30.01.2020: DIE LINKE steht vor grundsätzlichen Auseinandersetzungen über Kurs, Strategie und Personen ++ im Vorfeld ihrer Strategiekonferenz am 29.2. und 1.3.2020 in Kassel findet in der Partei eine rege Debatte statt ++ kommunisten.de veröffentlicht zwei Debattenbeiträge
Nach der schwachen Europawahl und dem Desaster bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, das auch durch den Erfolg in Thüringen nicht kompensiert werden konnte, steht DIE LINKE vor grundsätzlichen Auseinandersetzungen über Kurs, Strategie und Personen. Im rot-rot-grün regierten Berlin erleben wir gegenwärtig ein positives Beispiel für "Regieren in Bewegung" – ein Zusammenspiel und ein produktives Spannungsverhältnis zwischen Parteien, Initiativen, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Bewegungen. Gleichzeitig führen zahlreiche Konfliktfelder innerhalb der Linkspartei - Migration, Haltung zur EU, Zielgruppe, neue linke Regierungsmehrheiten oder starke Oppositionskraft, … - dazu, dass sie für die gesellschaftliche Linke nur noch bedingt als Alternative zu den herrschenden Parteien wählbar ist.
"Gemeinsam wollen wir die verschiedenen strategischen Überlegungen diskutieren – vor Ort in den Kreisverbänden und auf einer Strategiekonferenz am 29. Februar und 1. März 2020 in Kassel", heißt es in der Einladung des Parteivorstandes der LINKEN zur Beteiligung an der Strategiedebatte. Im Diskussionsforum https://strategiedebatte.die-linke.de/beitraege/ sind zahlreiche Beiträge veröffentlich.
Janis Ehling hat auf seiner Facebookseite "nach dem Lesen von 272 Strategiebeiträgen" ein Fazit gezogen und weist zudem auf exemplarische Beiträge der unterschiedlichen Parteiflügel zu den verschiedenen Debattenfeldern hin: https://www.facebook.com/janis.ehling/posts/2547560575312161
Auf kommunisten.de veröffentlichen wir zwei Beiträge:
Joachim Bischoff, Michael Brie, Harald Wolf, Daniela Trochowski, Axel Troost u.a. sehen
Drei Optionen für einen Richtungswechsel
Wie können Linke Einfluss auf die Politik von morgen nehmen? Ein Erklärungsversuch
Erste These: Die aktuelle strategische Situation am Beginn der 2020er Jahre ist durch eine Zuspitzung der Widersprüche neoliberaler Politik charakterisiert. Es entsteht eine Scheidewegsituation.
Die kapitalistischen Hauptländer sind mit gravierenden Problemen konfrontiert:
- Das Auseinanderdriften der Verteilungsverhältnisse kann von der neoliberalen Deregulierungspolitik immer weniger moderiert werden. Schlüsselbereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Lohnarbeit, Wohnen, Bildungsangebote, Gesundheitsversorgung, Pflege und würdige Existenzbedingungen im Alter können von der etablierten Politik nicht mehr gewährleistet werden. Neue Unsicherheiten und soziale Spaltungen treffen auch die Geschlechterverhältnisse sowie das Verhältnis zu Migrant*innen und untergraben Fortschritte einer emanzipativen und geschlechterdemokratischen Lebensweise.
- Die Widersprüche zwischen der gesellschaftlichen wie der individuellen Reproduktion und den Aneignungsexzessen in der Finanzsphäre werden durch den Klimawandel und die unkontrollierten Naturaneignungen zur globalen Existenzkrise gesteigert. Trotz gewaltiger Umbrüche in den Produktionsverhältnissen bringt die schleppende Produktivitätsentwicklung nur ein niedriges und in die falsche Richtung gehendes Wirtschaftswachstum hervor.
- Die Wiederbelebung der ökonomischen Nationalismen zerstört die Nachkriegsordnung. Anstelle einer internationalen Friedensordnung sind wir mit der Akzeptanz von Kriegen als Mittel der Konfliktlösung konfrontiert.
- Die herrschenden Eliten befördern mit ihrer Selbstbereicherung den Eindruck eines Gegensatzes zwischen der breiten Bevölkerung und korruptem Establishment und bereiten so den Nährboden für Rechtspopulismus und autoritäre Herrschaftsstrukturen. Die Erosion demokratischer Strukturen ist weit fortgeschritten. Das Vertrauen in die Fähigkeit, mit den bisherigen demokratischen Mitteln die aufgestauten Probleme zu lösen, sinkt.
Von zahlreichen sozialen Bewegungen und Initiativen sowie Gewerkschaften werden machtpolitische Alternativen eingefordert, um Schritte in Richtung einer emanzipativen demokratischen Gesellschaftsordnung gehen zu können, die den Interessen und Ansprüchen der Vielen gerecht werden.
Die Frage ist nicht, ob sich ein Richtungswechsel der Politik vollzieht, sondern in welche Richtung er gestaltet wird.
Wir sehen drei wesentliche strategische Optionen:
- Erstens wird versucht, das Weiter-So fortzusetzen. Die Koalitionen auf Bundesebene seit 2005 sind Ausdruck dieser Option.
- Die zweite Option ist die Offensive der dezidiert rechten Kräfte. Sie nutzen die Schwäche der herrschenden Strategie des Weiter-So aus. Ihre Vorschläge scheinen machbar: ein Festungs-Kerneuropa mit Schutzversprechen nach Innen und menschenverachtender Abwehr nach Außen. Ein autoritärer Kapitalismus mit scheindemokratischer Fassade ist möglich.
- Mittlerweile ist eine dritte Option im Entstehen. Es haben sich starke demokratische Gegen- und Alternativbewegungen gebildet. Die Demonstrationen gegen TTIP, für solidarische Seebrücken, Unteilbar, Fridays for Future und die ständigen Proteste gegen die Aufmärsche der Neuen Rechten, neue Formen von Streiks, die Bewegung zur Enteignung großer Wohnungskonzerne oder für die Rekommunalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen die Kohleverstromung, gegen Militarisierung usw. zeigen: Es bewegt sich etwas. Dies konnte die Partei DIE LINKE in einigen Bundesländern als Opposition oder in Regierungsverantwortung befördern.
Zweite These: Die Partei DIE LINKE muss sich als offensive mobilisierende, organisierende und integrierende politische Kraft des sozialökologischen Richtungswechsels der Politik bewähren.
Die Schlüsselfrage für den erforderlichen sozialökologischen Richtungswechsel ist: Wird es die gesellschaftliche Linke schaffen, das Unbehagen und die Proteste aus der Bevölkerung aufzugreifen und die politische Krise in die Chance eines gesellschaftlichen Aufbruchs zu verwandeln. Es kann sein, dass dafür jetzt auch die parteipolitischen Voraussetzungen entstehen. In das Zentrum der Politik der SPD rückt wieder die soziale Frage. Auf dem Gebiet von Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es Ansätze. Auch die Grünen haben ihre Politik präzisiert. Sie sprechen jene an, die den Glauben an die vorherrschende verknöcherte Politik des europäischen Establishments verloren haben, die nationalistisch-populistische Reaktion darauf aber ablehnen. Sie treten für eine stärkere ökologische Wirtschaftsregulation ein und haben sich sozialen Fragen zugewendet. Welche Tendenzen sich in diesen Parteien durchsetzen, hängt maßgeblich von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. DIE LINKE muss solche fortschrittlichen Entwicklungen aufgreifen und sich zugleich für eine sozialökologische Transformation einsetzen, die die Grenzen kapitalistischer Verwertungslogik überschreitet.
... ihre neue strategische Funktion
Die Partei DIE LINKE muss aus einer Verteidigerin sozialer Interessen in Zeiten der Defensive zu einer Vorkämpferin für eine umfassende sozialökologische Transformation und eine neue internationale Politik werden. Dies ist ihre neue strategische Funktion. Diese Funktion kann DIE LINKE erstens nur gemeinsam und arbeitsteilig mit den emanzipatorischen und solidarischen Kräften der Zivilgesellschaft entwickeln. Zweitens bedarf es der parteipolitischen Kooperation mit SPD und Grünen, um in den Ländern und im Bundestag eine neue Mehrheit für den sozialökologischen und friedensorientierten Richtungswechsel herzustellen. Dies verlangt von allen die Bereitschaft, mit bestimmten Regeln der Europäischen Union dann zu brechen, wenn sie einer sozialökologischen Transformation diametral entgegenstehen. Es muss gemeinsam ein neues Verständnis von Sicherheit und internationaler Verantwortung entwickelt werden.
Daraus folgen vier weitere Anforderungen:
- Erstens sollte DIE LINKE ihre Potenziale als verbindende, Lager überwindende und Solidarität stiftende Kraft zum Einsatz bringen. Wir halten die Entgegensetzung von urbanen zivilgesellschaftlichen Milieus auf der einen und traditionellen »Arbeitermilieus« auf der anderen Seite für falsch. Es geht um ein solidarisches Mitte-Unten-Bündnis.
- Zweitens muss die Linkspartei darum kämpfen, dass ein zukunftsorientiertes politisches Gesamtprojekt entsteht, als deren unverzichtbarer Teil sie sich erweist.
- Drittens: Ein übergreifendes Projekt der LINKEN ist die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten hat dieses Projekt noch an Dringlichkeit gewonnen.
- Viertens: Ein wirklicher Richtungswechsel verlangt Kampfgeist, Überzeugung, harten politischen Willen, Veränderungen in der Organisations- und Arbeitsweise sowie die Bereitschaft, sich heftigen Auseinandersetzungen zu stellen.
Dritte These: Die Partei DIE LINKE muss mit ihrem Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 die Option eines sozialökologischen und friedensorientierten Richtungswechsels stärken. Die Bedingungen dafür sind eine breite gesellschaftliche Mobilisierung, die gemeinsame Erarbeitung eines Programms für einen politischen Richtungswechsel sowie neue parlamentarische Mehrheiten. Wir streben einen Regierungswechsel an, der den Richtungswechsel befördert.
Die Bundestagswahlen 2021 könnten sich als letzte Chance des kommenden Jahrzehnts herausstellen, die Weichen für einen sozialökologischen Richtungswechsel zu stellen. Die Vorbereitung und Durchführung des Wahlkampfs, beginnend mit dem Erfurter Parteitag der LINKEN im Juni 2020, ist entscheidend. DIE LINKE muss gemeinsam mit anderen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das vorhandene linke Potenzial in der Gesellschaft zusammenzuführen und die politischen Kräfteverhältnisse deutlich zu verändern.
Für diesen Bundeswahlkampf machen wir drei konkrete Vorschläge:
Erstens: Die Partei DIE LINKE bringt sich in einen breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess ein, unterstützt diesen und organisiert ihn mit, aus dem bis zum Spätherbst 2020 ein politisches Handlungsprogramm entsteht – immer vorausgesetzt, es kommt zu keinen vorgezogenen Wahlen. Wir kämpfen darum, dass dieses Programm zu einer der Grundlagen einer Regierung des sozialökologischen und friedensorientierten Richtungswechsels wird.
Die Arbeit daran muss jetzt begonnen werden und sollte partizipatorisch erfolgen. Es sollte geprüft werden, ob über die zentralen Punkte dieses Programms auf der Straße, bei aufsuchenden Begegnungen in Stadtviertel und Gemeinden und Online abgestimmt werden kann, um die Prioritäten zu bestimmen. Das in einem solchen Diskussionsprozess erarbeitete Programm sollte durch Wissenschaftler*innen sowie Praktiker*innen mit Blick auf seine finanziellen und rechtlichen Bedingungen und Folgen sowie mit Blick auf den Umbau der Staatsfunktionen analysiert werden, um daraus konkrete Vorschläge zur Umsetzung zu erarbeiten.
Zweitens: Das in diesem Diskussionsprozess erarbeitete Programm sollte als Wahlprogramm der Partei DIE LINKE für die nächste Bundestagswahl beschlossen werden. Glaubwürdig ist es nur, wenn es als großes sozialökologisches Zukunftsprogramm entwickelt wird, das durch eine Investitionsoffensive untersetzt ist. Umverteilung und Umgestaltung gehören zusammen. Dies schließt natürlich ein, nur Positionen aufzunehmen, die mit dem Parteiprogramm der Partei DIE LINKE vereinbar sind.
Drittens: DIE LINKE sollte in diesem Prozess bereit sein, ihre Listen auf aussichtsreichen Plätzen für Aktivist*innen aus sozialen und ökologischen Organisationen, der Friedensbewegung, der Bewegung für globale Solidarität, für die solidarische regionale und kommunale Entwicklung in Deutschland zu öffnen und als Direktkandidat*innen für die Bundestagswahl aufzustellen, um die Breite der gesellschaftlichen Bewegungen für einen Politikwechsel erkennbar zu machen.
10. Januar 2020
Joachim Bischoff, Michael Brie, Richard Detje, Conny Hildebrandt, Hasko Hüning, Dieter Klein, Björn Radke, Gerd Siebecke, Harald Wolf, Daniela Trochowski, Axel Troost
Acht Thesen zur Entwicklung der GrünenVon Michael Jäger: "... Nach meiner Einschätzung reicht das grüne Programm trotz aller Fortschrittlichkeit nicht aus, die Klimakrise zu wenden, weil es sich an die Macht des Kapitals nicht herantraut. Dieses Programm würde dann scheitern. Speziell die Linkspartei muss deshalb klären, ob sie sich wirklich mit der Rolle des besonders radikalen sozialpolitischen Mahners begnügen kann, ob sie nicht vielmehr auch, wenn auch zunächst in vorsichtiger Form, die Systemfrage ins Spiel bringen sollte. Dafür müsste doch in ihrer eigenen Perspektive viel sprechen. ..." |
Thomas Goes, Katharina Dahme und Mizgin Ciftci begreifen in ihrem Beitrag
Die Krise als Chance
Oder: Wie wir als sozialistische Bewegungspartei die extreme Rechte und die Neoliberalen schlagen können.
Wir leben in einer Phase der Destabilisierung und politischen Polarisierung – es gibt aber keinen einfachen Rechtsruck. Dem reaktionären Rand stehen Milieus der arbeitenden Klassen gegenüber, denen Solidarität und soziale Gerechtigkeit wichtig sind, die eine weitere Demokratisierung wollen, sich eine weltoffene Gesellschaft wünschen und um unser ökologisches Überleben sorgen.
Angehörige dieser Milieus wählen nicht automatisch DIE LINKE und werden auch nicht schnell politisch aktiv oder organisieren sich bei uns. Trotzdem sind sie die natürliche Homebase einer modernen sozialistischen Partei. Die politische Destabilisierung und Polarisierung bieten uns auch Möglichkeiten, aus diesen Milieus heraus eine starke Bewegung aufzubauen: Ein Unten-Mitte-Bündnis, das für drängende soziale und ökologische Reformen kämpft und den Weg zu einer sozialistischen Demokratie ebnet.
Die Niederlagen bei der Europawahl, in Sachsen und Brandenburg, die dramatischen Mitgliederverluste in den ostdeutschen Ländern und die Dauerklage, die LINKE habe den Kontakt zu den "einfachen Leuten" verloren, machen das leichtfertig vergessen.
Wir sollten die Situation auch als Chance sehen und gemeinsam darum ringen, wie sie genutzt werden kann. Ein solides soziales Profil unserer Partei, moderate Mitgliedergewinne in den westlichen Ländern und den größeren Städten im Osten, mehr jüngere Mitglieder, gute erste Ansätze der Kampagnen- und Streiksolidaritätsarbeit und nicht zuletzt der Einflussgewinn bei neuen lohnabhängigen Schichten bieten dafür eine gute Ausgangsbasis. Natürlich reicht das bisher noch nicht und auch im Westen stagniert der Parteiaufbau zum Teil. Wollen wir die Herausforderungen meistern, müssen wir unsere Partei verändern und an einer grundlegenden "Kulturrevolution" in der LINKEN arbeiten.
Es ist nicht ruhig im Lande und die Unruhe kommt mitnichten nur von rechts. Erinnern wir uns an Mieteninis und verschiedene wichtige Streiks, an die Willkommensbewegung für Geflüchtete, an breite antifaschistische Mobilisierungen, an die Klimabewegung und verschiedene lokale Initiativen, die sich für eine ökologische Verkehrswende einsetzen.
Bei allen wichtigen Warnungen vor Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: In der Bevölkerung gibt es neben autoritären und rassistischen Verarbeitungsweisen der Neoliberalisierung auch kapitalismuskritische und sozialpopulistische, die Brücken nach links darstellen.
Aber nur dann, wenn wir aus den fortschrittlichen Teilen der arbeitenden Klassen ein starkes Rückgrat unserer Bewegung aufbauen, können wir um diese schwankenden Teile kämpfen. Dazu dürfen wir uns weder als eine Art Anhängsel der SPD begreifen, das diese wieder auf den (angeblichen) Pfad der Tugend zurückführen soll, noch als Nischenpartei.
Wir kämpfen um Hegemonie im mitte-linken Lager!
Lange wurde als Ziel der LINKEN die Re-Sozialdemokratisierung der SPD ausgegeben. Im besten Fall sollte eine sozialere SPD die gemeinsame Durchsetzung einer fortschrittlichen Politik ermöglichen. Doch lässt sich bei Wahlen häufig beobachten, dass DIE LINKE geschwächt wird, wenn Grüne und SPD zulegen. Auch in sozialen Bewegungen und in der Gewerkschaftsbewegung ringen wir um Einfluss, möglicherweise Seite an Seite mit Sozialdemokraten und Grünen, aber immer im Wettbewerb.
Die Vorstellung eines Bündnisses nach dem Boygroup-Prinzip (für jeden Geschmack ein "Sänger" mit eigenem Image) geht somit nicht auf, eher besteht ein Konkurrenzverhältnis darum, wer innerhalb des gesellschaftlichen Mitte-Links-Lagers führend wird.
DIE LINKE wird nur stärker, wenn sie mehr als eine Friedens- und Sozialstaatspartei ist, auch wenn Sozialstaatsreformen ebenso wichtig sind wie eine klare antimilitaristische Linie. Wollen wir zur führenden politischen Kraft werden, also wirklich um Hegemonie kämpfen, müssen wir eine verbindende Klassenpolitik weiterentwickeln und leben.
Wir müssen uns den sozialen Interessen verschiedener lohnabhängiger Schichten zuwenden (wozu selbstverständlich Prekäre und Erwerbslose gehören) und versuchen Themen zu besetzen, die vom Gros der Bevölkerung noch immer stark mit den Grünen in Verbindung gebracht werden: Antifaschismus, Umwelt und Demokratie.
Politik ist kein Ringen um Marktanteile, bei dem auf angebliche "Markenkerne" zu setzen ist, sondern ausgehend von Problemen und Konflikten ein Ringen um Köpfe und Herzen. Eine linke Partei, die um Unterstützung wirbt und nützlich sein will, muss ein alternatives Gesellschaftsprojekt entwerfen, die Vision für einen Sozialismus unserer Zeit, und zu allen zentralen Fragen sprechen, die den Menschen unter den Nägeln brennen: verbinden, nicht spalten und sich so isolieren.
Sackgassen künftig vermeiden
Die mutmachende Unruhe im Land bietet uns Chancen dazu, die wir nicht verspielen dürfen. In die Sackgasse führen aus unserer Sicht das ständige Beschwören einer Mitte-Links-Regierung ebenso wie die Losung, wir sollten durch eine stärkere Betonung sozialer Themen zu einer neuen sozialdemokratischen Partei werden, auch als "linke Volkspartei" bezeichnet.
Eine starke Partei werden wir nicht, indem wir betonen, unser soziales Profil verloren zu haben, zumal soziale Themen im Mittelpunkt jedes unserer Wahlkämpfe standen. Unsere Kompetenzwerte bei sozialer Gerechtigkeit sind nach wie vor hoch, nur waren zuletzt andere Fragen wahlentscheidend, zu denen wir keine oder widersprüchliche Antworten gegeben haben. Immer mehr vom bereits Bekannten bringt uns nicht in die Offensive.
Ebenso wenig hilft es, den möglicherweise geringen Nutzen der LINKEN für Wähler*innen mit einer (vermeintlichen) Machtperspektive zu beantworten, die über das Regieren mit SPD und Grünen erreicht werden soll. Gemeinsamer außerparlamentarischer Druck von LINKEN, SPD und Grünen für Reformen wären erste Grundvoraussetzungen für eine Zusammenarbeit und sollten wir jederzeit anstreben. Ein progressives linkes Regierungsbündnis ist derzeit aber unrealistisch. Ein soziales und ökologisches Notfallprogramm, das wir dringend brauchen, lässt sich nicht ohne tiefergehende Reformen einführen, die die Macht der Banken und Konzerne massiv einschränken und zu brechen beginnen. Schon der Mietendeckel in Berlin lässt erahnen, welche Gegenkräfte dann mobilisiert würden.
Es stimmt: Eine angemessene sozialistischen Strategie benötigt die Ausarbeitung und verständliche Vermittlung einer eigenen Machtoption. Diese muss realistisch und deshalb radikal sein. In ihrem Mittelpunkt muss stehen, wie wir die Macht der herrschenden Klasse nehmen und die der arbeitenden Klassen ausbauen können. Dazu gehört ein "antikapitalistisches Staatsprojekt" und der Wille zur Übernahme der Regierungsmacht - aber als Teil eines demokratischen Wegs der Brüche in eine sozialistische Übergangsgesellschaft. Ohne Organisierungsprojekte und starke Bewegungen kann dieser Weg nicht einmal begonnen werden, sie zu fördern und aufzubauen ist daher besonders wichtig.
Statt abstrakter Debatten über R2G sollten wir gemeinsam mit Aktiven aus Bewegungen, z.B. Gewerkschaften und Klimabewegung, ein Übergangsprogramm entwickeln, das in verständliche und eingängige Kampagnen übersetzt werden kann. Sie müssen deutlich machen, dass eine linke Regierung nur eine in Frontstellung sein kann, getragen von der politischen Selbsttätigkeit der Menschen und getrieben von starken Bewegungen. Unsere Projekte für eine linke Regierung müssen den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus ermöglichen.
Eine moderne sozialistische Bewegungspartei werden
Wir müssen uns grundsätzlich verändern, um Rechte und Neoliberale schlagen zu können. DIE LINKE muss eine moderne sozialistische Bewegungspartei werden, die eine breitere Bewegung aufbaut, die ein soziales und ökologisches Programm durchsetzen kann: weniger Parlamentsfixierung und "Raumschiff Berlin", weniger Stellvertreterpolitik und Setzen auf prominente Köpfe, weniger Politik als Marketing begreifen ("die richtigen Themen ansprechen").
Dafür mehr Zeit, Energie und Geld für konkrete Organisierungsprojekte (z.B. lokale Initiativen zum kostenlosen Nahverkehr oder zur Einführung von 365-Euro-Jahrestickets als Zwischenstufe), Anregungen zur Belebung der Kreisverbandsarbeit, Experimente mit der Zusammenarbeit von Partei und Initiativen/Bewegungen und Kampagnen, die den Gegensatz zwischen Oben und Unten in den Vordergrund stellen, und auch diejenigen Menschen erreichen, denen soziale Bewegungen fremd sind und Politik nicht nahe liegt. Die Kampagne "Deutsche Wohnen und Co enteignen" ist ein gelungenes Beispiel hierfür.
Fortschritt entsteht aus Reibungen und Widerspruch, durch gesellschaftlichen Streit und durch die Fähigkeit, Bündnisse für klare politische Alternativen zu schmieden. Unser Ausgangspunkt müssen darum die Problemrohstoffe sein, die ohne unser Zutun entstehen (z.B. die Wohnungsnot oder Altersarmut), und die wirklichen Auseinandersetzungen, an denen wir teilnehmen müssen: ob nun Streikbewegungen und Initiativen für kostenlosen Nahverkehr oder Fridays for Future.
Problemrohstoffe finden wir in Form verschiedener sozialer Fragen, die sich jeweils für unterschiedliche Teile der Lohnabhängigen anders stellen (Burnout und entgrenzte Arbeit für höher qualifizierte Facharbeitskräfte, Lohnarmut für prekäre Niedriglohnbeschäftigte); das sind aber auch die Sorge um unsere ökologischen Lebensgrundlagen, eine offene und tolerante Gesellschaft, um Demokratie und die Angst vor Rechts.
Als Partei müssen wir diese Probleme aufgreifen, mit denen, die sich engagieren wollen zusammenarbeiten, und die einzelnen Kämpfe verbinden. Dazu müssen wir raus ins Handgemenge, selbst organisieren und aktiv sein und durch die "Arbeit der Zuspitzung" auch klare politische Alternativen in den Raum stellen, für die wir mobilisieren.
10. Januar 2020
Thomas Goes, Katharina Dahme und Mizgin Ciftci
Quelle: https://strategiedebatte.die-linke.de/beitraege/detail/news/die-krise-als-chance/
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