Literatur und Kunst

Heinrich Ehmsen An der MauerHeinrich Ehmsens Bilder vom Ende der Revolution

24.04.2019: "Das Chaos feierte Orgien in München. Die rote Armee in Bayern kämpfte sich bis zum Untergang in München durch, wo die von Epp‘schen und von Lüttwitz‘schen Freicorps ‚triumphierten‘. Auf dem Kasernenhof (…) in der Theresienstraße ratterten die Maschinengewehre die Revolutionäre an der Mauer zu Tode. Mit Besessenheit und Empörung malte und zeichnete ich diese Erlebnisse."[1] So beschreibt Heinrich Ehmsen das Ende der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919.

 

Heinrich Ehmsen war insofern Augenzeuge dieser blutigen Abrechnung, da er von seinem damaligen Atelier in der Theresienstraße direkt auf den Kasernenhof sehen konnte. "Nach dem Irrsinn des Massenmordens, umtobt von Geknatter und Getöse des Bürgerkrieges, schien mir alle Arbeit im Atelier aus früheren Zeiten belanglos, nichtig. (…) Das Erlebnis der Erschießung von Revolutionären bedrängten mich, zwangen mich sie zu gestalten. L‘art pour l‘art ist nicht meine Sache. Ich muss durch Form und Farbe hinausschreien, was in mir tobt. Mitleid mit der geschundenen Kreatur, Zorn gegen die Peiniger", schreibt Ehmsen.[1] So entstehen seine "Erschießungsbilder" aus unmittelbarer Anschauung heraus 1919 - und diese Motive bleiben für ihn bis in die 30er Jahre hinein in seinem Werk präsent.

"Erschießungs-Bilder"

Heinrich Ehmsen, am 9. August 1886 in Kiel geboren, verschlug es nach seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und einem kurzen Parisaufenthalt und seiner Dienstzeit als Soldat im 1. Weltkrieg nach München. Er wurde Augenzeuge der Münchner Räterepublik und ihrer Niederschlagung. Die konterrevolutionären Ereignisse hielt er in seinen "Erschießungs-Bildern" fest, die u.a. in der Tradition Francisco Goyas (1746-1828) stehen. Durch diese Zeichnungen und Bilder wurde Ehmsen in den 20er Jahren als politisch engagierter Maler bekannt.

Francisco de Goya Erschiessung der Aufstaendischen
Die Erschießung der Aufständischen (Francisco de Goya)
 
Heinrich Ehmsen An der Mauer
An der Mauer (Heinrich Ehmsen, Stadtgalerie Kiel)
 
Heinrich Ehmsen Das Ende
Das Ende. Rätezeit München 1919 (Heinrich Ehmsen, Stadtgalerie Kiel)
 
Heinrich Ehmsen Geiselerschießung Gewalttod
Geiselerschießung- Gewalttod (Heinrich Ehmsen, Stadtgalerie Kiel)

 

1929 zog Ehmsen nach Berlin und war an der großen Ausstellung "10 Jahre Novembergruppe" beteiligt, in der ein Überblick über die Werke fortschrittlicher bildender Künstler seit November 1918 präsentiert wurde. Neben Ehmsen waren dort Werke u.a. von George Grosz, Otto Dix, Otto Nagel und Kandinsky zu sehen. Ehmsens Gemälde zeigen den Betrachter die Widersprüche in der großstädtischen Gesellschaft der Weimarer Republik. Ab 1930 nahm er an verschiedenen politischen Aktionen und Ausstellungen linker, radikaler Künstler teil. Er gehörte u.a. dem "Kampfkomitee für Künstler und Geistesarbeiter" an, dessen Ziel es war, die KPD in bevorstehenden Wahlkämpfen zu unterstützen. Mitstreiter dieses Komitees waren u.a. Erwin Piscator, Egon Erwin Kisch, John Heartfield, Willi Münzenberg, Ernst Busch.

"Die Erschießung des Matrosen Egelhofer"

Von 1932 bis 1933 hielt sich Heinrich Ehmsen in der Sowjetunion auf, wo er eine umfangreiche, 140 Werke umfassende Ausstellung in Moskau hatte. Während dieses Aufenthalts erhielt er von der Roten Armee den Auftrag für ein großformatiges Gemälde zum Andenken an die "Rote Armee Baierns 1919".

Für das Gemälde "Die Erschießung des Matrosen Egelhofer" wählte er die Form des Triptychon, des dreiteiligen Altarbildes. Seit der mittelalterlichen Malerei gilt das Triptychon als besonders anspruchsvolle Bildform (Cranach, Grünewald) und in den 20er Jahren wurde diese Form insbesondere von sozialkritischen Malern wiederholt aufgenommen (Otto Dix, Max Beckmann, Heinrich Vogeler).

Ehmsen bot die Form des Triptychon die Möglichkeit zu einer komplexen Schilderung der Revolution, alle drei Bildteile beziehen sich thematisch sie. Dabei personifiziert Egelhofer als zentrale Gestalt das kämpfende Proletariat; steht in Matrosenuniform mit geballter Faust seinen Mördern gegenüber.

Heinrich Ehmsen Erschießung Egelhofer
 Die Erschießung des Matrosen Egelhofer, Mittelstück des Triptychon (Heinrich Ehmsen, 1933) (Eremitage St. Petersburg) 

 

Das Ende der Münchner Räterepublik – blutiger Schlusspunkt der Novemberrevolution

Bayern war das erste Land im Deutschen Reich, das seinen Monarchen davonjagte. Am 8. November 1918 verkündete der neue Ministerpräsident Kurt Eisner, Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratie (USP): "Bayern ist fortan ein Freistaat". Neun Tage später, auf der Revolutionsfeier im Münchner Nationaltheater, präzisierte er seine politischen Vorstellungen: "Wir verstehen unter Demokratie nicht, dass alle paar Jahre alle Bürger das Wahlrecht ausüben und die Welt regieren mit neuen Ministern und neuem Parlament. Wir, die wir eine neue Form der Revolution gefunden haben, wir versuchen auch eine neue Form der Demokratie zu entwickeln." In einem austarierten System sollten sowohl das Parlament als auch die Räte die Macht in Bayern ausüben.

Nach der Ermordung Eisners durch den rechtsextremen Attentäters Graf Arco kam es Anfang April zur Ausrufung der "Räterepublik Baiern"; Vorsitzender des Revolutionären Zentralrats wurde der Dramatiker Ernst Toller. Gegen die zu erwartende militärische Intervention seitens der bayrischen sozialdemokratischen "Regierung" (die sich nach Bamberg abgesetzt hatte), wurde zur Verteidigung eine "Rote Armee" aufgebaut. Deren Oberbefehl lag bei dem KPD-Mitglied Rudolf Egelhofer, einem gebürtigen Münchner, der sich im Krieg zur Marine gemeldet und beim Wilhelmshavener Matrosenaufstand in vorderster Reihe gestanden hatte.

Am 1. Mai 1919 stürmten die Freikorps Epp, Lützow u.a. - insgesamt über 30.000 Soldaten, München. Die Freikorps, denen eine Woche "Schießfreiheit" zugestanden wird, "machen Ordnung". In den ersten Maitagen sterben mehr als 600 Menschen, unter den Opfern sind viele Unbeteiligte.

Über das Ende der Münchner Räterepublik schreibt Sebastian Haffner; "Am 2. Mai brach der letzte Widerstand zusammen. Und nun folgte ein ‚weißer Schrecken‘, wie ihn noch keine deutsche Stadt, auch Berlin im März nicht, erlebt hatte. Eine Woche lang hatten die Eroberer (die preußischen Freikorps, gst) Schießfreiheit, und alles, was ‚spartakusverdächtig‘ war – im Grunde die ganze Münchner Arbeiterbevölkerung-, war vogelfrei."[2]

Gustav Landauer, Erziehungsminister der "Dichter-Räteregierung", und Rudolf Egelhofer, der Befehlshaber der "Roten Armee", werden gefangen genommen, misshandelt und erschossen. Der Schriftsteller Erich Mühsam wird zu fünfzehn, Ernst Toller zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Eugen Leviné, dem Münchner KPD-Vorsitzenden und Vorsitzenden des Vollzugsausschusses der Räterepublik, wird im Juni der Prozess gemacht. "Wir Kommunisten", sagte er in seinem Schlusswort, "sind alle Tote auf Urlaub. Sie mögen jetzt entscheiden, ob mein Urlaubsschein noch einmal verlängert wird oder ob ich eingezogen werde zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg." Zwei Stunden später wurde er erschossen.

Graf Arco, der Eisner-Mörder, wird 1920 zum Tode verurteilt, begnadigt und nach vier Jahren aus der Haft entlassen; die Richter würdigen seine Liebe zu Volk und Vaterland.

Heinrich Ehmsens weiterer Lebensweg

Doch kommen wir zurück zu Heinrich Ehmsen. Nach Fertigstellung des Gemäldes "Die Erschießung des Matrosen Egelhofer" kehrt er aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück – prompt wird er im Oktober 1933 in Schutzhaft genommen. Dort wird ihm vorgeworfen, er habe in seinen Erschießungsbildern die Geiselerschießungen durch konterrevolutionäre Truppen am 30.April 1919 im Auftrag der Münchner Kommunisten gleichsam dokumentarisch festgehalten. "Auf Grund des zusammengetragenen Materials für und wider Ehmsen bleibt der dringende Verdacht auf einer kommunistischen Einstellung bestehen. Die Gemälde verraten einwandfrei russisch.bolschewistische Kunst," heißt es in dem Schutzhaft-Beschluss.[3]

Mitte Dezember 1933 wird Ehmsen wieder entlassen, muss sich allerdings fünf Jahre lang wöchentlich im Reichssicherheitshauptamt melden und wird überwacht. Gleichzeitig werden alle Bilder Ehmsens aus den deutschen Museen entfernt; 1937 hat er die "Ehre", dass einige seiner Werke Bestandteil der Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" sind.

Nach Ende des Faschismus ist er von 1945 - 1949 stellvertretender Direktor der Akademie der Künste in Berlin-Charlottenburg. Wegen einer Solidaritätserklärung für den Pariser Congrès mondial des partisans pour la paix (der Weltfriedensbewegung) wird er 1949 entlassen. 1950 entscheidet er sich für die Übersiedlung nach Ost-Berlin, wo ihm die Leitung eines Meisterateliers an der dortigen Akademie der Künste der DDR angeboten wird. Vor 55 Jahren, am 6. Mai 1964, stirbt er in Berlin.

Heinrich-Ehmsen-Stiftung Kiel

Seit 1988 wird in den der Heinrich-Ehmsen-Stiftung vorbehaltenen Ausstellungsräumen der Stadtgalerie Kiel der Werkbestand der Stiftung präsentiert. Mit unterschiedlichen thematischen Bezügen wurden Werkgruppen des Malers Heinrich Ehmsen in Wechselausstellungen vorgestellt und oft auch Werken anderer Künstlerinnen und Künstler gegenübergestellt.

Der komplette Gemäldebestand der Heinrich-Ehmsen-Stiftung kann unter MUSEEN NORD eingesehen werden.

Vom 29. 9. bis 25.11.2018 konnte man dort die "Erschießungs-Bilder" sehen – schade dass dies nicht bis auf den Mai 2019 ausgedehnt wurde und damit die Münchner Ereignissen vor 100 Jahren auch den Kieler Bürger*innen drastisch vor Augen geführt worden wären.

Rund 80 Werke Heinrich Ehmsens befinden sich heute im Besitz der Eremitage in St. Petersburg, darunter das Triptychon "Die Erschießung des Matrosen Egelhofer".

txt: Günther Stamer

 

Anmerkungen

[1] Ehmsen, S. 40
[2] Haffner, S. 210
[3] Zit nach Eilenstein, S. 152

Literatur zu Heinrich Ehmsen

  • Heinrich Ehmsen. Skizzen einer Autobiografie (1955). Heinrich-Ehmsen-Stiftung (Hg.), Kiel 2011 (Dieses Buch ist in der Stadtgalerie für 10,- erhältlich)
  • Anja Eilenstein. Krieg und Revolution in der Kunst Heinrich Ehmsens. Phil. Diss. Kiel 2006

Literatur zur Münchner Räterepublik

  • Klaus Gietinger, November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts. Edition Nautilus, Hamburg 2018
  • Sebastian Haffner. Die deutsche Revolution 1918/19. Kindler-Verlag, Berlin 200

 

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