzu schwer gewesen, das Werk aufführbar zu machen. "Vom zweiten bewegteren Abschnitt sind die ersten und die letzten Takte vorhanden, und zusätzlich einige (zu verbindende) Skizzen dazwischen. Für den abschließenden dritten, wieder ruhigen Teil hat sich Eisler eine variierte Wiederholung des Beginns vorgestellt und teilweise auch ausgearbeitet."
Sich dessen bewusst, dass Rekonstruktionen immer ein gewisses Risiko darstellen, sei es ihm, Hannes Heher, "sehr wichtig, immer im Sinne Eislers zu agieren, also mit seinem Material zu arbeiten und mich in sein kompositorisches Denken möglichst gut einzufühlen." Für charakteristische, klanglich herausgehobene Stellen der abschließenden Reprise habe er sich kurze Einschübe mit übernommenem Material von Hanns Eisler erlaubt, unter anderem eine Zwölftonreihe aus dem 1934 entstandenen Eisler-Lied Der Zweck der Musik und final ein musikalisches Signum, die Quint h – e. Daniel Pozner, Eislers Rechtsnachfolger in Frankreich, hat diese Rekonstruktion befürwortet.
Mit der "kompositorischen Ausbeute" seiner langjährigen Beschäftigung mit Hanns Eisler, dem einsätzigen Streichquartett "1995" (Der Schoß ist fruchtbar noch), stellte sich der österreichische Komponist des Jahrgangs 1964 selber vor. In eigenständigen Abschnitten, die ständig miteinander in Beziehung stehen oder ineinander übergehen, wollte Hannes Heher eine Art Entwicklung bis zu einem ausweglosen Schluss vorführen. Schon im titelgebenden Entstehungsjahr des Werks habe er es sich angelegen sein lassen, "angesichts der immer gefährlicheren rechtsradikalen Ausschreitungen der Jetztzeit auf die Gefahren eines zu schnellen Vergessens aufmerksam machen".
Zweifellos den Höhe- und Zielpunkt des anspruchsvollen Abends bestritten die Könner des Aron-Quartetts schließlich mit Hanns Eislers zweisätzigem Streichquartett aus dem Jahr 1938 – einem Werk, das in Schönbergs Sinn konsequent zwölftönig gearbeitet ist. Hannes Heher zählt es "zusammen mit den Streichquartetten der anderen Mitglieder der Wiener Schule definitiv zu den Schlüsselwerken der Neuen Musik".
Beim langen Schlussbeifall erinnerte man sich Hehers einführender Worte: Im Grunde habe Eisler ein "dodekaphones Denken, oder genauer, das Denken in Zwölftonfeldern", nicht verlassen, obwohl er schon relativ bald die Enge des so genannten Elfenbeinturmes hinter sich lassen wollte und sich in weiterer Folge einem faszinierenden Stilpluralismus verschrieb. (Heher 2018)
Das Konzert wurde vom ORF aufgezeichnet.
"Der heimliche Aufmarsch" im Wiener Musikverein-Konzert
Am Abend des dritten Programmtags waren die Teilnehmer des Symposions in den Brahms-Saal der Gesellschaft der Musikfreunde eingeladen. Hartmut Krones, der fürs Programmheft die Einführung schrieb, lag daran, den Teilnehmer*innen eine musikalisch herausragende konzertante Begegnung mit dem instrumentalen Ensemble Kontrapunkte, dem bekannten Arnold Schoenberg Chor und dem Dirigenten Peter Keuschnig zu ermöglichen.
Im ersten Konzertteil wurden Kompositionen der 1920er und 1930er Jahre geboten: Hanns Eislers dreisätzige, 1931 gegen den Krieg Stellung nehmende Orchester-Suite Nr. 2 Niemandsland, das folkloristisch in ungleichmäßigen Takten pulsierende Stück Retablito de un veloro des mexikanischen Komponisten Silvestre Revueltas (1899-1940) in einer Bearbeitung für Kammerorchester und Béla Bartóks (1881-1945) Tanz-Suite für Orchester, Sz 77, für Kammerorchester arrangiert.
Dass Eislers Einfälle zu Victor Trivas’ Film-Sequenzen "Niemandsland" heute noch eigenständig gehört und verstanden werden können, geht nicht zuletzt auf seine Besetzung mit einem Weill-ähnlichen Instrumentarium der Unterhaltungsmusik zurück. Desto kontrastreicher wirkt das Capriccio über vitale jüdische Volkslieder, programmatisch gegen militante Bedrohung gesetzt. Nach dem ermunternd aufstrahlenden Eigenzitat des Finales, Der heimliche Aufmarsch (Kampflied nach Erich Weinert), Eislers Kommentar zur angemahnten Verbrüderung feindlicher Soldaten, reagierten weite Teile des Publikums enthusiasmiert.
Der hinzukommende Arnold Schoenberg Chor, künstlerische Leitung Erwin Ortner, trug den zweiten Teil des Abends, eine solide Darbietung von Hans Werner Henzes (1926-2012) "Musen Siziliens" (1966). Im Werk auf Eklogen-Fragmente des Vergil – ein Konzert für Chor, zwei Klaviere, Bläser und Pauken – wollte der Komponist die kantable Landschaft seiner Wahlheimat Rom aufscheinen lassen. Das war kurz vor seiner schroff eingreifenden politisch-künstlerischen Neuorientierung in der darauf folgenden Geschichtsperiode.
Txt: Hilmar Franz
Fotos: (1) © Thomas Neumann / neumgraf.de; Franz
Anmerkungen
[1] Die Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (mdw) sieht sich in der Tradition des Neuen Wiener Konservatoriums für Musik.
[2] Karl Marx und Friedrich Engels unterhielten auch in Wien unmittelbare Beziehungen zur Arbeiterbewegung. Im August 1848 verschaffte sich Marx ein persönliches Bild von der revolutionären Bewegung. Vor seiner Ankunft am 23. August hatte die Nationalgarde eine große Protestdemonstration von Arbeitern auseinandergejagt, die gegen Lohnkürzungen protestierten. Die sogenannte Praterschlacht forderte 18 tote Arbeiter, 4 tote Soldaten und 282 Verletzte, darunter zahlreiche Frauen. Am 3. September war Karl Marx Zeuge des Trauerzugs, der mächtigsten Wiener Demonstration seit den Märztagen. Bis zu seiner Abreise am 7. September hielt er drei Vorträge, darunter zu „Lohnarbeit und Kapital“. – Friedrich Engels trat am 14. September 1893 auf einer sozialdemokratischen Versammlung zur politischen Formierung der Massen in Wien auf und würdigte die große, vom Rathaus Besitz ergreifende Demonstration wenige Tage zuvor für das Frauenwahlrecht. Daran hatten Vertreterinnen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Frauenbewegungen teilgenommen (9. September).
[3] Dieser geschah vielfach spontan, ungeachtet des Verbots ihrer bewaffneten Formationen wie auch der KPÖ als Partei. Die Niederlage kämpfender Arbeiter gegen ein massives Aufgebot von profaschistischen Heimwehren und Teilen des mobilisierten Bundesheeres, die nach einem präventiv ausgearbeiteten Plan die Führer des Schutzbundes festnehmen sollten, wurde durch die verwirrende und entmutigende Hinhaltetaktik der sozialdemokratischen Partei besiegelt („nicht provozieren lassen“). Noch am gleichen Tag wurde die SDAP verboten, die Kompromissbereitschaft ihrer Führung zum Niederlegen der Waffen ignoriert: Das gegebene „Pardon“-Versprechen – Aufhebung der erweiterten Todesstrafe für „Aufruhr“, angeordnet zum 15. Februar, Umwandlung in hohe Gefängnisstrafen – galt dann nicht für Koloman Wallisch.
siehe auch