07.07.2019: Griechenland hat gewählt. Zum sechsten Mal in nur einem Jahrzehnt. Und zum ersten Mal, seit das Land die von der Troika aufgezwungenen Kreditprogramme im August 2018 beendet hat.
Wie prognostiziert kommt es zu einem Regierungswechsel: Die nationalkonservative Nea Dimokratia, die das Land gemeinsam mit der sozialdemokratischen PASOK in die tiefe Krise geführt hat, wird nach vierjähriger Unterbrechung wieder das Regiment übernehmen.
Quelle: https://ekloges.ypes.gr/current/v/home/en/parties/ |
Die Nea Dimokratia (ND) konnte im Vergleich zu 2015 deutlich zulegen und kommt auf 39,8% (2015: 28,09%). Dank des 50-Sitze-Bonus für die stärkste Fraktion wird sie mit 158 Abgeordneten über eine absolute Mehrheit im 300-köpfigen Parlament verfügen.
Ihr Spitzenkandidat Kyriakos Mitsotakis versprach im Wahlkampf neue Investitionen, niedrigere Steuern, mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze und mehr Polizei auf den Straßen der Großstädte. Nicht nur die faschistische "Goldene Morgenröte" (Chrysi Avgi) lehnt das Prespa-Abkommen, das im Februar 2019 den Namensstreit mit dem jetzigen Nordmazedonien beilegte, ab, sondern auch die ND unter Kyriakos Mitsotakis mobilisierte dagegen. Mitsotakis sagte, dass er gegen ein Angebot an Nordmazedonien zum Beitritt zur Europäischen Union ein Veto einlegen würde, wenn er an der Regierung wäre. Die ND konnte mit diesen Versprechen Wähler*innen von der faschistischen "Goldene Morgenröte", der rechtsextremen "Elliniki Lysi" und anderen rechten, konservativen Kleinparteien zurückholen.
Das Nachrichtenportal Keeptalking Greece schreibt über die Wahlkampfstrategie der ND:
"Während des gesamten europäischen und nun allgemeinen Wahlkampfes war die Kommunikationsstrategie der ND einfach, zusammengefasst in zwei Sätzen, zwei Schlüsselwörtern: »Tsipras ist ein Lügner« und »die Regierung ist unfähig«.
Nicht mehr und nicht weniger. Ganz einfach.
Ein copy-paste von Trumps vereinfachtem Wahlkampf, den jeder verstehen kann. Ganz einfach."
(Greece elections: Why ND will win with a simple campaign strategy)
Mit 31,55% (2015: 35,46%) liegt SYRIZA zwar deutlich hinter den Konservativen, aber doch nicht so weit abgeschlagen wie in den Wahlumfragen vorhergesagt. SYRIZA trat im Bündnis mit den griechischen Grünen an, deren Kandidat*innen auf den Listen von SYRIZA kandidierten. Bisher waren die Grünen über diesen Weg mit zwei Mitgliedern im Parlament vertreten und stellten in der Regierung den stellvertretenden Umweltminister.
Dass sich SYRIZA trotz gegenteiliger Ankündigung letztlich den ungeliebten Vorgaben aus Brüssel beugen, die Kreditabkommen unterzeichnen und eine Austeritätspolitik durchsetzen musste, hat viele Wähler*innen zutiefst frustriert.
Obwohl die SYRIZA-Regierung die Kürzungspolitik mit Hilfsmaßnahmen für die Ärmsten abfederte, den Mindestlohn erhöhte, niedrige Renten den Bonus eines 13. Monats erhielten, der Erstwohnsitz vor Zwangsversteigerung geschützt wurde, dass zwei Millionen Menschen, die nicht krankenversichert waren, nun Zugang zu medizinischer Versorgung haben, und sich die wirtschaftliche Lage insgesamt verbesserte, konnte SYRIZA keine Mehrheit bei den Wähler*innen gewinnen.
Noch am Montag vor der Wahl gab Eurostat, das statistische Büro der EU, bekannt, dass Griechenland innerhalb der EU den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit verzeichnen kann – von 20,2% im März 2018 auf 18,1% in 2019. Die Langzeitarbeitslosigkeit ging von 15,6% in 2017 auf 12,5% im ersten Quartal 2019 zurück. Doch für die Wähler*innen gab dies keinen Ausschlag. Auch der umstrittene Kompromiss im Namensstreit mit Mazedonien (heute Nordmazedonien) kostete SYRIZA Stimmen.
"Gemessen an den realen Möglichkeiten, waren die Ansprüche vieler an die SYRIZA-Regierung einfach zu groß", meint der SYRIZA-Abgeordnete Triantafyllos Mitafidis. SYRIZA musste viele Kompromisse eingehen. Das hat dem Image der Partei geschadet.
SYRIZA hat zwar die Regierung verloren, aber welche andere linke Partei in Europa kommt auf über 30% der Wähler*innenstimmen?
Zur drittstärksten Kraft wurde die sozialdemokratische Partei "Kinima Allagis, KINAL" (deutsch"Bewegung für den Wandel") mit 8,00%. Sie ist aus der alten PASOK hervorgegangen, die 2015 nur noch auf 6,29 Prozent gekommen war.
Auch die Kommunistische Partei Griechenlands KKE konnte aus der Schwächung von SYRIZA keinen Gewinn ziehen. Sie kann mit 5,34% (2015: 5,55%) ihre 15 Parlamentsmandate verteidigen und bildet damit die viertstärkste Fraktion.
Die "Laiki Enotita" (deutsch "Volkseinheit") bleibt weit unter der 3-Prozenthürde. Am 21. August 2015 hatte sie sich mit dem damaligen Energieminister Panagiotis Lafazanis aus Protest gegen die Zustimmung zum Memorandum von Syriza abgespalten. Sie ist für den Austritt aus der Eurozone und der Rückkehr zur Drachme. Am Sonntag kam sie nur noch auf 0,28% (2015: 2,86%).
Die neue Partei "MERA25" des früheren Finanzministers Yanis Varoufakis überspringt mit 3,46% die Hürde und kommt mit 9 Abgeordneten ins Parlament.
Ebenfalls den Sprung ins Parlament geschafft hat die rechtsextreme "Elliniki Lysi" (deutsch "Griechische Lösung") mit 3,73%, während die faschistische "Chrysi Avgi" (deutsch "Goldene Morgenröte") mit 2,955 knapp scheitert. Bei der Wahl im September 2015 war sie noch auf 6,99% gekommen.
Vor der Entscheidung stehend, zum Wahllokal zu gehen oder den nächstgelegenen Badestrand anzusteuern, hatten sich viele Griech*innen angesichts der Hitze für den Badestrand entschieden. Die Wahlbeteiligung lag nur bei 57,88%.
Wahlergebnisse bei einem Auszählungsstand von 92,94%,
Quelle: https://ekloges.ypes.gr/current/v/home/en/parties/
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